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Archiv "Leitsymptom Kreuzschmerz" (27.03.1980)

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Academic year: 2022

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Der Kreuzschmerz ist durch Be- schwerden in der Lumbosakralre- gion gekennzeichnet. Er hat unbe- stimmten dumpfen, bohrenden, zie- henden bis schneidenden Charak- ter. Zuweilen wird er als eiskalt, ge- legentlich auch als brennend emp- funden. Er kann sich quer über die ganze untere Lumbal- und Sakralre- gion ziehen. Manchmal tritt er ein- seitig in der Lendengegend auf;

manchmal auch umschrieben über einer Iliosakralfuge. Viele Patienten äußern Ausstrahlung in die Gesäßre- gion einer oder beider Seiten, gele- gentlich auch bis in die seitliche Hüftgegend. Der Kreuzschmerz im strengen Sinn hat keinen neuralgi- schen Charakter, das heißt er folgt nicht dem Verlauf eines peripheren Nervs. Dementsprechend sind auch keine sensiblen oder motorischen Ausfälle zu erwarten. Auf die den Kreuzschmerz oft begleitende oder in seiner Folge auftretende Ischias- symptomatik soll hier nicht einge- gangen werden.

Neben der Art der Beschwerden sind Anlaß und Auslösung von Bedeu- tung. Der Schmerz kann akut oder schleichend auftreten. Wir kennen bei der Lumbago beide Erscheinun- gen. Der typische „Hexenschuß"

tritt plötzlich unter dramatischen Er- scheinungen ein: Beim Anheben ei- ner Last, beim Aufrichten des Rump- fes aus gebückter Stellung, beim Verrücken eines Möbelstücks, beim Griff nach der Kaffeetasse und ähnli- chem (Abbildung 1). Der Anlaß zum Lumbago-Rezidiv ist dagegen in der Regel geringfügiger. Aber auch ein erstmaliger Hexenschuß bedarf nicht unbedingt einer besonderen Gewalteinwirkung mit dem so oft ge-

schilderten Riß oder Krachen im Kreuz nach sogenanntem Verheben.

Gegenüber dem Hexenschuß läßt sich der subakute und chronische Kreuzschmerz abgrenzen. Er kann aus jenem hervorgehen oder für sich entstehen. Er tritt meist als Bela- stungsschmerz nach langem Ste- hen, Sitzen, Hocken oder Bücken auf. Bei Lagewechsel kann er ver- schwinden, besonders während der Bettruhe. Hierbei handelt es sich im wesentlichen um diejenige Grup- pe, die wir als statische Rücken- beschwerden bezeichnen. Der Schmerz wird hier vorwiegend durch Überanstrengung und Ermü- dung bestimmter Muskelgruppen hervorgerufen.

Daneben gibt es Kreuzschmerzen, die vorzugsweise in Ruhelage auf- treten, also im Bett oder nach länge- rem Sitzen im Auto. Häufig hören wir vom Patienten die Angabe, daß er morgens mit starken Beschwerden aufstehe oder des Nachts ihretwe- gen das Bett verlasse, um durch Be- wegung oder leichte körperliche Ar- beit Entlastung zu finden.

Schmerzauslösung und Schmerzlei- tung erfolgen beim Kreuzschmerz- syndrom auf verschiedenen Wegen.

Eine hervorragende Rolle spielt hier- bei die Muskulatur, welche stets mit- beteiligt ist. Es lassen sich folgende Schmerzleitungsmechanismen un- terscheiden:

a) der statisch-muskuläre,

b) der reflektorisch-muskuläre (ra- dikulär ausgelöst),

c) der meningeale und d) der vegetative.

Der Kreuzschmerz ist ein Leit- symptom, welches zu einer Vielzahl von Organ- und Funk- tionsstörungen führt. Dement- sprechend ist die Schmerz- qualität differierend. Die Schmerzauslösung kann sta- tisch-muskulär, radikulär, me- ningeal und vegetativ sein.

