Es ist also nicht ein berufliches Selbstverständnis erhaltenswürdig (weil ethisch), welches durch die These be- schrieben wäre: „Engagiert ist der Arzt, der alles versucht.“ In welchem Rah- men sich der engagierte Arzt bewegen kann, ohne Kosten zu generieren, die niemand decken will, muss dabei gesell- schaftlich entschieden werden. Aber nicht genug: Genaues Lesen des Arti- kels des Kollegen Weinhold muss zu- dem zur Frage führen: Handelt ein Arzt, der den Geboten der Sparpolitik folgt, damit weniger ethisch als einer, der es verweigert? Ist gemeint, dass der Autor seine politischen Überzeugung, dass die Sparpolitik schlecht sei, immanent also die Ressourcenverteilung in der Medi- zin nicht verbesserungsbedürftig, mit moralischer Aburteilung derer ver- knüpft, die die Sparpolitik im Grund- satz akzeptieren? Stark verkürzt: Wir scheinen Diskussionsbedarf darüber zu haben, wem gegenüber der Arzt verant- wortlich ist: nur dem Patienten? Auch der Gesellschaft? Und welche Rolle spielt dabei, wer bezahlt?
Dr. med. Mathias Bertram Bahnhofstraße 45 c, 25474 Hasloh
Schlusswort
Damit die zeitlosen Grundsätze des Arztberufs ihre Wirksamkeit unter wechselnden gesellschaftlichen und öko- nomischen Verhältnissen nicht verlie- ren, sind sie einem Beruf zugeordnet, den der dafür zuständige Gesetzgeber in der Bundesärzteordnung als „seiner Na- tur nach freien Beruf“ beschreibt. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich bisher darauf gestützt. So blei- ben die zeitlosen Grundsätze mit dem ärztlichen Handeln verbunden, auch wenn gesundheitspolitische Strategien anderen Zielen Vorrang einräumen.
Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die Verhältnisse dem nicht entgegenwirken. In einer demokrati- schen Grundordnung hat die Ärzte- schaft das Recht und die Pflicht, sich im Allgemeininteresse zur Wehr zu setzen, wenn wesentliche Elemente ihrer beruf- lichen Identität gefährdet werden.
Prof. Dr. med. Ernst-Eberhard Weinhold, Dorfstraße 140, 27637 Nordholz
T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 274. Juli 2003 AA1853
G
erne denke ich in den jetzigen optimismusinhibierten Zeiten an sie zurück – an die Diagnosen und Medikamente vergangener Jahrzehn- te, denen mitunter nur eine kurze Blüte beschieden war, gleich den Launen emporeilender und wiederum fallender Rocksäume. Können Sie sich noch an die vegetative Dystonie erinnern, die mehr Löcher in die Pha- lanxen wissbegieriger Schüler riss als die Spanische Grippe, echte Gefahr für Leib und Leben aber nur simulierte? Therapeutisch war sie ganz unpro- blematisch, solange man Placebo forte verordnete. Ähnlich harmlos gebär- dete sich das Mitralklappenprolapssyndrom, das mit der Einführung der Echokardiographie vorzugsweise attraktive junge Damen befiel. Zunächst Stoff unzähliger Publikationen und gar Promotionen, ist davon heute kaum noch die Rede. Nicht so das Metformin: War es noch zu meinen Studienzei- ten der laktazidotische Killer, so erlebt es derzeit eine UKPDS(United Kingdom Prospective Diabetes Study)-Renaissance. Aber jetzt das: Die ALLHAT-Lipidsenker-Begleitstudie hat Pravasin als Placebo überführt(BDI aktuell 02-2003, S. 16). Ach du heilige HMG-CoA-Reduktase! Jahre- lang hatte auch ich mit pharmakologisch verbrämter Inbrunst meinen sklerotischen Patienten die Statine eingehämmert. Muss ich ihnen diese wieder entreißen? Wie begegne ich den bohrenden Fragen, warum sie das Risiko einer Rhabdomyolyse auf sich nehmen mussten? Ist nicht der pro- gnostische Gewinn ins Gegenteil verkehrt?
In dieser Zeit der wissenschaftlichen Verwirrung suche ich Beistand bei anderen Fachdisziplinen. Ich gehe also ins Wartezimmer und nehme diejeni- ge Publikation zur Hand, durch deren Studium ich mir erhoffe, meine mo- mentane mentale Misere zu meistern: die Modezeitschrift. Darin entdecke ich die Wiedergeburt der unsäglichen Schlaghosen, die, vergleichbar dem Metformin, während meiner Jugendzeit kurzfristige Triumphe feierten und zwischenzeitlich als optische Beleidigung gehandelt wurden. Nun sind sie wieder da, um mit Schlabberfransen die Stoffwechselendprodukte vierbei- niger Begleiter aufzuwischen.Aber je genauer ich das Journal inspiziere, de- sto klarer sehe ich: Keines der abgebildeten Models ist unglücklich darüber.
Nein, sie tragen alle einen ausgesprochen fröhlichen Gesichtsausdruck spazieren. Und damit bahnt sich eine wohltuende Erkenntnis den Weg.
Niemand wird mir böse sein, wenn ich die CSE-Hemmer vorüberge- hend dem Müllplatz der Medizingeschichte anvertraue. Schließlich regt sich auch keiner darüber auf, dass der lange Rock vom letzten Sommer heute völlig out ist. Im Gegenteil – die vielen glücklichen Gesichter, die mir aus dem Heft entgegenstrahlen, scheinen zu fordern: Gib es mir, dann nimm es mir wieder weg, und gib es mir später wieder. Zutiefst zufrieden lege ich die fachfremde Lebenshilfe beiseite, Ärger ist nicht zu befürchten. Ei- nen Haken hat die Sache aber: Schlaghosen haben keine Nebenwirkungen. Dr. med. Thomas Böhmeke