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Archiv "Vergessene Kulturgeschichte: Ausgesprochene Kostbarkeiten" (30.03.2001)

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iebe Kinder, wenn ihr die- se Zeilen lest, haltet ihr ein ganz besonderes Buch in den Händen. Es ist nach fast 60 Jahren das erste jüdi- sche Lesebuch für Kinder in Deutschland. Das letzte wur- de 1938 noch in Deutschland gedruckt, aber nie benutzt.

Bis auf wenige Exemplare wurde es von den Nazis ver- nichtet. Heute gibt es wieder jüdische Kinder in Deutsch- land, aber sie haben keine Geschichten mehr. Was sie denken und fühlen, was sie fröhlich oder traurig macht, darüber wurde fast nichts ge- schrieben.“

Es war Ignatz Bubis, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, der mit diesen Zeilen das Vorwort zu dem vor rund fünf Jahren erschie- nenen jüdischen Lesebuch

„KinderWelten“ einleitete. Ein hübscher, bunt bebilderter Band mit Geschichten über Freundschaft und Tiere, mit Bastelanleitungen und Erzäh- lungen über König Salomon, Adam und Eva. Für Georg Heuberger, Leiter des Jüdi- schen Museums in Frankfurt am Main, bedeutet es mehr als das, fast ein kleines Wunder,

„dass es in diesem Lande wie- der jüdische Kinder, jüdische Schulen und jüdische Bücher gibt“. So wird auch „Kinder- Welten“ im Rahmen der Aus- stellung in der Börnegalerie im Museum Judengasse bis 13.

Mai gezeigt, obgleich es nicht eigentlich zu den unter dem Titel „Jüdisches Kinderleben im Spiegel jüdischer Kinder- bücher“ zusammengefassten Exponaten gehört.

Bei diesen handelt es sich um eine einzigartige Samm- lung jüdischer Kinderbücher aus aller Welt, welche die Pädagogin Helge-Ulrike Hy- ams und ihr inzwischen ver- storbener Mann rund zwanzig Jahre lang zusammengetragen und in das Land zurückge- bracht haben, aus dem ihre Besitzer während der NS-Zeit vertrieben worden waren.

„Diese Bücher erzählen Ge- schichten, sie sind zusammen mit ihren Besitzern gewan- dert“, so Helge-Ulrike Hyams.

Sie können helfen, „ein Stück fast zerstörter und vergesse- ner Kulturgeschichte wieder- zuentdecken“. Erst nach dem Tod ihres Mannes 1993 ent- schloss sich Helge-Ulrike Hy- ams, die gemeinsam gesam- melten Druckwerke auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, er selbst „hatte so viel Respekt vor ihnen und den dahinter sich verbergenden Schicksa- len, dass er sie am liebsten un- ter Verschluss gehalten hätte“.

Doch verband und verbindet sich auch Hoffnung mit diesen Büchern. In manchen von ih- nen befinden sich Stempel, Namenszüge oder ein Exli- bris, und es ist bei bisherigen Ausstellungen durchaus schon

zum unverhofften und bewe- genden Wiedersehen eines Be- suchers mit seinem seit mehr als fünfzig Jahren verloren ge- glaubten Buch gekommen.

Aus der zunächst nur in kleinem Rahmen in dem vom Ehepaar Hyams gegründeten Marburger Kindermuseum ge- zeigten Sammlung entstand ab 1998 in Zusammenarbeit mit dem Kindheitsmuseum und der Universitätsbibliothek Ol- denburg eine weit aufwendige- re Ausstellung, die zusätzlich noch Leihgaben aus fünfzig Bibliotheken zeigt. Sie war bis- her bereits in Montreal, Haifa und New York zu sehen.

Der Besucher des Mu- seums wird nicht nur einer

Reihe schön illustrierter Fi- beln, Märchen- und Gebet- bücher begegnen, sondern auch ausgesprochenen Kost- barkeiten. Zum Beispiel dem ältesten Buch, der in he- bräischer Sprache verfassten

„Offenbacher Pessach-Hag- gadah“ aus dem Jahr 1667, die von den Hyams in der dunkel- sten Ecke einer Bibliothek entdeckt wurde. Als schönstes Stück ihrer Sammlung emp- findet Helge-Ulrike Hyams ei- ne Aleph-Bet-Fibel von 1923, die sie in einem Laden in Pa- ris unter einem Haufen alter Hefte fand.

Zu den jüngsten Aus- stellungsobjekten gehört das

„Handbuch für jüdische Aus- wanderer“, erschienen 1938, kurz vor der Schließung jüdi- scher Verlage in Deutschland.

Auffallend viele Kinderbü- cher wurden im Zeitraum zwi- schen 1933 und 1938 herausge- geben, ganz offensichtlich soll- ten die Kinder, die in ihrem Umfeld zunehmend Feindse- ligkeit und Ausgrenzung erle- ben mussten, dadurch in po- sitiver Weise von ihrem Ju- dentum erfahren. So zielten sicherlich auch diejenigen Werke, die sich mit Palästina,

„Erez Israel“, beschäftigten, auf die Stärkung von Hoffnung und Zuversicht. Kindgerecht aufbereitet wie etwa in dem Jugendroman „Benni fliegt ins gelobte Land“, das span- nend von einem Zwölfjährigen in Deutschland erzählt. Ihm schenkt sein Onkel ein zusam- mengefaltetes Flugzeug in ei- nem Koffer, das ihn nach Is- rael trägt, wo er einen Freund findet und mit ihm zusammen Land, Städte und geheimnis- volle Höhlen im Karmel er- kundet.

Einer der Hauptunterschie- de zwischen jüdischen und nicht jüdischen Kinderbüchern, so ist zu erfahren, besteht vor allem darin, dass selbst in Erzählungen von alltägli- chen Dingen und Gescheh- nissen Religion und Tradition einen festen Bestandteil bil- den. Informationen: Telefon:

0 69/21 23 88 04. – Zur Aus- stellung erscheint ein Kata- log mit Beiträgen von 24 Au-

toren. Lore Kämper

Vergessene Kulturgeschichte

Ausgesprochene Kostbarkeiten

Feuilleton

Das Museum Judengasse zeigt eine Sammlung jüdischer Kinderbücher aus aller Welt.

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 13½½½½30. März 2001 AA851

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