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Archiv "Konzept für „invasive“ Forschung zum Schaden privater Lebensqualität" (10.04.1980)

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Fortbildungskongreß Davos

zuwerten, andererseits zu beweisen, wie kostengünstig die freie nieder- gelassene Ärzteschaft arbeite. Der tarifpolitisch versierte Solinger Pro- fessor betonte, auch Krankenhaus- ärzte seien in das allgemeine Tarif- recht eingebunden, und so könne ein solcher Vorschlag nur bewirken, daß die Angestellten-Gehälter insge- samt gesenkt und nivelliert würden. Dann aber wären Anstrengungen gerade der Gewerkschaften, an der Spitze des Marburger Bundes, im nachhinein zunichte gemacht.

Schlagworte

vernebeln die Diskussion

Und auch die Schlagworte von der

"Ärzteschwemme" und der "Kosten- explosion" machten in Davos die Runde. Immer dann, wenn vor allem die Politiker keine Lösung der Pro- bleme parat hätten, würden plakati- ve und zugkräftige Schlagworte in die Debatte geworfen. Sie trügen aber, so Prof. Kanzow, keineswegs zur Lösung von Konflikten bei, son- dern seien eher in der Lage, das Dilemma zu dramatisieren und die Probleme zu vernebeln. Die Vokabel von der "Ärzteschwemme" sei keine Erfindung der Ärzteschaft; den prak- tischen Arzt als "Basisarzt" abzu- qualifizieren helfe nicht weiter.

Frau Dr. med. lngrid Hasselblatt, Chirurgin aus Frankfurt und Mitglied des Bundesvorstandes des Hart- mannbundes, erklärte, den ärztli- chen Verbänden gehe es bei der Dis- kussion um die Reform der ärztli- chen Ausbildung allein darum, eine qualifizierte Weiterbildung im Inter- esse des Patienten zu ermöglichen.

Eine polemische Trennung der Ärz- teschaft in nicht weitergebildete Ärz- te und in Fachärzte sei von den Ver- bänden weder gewollt, noch könne sie gutgeheißen werden.

Nachdrücklich verteidigte Dr. Vilmar die Beschlüsse des 82. Deutschen Ärztetages (1979 in Nürnberg) zur Reform der ärztlichen Ausbildung.

Im Sinne eines einheitlichen Berufs- bildes müsse die geltende, bewährte Rechtsabgrenzung zwischen Aus-

und Weiterbildung beibehalten wer- den. Die Ausbildung ende mit der Approbation zum Arzt. Allerdings, und dies sei zu bemängeln, habe die geltende Approbationsordnung für Ärzte keine Ausbildungszieldefini- tion. Jetzt orientiere man sich noch notgedrungen überwiegend an den sogenannten Gegenstandskatalo- gen.

Dr. med. Ernst-Eberhard Weinhold, Erster Vorsitzender der Kassenärztli- chen Vereinigung Niedersachsen und Mitglied des KBV-Vorstandes, Spieka-Nordholz, empfahl, die noch zu schaffende Ausbildungszieldefi- nition von bestimmten Entschei- dungskompetenzen des Arztes ab- hängig zu machen.

Weitere aktuelle berufspolitische Themen in Davos bildeten die um- strittenen internationalen Meßwert- einheiten (sogenannte SI-Einheiten), die mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren verbindlich werden, die Dis- kussion um die Personalstellen- schlüssel in den Krankenhäusern, die Honorarverteilung und Lei- stungsbewertung zwischen Stadt- und Landärzten sowie die ange- strebte weitere Arbeitszeitverkür- zung für Krankenhausärzte.

Umstrittene

Krankenhausreformprojekte Wie Dr. Vilmar erklärte, haben die Krankenkassen ihre Mitarbeit im Projektbegleitenden Ausschuß auf Bundesebene bereits eingestellt. Ein Forschungsprojekt des Bundes un- ter Federführung des nordrhein- westfälischen Arbeits- und Sozialmi- nisteriums soll bis spätestens Ende 1981 neue Verfahren und Methoden zur Personalbedarfsberechnung für Krankenhäuser entwickeln.

