1892: Die letzte Cholera- Epidemie in Deutschland
den summierten und die Bevölke- rung völlig in Unglück und Apathie versetzten. Bei der Organisation der Hilfeleistungen sollte daher in Be- tracht gezogen werden, daß die ge- genwärtigen Praktiken nicht dazu angetan sind, das in Städten und Ge- meinden noch immer mächtige alte System aus den Angeln zu heben, sondern es, im Gegenteil, noch wei- ter stärken. Durch Schaffung der er- wähnten Zentren, unter Zusammen- arbeit mit deutschen Fachleuten so- wie gezielt angewandter Hilfe, wäre gewährleistet, daß die Maßnahmen den angestrebten Zweck erfüllen.
Ferner wäre es denkbar, daß grenz- überschreitenden ökologischen Schäden Einhalt geboten würde.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. Tamara Demidova Frankfurter Straße 227 W-4000 Düsseldorf 13
Vor 100 Jahren (im August 1892) brach in Hamburg die Cholera aus. Diese letzte große Cholera-Epi- demie in Deutschland, die zehn Wo- chen andauerte, forderte mehr als 8600 Todesopfer bei rund 17 000 Er- krankten. Das „Ärztliche Vereins- blatt für Deutschland" (Nr. 245, 1892) schrieb in seiner September- Numme• „Plötzlich war sie da, brei- tete sich schleunig aus, ergriff Tau- sende, und nur mit grosser Anstren- gung konnten die Behörden den dringendsten Anforderungen genü- gen."
Doch die Cholera-Epidemie hat- te auch ihr Gutes. Robert Koch be- zeichnete sie als Verbündeten für ei- ne bessere Hygiene. Dazu das „Ärzt-
Titel ei- ner zeit- genössi- schen Abbil- dung (1864) aus New York:
„Ein Wink an
das Gesundheitsamt, wie die Stadt der Cho- lera Tür und Tor öffnet."
liehe Vereinsblatt": „Es ist erstaun- lich und erfreulich, wie jetzt aus al- len Winkeln der Schmutz verschwin- det, auch wenn man nicht die Ver- schwendung von Kalk in den Gossen, von Carbolsäure und Chlorkalk in den Häusern für nöthig hält." Kli
Die Ausbreitung der Cholera in Südamerika
Eine Krankheit der Armen
In den ersten Märzwochen die- ses Jahres fand in Buenos Aires ein Treffen der Gesundheitsminister al- ler südamerikanischen Länder statt, um über die Bekämpfung der Chole- ra zu beraten. Dabei wurde festge- stellt, daß der Mortalitätsindex erst in Peru und dann in den anderen Ländern gesunken ist.
Kein Politiker wagt jedoch, die Wahrheit über das Ausmaß der Cho- lerakatastrophe auszusprechen, um viele Probleme zu vermeiden. Ein Beispiel: In Bolivien habe ich vier Wochen lang, auf Einladung des Ge- sundheitsministeriums in Sucre, die Lage verfolgt. Es herrscht überall Angst, wenn man über die Cholera spricht. Alle kleinen, stadtnahen Flüsse, die zum Bewässern von Ge- müse und Gärten dienen, sind konta- miniert. In einigen Orten im Süden Boliviens, wo die Menschen in Dör- fern entlang der Flüsse leben, ster- ben sie buchstäblich „wie die Flie- gen", weil ihre Hauptnahrung, der Fisch, verseucht ist. Beliebte Bade- orte in der Nähe von vielen Groß- städten sind wie ausgestorben. Täg-
lich kommen aus der Umgebung Pa- tienten, die manchmal nicht mehr zu retten sind, in die städtischen Kran- kenhäuser.
Aus Villamontes, einer Stadt in Boliviens Süden, wurde gemeldet, daß eine Militärkaserne von der Seu- che heimgesucht wurde. Es waren sieben Tote und 60 Erkrankte zu be- klagen. Die Lage ist also alarmie- rend, obwohl dies die Länderregie- rungen offiziell nicht zugeben. Die Zahl der Toten ist nicht bekannt und wird auch offiziell nicht veröffent- licht. Wer aber mit diesen Proble- men konfrontiert wird, weiß, daß die Mortalität sehr hoch ist.
Kein Trinkwasser
Die Cholera hat sich in Südame- rika ausgebreitet, weil dort die be- sten Voraussetzungen dafür gegeben sind. In den Armenvierteln und auf dem Land sind kein Trinkwasser, keine Kanalisation und keine Latri- nen vorhanden.
Die Nachbarländer Perus haben aus der Cholerakatastrophe nichts
gelernt und waren auch auf den Ernstfall nicht vorbereitet. Die Kon- sequenzen merkt man erst jetzt.
Die Teilnehmer an dem letzten Gesundheitsministerseminar in Bue- nos Aires haben resigniert. Der Kommentar: „Wir werden uns daran gewöhnen, mit der Cholera leben zu müssen, genauso wie wir es mit der TBC und Sommerdiarrhoe gemacht haben."
Die Behandlung der Cholerapa- tienten ist in den betroffenen Gebie- ten auch nicht so, wie sie sein sollte.
Es mangelt an Infusionen und Medi- kamenten. Es sind nur wenige Labo- ratorien vorhanden, wo der Cholera- Vibrion identifiziert werden kann.
Da die Patienten arm sind und die erforderlichen Medikamente und die Unterbringung im Krankenhaus selbst nicht bezahlen können, müs- sen die Städte die Mehrkosten der Behandlung übernehmen. Die süd- amerikanischen Länder sind jetzt auf internationale Finanzhilfe angewie- sen, um ein Desaster zu vermeiden.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Ernesto Valverde Chirurg. Abteilung St.-Josefs-Hospital
Wilhelm-Schmidt-Straße 4 W-4600 Dortmund 30
Dt. Ärztebl. 89, Heft 33, 14. August 1992 (37) A1-2693