Psychosomatische Zusam- menhänge werden am Kreuz- schmerz besonders deutlich.

Als Ursachen des Kreuz- schmerzes kommen in erster Linie morphologisch-funktio- nelle Störungen der Lumosa- kralregion in Betracht, in der Mehrzahl erworbene statische Fehler. Statische Fehlhaltun- gen werden lange Zeit musku- lär kompensiert. Gefügelocke- rungen in den Bewegungs- segmenten der Wirbel-Band- scheiben-Verbindungen füh- ren zum Versagen der Kom- pensationsmechanismen und damit zu Beschwerden. Die Schmerzqualität ist nicht spe- zifisch für die Ursache. Daher erfordert jeder Kreuzschmerz- patient eine sorgfältige Allge- mei-nuntersuchung, um ent- zündliche, tumoröse oder wir- belsäulenferne Organprozes- se auszuschließen oder zu be- stätigen. Für die verbesserte Differenzierung stehen heute moderne Medizintechniken wie Szintigraphie ünd Compu- tertomographie zur • Verfü- gung. Die Therapie muß sich an der Ursache orientieren.

Der statisch-muskuläre Schmerz entsteht durch Überlastung und Überdehnung, zum Beispiel bei län- gerem Arbeiten in gebückter Stel- lung oder bei verschiedenen stati- schen Fehlern der Wirbelsäule und des Beckens.

Typisch für den akuten und sub- akuten Hexenschuß ist der reflek- torisch-muskuläre Schmerzmecha- nismus. Dabei wird der muskuläre Hartspann vermutlich radikulär aus- gelöst.

Leitsymptom Kreuzschmerz

Gerhard Exner

Aus der Orthopädischen Klinik und Poliklinik (Direktor: Professor Dr. med. Gerhard Exner) der Philipps-Universität Marburg

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Abbildung 1: Lumbago — seit drei Wochen persistierende schmerzhafte skolio- tische Kontraktur der Lendenwirbelsäule mit Rumpfüberhang. 32jähriger Mann Die meningeale Schmerzauslösung

kommt für zahlreiche Fälle von akuter und subakuter Lumbago, ebenso bei destruierenden und ent- zündlichen Wirbelprozessen oder bei der Osteoporose in Betracht.

Die Beteiligung der spinalen Menin- gen bei Lumbago läßt sich aus ver- schiedenen Zeichen erkennen, zum Beispiel durch das positive Kernigk- sche Phänomen, die Zunahme des Kreuzschmerzes bei Vorneigung des

Kopfes sowie beim Niesen oder beim Hustenstoß. Gelegentlich be- steht regelrechter Opisthotonus.

Die Reizung vegetativer Fasern prägt das Bild des Kreuzschmerzes ganz entscheidend mit. Der Schmerz hat oft kausalgiformen Charakter. Dazu sind depressive Stimmung, Lustlosigkeit und Abge- schlagenheit charakteristische Be- gleiterscheinungen von Kreuz- schmerzen.

Psychische Streßreaktionen sind häufig schmerzauslösend. Anderer- seits kann sich hinter unklaren Kreuzschmerzen auch ein echter de- pressiver Verstimmungszustand ver- bergen.

Klinische Untersuchung und Befunderhebung

Jeder Patient mit Kreuzschmerzen muß einer eingehenden klinischen Untersuchung unterzogen werden.

Grundsätzlich ist nach Entzün- dungs- und Tumorsymptomen zu fahnden. Zumindest sollte die Blut-

körperchensenkungsgeschwindig- keit (BSG) immer kontrolliert wer- den. Ist diese nicht normal, so müs- sen zur weiteren Klärung Serum- Elektrophorese, Phosphatase, Elek- trolyte, Rheumafaktoren usw. be- stimmt werden. Bei Frauen muß ge- gebenenfalls durch den Facharzt der gynäkologische Befund erhoben werden. Bei jüngeren männlichen Patienten sollte immer auch an eine beginnende Spondylitis ankylopoe- tica gedacht und die HLA(human lymphocyte antigensystem)-Typisie- rung vorgenommen werden. Wichti- ge Aufschlüsse bei tumorösen und entzündlichen Prozessen ergibt die Szintigraphie. — Urologische Erkran- kungen, insbesondere die Prostati- tis, können hartnäckige Kreuz- schmerzen hervorrufen.