Die Bundesärztekammer, die Deut- sche Krankenhausgesellschaft so- wie sechs weitere maßgebliche Or- ganisationen haben den verfehlten methodischen Ansatz des Verfah- rens in einer Protestresolution öf- fentlich kritisiert und damit gedroht, ebenfalls ihre Mitwirkung an dem mit 7,5 Millionen DM (!) dotierten

972 Heft 15 vom 10. Apri11980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

regierungsamtlichen Forschungs- projekt einzustellen, falls die Ein- wände nicht beachtet würden (ver- gleiche DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 11/1980, Seite 644 f.).

Den Streit, um den es geht, verdeut- lichte Dr. med. Karl Jeute, Hauptge- schäftsführer des Chefarztverban- des, Düsseldorf, mit konkreten Zahlen:

~ Würden die (unverbindlichen) Anhaltszahlen der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft (DKG) aus dem Jahr 1974 allseits nunmehr akzep- tiert, so müßten zusätzlich rund 13 000 neue Planstellen für Kranken- hausärzte geschaffen werden.

~ Würde die_ utopische gewerk- schaftliche Forderung, die 35-Stun- den-Woche in den Krankenhäusern einzuführen, bald realisiert, so wür- den weitere 22 000 qualifizierte Ärz- te benötigt werden.

~ Und Dr. Vilmar ergänzte: Falls das Bundesarbeitsgericht (BGA) ei- ner Beschwerde eines Hamburger Krankenhausarztes Rechnung trägt und künftig nur noch einmal wö- chentlich Bereitschaftsdienst zu- sätzlich zur normalen Arbeitszeit als zulässig erachtet, würde ein Zusatz- bedarf von weiteren 20 000 Kranken- hausärzten ausgelöst.

Da das Krankenhausfinanzierungs- gesetz (KHG) noch nicht alle parla- mentarischen Hürden genommen und die Bundespflegesatzverord- nung (BPfiV) noch nicht das Licht der Weit erblickt hat, stehen der Ärz- teschaft auch zukünftig vitale Kon- flikte ins Haus: Fast immer geht es ums Geld, berufliche und wirtschaft- liche Existenzen stehen auf dem Spiel. Und über den Steuer- und Bei- tragszahler, den Kranken und Pa- tienten, für den das ganze inszeniert und verbessert werden soll, redet man nur ungern.

Die Davoser Veranstaltung, das Po- dium und die Diskutanten, blieben aber optimistisch, daß sich die Poli- tiker auch in einem Wahljahr dazu deutlich äußern werden.

Dr. rer. pol. Harald Clade

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Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Konzept für „invasive" Forschung zum Schaden privater Lebensqualität

Eine Vorstudie des Bundesarbeitsministeriums mit beängstigenden Konsequenzen

verbergen wollen, andererseits muß er in alltäglichsten Situationen er- kennen, daß diese Sprache hier prä- ziser verstanden wird als sein ge- pflegtes Schuldeutsch.

Auch stellte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung fest, daß Sekundäranalysen an Daten- massen, die zu anderen Zwecken er- hoben wurden, ex ante überlegten Fragestellungen entgegenstehen.

Komplexere Fragen können keine Antwort finden. Die Scheinlösung liegt dann in derexpansiven Wunsch- liste nach weiteren Datenbanken . Bodo Kosanke

Die "Beiträge zur Analyse der Wirtschaftlichkeit ambulanter Versor- gung" veröffentlichte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Ver- sorgung (Zl), Köln, Ende letzten Jahres. Jetzt liegt als Vorstudie eine entsprechende Publikation auf Basis der Daten der AOK Lindau vor.

Routinedaten aus der gesetzlichen Krankenversicherung sind für komplexere wissenschaftliche Fragestellungen unergiebig, ist das gleichlautende Ergebnis beider Studien. In der nachfolgend kommen- tierten Vorstudie, die im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung unter der Projektleitung von Erwin Jahn entstan- den ist, werden die Ansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung auf Erweiterung der Routinedaten bekräftigt und mit praktischen Ratschlägen für eine in gleich mehrfacher Hinsicht rechtswidrige Auskunftseintreibung versehen. Ein Fragebogen, der schließlich in die privateste Sphäre des Versicherten eindringen würde, wird auch als Kontrollmöglichkeit für die Richtigkeit der Angaben zu den Routine- daten vorgeschlagen. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozial- ordnung hat zur Veröffentlichung dieser Ratschläge zur rechtswidri- gen Auskunftseintreibung sein Placet gegeben.

