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Archiv "Zunahme der Lebenserwartung: Größenordnung, Determinanten und Perspektiven" (21.04.2006)

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ie durchschnittliche Lebenser- wartung in Deutschland steigt seit vielen Jahren in einer be- merkenswerten Größenordnung. Lag 1980 in den alten Bundesländern die Lebenserwartung von Männern zum Zeitpunkt der Geburt noch bei 69,9 Jahren, so waren es im Jahr 2002 be- reits 75,6 Jahre (Grafik 1). Innerhalb von 22 Jahren betrug die Zunahme al- so 5,7 Jahre. Dies entspricht einem An- stieg von 2,6 Lebensjahren pro Deka- de. Bei den Frauen war der Anstieg mit 4,6 Jahren nur wenig geringer und erreichte im Jahr 2002 eine Lebenser- wartung von 81,3 Jahren (1).

Der Unterschied in der Lebenser- wartung von Männern und Frauen be- trägt derzeit fast sechs Jahre. So große Differenzen zwischen den Geschlech-

tern sind zwar typisch für hoch ent- wickelte Industriestaaten, aber kei- neswegs biologisch zwingend, sondern wahrscheinlich zu großen Teilen auf Unterschiede in Lebensführung und Lebensbedingungen zurückzuführen.

Die Differenz in der Lebenserwar- tung zwischen den Geschlechtern ent- wickelte sich in Deutschland, ähnlich

wie in anderen Industrieländern, rela- tiv rasch in der Mitte des 20. Jahrhun- derts. 1925 betrug der Unterschied noch 2,9 Jahre, 1978 waren es 6,7 Jahre (1). Die Gründe für diese drastische Entwicklung sind bislang nicht gut verstanden (2). Die bei den Männern früher einsetzende Epidemie des Rau- chens spielt dabei sicherlich eine we- sentliche Rolle, kann aber die Diffe- renz allein nicht erklären. In den ver- gangenen drei Jahrzehnten hat sich der Abstand wieder etwas reduziert (Grafik 1).

Ein anderes, überaus interessan- tes Phänomen des vergangenen Jahr- zehnts in Deutschland ist, dass sich die rasche Annäherung der Lebensver- hältnisse in den alten und neuen Bun- desländern auch deutlich in der Le- benserwartung niederschlug (Grafik 1). Betrug der Unterschied 1990 – dem Jahr der Wiedervereinigung – für Männer 3,5 Jahre und für Frauen 2,8 Jahre, waren es 1997 – als das statisti-

Zunahme der

Lebenserwartung

Größenordnung, Determinanten und Perspektiven

Zusammenfassung

Die durchschnittliche Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt ist in den alten Bundeslän- dern zwischen 1980 und 2002 bei Männern von 69,9 auf 75,6 Jahre und bei Frauen von 76,6 auf 81,3 Jahre gestiegen. Dies entspricht einer Zu- nahme von mehr als zwei Lebensjahren pro De- kade. Der Anstieg in den neuen Bundesländern nach 1990 war noch steiler. Die größten Beiträge zum Anstieg der Lebenserwartung zwischen 1980 und 2002 wurden durch altersspezifische Abnahmen der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf- Erkrankungen – 2,6 Jahre bei Männern und 2,2 bei Frauen – erreicht. Der Beitrag der Krebser- krankungen war geringer, jeweils 0,6 Jahre bei Männern und Frauen. Bei der Lebenserwartung belegt Deutschland im internationalen Vergleich dennoch keinen Spitzenplatz. Weltweit, das heißt in Ländern mit den jeweils höchsten Wer- ten, steigt die Lebenserwartung seit 160 Jahren konstant um etwa 2,3 Jahre pro Dekade, und es gibt wenig Anhalt dafür, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird. Schon heute sind viele Ur-

sachen der wichtigen chronischen Erkrankungen bekannt und potenziell modifizierbar. Um in Deutschland den Anschluss an die internationale Entwicklung zu halten, ist es daher wichtig, ne- ben Verbesserungen der therapeutischen Ver- sorgung die Möglichkeiten der Prävention kon- sequent zu nutzen. Wenn dies gelingt, sind die Aussichten auf ein zunehmend längeres Leben für die Menschen in Deutschland ausgezeichnet.