Die Untersuchung der Wirbelsäule selbst erfolgt zunächst am stehen- den Patienten. Man achtet auf die Gesamthaltung, auf Kyphosen, Lor- dosen und Skoliosen, auf den Stand der Schulterblätter, die Haltung des Schultergürtels und der Arme, die Form des Brustkorbes und das Profil der Rumpfmuskulatur. Wichtig sind Beckenneigung und das Verhalten der Bauchdecken. Taillenlänge, Tail- lendreieck und Michaelissche Raute werden geprüft. — Palpatorisch ist die Rückenmuskulatur auf Span- nung, Schmerzhaftigkeit und um- schriebene Verhärtungen zu unter- suchen. Der Palpationsbefund wird dann in Bauchlage des Patienten kontrolliert. Der Hartspann ist jetzt meist weniger ausgeprägt, während Myogelosen naturgemäß unverän-

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Abbildung 2 (oben): Bandschei- benschaden L5/S1; Höhenabnah- me, Deckplattensklerose, Retro- position/Rückwärtsverlagerung des 5. Lendenwirbels gegenüber dem Kreuzbein als charakteristi- sche Veränderungen

Abbildung 3 (rechts): Bandschei- bengefügelockerung mit seitlicher Aufklappung im Segment L4/L5

dert bleiben. — Die Dornfortsätze werden auf Druck- und Klopffestig- keit geprüft.

Besonders aufschlußreich ist das Phänomen des Durchfederungs- schmerzes: Man drückt die einzel- nen Dornfortsätze mit einem kurzen kräftigen Druck nach ventral. Hier- mit lassen sich Spannung und Ela- stizität des Bändergefüges gut prü- fen. Isolierte Gefügelockerungen können so zuverlässig lokalisiert werden. Natürlich reagiert auch je- der destruierende umschriebene Prozeß auf diese Untersuchung mit Schmerz. Hauptlokalisation von Ge- fügelockerungen sind die beiden untersten lumbalen Bewegungsseg- mente, an denen sich in erster Linie und am ausgeprägtesten die Band- scheibendegeneration entwickelt.

Spezielle Aufmerksamkeit ist der Re- gion der Iliosakralgelenke zu schen-

ken. Umschriebene Druckempfind- lichkeit kann auf Myogelosen im Ur- sprungsgebiet der sakrospinalen Muskeln, aber auch auf Gefügestö- rungen beziehungsweise Verstellun- gen des Gelenkes selbst beruhen.

Die Funktionsprüfung der Wirbel- säule ergibt weitere wichtige Auf- schlüsse. Man kontrolliert das Ver- halten der Wirbelsäule, des Beckens und der Hüftgelenke bei aktiver und passiver Beugung des Rumpfes nach vorn, nach rückwärts und nach beiden Seiten, sowie bei der Rumpf- drehung. Hierbei ist darauf zu ach- ten, ob sich die Lendenwirbelsäule an die jeweilige Haltungsänderung flüssig anpaßt, oder ob sie kontrakt bleibt.

Große Bedeutung für die Kreuz- schmerzanalyse hat der Röntgenbe-

fund.