Vor einigen Jahren beschäftigte ein Skandal die Presse, der „AOK-Da- tenskandal in Lindau". Es war von Indiskretionen im Rahmen des „Auf- baus einer Datenbank aus Lei- stungsbelegen der Einrichtungen der medizinischen Versorgung" die Rede. Dieser Auseinandersetzung schlossen sich andere, methodi- scher Natur, an: Sind Abrechnungs- daten aussagekräftig für epidemio- logische Fragestellungen?

Mit Abrechnungsdaten — ebenfalls aus Lindau — und Praxisbeobach- tungen über Sprachregelungen und Aushandlungsprozesse zwischen Arzt und Patient erarbeitete das Zen- tralinstitut für die kassenärztliche

Versorgung (ZI), die von den Kas- senärztlichen Vereinigungen gestif- tete Forschungseinrichtung, seine

„Beiträge zur Analyse der Wirt- schaftlichkeit ambulanter Versor- gung". Es veranschaulichte eine wichtige Schlußfolgerung zur Aus- sagekraft von Routinedaten in fol- gendem Bild: Ein Epidemiologe sieht sich angesichts der auf Be- handlungsausweisen festgehalte- nen Diagnosen in der mißlichen La- ge eines ausländischen Touristen in Bayern. Er hat die besten Schul- kenntnisse der deutschen Sprache und stellt mit Verärgerung fest, daß die Deutschen sich just dieser Spra- che nicht bedienen. Einerseits arg- wöhnt er, sie könnten etwas vor ihm

Zieldefinition — enttäuschend global

Die nun vorliegende Vorstudie des Forschungsprojektes, dessen Ge- burtsstunde der „AOK-Datenskandal in Lindau" war, weckt — zumal die Erfahrungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung schon zur Verfügung stehen — ein gewisses Gefühl der Spannung.

Wird sie letzten Endes einer Aufblä- hung des Datenerfassungsappara- tes das Wort sprechen oder geht sie zielstrebig die Sortierung von ge- sundheitspolitisch relevanten Hand- lungsalternativen an?

„Untersuchungen zur Schichtspezi- fität der Inanspruchnahme medizini- scher Leistungen und der Krank- heitsverläufe in der sozialen Kran- kenversicherung. Vorstudie*)." Das ist der Titel der Vorstudie, die unter der Projektleitung von Erwin Jahn erstellt wurde. Enttäuschend global ist dann die Zieldefinition der Stu- die. Wie oft schon wurde von Effekti- vität und Effizienz der Gesundheits- versorgung, von der Notwendigkeit ihrer Steigerung gesprochen, und was bedeutet das im einzelnen?

Man hätte zu Anfang der achtziger Jahre, zumal die Studie fünf Jahre

*) Untersuchungen zur Schichtenspezifität der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und der Krankheitsverläufe in der sozialen Krankenversicherung. — Bericht über die Vorstudie. Bearbeitet von: Grünauer, F.; E.

Jahn; H,-H. Lenke; Th. Schäfer; C. Wilpert.

Projektleitung: Erwin Jahn.

Bochum, Berlin, München, Mai 1979

DEUTSCHES ÄRZ ELBLATT Heft 15 vom 10. April 1980 973

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Aufsätze • Notizen

„Invasive" Forschung

laufen wird, konkretere Darlegun- gen von möglichen Steuerungsvor- haben erwartet, deren Alternativen wissenschaftlich abzuwägen wären.

Die Zeit, in der große Bereiche der Gesellschaft durch ein Netz von

„Sozialindikatoren" erfaßt werden sollten zur besseren Planbarkeit von

„Bildungspolitik", „Urbanisierung",

„Gesundheitsversorgung" bis zur

„Lebensqualität", ist abgelöst durch kritische Einschätzung und Pla- nungsverdrossenheit. Soll der Bür- ger als Teil der Gesundheitsversor- gung weiter verplant werden, oder sind für Eigenverantwortung Anrei- ze zu schaffen? Die Vorstudie, deut- lich noch den siebziger Jahren ver- haftet, mag sich diesen prinzipiellen Fragen einer in manchen Bereichen überbedienten und übersteuerten Gesellschaft nicht stellen. Was bleibt?

