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Archiv "Die Ernährung von tumorkranken Patienten" (13.09.1990)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ZUR FORTBILDUNG

Die Ernährung von

tumorkranken Patienten

Heinrich Kasper

ie Betreuung Tumor- kranker — maligne Tu- moren sind nach Herz- Kreislauf-Erkrankun- gen die zweithäufigste Todesursache in der Bundesrepublik Deutschland — ist eine häufige und wichtige Aufgabe aller klinischen Bereiche der Medizin. Hierbei kommt Fragen der Ernährung eine wesentliche Bedeutung zu. Wegen häufiger Unklarheiten und Fehlin- formationen hat die Arbeitsgruppe

„Ernährung" des Gesamtprogram- mes zur Krebsbekämpfung des Bun- desministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit folgende

„Grundsätzliche Empfehlungen für die Ernährung von Tumorkranken"

zusammengestellt.

Das Problem der Ernährung Tu- morkranker betrifft zwei Fragen- komplexe:

Gibt es Kostformen („Krebs- diäten"), mit deren Hilfe das Wachs- tum bösartiger Tumoren verzögert oder ein Tumorleiden geheilt wer- den kann?

®

Wie kann der Ernährungszu- stand onkologischer Patienten ver- bessert werden, und welche Ziele, zum Beispiel Verbesserung der Le- bensqualität, Verminderung thera- piebedingter Komplikationen usw., lassen sich hiermit erreichen?

Zu 1: Bereits seit Jahrzehnten wird eine Reihe von Kostformen zur Behandlung maligner Tumoren empfohlen. Sie basieren auf Speku- lationen, falsch interpretierten oder bereits widerlegten Ergebnissen wis- senschaftlicher Befunde. Der thera- peutische Effekt keiner dieser Kost- formen konnte bisher von ihren Be- fürwortern bewiesen werden. Immer wieder insbesondere in der Laien- presse veröffentlichte Berichte über

Alternative Behandlungsverfah- ren, zu denen auch sogenannte

„Krebsdiäten" oder „Tumordi- äten" zählen, kommen bei onkolo- gischen Erkrankungen häufig zur Anwendung. Für keine der vielen, oft vielversprechend propagierten Kostformen existieren wissen- schaftlich klare Vorstellungen über einen eventuellen Wirkme- chanismus, noch konnten je Er- gebnisse positiver Therapiestudi- en vorgelegt werden. Mit geziel- ten diätetischen Maßnahmen ist es jedoch möglich, der häufigen.

Tumorkachexie entgegenzuwir- ken. Läßt sich eine Verbesserung des Ernährungszustandes bei Einsatz entsprechend geschulten Fachpersonals nicht erreichen, so sind die verschiedenen Möglich- keiten der künstlichen Ernährung indiziert. Eine Verlängerung der Lebenserwartung läßt sich mit diesen unterstützenden diäteti- schen Maßnahmen nicht errei- chen.

positive Wirkungen sind nicht belegt.

Vor der Anwendung solcher Kost- formen muß dringend gewarnt wer- den.

Zu 2: Je nach Art, Lokalisation und Ausbreitung von Tumoren ist der Ernährungszustand in wechseln- dem Ausmaße reduziert. Bei Tumo- ren der Gastrointestinalorgane kön- nen lokale Ursachen hierfür verant- wortlich sein. Wesentlich häufiger ist Medizinische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Kurt Kochsiek), Bayerische Julius- Maximilians-Universität Würzburg

die Mangelernährung jedoch Folge von bisher nur unzureichend be- kannten metabolischen Effekten des Tumors auf den Gesamtorganismus, die Appetitlosigkeit, Widerwillen, Geschmacksstörungen und eventuell einen Mehrverbrauch an Energie zur Folge haben. Der Ernährungszu- stand kann zusätzlich durch thera- peutische Maßnahmen wie Bestrah- lung und Chemotherapie beeinträch- tigt werden.