Sieht man von destruierenden Pro- zessen an einzelnen oder mehreren Wirbeln bei Spondylitis, Morbus Pa- get, Tumoren und Tumormetasta- sen, sowie von den strukturellen Veränderungen systemischer Kno- chenerkrankungen ab, dann finden sich als wichtigste röntgenologische Symptome folgende Veränderungen (Abbildungen 2 bis 5):

Haltungsänderungen der Len- denwirbelsäule im ganzen mit ver- minderter Lordose bis hin zur lum- balen Kyphose oder als Skoliose mit und ohne Torsion,

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Höhenabnahme des Interverte- bralraumes,

41) Stellungsänderung zweier Nach- barwirbel zueinander als Retroposi- tion, Anteposition oder seitliche Kippstellung, wobei jeweils von dem

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Abbildung 4 (links): Asymmetri- scher lurnbosakraler Übergangs- wirbel; breiter, gelenkig assimi- lierter Querfortsatz links, Kippstel- lung des 4. Lendenwirbels

Abbildung 5 (unten): Ventrales Wirbelgleiten des 5. Lendenwir- belkörpers um 25 Prozent mit sichtbarer Bogenspalte im Zwi- schengelenkstück; Spondyloli- sthesis

oberhalb des Discus intervertebralis gelegenen Wirbel ausgegangen wird.

Form- und Strukturveränderun- gen der Wirbel:

a) Deckplattensklerose,

b) Randwülste, Randzacken und Spangen,

c) Sklerose, arthrotische Randwül- ste und Randzacken an den Gelenk- fortsätzen,

d) ventrale Randleistendefekte, Schmorlsche Knötchen, ventrale Kantenabscherungen,

e) Kontaktsklerose benachbarter Dornfortsätze (sogenanntes Baa- strupsches Zeichen, kissing-spine- syndrome).

Besondere Beachtung verdienen symmetrische und asymmetrische Übergangswirbel der Lumbosakral- region in Form halbseitiger oder bi- lateraler Assimilation; früher als Sa- kralisation oder Lumbalisation be- zeichnet (Abb. 4). Träger derartiger Übergangswirbel leiden statistisch häufiger unter Kreuzschmerzen. Das gilt auch für Hypoplasien des 5. Len- denwirbelbogens sowie für den asymmetrischen Bogenschluß und die Spina bifida occulta.

Kreuzschmerzursachen

Der relativen Monotonie des klini- schen Bildes beim Kreuzschmerz steht eine außerordentliche Vielfalt von Ursachen gegenüber. Entzündli- che und tumoröse Prozesse müssen

durch die entsprechende Labordia- gnostik bestätigt oder ausgeschlos- sen werden. Für die überwiegende Mehrzahl der Kreuzschmerzfälle spielen statische und funktionelle Faktoren eine entscheidende Rolle.

Haltungs- und Lageveränderungen des Körpers werden in jeder Funk- tionsphase durch Muskelarbeit re- guliert und kompensiert. Permanen- te Veränderungen der Statik verlan- gen von der Muskulatur ständig Mehrarbeit, um die Gleichgewichts- regulation in Fluß zu halten. Die Muskulatur wird dabei bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit bean- sprucht.

Der Lumbosakralübergang unter- liegt in mechanischer und funktio- neller Hinsicht besonderer Bean- spruchung, da hier die Stoßwelle im Bewegungsablauf der kinetischen Kette am starren Kreuzbein auf Null reduziert wird. Die Funktion des so- genannten Lumbosakralgelenkes kann durch eine ganze Reihe von Veränderungen innerhalb und au- ßerhalb der Wirbelsäule nachhaltig gestört werden und damit der Anlaß von Kreuzschmerzen sein.

Angeborene statische Fehler der Wirbelsäule sind die bereits erwähn- ten asymmetrischen lumbosakralen Übergangswirbel; ferner angebore- ne Keilwirbel mit kyphotischer oder skoliotischer Abknickung des be- troffenen Wirbelsäulenabschnittes und schließlich die Mißbildungssko- liosen.