Wir werden statt dessen mit einem Katalog von 24 Thesen konfrontiert, deren Textlänge allein schon die Umsetzung in empirisch prüfbare Hypothesen verbietet. Dieser beein- druckende Zitatenschatz medizin- soziologischer Literatur verendet im kryptomanischen Jargon der Unver- ständlichkeit. Zitat:

„Das Schicht-/Schichtspezifitäts- konzept muß demzufolge elementar, im paradigmatischen Horizont so- zialen Handelns begrifflich und ope-

rational definiert werden durch

den zur dominierenden industrie- und leistungsgesellschaftlichen Ver- gesellschaftung komplementär vor- gegebenen Bezugsrahmen pragma- tisch geltender Sozialnormen, d. h.

verhaltensorientierend wirksamer sozialpolitisch institutionalisierter Sozialgüterverteilung für arbeits- und/oder sozialrechtlich definierte Sozialkategorien (makrosozialer Kontext)

sowie durch

Merkmale der davon betroffenen so- zialbiographisch und mikrosoziolo-

gisch bestimmbaren Lebensumstän- de (mikrosozialer Kontext)." (a.a.O.

S. 60)

Die einfache Bedeutung dieses sprachlichen Fossils soziologischer Unart der späten sechziger Jahre soll wohl bedeuten, daß bei der Inan- spruchnahme mehrere Umweltbe- reiche eines Individuums, deren Wertvorstellungen und Zwänge eine Rolle spielen.

Der in den 24 Thesen dargelegte theoretische Ansatz wird im weite- ren Konsequenz haben in der Anfor- derung zusätzlicher Daten zu den Routinedaten der gesetzlichen Kran- kenversicherung.

„Verzeichnete" Krankheit — ein Kurzschlußverfahren

Zunächst wird aber im Kurzschluß- verfahren entschieden, daß der Maß- stab der Effektivität, die Krankheits- verläufe, in den auf Behandlungs- ausweisen „verzeichneten" Diagno- sen zu finden sei. Deutlich sind die kritischen Beiträge des Zentralinsti- tuts eingearbeitet. Tatsächlich ist die ärztliche Diagnose auf den Be- handlungsausweisen .nicht nur die Bezeichnung einer Krankheit. Oft läßt sie Schwere des Problems und Sicherheitsgrad der Diagnose offen.

Sie ist auch Sprachregelung, Pro- dukt eines Aushandlungsprozesses zwischen Patient und Arzt. Gänzlich kann sie nicht den Standardisie- rungs- und Präzisionswünschen des Epidemiologen genügen.

In einer eigenartigen Widersprüch- lichkeit wird aber gerade dies in der Vorstudie angenommen, indem man sich mit der „verzeichneten" Krank- heit begnügen will, also auf den me- dizinischen wirklichen Kern als den verläßlichen Gradmesser für Effekti- vität von Versorgung und Inan- spruchnahme verzichtet. Gegen die epidemiologischen Sprachregelun- gen der Diagnoseschlüssel werden andererseits nicht geringe Beden- ken ihrer Verwendbarkeit vorge- bracht, obgleich diese weitaus präzi- ser sind als alle Verzeichnungsge- wohnheiten in der angewandten Me- dizin.

Es ist wie in einer verkehrten Welt, in der Touristen sich über ihre eigene Sprache Gedanken machen, noch bevor sie die nuancierten Bedeutun- gen der fremden Sprache wahrha- ben wollen. Statt über die Sprach- und Dokumentätionswirklichkeit der angewandten Medizin Erkenntnisse zu sammeln, wird zwischen ver- zeichneten Diagnosen und aus Ver- ordnungen herausdeutbaren Indika- tionen kurzgeschlossen auf die „be- handelte" Krankheit.

Neben diesen stillgelegten Proble- men der Validität (was sagt die ver- zeichnete Diagnose wirklich?) wer- den die immensen und oft unvorher- gesehenen Schwierigkeiten der re- liablen, das heißt technisch korrek- ten Übertragung von den 70 Daten- banken der AOK Lindau auf die Da- tenbänder des Projektes berichtet.

Die unsortierte Datenmasse sprengt Rechnerkapazitäten und bringt für die Forschungsarbeit Wartezeiten mit sich, die für derartige Sekundär- analysen auch nach Erfahrung des Zentralinstituts typisch sind.

Dreimal

scharf am geltenden Recht vorbei Nachdem diese Schwierigkeiten

„bewältigt" sind, geht die Vorstu- die der zentralen Frage nach, ob die Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung für die For- schungszwecke überhaupt ausrei- chend sind.