Schlüsselwörter: Lebenserwartung, Herz-Kreis- lauf-Erkrankung, Krebserkrankungen, Präven- tion, Mortalität

Summary

Increase of life expectancy in Germany:

magnitude, determinants and perspectives Average life expectancy at birth in western Germany has increased between 1980 and 2002 from 69.9 to 75.6 years for men and from 76.6 to 81.3 years for women, reflecting a gain of more than two years per decade. The increase

in eastern Germany after 1990 was even steeper. The largest contributions to increases in life expectancy between 1980 and 2002 came from age specific reductions in cardiovas- cular mortality (2.6 years for men and 2.2 years for women), the contributions from reduced cancer mortality were substantially smaller (0.6 years for men and women). Yet, international- ly life expectancy in Germany is not ranked at the top. Record life expectancy worldwide has constantly increased over the last 160 years with an average gain of about 2.3 years per de- cade, a trend which looks set to continue.

Many causes of the important chronic diseases are now well understood and potentially mo- difiable. To keep up with the international trends, Germany will need not only to strive for improvements in therapy, but also to exploit more fully the possibilities of prevention. If this is accomplished chances for a longer life of citi- zens in Germany are excellent.

Key words: life expectancy, cancer, cardiovas- cular diseases, prevention, mortality

1Abteilung Epidemiologie (Leiter: Prof. Dr. med. Stephan K. Weiland), Universität Ulm

2Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin (Direktor:

Prof. Dr. med. Ulrich Keil), Universität Münster

Stephan K. Weiland1 Kilian Rapp1 Jochen Klenk1, Ulrich Keil2

Durchschnittliche Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt

Durchschnittliche Anzahl von Jahren, die ein neugeborenes Kind voraussichtlich lebt, wenn die aktuelle altersspezifische Morta- lität unverändert bliebe. Sie wird jedes Jahr berechnet als Quotient aus der Gesamtzahl der Lebensjahre, die die Geburtenkohorte des jeweiligen Jahres aufgrund der aktuel- len altersspezifischen Sterbetafel voraus- sichtlich leben würde, und der Zahl der Kin- der in der Geburtenkohorte.

Kasten

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sche Bundesamt die getrennte Dar- stellung beendete – nur noch 2,0 Jahre für Männer und 1,0 Jahr für Frauen. In den neuen Bundesländern ist also in- nerhalb von nur sieben Jahren die Le- benserwartung bei Frauen und Män- nern um 3,2 Jahre gestiegen.

Folgende Fragestellungen sollen in dieser Arbeit untersucht werden:

> Welche Beiträge leisteten ver- schiedene Krankheitsgruppen zur ge- stiegenen Lebenserwartung?

> Wie sind die Perspektiven für ei- ne weitere Steigerung der Lebenser- wartung?

Beiträge verschiedener Krankheitsgruppen

Bei welchen Erkrankungen die Erfol- ge erzielt wurden, die letztlich zur Zu- nahme der durchschnittlichen Lebens- erwartung zwischen 1980 und 2002 führten, wurde anhand der offiziellen Todesursachenstatistiken (1, 3) mit ei- ner von Pollard entwickelten Methode berechnet (4). Mit diesem Verfahren können Veränderungen der altersspe- zifischen Mortalitätsraten aufgrund definierter Gruppen von Todesursa- chen im Beobachtungszeitraum analy- siert und deren zeitlicher Beitrag zur veränderten Lebenserwartung abge- schätzt werden.

Die Grafiken 2 und 3 zeigen, dass in den alten Bundesländern sowohl bei Männern (2,6 von 5,8 Jahren) als auch bei Frauen (2,2 von 4,6 Jahren) der größte Beitrag zur gestiegenen Le- benserwartung auf eine deutliche Re- duktion der altersspezifischen Morta- lität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgeht. Hier konnten also große Erfolge erzielt werden. Der Rückgang der Mortalität an ischämischen Herz- krankheiten (ICD-10: I20–I25) war bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen, die Erfolge bei den zere- brovaskulären Erkrankungen (ICD- 10: I60–I69) waren hingegen bei bei- den Geschlechtern ähnlich.