Obwohl bisher nicht alle Fragen durch klinische Studien beantwortet sind und die Ergebnisse vorliegender Untersuchungen nicht in allen Punk- ten übereinstimmen, wird nicht dar- an gezweifelt, daß bei der Mehrzahl der Patienten durch eine Verbesse- rung des Ernährungszustandes fol- gende positive Effekte erreicht wer- den:

—Verbesserung der Lebensqua- lität,

—Verringerung der Komplika- tionen nach operativen Eingriffen und während zytostatischer bezie- hungsweise Strahlentherapie,

— Funktionserhaltung des Kör- pers durch Zufuhr lebenswichtiger Nährstoffe.

Bei unzureichender spontaner Nahrungsaufnahme kann die Nähr- stoffzufuhr auf verschiedene Weisen gesteigert werden.

Orale Ernährung:

Es soll versucht werden, die sponta- ne Nahrungsaufnahme zu steigern.

Ziel ist hierbei eine bedarfsdeckende Energie- und Nährstoffversorgung.

Dies kann gelingen, wenn Aversio- nen,

Geschmacksstörungen, vorzei-

tig

einsetzendes Sättigungsgefühl usw. bei der Auswahl und Zuberei- tung von Speisen und Getränken hinreichend berücksichtigt werden Dt. Ärztebl. 87, Heft 37, 13. September 1990 (57) A-2721

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% der Untersuchten 40

30

4-- Gesunde

20

10

4-Tumorkranke

0

50 100 150

Abweichung des gemessenen vom errechneten Ruheumsatz (%)

180

Abbildung: Ruheumsatz bei Gesunden und bei Tumorkranken (nach Knox et al. 1983) und für die Betreuung der Tumor-

kranken entsprechend ausgebildetes Hilfspersonal (Diätassistentinnen) zur Verfügung steht. In der Diätkü- che hergestellte energie- und nähr- stoffreiche Mixgetränke oder indu- striell hergestellte Formeldiäten soll- ten zusätzlich zwischen den Mahlzei- ten angeboten werden.

Soweit möglich, sollen tumor- beziehungsweise therapiebedingte Funktionsstörungen, welche die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen, medikamentös (Antiemetika, motili- tätssteigernde Substanzen usw.) be- seitigt werden.

Sondenernährung:

Eine Ernährung über Sonde ist dann indiziert, wenn die spontane Nah- rungsaufnahme den Energie- und Nährstoffbedarf nicht optimal deckt.

Bei intakter Verdauungs- und Re- sorptionsfunktion wird mit einer der im Handel befindlichen nährstoffde- finierten bilanzierten Formeldiäten ernährt. Die Applikation der Nah- rung erfolgt über nasogastrale und nasoduodenale Verweilsonden und bei Schluckstörungen oder Passage- hindernissen im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes über eine perkutane endoskopische Gastrosto- mie (PEG), in seltenen Fällen intra- jejunal über eine Feinnadel-Kathe- ter-Jejunostomie.

Parenterale Ernährung:

Die parenterale Ernährung sollte nur dann eingesetzt werden, wenn die obengenannten Möglichkeiten keine bedarfsdeckende Ernährung garantieren.

Erläuterungen

Die erste, sogenannte „Krebsdi- äten" oder „Tumordiäten" betref- fende Frage richten durch unseriöse Presseberichte oder leichtfertige Versprechungen von Außenseitern fehlinformierte Patienten und Ange- hörige immer wieder an den behan- delnden Arzt. Obwohl seit Jahrzehn- ten eine Vielzahl solcher Kostfor- men propagiert wird, hat nicht einer der Anhänger jemals Beweise für an- geblich positive Effekte oder wenig- stens ein wissenschaftlich gesichertes

Konzept möglicher Wirkmechanis- men vorgelegt (Literatur bei 1).

Trotzdem kann man davon ausge- hen, daß solche Kostformen und an- dere alternative Behandlungsverfah- ren von mehr als 40 Prozent der Tu- morkranken angewandt werden (2).

Das Problem der Ernährung Tu- morkranker reduziert sich somit auf die bereits unter Punkt zwei in den Empfehlungen genannte Optimie- rung des Ernährungszustandes und damit eine Verbesserung des Allge- meinbefindens, der Lebensqualität, der Toleranz gegenüber therapeuti-

schen Maßnahmen und unter Um- ständen auch der Immunreaktivität des Organismus.