Bei der Entscheidung dieser Frage geschieht Atemberaubendes: die geforderten Voraussetzungen für die Forschung würden die beforsch- te Wirklichkeit mehr verändern, als etwaige Forschungsergebnisse es zu tun vermöchten. Beklemmend zu- gleich, daß zu diesem Zweck das geltende Recht großzügige Interpre- tation erfährt und diese an drei Stel- len sogar scharf am geltenden Recht vorbeigeht.

Vorweg wird formuliert, daß die vor- handenen Routinedaten der gesetz- lichen Krankenversicherung ausrei- chend seien:

974 Heft 15 vom 10. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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„Invasive" Forschung

„Die Informationen über die Versi- cherten und ihre mitversicherten Fa- milienangehörigen, die für die Un- tersuchungen des Forschungsvor- habens erforderlich oder wün- schenswert sind, kann die Kranken- kasse berechtigterweise oder muß sie ohnehin sich verschaffen”

(a.a.O., S. 251).

Im folgenden erscheinen die Routi- nedaten aber als bedeutungslos, ge- messen an weiteren Datenwün- schen. Zunächst geht es darum, alle Haushaltsmitglieder in die Befra- gung einzubeziehen.

Eine gewisse Ausweitung der ge- setzlichen Routinedaten auf Ange- hörige des Haushalts bringt das KVKG vom 27. Juni 1977 zwar mit der Neufassung des § 205 RVO, der die Familienkrankenhilfe vom Ein- kommen des Ehegatten abhängig macht — welches von der Kranken- kasse zu erfragen ist.

An dieser Stelle gibt die Vorstudie den Krankenkassen aber einen Rat, der sich mit dem geltenden Recht wohl kaum verträgt:

„Für die Krankenkassen. bietet sich an, die Behandlungsscheine für Mit- versicherte, Familienangehörige nur und erst dann auszuhändigen, wenn die erforderlichen Auskünfte gege- ben sind, und zwar in (mindestens) jährlicher Wiederholung" (a.a.O., S. 260).

• Nach § 1427 Abs. 4 könnte die Krankenkasse allenfalls ein

„Zwangsgeld" erheben. Das Nicht- aushändigen von Krankenscheinen jedoch ist wohl eine ungebührliche Erpressung und kann bei dem, der sich davon beeindrucken läßt, ef- fektive Gesundheitsschädigungen durch Nichtinanspruchnahme ärztli- cher Versorgung zur Folge haben — das wäre dann ein makabres Ergeb- nis einer Studie mit der globalen Zielsetzung der Erhöhung von Effek- tivität und Effizienz in der Gesund- heitsversorgung.

Auskunftsverweigerungen wären dabei gar nicht einmal so unwahr-

scheinlich, insbesondere wenn die Krankenkassen dem Rat der Vorstu- die folgen und einen Fragebogen für erweiterte Auskünfte mindestens einmal jährlich anwenden. Durch zu- sätzlich verlangte inhaltliche Details geht dieser Fragebogen über das gesetzlich Erforderliche hinaus. Un- umwunden geben die Autoren zu:

„Beide Teile des Fragebogens zu- sammen vermitteln der Krankenkas- se alle Informationen, deren sie zur Erfüllung der Vorschriften nach § 205 RVO n.F. bedarf. Aber die Infor- mationen, die der Fragebogen ge- ben kann, reichen darüber weit hin- aus" (a.a.O., S. 262).

• Die Autoren beschäftigen sich daher mit dem Problem der Antwort- bereitschaft. Auch hier sind sie mit einem Rat bei der Hand, dessen Aus- führung in schon provokanter Weise geltendes Recht zum Schaden der Versicherten verletzen würde:

„Bei diesen ... Gruppen dürften die Antwortraten in postalischer Befra- gung niedrig ausfallen. Dagegen hilft nur der Hausbesuch (Hervorhe- bung in der Vorstudie): Die Erfah- rung lehrt, daß bei derart unverfäng- lichen Fragen — nur die Frage nach dem Gesamteinkommen hebt sich davon ab — in mündlicher Befragung hohe Antwortbereitschaft auch (und gerade) ohne Sanktionen erreicht werden kann (die Sanktionen amtli- cher Befragung schätzen wir eher als hinderlich ein, weil sie die Kon- taktbemühung der Befrager schwä- chen)." (a.a.o., S. 263)

• Der taktische Verzicht auf Sank- tionen ist Zynismus, wenn man be- denkt, daß der Gesetzgeber eine Einsichtnahme in Unterlagen sogar beim Arbeitgeber nur in dessen Ge- schäftsräumen gestattet, wenn diese von den Wohnräumen getrennt sind.

