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Archiv "Forschung an Einwilligungsunfähigen: Sorgfältiges Abwägen von Nutzen und Schaden" (04.03.2005)

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P O L I T I K

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A548 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 94. März 2005

DÄ:Welche Position bezieht die Ärz- teschaft in dem ethischen Dilemma zwi- schen Individualnutzen (des Patienten) und gesellschaftlichem Nutzen von For- schung?

Fuchs: In unserer (Muster-)Berufs- ordnung heißt es: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung“. Ärztliches Han- deln findet also immer in einem Span- nungsfeld zwischen den individuellen Bedürfnissen des Patienten und den Bedürfnissen der Gesellschaft statt.

Und in diesem Spannungsfeld bewegen sich Ärzte insbesondere dann, wenn es um medizinische Forschung, um klini- sche Versuche am Menschen geht. In der klinischen Forschung am Men- schen ist zum Beispiel die Aussage- fähigkeit eines Experiments oder die Zuverlässigkeit des gewonnenen Wis- sens von Bedeutung. Diese Zielgrößen kommen allerdings nicht mehr dem un- tersuchten Patienten zugute, sie meh- ren das medizinische Wissen und helfen womöglich anderen, späteren Patien- ten, letztlich also eher der Gesellschaft.

Seit der Antike besteht aber eine be- sondere Verantwortung des Arztes für seinen Patienten mit der Kernforde- rung, ihm keinesfalls zu schaden, son- dern nach bestem Wissen und Gewis- sen zu helfen, und zwar unabhängig von Fragen nach einem gesellschaft- lichen Nutzen. Deshalb vertritt die Ärzteschaft die Auffassung, dass sich ärztliches Handeln am Wohl des einzel- nen Menschen auszurichten hat, unter Abwägung des möglichen Nutzens und des möglichen Schadens für den Pa- tienten und unter Achtung seiner Au- tonomie.

Im Übrigen denke ich, dass wir mit der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes eine gute und bewähr- te Hilfestellung für solche Fälle zur Hand haben, in denen sich ein Arzt im Spannungsfeld zwischen seiner „Ver- antwortung als Arzt“ und seiner „Ver- antwortung als Forscher“ befindet.

DÄ:Die Deklaration hat aber gerade in diesem Punkt seit 1964 einen Wand- lungsprozess erlebt. So soll Forschung

an Menschen, bei denen eine Einwilli- gung nicht eingeholt werden kann, ge- stattet sein, wenn der physische und gei- stige Zustand der Versuchsperson, „der die Einholung der Einwilligung nach Aufklärung verhindert, ein notwendiger charakteristischer Faktor für die For- schungspopulation ist“. Wird hier nicht der Schwerpunkt zugunsten des gesell- schaftlichen Nutzens verlagert?

Fuchs: Die Fragen der eigen-, grup- pen- und fremdnützigen Forschung sind seit langem umstritten. Befürchtet wird eine erhebliche Einschränkung des Pati-

enten- und Probandenschutzes, wenn nicht die Freiwilligkeit eine Grundvor- aussetzung für die Versuche am Men- schen ist. Während früher nichtthera- peutische Forschung nur an Freiwilligen betrieben werden durfte, ist nach der geltenden Fassung der Deklaration von Helsinki auch Forschung an Nichtein- willigungsfähigen, beispielsweise an Ko- mapatienten und unter Umständen an hochgradig altersdementen Menschen, zulässig, falls die gesetzlichen Vertreter zustimmen und die Forschung nicht auch genauso gut mit Einwilligungsfähi- gen durchführbar wäre. Insofern kann man hier durchaus von einer gewissen Verlagerung sprechen. Von deutscher Seite wurde auch in der Diskussion um die Revision der Deklaration im Welt- ärztebund ein strikterer Standpunkt vertreten, der durch Erfahrungen mit

den deutschen Verbrechen während der NS-Herrschaft bedingt ist. Letztlich scheint mir aber entscheidend zu sein, wie Forschung und angemessener Pati- enten- und Probandenschutz für die be- sonders schutzbedürftige Gruppe der Nichteinwilligungsfähigen, zu der ja auch Kinder beziehungsweise Minder- jährige gehören, miteinander vereinbart werden können. Denn der Umstand, dass sich bestimmte diagnostische und therapeutische Interventionen, vor al- lem solche mit Arzneimitteln, für Kin- der oder Minderjährige nicht in der dem methodischen Standard entsprechen- den wissenschaftlich objektiven Weise