Deutlich geringer sind die Fort- schritte bei den bösartigen Neubildun- gen. Der Beitrag dieser Krankheits- gruppe war bei Männern und Frau- en mit jeweils 0,6 Jahren wesentlich niedriger als der der Herz-Kreislauf-

Erkrankungen. Eindrucksvoll ist der Ge- gensatz zwischen den Geschlechtern in Bezug auf den Lungenkrebs. Während bei den Männern eine deutliche Stei- gerung der Lebenserwartung durch ei- ne verminderte Mortalität aufgrund von Lungenkrebs beobachtet wurde, führte bei den Frauen die gestiegene

Mortalität durch Lungenkrebs zu Einbußen bei der Lebens- erwartung.

Der größte Effekt bei den bösartigen Neubildungen ist jedoch sowohl bei Männern als auch bei Frauen auf eine Abnahme der Sterblichkeit an Magenkrebs zurückzu- führen. Dieser Rückgang ist im Wesentlichen durch eine seit Jahren sinkende Neuer- krankungsrate (Inzidenz) be- dingt.

Die dritte wichtige Katego- rie bilden die Todesfälle durch äußere Ursachen (ICD-10 V01-Y98). Ihr Beitrag betrug bei den Männern fast ein Jahr, davon gehen etwa sechs Monate auf eine Reduktion tödlicher Verkehrsunfälle zu- rück. Der Anteil sinkender perinataler Mortalität hat ge- genüber früheren Jahrzehn- ten an Bedeutung verloren.

Die Reduktion der Mortalität an respi- ratorischen Erkrankungen leistete ins- besondere bei den Männern einen er- heblichen Beitrag. Die relative Bedeu- tung der genannten Krankheitsgruppen für die Steigerung der Lebenserwartung in Deutschland ähnelt den Daten, die für die USA publiziert wurden (5).

Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung von Männern und Frauen in Deutschland: 1980–2002

Grafik 1

Beitrag verschiedener Krankheitsgruppen zur Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwar- tung bei Männern: 1980–2002

Grafik 2

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Eine todesursachenspezifische Ana- lyse der besonders schnell steigenden Lebenserwartung in den neuen Bun- desländern (1990–1997) zeigte, dass hierfür noch stärker als bei den Ver- änderungen in den alten Bundeslän- dern eine Reduktion der Mortalität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen – 1,7 Jahre bei Männern und 1,9

Jahre bei Frauen – verant- wortlich war. Auch der Bei- trag von Krankheiten des Respirationstraktes (0,35 be- ziehungsweise 0,23 Jahre) und der Mortalität durch äußere Ursachen (0,47 bezie- hungsweise 0,36 Jahre) war im Vergleich zu anderen To- desursachen stärker ausge- prägt als in den alten Bun- desländern. Ein Zugewinn an Lebenserwartung durch eine Abnahme bösartiger Neubil- dungen wurde hingegen nicht beobachtet. Ihr Beitrag redu- zierte sogar leicht (< 1 Mo- nat) den Anstieg der Lebens- erwartung bei Männern und Frauen.

Die Steigerung der Lebens- erwartung nach der industri- ellen Revolution gelang zu-

nächst durch eine Senkung der Mor- talität in den jüngeren Altersgrup- pen, nicht zuletzt durch eine Ver- minderung der Säuglingssterblichkeit.

Zwischen 1980 und 2002 ging jedoch ein großer Teil der Gewinne auf ältere Altersgruppen zurück. Altersspezifi- sche Abnahmen der Sterblichkeit in

der Gruppe der 60- bis 79-Jährigen führten zu einer Zunahme der durch- schnittlichen Lebenserwartung von 2,4 Jahren bei Männern und von 1,9 Jahren bei Frauen.

