In früheren Zeiten wäre man das Problem BSE wohl nicht nur natur- wissenschaftlich angegangen. Viel- leicht hätte man einen Boten zum Delphischen Orakel gesandt, und die Pythia hätte wie einst bei Oedipus schaudernd versucht, ihn wegzu- schicken, und der Bote hätte nur von der Inschrift über dem Eingang zum
Tempel „Erkenne Dich selbst“ be- richten können und wäre vielleicht verstanden worden.
Wir sollten nicht so tun, als sei der Rinderwahnsinn nur ein medizini- sches Problem oder ein tragisches Schicksal Europas. Er ist nur eine Teilerscheinung eines größeren, viel tiefer sitzenden menschlichen Pro- blems. Zuerst kommt der Men- schenwahnsinn (HSE) und dann der Rinderwahnsinn (BSE).
Alles ist schneller geworden, mußte angeblich schneller werden:
die Autos, die Sportler, die Rechner, die Symphonien, die Gesundheits- reformen, die Partnerwechsel, die Stellungnahmen der Ethikkommissio- nen, die Änderungen des EBM, die Paradigmenwechsel – und die Rinder- mast. Dabei hat man aus friedlichen Pflanzenfressern Zwangskannibalen gemacht.
Kein ärztliches Problem? Im Ge- genteil: Die Prionen des Zeitungei- stes sind längst in unser aller
Großhirn inkubiert und grübeln über einen neuen Einsatzort nach, und sie nehmen sich dabei viel Zeit – im Ge- gensatz zu unserem Zeitgeist. Aber vielleicht beschleunigt sich auch unse- re Einsicht, wenn wir merken, daß es ans Portemonnaie geht, denn längst ist nicht nur der Honorartopf der Kas- senärzte gedeckelt. Dieses Morbi-
ditätsrisiko müssen wohl alle mittra- gen – pekuniär und epidemiologisch.
Es ist an der Zeit, unsere eigene HSE zu bekämpfen und in unseren Herzen und Begriffen mit den Kü- hen und den übrigen Mitvertebraten etwas behutsamer umzugehen, die schließlich schuldlos nach einem freudlosen Leben mit Krankheit und Schlachtung gestraft sind.
Und wir sollten mit unserer Hy- bris die Olympischen Götter nicht all- zusehr herausfordern.
Die Gattin des Göttervaters, Hera, soll so schöne Augen gehabt haben, daß Homer bisweilen von der kuhäugigen Hera spricht. Zeus ver- liebte sich in die liebreizende Tochter des Agenor. Er näherte sich ihr als wunderschöner Stier und entführte sie auf seinem Rücken übers Meer zu einem fernen Gestade, welches übri- gens heute noch nach der Geliebten des Zeus benannt ist: Europa.
In einer anderen Liebesgeschich- te des Göttervaters verliebt sich die-
ser in Io, die Tochter des Königs Inachos von Argos. Um sie vor der Ei- fersucht Heras zu verstecken, verwan- delt er sie in eine schöne Kuh. Doch Hera durchschaut das Spiel und läßt das armselige Geschöpf von Argus bewacht durch eine Bremse über den ganzen Erdkreis verfolgen, bis diese unglückliche Kuh in ihrer Ruhelosig- keit dem Wahnsinn verfällt. Die Kü- ste, die nach ihr benannt ist, ist die Io- nische Küste – Wiege unserer Philo- sophie und Kultur. Daran sollten wir denken, wenn demnächst zwischen
„Lindenstraße“ und „Tatort“ im Fernsehen riesige Scheiterhaufen mit Bergen von toten Rindern brennen.
Doch sollten wir die Katharsis dieses von vielen ersehnten Rituals nicht überschätzen. Erlöst werden nur die geschundenen Rinder, nicht aber un- sere Seelen. Bernhard Käfer, Köln
„Schaden“
l Abgewiesen wurde die Scha- denersatzforderung eines Stadionbe- suchers in Ohio. Der Mann ging während der Pause auf die Herrentoi- lette und sah dort eine Frau am Urinal stehen. Dies hätte ihn so geschockt, daß er die Toilette nicht mehr benut- zen konnte. Er forderte eine Million Dollar „Schmerzensgeld“.
l Mehr Glück hatte ein New Yorker, der sich in selbstmörderischer Absicht vor eine herannahende U-Bahn warf. Der Fahrer konnte bremsen, verletzte jedoch den Selbst- mörder in spe. Darauf verklagte er die Stadt, daß man nicht alles getan habe, um ihn vor dem Sprung zu bewahren.
Er bekam 600 000 Dollar.
l Ein anderer Geschädigter gab an, daß sich bei einer Autoreparatur ein Streichholzmäppchen, das er in der Hosentasche trug, selbständig entzündet hätte. Er behauptete, die Reibfläche auf dem Mäppchen sei falsch angebracht, und forderte 500 000 Dollar Schadenersatz.
l Auch der gesetzlich vorge- schriebene Warnhinweis auf der Ziga- retten-Packung überzeugte die Rich- ter in Dallas nur wenig. Eine starke Raucherin war an Lungenkrebs ge- storben. Ihr Mann kam mit seiner Schadenersatzforderung durch. BE A-1162 (22) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 18, 3. Mai 1996
P O L I T I K GLOSSEN
HSE statt BSE
Zeichnung: Jörg Spielberg, Kempten