Forschung an Einwilligungsunfähigen

Sorgfältiges Abwägen von Nutzen und Schaden

Interview mit dem Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer über Patienten- und Probandenschutz und die Deklaration von Helsinki I N T E R V I E W

Die Fragen der eigen-, gruppen- und fremd- nützigen Forschung sind seit langem umstritten.

Prof. Dr. med. Christoph Fuchs (60) ist Haupt- geschäftsführer der Bundesärztekammer und erfahren in bio-ethischen Gremien.

Foto:dpa

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entwickeln und prüfen lassen, hat in der Kinderheilkunde zu gravierenden Pro- blemen geführt. Es gilt auch hier, sichere und wirksame Arzneimittel und Therapi- en zu entwickeln. Generell muss der Ein- zelne vor körperlichen und psychischen Schäden geschützt werden. Das spricht aber nach meiner Ansicht nicht grundsätzlich dagegen, Nichteinwilli- gungsfähige an Forschungen zu beteili- gen, insbesondere wenn diese mit mini- malen Risiken und Belastungen verbun- den sind. Weitere Schutzkriterien wur- den 1997 in der Stellungnahme der Zen- tralen Ethikkommission bei der Bundes- ärztekammer zum Schutz nichteinwil- ligungsfähiger Personen in der medizini- schen Forschung benannt. Meiner Auf- fassung nach trägt die Deklaration von Helsinki all dem Rechnung, zumal sie eher die Tendenz aufweist, den Patien- ten- und Probandenschutz zu verstärken.

DÄ:Bei placebo-kontrollierten Versu- chen ist ein Patientennutzen bei den Ver- suchspersonen, die nicht in der Verum- gruppe sind, nicht erkennbar. Sind Place- bostudien gleichwohl ethisch vertretbar?

Fuchs: Im Zuge der Neufassung der Deklaration von Helsinki war der Weltärztebund der Auffassung, dass dort, wo eine nachgewiesene Therapie exi- stiert, Placebo-Versuche nicht zulässig seien und neue Medikamente bezie- hungsweise Verfahren immer gegen eta- blierte Medikamente und Verfahren zu testen seien. Diese sehr strengen Vor- schriften über die Verwendung von Place- bos in Arzneimittelstudien sind von den Zulassungsbehörden, Forschern und der Industrie unter anderem mit dem Hin- weis kritisiert worden, es sei nicht einzu- sehen, warum bei durch Einsatz von Pla- cebos ausgelösten Befindlichkeitsstörun- gen oder leichten Belastungen die Pro- banden nicht selbst entscheiden sollten, diese zu erdulden. Darauf hat der Vor- stand des Weltärztebundes mit einer Klarstellung reagiert. Danach, und dies halte auch ich für ethisch vertretbar, wird der Placeboeinsatz in bestimmten Fällen anstelle eines etablierten Verfahrens ge- nauso wie bei leichten Befindlichkeits- störungen oder leichten Belastungen für die Behandlung von Kontrollgruppen akzeptiert, sofern die Probanden dabei keinen zusätzlichen Risiken ausgesetzt werden. DÄ-Fragen: Norbert Jachertz

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A550 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 94. März 2005

KOMMENTAR

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undesjustizministerin Brigitte Zy- pries (SPD) bläst zum Rückzug.