In der Gesamtbevölkerung sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen zwar noch immer die häufigste Todesursa- che, bis zur Altersgruppe 65 bis 69 Jah- re überwiegen jedoch heute Todesfälle durch Krebserkrankungen.

Perspektiven für eine weitere Steigerung

Internationaler Kontext

Um die Frage, wie lange die Lebenser- wartung weiter steigen wird, zu beant- worten, ist ein Blick über die Landes- grenzen hilfreich. 2002 berichteten Oeppen und Vaupel in der Zeitschrift Science über ein außerordentlich in- teressantes Phänomen (6). Sie hatten weltweit Veränderungen der Lebens- erwartung über einen Zeitraum von 160 Jahren (seit 1840) betrachtet und in einer Grafik über die Jahre immer das Land mit der jeweils höchsten Lebenserwartung eingetragen (Grafik 4). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Lebenserwartung, von weni- gen Jahren abgesehen, über den ge- samten Zeitraum konstant und nahe- zu linear anstieg. Dabei ist zu berück- sichtigen, dass die Länder, die jeweils an der Spitze liegen, häufig wechseln.

Es gibt jedoch durchaus Länder, die öfter vorkommen wie beispielsweise Norwegen und Neuseeland.

Der Anstieg der Lebenserwartung begann also schon lange vor der Ent- wicklung der „modernen“ Medizin und interessanterweise fanden große Durchbrüche der „modernen“ Medi- zin in der Grafik keinen markanten Niederschlag. Die Kurve zeigt, dass unter optimaler Ausnutzung der je- weils gegebenen wirtschaftlichen, po- litischen und sozialen Umstände die Lebenserwartung um etwa 2,3 Jahre pro Dekade anstieg.

Die Autoren haben ihrer Arbeit den Titel „The broken limits of life expec- tancy“ gegeben. Sie demonstrierten, dass in den vergangenen Jahrzehnten ein weiterer Anstieg der Lebenserwar- Beitrag verschiedener Krankheitsgruppen zur Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwar-

tung bei Frauen: 1980–2002 Grafik 3

Entwicklung der Lebenserwartung weltweit (das heißt, in den Ländern mit der jeweils höchsten Lebenserwar- tung [6]) und in Deutschland: 1840–2002;+nur für diese Jahre waren Angaben für Deutschland verfügbar

Grafik 4

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tung von Experten immer wieder für unwahrscheinlich gehalten wurde und es dann aber doch meist nur wenige Jahre dauerte, bis die für möglich ge- haltenen Prognosen von der Realität übertroffen wurden.

Die Lebenserwartung in Deutsch- land hat sich in den vergangenen 100 Jahren stark an die internationalen Spitzenwerte angenähert (Grafik 4).

Dennoch gibt es ein nicht geringes Po- tenzial für weitere Verbesserungen.

Tabelle zeigt, dass Deutschland im Jah- re 2002 im europäischen Vergleich kei- neswegs einen Spitzenplatz belegte (7). Spitzenreiter bei den Männern war Island mit einer Lebenserwartung von 78,4 Jahren und bei den Frauen Frankreich mit 83,5 Jahren.

In den vergangenen Jahrzehnten nahm die Lebenserwartung in vielen, aber nicht allen europäischen Ländern zu. In einigen Staaten Osteuropas kam es zu teilweise starken Rückgängen.

Diese werden stärker im Zusammen- hang mit Veränderungen von Lebens- bedingungen und Verhaltensweisen als mit Verschlechterungen bei der medizinischen Versorgung gesehen (8). Negative Veränderungen der Le- bensbedingungen innerhalb einzelner Länder können offenbar sehr rasch zu deutlichen Reduktionen in der Le- benserwartung führen, wie sie derzeit auch in mehreren Ländern außerhalb Europas, zum Beispiel in Afrika und Asien, beobachtet werden (9). Diese

Beispiele zeigen, dass sich der welt- weit beobachtete Anstieg in den Län- dern mit der jeweils höchsten Lebens- erwartung keineswegs in allen Staa- ten wieder findet. Entscheidend sind die Bedingungen in den jeweiligen Ländern.

