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Archiv "Prognose des Mesenterialinfarkts: Ist eine Verbesserung möglich?" (01.03.2002)

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M E D I Z I N

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A558 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 9½½½½1. März 2002

O

bwohl der Mesenterialinfarkt (MI) seit vielen Jahrzehnten in- tensiv beschrieben und erforscht wird, hat das Krankheitsbild auch heu- te nichts von seinem Schrecken verlo- ren. Die immer noch hohe Letalität von mehr als 90 Prozent zeugt von der düsteren Prognose und der Ohnmacht moderner Heilkunde. Worin liegen die Ursachen?

Ein kompletter Durchblutungs- stopp des Intestinums wird nur etwa zwei Stunden toleriert (5). Danach hat sich eine irreversible Darmwandne- krose entwickelt. Ausnahmen entste- hen durch schon bestehende, sofort nutzbare Kollateralstrombahnen, so- dass auch eine mehrstündige vita mini- ma des Darms möglich ist. Aus diesem Grund ist die embolische Okklusion gesunder Mesenterialarterien gefähr- licher als die arterielle Thrombose ei- nes chronischen Verschlussprozesses.

Während die Letalität nach zwölfstün- diger Ischämie 30 Prozent beträgt, steigt sie nach 24 Stunden auf über 85 Prozent (6).

Nur etwa ein Prozent aller mit aku- ten Bauchschmerzen eingewiesenen Patienten haben eine akute mesente- riale Ischämie (1). Dennoch resultiert aus einem undurchsichtigen Einwei- sungsmodus und der Nichtaufklärung zahlreicher im Multiorganversagen Verstorbener eine erhebliche Dunkel- ziffer. Die Ursachen liegen in der un- genügenden Sensibilität der Medizi- ner für dieses Krankheitsbild, obwohl gerade ältere, kardiovaskulär multi- morbide Patienten für die Entwick- lung einer intestinalen Durchblu- tungsstörung prädestiniert sind.

Der MI beginnt mit unklaren krampfartigen Bauchschmerzen, die sich rasch verlieren und von den Be-

troffenen als vorübergehende Durch- fallerkrankung abgetan werden. Bei den von den Autoren erfassten 64 Pa- tienten suchten 26,6 Prozent erst am Montag nach überstandenem Wo- chenende und 21,9 Prozent erst um zehn Uhr morgens nach nächtlicher Symptomatik einen Arzt auf. Hier ist eine bessere Aufklärung der Bevölke- rung, insbesondere der Risikogrup- pen, erforderlich.

Auch der Hausarzt ist, wenn er ge- rufen wird, mit den bisherigen Mitteln kaum in der Lage, einen MI zu erken- nen. Er ist auf eine gründliche Anam- nestik und klinische Untersuchung des Patienten angewiesen. Günstig wäre eine ambulante Schnellbestimmung des Laktats im Serum, welches bei al- len Vorbehalten der empfindlichste Prädiktor eines MI ist (4).

Diagnostische Verzögerung

Die Einweisungsdiagnose bestimmt den weiteren Verlauf – hier kommt dem Hausarzt eine Schlüsselrolle zu.

Allein der ausgesprochene Verdacht auf einen MI löst eine gezielte Dia- gnostikkette aus, sodass nach durch- schnittlich acht Stunden eine Inter- vention erfolgen konnte. Sammelbe- griffe, wie „akutes Abdomen“ sind mit Fehleinweisungen sowie diagnosti- schen Irrwegen verbunden und führ- ten in der Studie der Autoren zu einer therapeutischen Verzögerung von 37 Stunden. Damit ist das irreparable Endstadium des MI aber längst er- reicht.

Neben der klinischen Laborchemie (Leukozytose, Laktazidämie, metabo- lische Azidose) und orientierenden bildgebenden Untersuchungen des Abdomens (Nativ-Röntgen im Ste- hen, Sonographie) gilt die Angiogra- phie der viszeralen Aorta und ihrer Äste (frontaler und seitlicher Strah- lengang) heute als Goldstandard (3).

Im Gegensatz zu anderen Verfahren können mit der intraarteriellen digita- len Substraktionsangiographie alle vaskulären Fragestellungen schnell und sicher beantwortet werden, so- dass eine Operationsplanung möglich ist. Ein weiterer Vorteil ist die soforti- ge therapeutische Intervention, indem das mesenteriale Stromgebiet gespült und mit Medikamenten behandelt werden kann (5). Trotzdem wird diese Diagnostik unerklärlicherweise bisher nur in etwa 19 Prozent der Fälle einge- setzt.