Erworbene statische Fehlerder Wir- belsäule sind die verschiedenen Skoliosen des Wachstumsalters, die pathologischen Kyphosen nach Ra- chitis, Scheuermannscher Erkran- kung, nach Osteomalazie und be- sonders häufig beim alten Men- schen der starre Rundrücken bei Osteoporose. Zu beachten sind Gib- busbildungen nach Traumen oder Spondylitis. Rundrücken oder Gib- bus führen zwangsläufig zur Hyper- lordose der Lendenwirbelsäule und verursachen damit die statische Fehlbelastung der Lumbosakralre- gion. Geradezu typisch ist die schmerzhafte präsakrale Gefügelok- kerung nach den häufigen Wirbel-

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brüchen am 12. Brust- und 1. Len- denwirbel, wenn die Fraktur selbst längst belastungsstabil und sym- ptomfrei verheilt ist.

Beispiele extravertebraler statischer Fehlersind der permanente Becken- schiefstand bei einseitiger Hüftge- lenkskontraktur, nach Beckenbrü- chen mit stärkeren Fragmentver- schiebungen, bei der hohen ange- borenen einseitigen Hüftluxation, bei Oberschenkelamputationen, Lähmungsatrophie, Kniegelenksver- steifung, Kniegelenksfehlstellung, bei X-Bein, 0-Bein, Genu recurva- tum und bei einseitigen kontrakten Fußdeformitäten. Ebenso beeinflus- sen Form und Funktion des Schul- tergürtels und der oberen Extremität die Wirbelsäulenstatik. Alle stati- schen Veränderungen stellen poten- tielle Kreuzschmerzfaktoren dar. Ih- re Existenz bedeutet nicht sofort auch klinische Symptome. Meist werden sie lange aktiv durch musku- läre Kompensation ausgeglichen.

Hauptursache für das Versagen der Kompensationsmechanismen ist die Gefügelockerung in den Bewegungs- segmenten der Wirbel-Bandschei- ben-Verbindungen. Durch Span- nungs- und Elastizitätsverlust der Zwischenwirbelscheibe ändert sich der Bewegungstyp des betroffenen Wirbelsegmentes, in der Regel des lumbosakralen oder des nächst hö- her gelegenen. Anstelle geführter Kugelgelenksbewegungen werden Schub- und Scherbewegungen möglich. Die Gefügelockerung än- dert die Stellung der benachbarten Wirbel. Am häufigsten kommt es zur Retroposition (Abbildung 2). Auf dem erschlafften Discus interverte- bralis verschiebt sich der kraniale Wirbel nach dorsal. — Anteposition, Lateralverschiebung, Drehgleiten und seitliche Kippung sind wesent- lich seltener.

Die Anteposition entsteht in erster Linie bei der Spondylolisthesis auf Grund der bekannten paarigen Bo- genspalten (Spondylolyse) im Zwi- schengelenkstück des Wirbelbo- gens in erster Linie an L 5 und L 4 (Abbildung 5). Die Spondylolyse wird heute als Ermüdungsbruch ei-

nes primär dysplastischen Zwi- schengelenkstückes angesehen.

Der Gleitprozeß entwickelt sich meist im Pubertätsalter. Die Spon- dylolisthesis bewirkt eine rasche Zermürbung des Discus interverte- bralis, und doch demonstriert gera- de diese Deformität, daß der sta- tisch-mechanische Faktor nicht überbewertet werden darf; denn zahlreiche Fälle von schwerem Wir- belgleiten sind klinisch stumm oder führen nur intermittierend zu Be- schwerden.

Die Anteposition des ganzen Len- denwirbels ohne Bogenspalten be- ruht auf einer extremen Lockerung der Zwischenwirbelscheibe und ist häufig mit einer Hypoplasie der Ge- lenkfortsätze verbunden. Pseudo- spondylolisthesis tritt hauptsächlich am 3. und 4. Lendenwirbel auf.

Die unphysiologischen Bewegun- gen zwischen zwei Wirbeln werden zunächst durch vermehrte Muskel- anspannung aufgefangen, bedeuten aber dauernd vermehrte Muskelar- beit, die zu Hartspann und schließ- lich zu Kreuzschmerzen führt. Insuf- fizienzerscheinungen werden früher auftreten, wenn statische Fehler als potentieller Faktor hinzutreten.