Potenzielle Determinanten

Die Erfolge bei den Herz-Kreislauf- Erkrankungen waren in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten beeindruckend. Sie wurden sowohl durch Verbesserungen der medizini- schen Versorgung in Krankenhäu- sern als auch durch Erfolge bei der primären und sekundären Prävention der Risikofaktoren erreicht (10, 11).

Dennoch ist das Potenzial für eine weitere Reduktion der Mortalität kei- neswegs ausgeschöpft (5).

Die Prävalenz der kardiovas- kulären Risikofaktoren in Deutsch- land ist nach wie vor sehr hoch (12–14). In der MONICA-Kohorten- studie Augsburg konnten über 65 Pro- zent der beobachteten Myokardin- farkte durch die „klassischen Risiko- faktoren“ Rauchen, Hypertonie, Hy- percholesterinämie erklärt werden (12).

Auch die Versorgung von Patienten mit gesicherter koronarer Herzkrank- heit ist nicht optimal. Die EURO- ASPIRE-Studie legte dar, dass durch- schnittlich 19 Monate nach der Dia-

gnose einer koronaren Herzkrankheit bei mehr als 60 Prozent der Patienten noch immer mindestens zwei Risiko- faktoren nachweisbar waren (13). Im zeitlichen Vergleich – 1995/1996 ver- sus 1999/2000 – zeigte sich zwar eine Abnahme der Hypercholesterinämie um 20 Prozent, die Häufigkeit von Hypertonie und Adipositas war je- doch angestiegen. ACE-Hemmer, Be- tablocker, Lipidsenker und insbeson- dere Statine wurden zum Zeitpunkt der zweiten Studie öfter eingesetzt.

Insgesamt war die Sekundärpräven- tion der koronaren Herzkrankheit, wie in den meisten an der interna- tionalen Studie teilnehmenden Zen- tren, unzureichend (14). Im Bereich der primären und sekundären Prävention von Herz-Kreislauf-Krankheiten be- steht also noch ein großes Potenzial für weitere Verbesserungen.

Der Beitrag der Krebserkrankun- gen zur Erhöhung der Lebenserwar- tung fällt im Vergleich zu dem der Herz-Kreislauf-Erkrankungen gering aus. In den vergangenen fünf bis zehn Jahren zeigte sich jedoch eine Tendenz

´ Tabelle ´

Durchschnittliche Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt (2002) in ausgewähl- ten europäischen Ländern (7)

Land Männer Land Frauen

Island 78,4 Frankreich 83,5

Schweden 78,0 Spanien 83,0

Italien 76,8 Schweden 82,6

Österreich 76,4 Italien 82,5

Spanien 76,1 Österreich 82,2

Frankreich 75,9 Island 81,8

Großbritannien 75,8 Deutschland 81,6

Deutschland 75,6 Großbritannien 80,5

Tschechische 72,4 Tschechische 79,0

Republik Republik

Polen 70,6 Polen 78,7

Geschätzte Anteile der Erkrankungen an Kolonkarzinom, Schlaganfall, koronarer Herz- krankheit und Diabetes mellitus Typ II, die po- tenziell durch Änderungen der Lebensge- wohnheiten vermeidbar wären. Aus: Willett W: Balancing life-style and genomics research for disease prevention. Science 2002; 296:

695–8; mit freundlicher Genehmigung von Science, Washington/USA (20)

Grafik 5

(5)

zu steigenden Beiträgen. Zweifellos wurden bei bestimmten Tumorerkran- kungen, wie beispielsweise bösartigen Neubildungen im Kindesalter, durch neue Therapien große Erfolge erzielt (15, 16). Dennoch sind die Fortschritte beim Kampf gegen die bösartigen Neubildungen trotz enormer Anstren- gungen, insbesondere auch bei der kli- nischen Versorgung, enttäuschend.

In den USA ist ebenfalls nur eine geringe Abnahme der Krebsmortalität beobachtet worden. Als Konsequenz wurde eine stärkere Förderung der Präventionsforschung und eine bes- sere Umsetzung der Erkenntnisse aus Präventionsstudien gefordert (15).