Er vermerkt im § 1427 Abs. 1 aus- drücklich:

„(. .) Sind ihre Geschäftsräume (die der Arbeitgeber) zugleich ihre priva- ten Wohnungen, so sind sie nur ver- pflichtet, die Geschäftsbücher, Li- sten oder anderen Unterlagen in den Geschäftsräumen der in Satz 1 be-

zeichneten Stellen (der Rentenversi- cherung und der Krankenversiche- rung) vorzulegen."

• Der Privatraum wird ausdrücklich geschützt. Die vorgeschlagenen Hausbesuche wären daher eine eklatante Verletzung der Privatsphä- re und ein großer Schritt hin zu de- ren effizienter Kontrolle — ganz ab- gesehen davon, daß der für die Ver- wendung bei diesen Hausvisiten vor- geschlagene Fragebogen nicht nur in Detaillierung, sondern auch in ei- ner Frage (nach der Zahl der im Haushalt lebenden Personen) über das gesetzlich Verlangte hinaus- geht. „Haushalt" ist kein kranken- versicherungstechnischer Begriff, gehört aber in die Konzeption dieses Forschungsvorhabens, die mit den Routinedaten allein nicht durchführ- bar ist.

„Item-Katalog" — tiefer Vorstoß in die Privatsphäre

Nach solchen Bewegungen am Ran- de geltenden Rechts verwundert nicht der letzte Schritt. Dieser sieht einen achtseitigen „Item-Katalog"

von Fragen vor, mit dem zwar nur eine kleinere Stichprobe konfron- tiert werden soll, doch bleiben die Angaben für die Zusammensetzung dieser Klumpenstichprobe völlig of- fen. Der Grund kann darin liegen, daß man vorhat, zunächst allen Ver- sicherten in der Stichprobe diese Frage vorzulegen, wird doch hierin eine Möglichkeit der Kontrolle aller gesehen:

„Das Verfahren bietet nebenher die Möglichkeit einer Kontrolle der An- gaben im Selbstausfüll-Fragebogen, mit dem alle (Hervorhebung durch die Autoren) Stichprobenangehöri- gen und -zugehörigen erfaßt werden müssen." (a.a.O., S. 267)

Von Hausbesuchen ist in diesem Zu- sammenhang nicht die Rede.

Der Item-Katalog enthält eine ganze Reihe von Fragen, die weit in die Privatsphäre reichen. Einige Bei- spiele: 1>

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 15 vom 10. April 1980 975

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"lnvasive" Forschung

Es wird gefragt nach Kühlschrank und Gefrierschrank, nach Toilette innerhalb/außerhalb der Wohnung, nach Begründung des letzten Ar- beitsplatzwechsels, Betriebsklima am Arbeitsplatz, Begründung für ne- benberufliche Tätigkeiten, nach den drei häufigsten Interaktionspartnern außerhalb des Haushalts, nach dem Beruf der drei besten Freunde, und woher diese drei besten Freunde be- kannt sind, nach Urlaubsreisen und Autofahrten am Wochenende, und ob diese allein am Steuer bestritten werden, nach Rauchen, Trinken, nach Hausbau in Gegenseitigkeits- hilfe, nach Beruf der Geschwister, sofern nicht Haushaltsmitglieder, nach Häufigkeit der Kontakte mit Verwandten und Freunden außer- halb des Haushalts, nach Funktio- nen und ehrenamtlichen Tätigkeiten in Organisationen, ob man einen Stammtisch hat oder nicht ...

• Nun sind solche Fragen bei so- zialempirischen Untersuchungen durchaus üblich. Diese Fragen wer- den dann aber nur absolut freiwillig und in der Regel nicht gegenüber Institutionen gegeben, zu denen man in irgendeinem Verhältnis steht und die daher diese Informationen verwenden könnten.

Gerade das ist aber in der Vorstudie vorgeschlagen: der ltem-Katalog solle als Kontrollmittel für die Selbstaustüll-Fragebogen einge- setzt werden. Mit diesem Vorschlag decouvriert sich Datenschutz als leerer Begriff.

Darüber hinaus ist zu fragen, zu wel- chem besonderen Zweckangesichts einer derart detaillierten Befragung die Routinedaten benötigt werden.