Abscher- oder Torsionsbewegungen in einem erschlafften intervertebra- len Bewegungssegment können re- flektorisch die Hexenschußattacke oder den lumbalen Meningismus mit fixierter Lordose auslösen. — Zu die- sem Syndrom gehört auch die so- genannte Hüft-Lenden-Strecksteife.

Das fast ausschließlich bei Jugendli- chen spontan oder nach Traumen auftretende Krankheitsbild besteht in einer hartnäckigen kontrakten Lendenlordose mit mehr oder weni- ger ausgeprägten Kreuzschmerzen und ist nur selten von radikulären Symptomen begleitet.

Der zeitliche Beginn der Bandschei- bendegeneration kann sehr früh lie- gen, nicht selten schon zu Beginn des zweiten Lebensjahrzehntes. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So schwer Begriffe wie konstitutionelle Minderwertigkeit, Anlagefaktoren usw. exakt zu definieren und experi-

mentell zu unterbauen sind, müssen wir auf Grund klinischer Erfahrun- gen doch mit ihnen rechnen. Eine bedeutende Rolle für den vorzeiti- gen Bandscheibenschaden spielt die Scheuermannsche Erkrankung des Pu bertätsalters.

Die Therapie des Kreuzschmerzes aus orthopädischer Sicht kann hier nur in großen Umrissen angedeutet werden. Grundvoraussetzung ist ei- ne genaue Erkennung und Defini- tion der jeweiligen Kreuzschmerzur- sache, um eine gezielte Therapie be- treiben zu können. Besonders wich- tig ist die frühzeitige Erkennung ent- zündlicher und destruierender Pro- zesse, vor allem auch wirbelsäulen- ferner Organerkrankungen.

Wenn man davon ausgeht, daß es sich beim Kreuzschmerz um einen sehr komplexen Vorgang von Reiz, Reaktion und Gegenreaktion han- delt, so muß es bei der Therapie dar- auf ankommen, diesen Circulus vi- tiosus zu unterbrechen. Dies kann am gereizten Nerven durch Aus- schaltung der Schmerzempfindung geschehen, am Vegetativum durch medikamentöse Dämpfung oder psychische Beeinflussung, am rea- gierenden Muskel oder am kontrak- ten Wirbelsäulenabschnitt selbst.

Der Orthopädie stehen zur Behand- lung des Kreuzschmerzes physikali- sche, krankengymnastische, manu- altherapeutische, medikamentöse und technisch-orthopädische Mög- lichkeiten zur Verfügung. Die physi- kalischen Methoden, vorzugsweise die verschiedenen Formen der Wär- meanwendung einschließlich Elek- tro- und Hydrotherapie in Verbin- dung mit Massage richten sich ge- gen den muskulären Hartspann und die Muskelhärten.

Krankengymnastische Bewegungs- therapie und isometrische Muskel- übungen dienen der Harmonisie- rung der oft gestörten Bewegungs- funktion und der Aufschulung der Muskulatur. Analgetika können und müssen zur initialen Bekämpfung starker Schmerzzustände eingesetzt werden. Bei chronischen Beschwer- den ist jedoch Zurückhaltung gebo-

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Ein/Aus-Schalter Dezimalziffer DÄ-Definition „bit"

Kernspeicher eines Computers Menschliches Gedächtnis Bakterium

1 bit 3,5 bit 20 000 bit 106 bit 10 12 bit 10 12 bit Tabelle 1:

Informations- gehalt

Tabelle 2: Aufnahme in Langzeit-Gedächtnis 1 bit/sec Informations-

fluß

Lesen 50 bit/sec

Nervenfaser 800 bit/sec

Telefonleitung 1200 bit/sec

Fernsehsendung 106 bit/sec

Aufnahme durch menschliche Sinne 10 9 bit/sec

Bit und Byte

Die Länge mißt man in Meter, die Masse in Kilogramm, die Tempera- tur in Kelvin; die Information wird in bit, abgeleitet von dem englischen Ausdruck „binary digit", gemessen.