Tumorkachexie

Die Kachexie ist eine häufige Folge des Tumorleidens. Bei etwa 50 Prozent der Kranken kommt es zu einem Gewichtsverlust, der bei 15 Prozent mehr als ein Zehntel des Ausgangsgewichtes beträgt. Je nach Lokalisation findet sich eine Kache- xie bei den verschiedenen Organtu- moren mit unterschiedlicher Häufig- keit. Zu einem ausgeprägten Ge- wichtsverlust kommt es häufig bei Tumoren des Pankreas, Magens, der Lungen und Ovarien, während etwa Malignome der Mamma, der Haut, der Muskulatur usw. vergleichsweise

selten mit einer Kachexie einherge- hen (Literatur bei 3). Sieht man von Tumoren des Verdauungstraktes ab, bei denen es durch unmittelbare Tu- moreinwirkung wie Lumeneinen- gung usw. zu Behinderungen der Nahrungsaufnahme kommen kann, so sind die Ursachen für die Verrin- gerung des Körpegewichtes in sehr komplexen, bisher nur unzureichend bekannten Stoffwechselstörungen zu suchen. Bei einem Teil der Kranken findet sich, wie aus der Abbildung er- sichtlich, eine erhebliche Steigerung des Ruheumsatzes (4). Weiterhin

finden sich Steigerungen des Prote- inumsatzes, wobei die Syntheserate in der Leber gesteigert, die in der Muskulatur verringert ist.

Die häufig zu beobachtende Hypalbuminämie ist weniger eine di- rekte Folge der Mangelernährung beziehungsweise eines gesteigerten intestinalen Eiweißverlustes bei ga- strointestinalen Tumoren, als Aus- druck einer verringerten Synthese und eines gesteigerten Metabolis- mus. Bei Tumorkranken lassen sich weiterhin Störungen des Kohlenhy- drat- und Fettstoffwechsels nachwei- sen, die ebenfalls in das komplexe Geschehen der Kachexieentstehung involviert sind (Literatur bei 5).

Der Kliniker sieht immer wieder Patienten mit sehr kleinen Tumoren, etwa der Lunge, die weder mit Schmerzen noch Störungen im Be- A-2722 (58) Dt. Ärztebl. 87, Heft 37, 13. September 1990

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reich der Gastrointestinalorgane ein- hergehen, aber trotzdem zu einer hochgradigen Gewichtsabnahme führen. Welche in solchen Tumoren synthetisierten Substanzen letztlich systemisch wirksam werden und für die vielschichtigen Stoffwechselstö- rungen und die hieraus resultierende Tumorkachexie verantwortlich sind, ist weitgehend ungeklärt. Befunde über den Effekt bestimmter Poly- peptide (Kachektien/Tumornekrose- faktor) usw. sind noch widersprüch- lich (6).

Neben den primär vom Tumor ausgehenden Effekten kommt der anorexigenen und emetischen Wir- kung der Chemotherapie unter Um- ständen aber noch eine zusätzliche Bedeutung zu.

Geschmacks- empfindung

Die unzureichende Nahrungs- aufnahme onkologischer Patienten kann auch durch Geschmacksstörun- gen mitbedingt sein. Die Häufigkeit korreliert positiv mit der Tumormas- se und findet sich selten bei Kranken mit umschriebenen Tumoren. Es gibt weiterhin Hinweise darauf, daß sich die Intensität von Störungen der Geschmacksempfindung verringert, wenn es gelingt, die Gesamtenergie- zufuhr zu steigern. Die Änderungen der vier Geschmacksempfindungen süß, sauer, bitter und salzig scheinen weiterhin mit Abneigungen oder Be- vorzugungen bestimmter Lebensmit- tel einherzugehen. Kranke mit einer reduzierten Geschmacksschwelle für bitter bevorzugen beispielsweise aus der Gruppe der eiweißreichen Le- bensmittel Eier und Käse, während sie Rind- und Schweinefleisch häufig ablehnen (Literatur bei 1, 5).