Patienten mit dem Verdacht auf ei- nen MI sollten sofort bei Einweisung nach intensivmedizinischen Richtlinien behandelt werden. Dies erfordert die Anlage von zentralvenösen und arteri- ellen Zugängen, über die eine ausrei- chende Flüssigkeitssubstitution und Elektrolyt- wie Azidoserekompensati- on gesteuert und überwacht werden können. Parallel dazu laufen Diagno- stik und Therapievorbereitungen nach bestimmtem Algorithmen ab (2). Bei nichtokklusiven oder peripheren arte- riellen Verschlusstypen sind ebenso wie bei Pfortader- und Mesenterialve- nenthrombosen (MTV) eine pharma- kologische Spülperfusion oder eine lo- kale Lysetherapie einzuleiten (7). Hier- zu wird in jedem Fall der Instillations- katheter in das Ostium der A. mesente- rica superior platziert (bei MTV: Rück- stromfibrinolyse). Besteht oder ent-

Prognose des

Mesenterialinfarkts

Ist eine Verbesserung möglich?

Bernd Luther, Wilhelm Sandmann Editorial

Klinik für Gefäßchirurgie und Nierentransplantation (Di- rektor: Prof. Dr. med. Wilhelm Sandmann) der Heinrich- Heine-Universität, Düsseldorf

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wickelt sich eine Peritonitis, so gelten chirurgische Zielstellungen der Resek- tion avitaler Darmabschnitte. Bei zen- tralen arteriellen Verschlusstypen (87,5 Prozent) ist eine Gefäßrekonstruktion unabdingbar, es sei denn, es besteht be- reits globale (moribunde) oder lokale (Gangrän des gesamten Darmkonvo- luts) Inoperabilität. Nach Arterioto- mie des Verschlussgefäßes erfolgt die periphere Thrombembolektomie und nachfolgend eine gekühlte, heparini- sierte Spülperfusion zur Thrombolyse und Verlängerung der Ischämietole- ranz (5). Nach Beendigung des Ein- strommanövers wird das Gefäß situa- tionsgerecht verschlossen. Bei degene- rativen Verschlussprozessen sind By- passverfahren in Erwägung zu ziehen.

Bewährt haben sich das aorto-zölikale Interponat und die aortale Transposi- tion der A. mesenterica superior. Fluss- messungen (elektromagnetische Be- stimmung, Dopplersonographie, Tran- sitflow) dienen der Qualitätskontrolle.

Postoperativ sollte die Gefäßrekon- struktion arteriographisch dargestellt werden.

Erst 15 bis 20 Minuten nach der vas- kulären Wiederherstellung kann über die Vitalität abhängiger Darmabschnit- te entschieden werden. In der Regel er- folgt dies unter klinischen Gesichts- punkten (Rosaverfärbung, Peristaltik, Serosaglanz). Nekroseareale müssen reseziert werden. Hierbei favorisieren die Autoren im Stadium der Peritonitis die Anlage von Enterostomien, die postoperativ jederzeit gut beurteilbar sind. Eine Kontinuitätsresektion sollte keinesfalls erzwungen werden. In dem untersuchten Patientenkollektiv betrug die Rate an Anastomoseninsuffizien- zen 43,8 Prozent mit einer Letalität von 42,9 Prozent.

Operative Nachschau

Eine operative Nachschau (Second- Look-Operation) sollte großzügig in- diziert werden. Sie ergibt sich vor al- lem bei zurückgelassenen ischämie- gefährdeten Darmabschnitten, einer fehlenden Rekonvaleszenz, einem nicht abfallenden Serumlaktatspiegel und einem unbeherrschten akuten Abdomen. Die Second-Look-Operati-

on sollte acht bis zwölf Stunden nach dem Primäreingriff durchgeführt wer- den, keinesfalls erst am Ende des nächsten Operationstages. Sandmann und Luther fanden in 72 Prozent der Fälle einen behandlungsbedürftigen Befund.

Nach Aufhebung der mesenterialen Durchblutungsstörung bestehen die destruierenden Stoffwechselprozesse noch fort. Insbesondere Reperfusions- vorgänge und bakterielle Transloka- tionen führen zu einer multiorganel- len Belastung (Lunge, Leber, Niere), sodass septische Verläufe nicht selten sind (8). Die intensivmedizinische Lie- gedauer betrug bei den Autoren durchschnittlich 6,9 Tage. Trotz Be- handlung starben 54 Prozent der Pati- enten.