Auch in Deutschland fällt auf, dass ein beträchtlicher Teil der bei den Krebs- erkrankungen gewonnenen Lebenser- wartung durch eine sinkende Inzidenz von Tumoren – wie zum Beispiel Lun- genkrebs bei Männern beziehungs- weise Magenkrebs bei Männern und Frauen –, also durch Krankheitsprä- vention, erreicht wurde.

Es ist davon auszugehen, dass die Erfolge bei der Bekämpfung von Krebserkrankungen in den nächsten Jahren zunehmen werden. Dabei kommt der Prävention, neben der wei- teren Verbesserung von Therapien, ei- ne große Bedeutung zu. Dass gegen das Rauchen, das in Deutschland für etwa 20 Prozent der Krebserkrankun- gen (17) verantwortlich ist und dessen kanzerogene Wirkung seit mehr als 50 Jahren bekannt ist, nicht entschlosse- ner vorgegangen wird, ist ein gesund- heitspolitisches Desaster.

Welche Bedeutung das Rauchen hat, lässt sich gut daran demonstrie- ren, dass bei Männern, die heute weni- ger rauchen als vor Jahren, eine verrin- gerte Mortalität durch Lungenkrebs die Lebenserwartung um fast zwei Monate verlängert hat (Grafik 2).

Dies entspricht etwa einem Drittel des gesamten Zugewinns bei den bösarti- gen Neubildungen. Bei Frauen, die heute öfter rauchen, ging hingegen etwa ein Drittel des Zugewinns an Lebenserwartung durch andere Tumo- ren aufgrund von häufiger vorkom- menden Lungenkarzinomen verloren (Grafik 3).

Rauchen ist in Deutschland seit vie- len Jahren der wichtigste vermeidbare

Risikofaktor und für mehr als 100 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verant- wortlich (17). Für einen erfolgreichen Kampf gegen das Rauchen, nicht ge- gen die Raucher – der falsche Be- griff „Anti-Raucher-Kampagne“ hat für viel Unheil gesorgt und sollte ver- schwinden –, sind viele gesellschaftli- che Kräfte nötig. International wurde auf diesem Gebiet durch die von der WHO koordinierte Framework Con- vention for Tobacco Control (18) viel erreicht. Für Deutschland wird es wich- tig sein, dass die Konvention auch tatsächlich konsequent umgesetzt wird (18, 19).

Künftig werden die genetische und die molekulare Forschung eine wichti- ge Rolle spielen. Zu enthusiastische Erwartungen an die Ergebnisse dieser Forschung für die Prävention und Hei- lung von Krankheiten bergen jedoch die Gefahr, dass die Prioritäten für die Gesundheitsforschung und -förderung verzerrt werden (20). Die wichtigen chronischen Erkrankungen werden in

der Regel durch ein komplexes Zu- sammenspiel von genetischen Fakto- ren und von Umweltfaktoren – wie zum Beispiel Fehlernährung, mangelnde körperliche Aktivität, Übergewicht, Rauchen und Alkohol – verursacht.

Die epidemiologische Forschung hat in den vergangenen 50 Jahren erheb- liche Fortschritte bei der Suche nach Krankheitsursachen gebracht. So kann heute bei vielen wichtigen Erkrankun- gen ein großer Teil der Inzidenz auf Risikofaktoren zurückgeführt wer- den, die potenziell modifizierbar und damit der Prävention zugänglich sind (Grafik 5).

Die Bedeutung ausgewählter Risi- kofaktoren für die Länder in Westeu- ropa ist von der Weltgesundheitsorga- nisation berechnet worden (21). Ent- sprechende Daten für Deutschland allein sind nicht verfügbar. Grafik 6 zeigt, dass für Männer das Rauchen der mit Abstand wichtigste Risikofak- tor ist, gefolgt von Hypertonie und Hypercholesterinämie. Danach folgen Anteile der Todesfälle, die in westeuropäischen Ländern auf bestimmte Risikofaktoren zurück- geführt werden (21): Die Grafik zeigt Einzelschätzungen für die jeweiligen Risikofaktoren. Da diese teilweise durch andere Risikofaktoren oder mit diesen gemeinsam wirken, liegt der Bei- trag von Gruppen von Risikofaktoren in der Regel unterhalb der Summe der Einzelschätzungen.