1 bit ist die Einheit der Informations- menge. In der Datentechnik wird als Bit auch das technische Element be- zeichnet, das die Informationsmen- ge 1 bit speichern kann.

Die in bit meßbare Informationsmen- ge eines Zeichens oder eines Ereig- nisses ist aber nicht mit dem Inhalt der Nachricht, der semantischen In- formation, identisch. Information ist physikalisch exakt definiert, wäh- rend Nachricht allgemein einen Denkinhalt bezeichnet, den ein Sen- der an einen Empfänger übermittelt

und der diesen zu einer bestimmten Verhaltensweise anregt. Unter Infor- mation versteht man quantifizierba- re Nachricht. Mit ihrer Hilfe können technische und biologische Syste- me beschrieben und von einem übergeordneten Gesichtspunkt aus verglichen werden: Computer neh- men über ihre Eingabegeräte Infor- mationen auf, verarbeiten sie und geben sie über Ausgabegeräte, zum Beispiel Drucker oder Bildschirme, wieder an die Außenwelt ab; Lebe- wesen nehmen über ihre Sinne In- formationen aus der Außenwelt auf, verarbeiten sie und geben wieder In- formationen an die Außenwelt ab.

Die mengenmäßige Erfassung von Information beim Senden, Übertra- gen, Empfangen und Speichern von Nachrichten ist das Hauptziel der In- formationstheorie, die auch die Defi- ten, um nicht einem Abusus Vor-

schub zu leisten. Wirkungsvoller als perorale oder parenterale Zufuhr ist in vielen Fällen die gezielte Lokalan- ästhesie, paravertebral oder unmit- telbar in die verhärtete sakrospinale Muskulatur. — Leibbinde und Stütz- mieder sind gute Hilfen bei chroni schem Belastungskreuzschmerz, bei statisch-muskulärer Insuffizienz älterer Patienten, bei schmerzhafter Osteoporose und natürlich bei de- struierenden Wirbelprozessen. Wo möglich, sollen Leibbinde und Stützmieder nur in den schmerzhaf- ten Phasen getragen werden, um Gewöhnung und Verwöhnung zu vermeiden. — Operative Maßnahmen bei Kreuzschmerz können unter streng eingeschränkter Indikation erfolgreich sein: Die Versteifung bei Wirbelgleiten und bei extremer Bandscheibengefügelockerung im Fall jüngerer Patienten; korrigieren- de Osteotomien an der unteren Ex- tremität zur Beseitigung grober sta- tischer Fehler; die Hüftgelenksendo- prothese bei eingesteifter Hüfte.

Da Kreuzschmerzen in vielen Fällen auf den Bewegungsmangel unserer zivilisierten Industriegesellschaft zu- rückzuführen sind, stellen Bewe- gungsausgleich durch Wandern, Jogging, Schwimmen, Gruppen- gymnastik und -spiele usw. eine Kreuzschmerzhygiene dar, welche oft wirkungsvoller ist als die routine- mäßige Verordnung von 10mal Heiß- luft mit Massage!

Literatur

Brocher — Willert: Die Wirbelsäulenleiden und ihre Differentialdiagnose. Georg Thieme-Ver- lag, Stuttgart (1979) 6. überarbeitete Auflage — Rettig, Oest, Eichler: Wirbelsäulen — Fibel 2.

Auflage, Georg Thieme-Verlag, Stuttgart (1974)

— Schmorl-Junghanns: Die gesunde und die kranke Wirbelsäule in Röntgenbild und Klinik.

5. Auflage, Georg Thieme-Verlag, Stuttgart (1968) — Hohmann-Hackenbroch-Lindemann:

Handbuch der Orthopädie, Band II, Georg Thieme-Verlag, Stuttgart (1958)

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Gerhard Exner

Orthopädische Klinik und Poliklinik der Philipps-Universität Marburg Schützenstraße 49

3550 Marburg (Lahn)

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