Von den überlebenden Patienten erlitten 47,6 Prozent in den nächsten zwei Jahren letale Komplikationen, die auf Folgezustände des MI oder kardiovaskuläre Ereignisse zurückzu- führen sind. Nur 42,9 Prozent der Pati- enten blieben langfristig (Follow-up 5,08 Jahre) beschwerdefrei. Es sind ei- ne dauerhafte Antikoagulation und jährliche duplexsonographische Kon- trollen der intestinalen Durchblutung zu fordern.

Fazit

Bei allen angesprochenen Problem- kreisen zeigt sich, dass die heutigen Möglichkeiten der modernen Medizin nicht ausgeschöpft werden. Es beginnt mit der Verkennung des Krankheits- bildes und der verspäteten stationären Einweisung. Auch in der Klinik wird oftmals nicht schnell und konsequent gehandelt, sodass die Patienten erst am Abend des Aufnahmetages ohne Einleitung einer Intensivtherapie dem Chirurgen vorgestellt werden. Auch dann fehlt oftmals eine Arteriogra- phie, sodass der Viszeralchirurg in Unkenntnis des vaskulären Status das Abdomen lediglich exploriert und ge- gebenenfalls eine Darmresektion vor- nimmt (in der Regel Kontinuitätsre- sektion). Manchmal wird dann ein Ge- fäßchirurg hinzugezogen. Auch post- operativ bleibt vieles nachzuholen, ins- besondere werden die oft betagten Pa-

tienten zu schnell aufgegeben, eine Se- cond-Look-Operation verzögert oder nicht durchgeführt und eine weitere Therapie im Sinne der Sterbehilfe ein- gestellt. Um die Prognose des MI zu verbessern, muss jedem Verdacht not- fallmäßig wie einem Herzinfarkt oder einem Apoplex nachgegangen wer- den. Eine rasche konsequente Dia- gnostik und Therapie gemeinsam von Gefäß- und Viszeralchirurgen initiiert und überwacht, kann die Ergebnisse erheblich verbessern, wie die Autoren dies an Einzelfällen immer wieder be- legen können.

Manuskript eingereicht: 19. 9. 2001, revidierte Fassung angenommen: 16. 11. 2001

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 558–560 [Heft 9]

Literatur

1. Ammaturo C, De Rosa A, Salzano A, Morra C, Bassi U, Cerrato C, D’Eliso E, Cacace A: Intestinal infarction: re- port of 98 cases. Chir Ital 2001; 53: 57–64.

2. Boley SJ, Brandt LJ. Intestinal ischemia. Surg Clin North Am 1992; 72: 1–283.

3. Hagspiel KD, Angle JF, Spinosa DJ, Matsumoto AH: An- giography: diagnosis and therapeutics. In: Longo WE, Peterson GJ, Jacobs DL (eds) Intestinal disorders. St.

Louis: Quality Med Publ, 1999; 105–154.

4. Janda Ä, Hagmüller GW, Denck H: Lactat zur Diagnose akuter intestinaler Gefäßverschlüsse. Chirurg 1984;

55: 469–473.

5. Luther B: Intestinale Durchblutungsstörungen. Mesen- terialinfarkt – Angina abdominalis. Darmstadt: Stein- kopff Verlag, 2001.

6. Paes E, Vollmar JF, Hutschenreiter S, Schoenberg MH, Schölzel E: Diagnostik und Therapie des akuten Me- senterialinfarktes. Chir Gastroenterol 1990; 6:

473–480.

7. Rundback JH: Mesenteric venous thrombosis: success- ful treatment by intraarterial lytic therapy. J Vasc Interv Radiol 1999; 10: 98–99.

8. Welbourn CRB, Goldman G, Paterson IS, Valeri CR, Shepro D, Hechtman HB: Pathophysiology of ischemia reperfusion injury. Central role of the neutrophil. Br J Surg 1991; 78: 651–655.

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Wilhelm Sandmann Prof. Dr. med. Dr. phil. Bernd Luther Klinik für Gefäßchirurgie und Nierentransplantation Universitätsklinikum

Heinrich-Heine-Universität Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf

E-Mail: luther@med.uni-duesseldorf.de M E D I Z I N

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A560 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 9½½½½1. März 2002

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