Mögliche Folge dieser Art von "inva- siver" Forschung wäre vielleicht ei- ne Erhöhung von Effizienz und Ef- fektivität in der Gesundheitsversor- gung, wie sie sich in Routinedaten widerspiegelt, bei gleichzeitig dra- stisch gemindertem Schutz der Pri- vatsphäre und erhöhter Gesund- heitsgefährdung durch Vorenthal- tung von Krankenscheinen. Dieser Schaden wäre nicht erst im Ergebnis der Forschung, sondern schon bei

Durchführung des Forschungsvor- habens angerichtet.

Im Resümee ist festzuhalten:

~ Die Routinedaten der gesetzli- chen Krankenversicherungen geben für komplexere wissenschaftliche Fragestellungen nichts her.

..,_. Die vorgeschlagenen Auskunfts- eintreibungen sind in drei Punkten rechtswidrig:

1. Einschalten von Krankenschei- nen bei nicht (mindestens) jährlicher Auskunft;

2. Hausbesuche zur Erhöhung der Antwortbereitschaft;

3. Kontrolle der Routineauskünfte durch "Tiefen-Interview".

Es ist demnach die Frage zu klären, ob das Bundesministerium rechtens handelt, wenn es diese Ratschläge durch Freigabe zur Veröffentlichung mit einer beängstigenden Dignität versieht (die Veröffentlichung steht laut Auskunft von Erwin Jahn bevor).

Im Rahmen des Programms der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Dienste der Gesundheit, hier: "For- schung zur Verbesserung der Daten- lage im Gesundheitswesen" kündigt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit Datum vom 12. Februar 1980 ein Projekt zur "Er- fassung und Auswertung von Infor- mationen aus Prozeßdaten der

GKV" an. Verschiedene Betroffene

sind geladen, Vorschläge zu ma- chen.

Anschrift des Verfassers:

Dr. phil. Bodo Kosanke Zentralinstitut für die

kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland Haedenkampstraße 5

5000 Köln 41 (Lindenthal)

978 Heft 15 vom 10. April1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

DER KOMMENTAR

Restriktiv

in einer gemeinsamen Presseerklä- rung hatten der Verband der Leiten- den Krankenhausärzte und der Mar- burger Bund Vorwürfe gegen die Kassenärztlichen Vereinigungen er- hoben, in denen sie eine angeblich

"zunehmend restriktive Handha- bung der Beteiligung und Ermächti- gung von Krankenhausärzten an der Kassenärztlichen Versorgung" be- haupteten und entsprechend be- klagten.

Aus zunächst widersprüchlichen Er- klärungen des Geschäftsführers Dr.

Jeute und des Justitiars Dr. Baur er- gab sich schließlich, daß der Vor- stand des Chefarzt-Verbandes diese Erklärung nicht mitzutragen ver- mochte. Ein kluger Beschluß, denn die Kassenärztliche Bundesvereini- gung konnte sehr rasch nachwei- sen, daß die Vorwürfe völlig zu Un- recht erhoben wurden, da bis in die neuesten Statistiken hinein eine steigende Zahl von an der kassen- ärztlichen Versorgung beteiligten Krankenhausärzten nachweisbar ist.

Dennoch geht das Verwirrspiel wei- ter. In der publizistischen Diskus- sion des Themas schlägt der Justiti- ar des Chefarzt-Verbandes nun eine Limitierung der Scheinzahl für betei- ligte Krankenhausärzte - etwa 200 pro Quartal- vor, wofür er allerdings

"leider bei den Zulassungsaus-

schüssen und den Sozialgerichten wenig Gehör" finde.

Danach scheinen hier restriktive Ge- danken eher zu Hause zu sein als bei den Kassenärztlichen Vereinigun- gen, Zulassungsausschüssen und Sozialgerichten. Oder ist das Ganze nur ein gutes Beispiel für schlechte Moral in Verteilungskämpfen? Es darf doch wohl nicht darum gehen, daß- limitiert oder restriktiv- Betei- ligungsportionen verteilt werden.

Ermächtigung und Beteiligung so- wie Art und Umfang der Tätigkeit auf dieser Rechtsgrundlage haben sich ausschließlich nach den Bedürfnis- sen der kassenärztlichen Versor- gung der Versicherten zu richten.

Diese muß zweckmäßig und ausrei- chend sein -, nicht für die beteilig- ten Krankenhausärzte, sondern für die zu versorgenden versicherten

Patienten. FM

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