Praktisches Vorgehen

In aller Regel sollte die Kost entsprechend den üblichen Empfeh- lungen für eine vollwertige Misch- kost zusammengesetzt sein. Der Energie- und Nährstoffbedarf (ver- gleiche die Abbildung) kann jedoch in Einzelfällen erheblich gesteigert sein, so daß es trotz einer Energiezu-

fuhr von 3000 bis 4000 kcal/Tag zu keiner Gewichtszunahme kommt und der Eiweißbedarf auf etwa 2 g pro kg Körpergewicht ansteigt. Auch die aggressive Tumortherapie kann sowohl den Nährstoffbedarf steigern als auch durch zytostatikainduzierte Anorexie über längere Zeit die spon- tane Nahrungsaufnahme so weit re- duzieren, daß weniger als die Hälfte des üblichen Tagesbedarfes an Nähr- stoffen aufgenommen wird (Litera- tur bei 7, 8, 9).

Die praktische Erfahrung hat gezeigt, daß sich die Forderung ei- ner, wenn immer möglich, bedarfs- deckenden oralen Nahrungsaufnah- me bei einer großen Zahl von Patien- ten dann realisieren läßt, wenn opti- male Voraussetzungen gegeben sind.

Dies sind in erster Linie die für eine individuelle Betreuung erforderli- chen entsprechend geschulten Diät- assistentinnen und diätetisch ge- schulten Ärzte. Daß diese personel- len Voraussetzungen in aller Regel fehlen, zeigen Ergebnisse entspre- chender Erhebungen (10).

Künstliche Ernährung

Die technischen Voraussetzun- gen für die künstliche Ernährung wurden in den letzten Jahren so weit entwickelt, daß es heute keine Situa- tion mehr gibt, bei der nicht mit Hil- fe von entsprechend lokalisierten Er- nährungssonden oder Venenkathe- tern enteral oder parenteral ernährt werden könnte. Optimal ist weiter- hin das Angebot an industriell herge- stellten Formeldiäten und Infusions- lösungen (tabellarische Darstellung bei 1). Formeldiäten sind gebrauchs- fertige Flüssigprodukte oder leicht lösliche Instantpulver, die für die verschiedensten Indikationen mit unterschiedlicher Zusammensetzung zum Beispiel hochmolekular, nieder- molkular, mit und ohne Zusatz von Ballaststoffen usw. zur Verfügung stehen. Bei intakter Verdauung und Resorption kommen hochmolekula- re Formeldiäten (nährstoffdefinierte Formeldiäten) mit einer optimalen Eiweiß-Kohlenhydrat-Fett-Relation und einem bedarfsdeckenden Anteil an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen zum Einsatz. Ver-

abreicht werden sie über transnasale Sonden in den Magen oder oberen, Dünndarm. Bei Kranken, bei denen das Einführen einer Sonde durch Nase, Rachen und Ösophagus nicht möglich ist, hat sich die perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) bewährt. Hierbei wird während einer Gastroskopie in Lokalanästhesie ei- ne Ernährungssonde durch die Bauchdecke in den Magen plaziert (11, 12, 13). Nur in den seltenen Fäl- len, in denen eine optimale Ernäh- rung per Sonde nicht möglich ist, be- steht eine Indikation für die parente- rale Ernährung. Beide Formen der künstlichen Ernährung können bei entsprechender Anleitung zu Hause und damit in der für den Patienten optimalen Umgebung durchgeführt werden (14).

Zu einer Verlängerung der mitt- leren Überlebenszeit kommt es of- fenbar bei Verbesserung des Ernäh- rungszustandes nicht. Entgegen den Ergebnissen älterer unkontrollierter, prospektiver Studien konnten späte- re kontrollierte, prospektive Studien einen solchen positiven Effekt nicht bestätigen. Verbessert wurde hinge- gen die Toleranz von Chemotherapie beziehungsweise Strahlenbehand- lung und nach Ergebnissen einiger Studien die Zahl postoperativer Komplikationen bei gastrointestina- len Tumoren dann, wenn eine parenterale Ernährung bereits vor der Operation einsetzte (Literatur bei 5, 7, 8).

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Heinrich Kasper Medizinische Klinik der

Universität Würzburg Josef-Schneider-Straße 2 8700 Würzburg

A-2724 (60) Dt. Ärztebl. 87, Heft 37, 13. September 1990

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