Nein, vielmehr schleicht sie verstoh- len zurück, den Gesetzentwurf zur Re- gelung von Patientenverfügungen im Gepäck. Sang- und klanglos ist seit dem 24. Februar ein Papier, das in den vergan- genen Wochen und Monaten für viel Aufruhr gesorgt hatte, vom Tisch. An diesem Tag ließ Zypries einen ihrer Spre- cher verkünden,dass der Entwurf des Ju- stizministeriums nun doch nicht als Re- gierungsentwurf in den Bundestag ein- gebracht wird. Stattdessen soll er Ein- gang in einen Gruppenantrag der SPD- Fraktion finden. Die Ministerin wolle da- mit „den Sensibilitäten im Parlament“

Rechnung tragen, ist in ihrem Ministeri- um zu erfahren. Obwohl Zypries nicht die Argumente der Abgeordneten teile, wolle sie die ethi-

schen Fragen zum Thema Patien- tenverfügung in- terfraktionell be- handeln.

So spät die- se Einsicht auch

kommt, so sehr ist sie zu begrüßen. Denn praxistauglich war der Entwurf von Zy- pries nicht. So sah er beispielsweise die Gültigkeit von mündlichen Patienten- verfügungen vor, ganz gleich wann und unter welchen Umständen sie abgege- ben wurden. Der Wille von über Thera- pieoptionen unaufgeklärten Patienten hätte dann befolgt werden müssen. For- male oder inhaltliche Anforderungen an die Erklärung gab es nicht – eine „Frei- heit“, die auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet hätte. Unbeschränkt blieb zudem die Reichweite der Verfügung.

Therapiebegrenzungen wären in jeder Krankheitsphase möglich gewesen. Fer- ner hätte ein einzelner „Bevollmächtig- ter“ über lebensverlängernde Maßnah- men entscheiden können. Fest steht: Si- cherheit hätte dieser „Alles-ist-möglich- Entwurf“ nicht gebracht, weder für Pati- enten noch für Ärzte.

Dies möchte Zypries offensichtlich keineswegs eingestehen. Zwar hagelte es seit Anfang November 2004, als die Ministerin ihren Entwurf vorlegte, Kri- tik sowohl von Politikern als auch von Organisationen und Verbänden. Von

einem Rückzug des Gesetzentwurfs möchte man im Bundesjustizministeri- um indes nicht sprechen. Man habe aus Rücksicht auf die Parlamentarier ledig- lich umdisponiert. Der Entwurf behalte seine Gültigkeit. Mit „geringfügigen Änderungen“ werde er demnächst in den Bundestag eingebracht. Schriftli- che Patientenverfügungen sollen dann ein größeres Gewicht als mündliche Er- klärungen erhalten. So eloquent die Erklärungsversuche des Ministeriums auch sein mögen, sie dürfen nicht dar- über hinwegtäuschen, dass der ehemali- ge Regierungsentwurf dem Parlament nun nur noch als Anregung dienen wird.

Mündliche Verfügungen dürften fortan indiskutabel sein. Nahezu durchweg posi- tiv waren demzufolge die ersten Reaktio- nen auf Zypries’ Verzicht. Die CDU/

CSU begrüßte den „unerwarte- ten Schritt“ aus- drücklich. In ei- ner entsprechen- den Gewissens- frage sollte das Gesetzgebungs- verfahren nicht durch eine Initiative der Regierung gesteuert werden. „Eindeu- tig zustimmenswert“ bezeichnete auch René Röspel (SPD), Vorsitzender der Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“, das Vorgehen von Zypries. Kritik kam indes von der FDP. Für sie ist Zypries’ Rückzug eine

„Bankrotterklärung“. Es sei unverant- wortlich, dass die Bundesregierung sich ihrer Verantwortung bei der Frage der Stärkung von Patientenrechten entzie- he, meinte Michael Kauch, Obmann in der Enquetekommission.

In der Tat darf nach dem Rückzug des Zypries-Entwurfs die öffentliche Diskussion über Patientenverfügungen nicht zum Stillstand kommen. Am 10.

März will sich das Parlament erneut mit dem Zwischenbericht der Enquete- kommission befassen. Patienten und Ärzte brauchen Sicherheit. Einerseits muss der Sorge der Menschen vor Übertherapie und Leidensverlänge- rung Rechnung getragen werden, ande- rerseits müssen aktive Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid unterbunden werden. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann

Patientenverfügungen

Zypries’ Rückzug

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