Grafik 6

(6)

Übergewicht, mangelnde körperliche Bewegung, zu geringer Verzehr von Obst oder Gemüse und Alkoholkon- sum. Die Bedeutung von Außenluft- verschmutzung, physikalisch-chemi- schen Expositionen am Arbeitsplatz und illegalen Drogen ist geringer. Das Bild bei den Frauen ist ähnlich, mit Ausnahme des Tabak- und Alkohol- konsums.

Die Faktoren Übergewicht, Fehl- ernährung und mangelnde Bewegung gewinnen zunehmend an Bedeutung.

In den USA lag im Jahr 2000 die Zahl der durch diese Faktoren verursachten Todesfälle (365 000) nur noch knapp hinter der, die auf das Rauchen (435 000) zurückgeführt wurde (22).

Mittlerweile gibt es sogar Befürchtun- gen, dass die Epidemie des Überge- wichts in den USA einen weiteren An- stieg der Lebenserwartung verhindern könnte (23).

In Deutschland ist die Bedeutung des Übergewichts noch nicht so groß wie in Amerika, aber auch hier hat die Häufigkeit von Übergewicht bei Kin- dern, Jugendlichen und Erwachsenen in den vergangenen Jahren stark zuge- nommen (24). Die Entwicklung von wirksamen Präventionskonzepten zur Eindämmung der Übergewichtsepide- mie ist für die kommenden Jahre im- mens wichtig.

Schließlich tragen gesellschaftliche und soziale Determinanten ganz we- sentlich zur Inzidenz und zum Verlauf von Krankheiten bei (25). Faktoren wie Ausbildung, Einkommen, Berufs- status, Mangel an sozialem Rückhalt sowie psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz und in der Familie haben einen wichtigen Einfluss auf Morbi- dität und Mortalität. Ein weiteres Bei- spiel für die Bedeutung gesellschaftli- cher Faktoren ist der Rückgang der Todesfälle durch Verkehrsunfälle, der bei den Männern fast ein halbes Jahr zur gewonnenen Lebenserwartung bei- getragen hat.

Nicht unerwähnt bleiben sollte je- doch, dass trotz gestiegener durch- schnittlicher Lebenserwartung auch im Jahr 2002 noch fast jeder fünfte Mann (18,4 Prozent) und fast jede zehnte Frau (9,6 Prozent) vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres star- ben (1).

Ausblick

Seit Beginn der industriellen Revolu- tion ist die Spitzenlebenserwartung weltweit relativ konstant um etwa 2,3 Jahre pro Dekade gestiegen. In den Ländern mit den jeweils optimalen gesellschaftlichen und medizinischen Bedingungen wird die Lebenserwar- tung vermutlich auch weiterhin rasch zunehmen. Deutschland ist aufgefor- dert, alle Anstrengungen zu unterneh- men, um an diese internationale Ent- wicklung Anschluss zu halten. Hierzu sind neben Verbesserungen der Pati- entenversorgung Fortschritte bei der Prävention von überragender Bedeu- tung. Wenn diese gelingen, sind die Aussichten auf ein zunehmend länge- res Leben für die Menschen in Deutsch- land ausgezeichnet.

Die Autoren danken Prof. Zwiesler, Sektion Aktuarwis- senschaften der Universität Ulm, für die Beratung bei den stochastischen Analysen.

Manuskript eingereicht: 5. 7. 2005; revidierte Fassung angenommen: 30. 11. 2005

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(16): A 1072–7.

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Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Stephan K. Weiland Abteilung Epidemiologie

Universität Ulm Helmholtzstraße 22 89081 Ulm

E-Mail: stephan.weiland@uni-ulm.de

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