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Archiv "Arzneimittelsicherheit: Urteil erst nach Langzeitstudien" (30.03.2012)

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A 644 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 13

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30. März 2012

ARZNEIMITTELSICHERHEIT

Urteil erst nach Langzeitstudien

Ein gesicherter Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von topischen Calcineurin-Inhibitoren und erhöhtem Krebsrisiko ist nicht belegt, aber Daten aus der Pädiatrie und Spontanmeldungen geben Anlass zu erhöhter Wachsamkeit.

T

opische Calcineurin-Inhibito- ren (TCI) – bei Einführung gefeiert als Revolution in der The- rapie des atopischen Ekzems – sind seit einer Warnung durch die US- Arzneimittelbehörde FDA (2005) und die geänderten Anwendungsbe- dingungen durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA (2006) mit dem Makel eines erhöhten Risi- kos für Hautkrebs und Lymphome behaftet. Zu Unrecht, wie eine Rei- he interna tionaler dermatologischer Gesellschaften kritisiert. Spontan- meldungen und pädiatrische Daten aber geben Grund zur Besorgnis.

Im März 2010 berichtete das Pe- diatric Advisory Committee der FDA (Internethinweis) in einem Update zum Sicherheitsprofil von Pimecroli- mus (Elidel®) und Tacrolimus (Pro- topic®), dass von 2004 bis 2009 bei Kindern bis 16 Jahre 56 Krebsfälle erfasst worden sind: 20 Lymphome (36 Prozent), 19 Leukämien (34 Pro- zent), acht maligne Melanome (MM, neun Prozent). In 39 Fällen (70 Pro- zent) lag ein off-label use bei unter Zweijährigen vor. In der Gesamtbe- urteilung heißt es, dass diese Krebs- fälle überwiegend bekannte Mali- gnome des Kindesalters reflektieren.

Ein Grund zur Besorgnis seien aller- dings die relativ häufigen Melanome – speziell an den Applikationsstellen.

Man warnte deshalb nochmals ein- dringlich vor dem Auftragen von TCI an (prä)malignen Hautarealen.

Calcineurin-Inhibitoren werden in der Transplantationsmedizin er- folgreich systemisch eingesetzt, um das Abstoßungsrisiko zu minimie- ren. Der Preis ist ein nachweislich deutlich gesteigertes Risiko für nichtmelanozytären Hautkrebs und Lymphome nach einem Zeitinter- vall von etwa 20 Jahren. Eine syste- mische Absorption ist theoretisch auch bei der topischen Gabe bei

atopischer Dermatitis (AD) denk- bar, weil bei dieser Erkrankung die Hautbarriere gestört ist.

Dieses Argument sehen jedoch Diamant Thaçi und Rebekka Salgo von der Universitäts-Hautklinik in Frankfurt/M. als widerlegt an: Die Serumspiegel in Studien mit AD- Patienten waren in 99 Prozent der Fälle „unter der Nachweisgrenze oder extrem niedrig“ – auch bei zweimal täglichem Auftragen wa- ren die Konzentrationen um ein Vielfaches niedriger als bei syste-

mischer Therapie. (Clinics in Der- matology 2010; 28: 52–6)

Grundlage für die Krebswarnung der FDA waren 20 Kasuistiken weltweit nach Applikation von TCI.

Seit der Zulassung sei diese Zahl auf 56 gestiegen – ein insgesamt niedriger Wert angesichts von sie- ben Millionen Verschreibungen.

Einen möglichen Zusammenhang leitete die Behörde auch aus Tier- versuchen ab. Danach hagelte es Proteste vonseiten der deutschen, europäischen und internationalen Fachgesellschaften. Der einstimmi- ge Tenor: Das Vorgehen der FDA sei nicht gestützt durch wissen- schaftliche und klinische Evidenz.

Seit 2006 rät auch die Europä - ische Arzneimittelbehörde zu größe- rer Vorsicht bei TCI aufgrund eines

nicht auszuschließenden Zusammen- hangs mit beobachteten Krebser- krankungen. Die Wirkstoffe werden eindeutig als Zweitlinientherapie nach konventioneller Steroidthera- pie eingestuft. Zudem sollen die Pa- tienten deutlich darauf hingewiesen werden, diese Hautareale nicht dem Sonnenlicht auszusetzen.

Für viele Experten ist die Ent- wicklung der TCI ein Durchbruch im therapeutischen Armentarium der atopischen Dermatitis, speziell bei Läsionen im Gesicht und den In- tertrigines. Die klinischen Studien und Postmarketing-Untersuchungen der Hersteller weisen laut Thaçi kein erhöhtes Hautkrebsrisiko aus – die Frequenz liege sogar niedriger als in der Gesamtbevölkerung.

In einem neueren Review (Bri- tish Journal Dermatol 2011; 165:

465–73) finden US-Experten (un- terstützt durch ein Grant von Novartis ) „zu wenig Evidenz in der epidemiologischen Literatur, um klar zu sagen, ob TCI maligne Hautpro- zesse auslösen oder nicht“. Sie stel- len die Hypothese auf, die atopi- sche Dermatitis könnte mit Lym- phomen und Hauterkrankungen as- soziiert sein – entweder durch die Erkrankung selbst oder aber durch ihre Therapie, die mutagen oder im- munsuppressiv sein kann.

Englische Studie sieht keine Korrelation

Thaçi weist in diesem Zusammen- hang auf skandinavische Register aus der Vor-TCI-Ära hin, nach denen die langjährig mit systemischen und oralen Steroiden Behandelten ver- mehrt Plattenepithelkarzinome und Basalzellkarzinome entwickeln und tendenziell ein erhöhtes Risiko für Nicht-Hodgkin-Lymphome laufen.

Keine Korrelation des Lym- phomrisikos bei Einsatz von TCI Atopische Derma -

titis: rote, schuppen- de, manchmal auch nässende Ekzeme sowie starker Juck- reiz sind Zeichen der gestörten Barriere- funktion der Haut.

Foto: Your Photo Today

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30. März 2012 A 645 oder Steroiden in Großbritannien

hat Alejandro Arana beim Jahres- kongress der American Academy of Dermatology 2011 in New Orleans präsentiert (Poster 203). Von 625 915 Patienten mit atopischer Dermatitis hatten 63 056 TCI erhal- ten. Bei den Anwendern traten 760 Lymphome auf: Pimecrolimus OR 0,76 (95-%-KI 0,54–1,08), Ta- crolimus 1,24 (0,80–1,91), Steroide 0,90 (0,75–1,07). Diese Daten be- stätigen seine Arbeit aus dem Jahr 2007.

Zwei sich widersprechende Hypothesen stehen im Fokus

Auch bei Fokussierung auf Pati - enten unter 20 Jahre ergab die Novartis -unterstützte Beobach- tungsstudie keinen signifikanten Unterschied – wobei die Fallzahlen allerdings gering waren (Nested case -control-Studie unter Verwen- dung der PharMetrics-Datenbasis;

Juli 1995 bis Ende März 2009; 186 Fälle; 741 Kontrollen).

Die Beziehung zwischen atopi- scher Dermatitis und Krebsrisiko ist in verschiedenen Studien mit unter- schiedlichem Ergebnis untersucht worden. Auch wenn Dermatologen eher den Eindruck einer niedrigeren Inzidenz haben, existieren zwei Haupthypothesen, die sich wider- sprechen: Eine Allergie als Stimu- lans des Immunsystems inhibiert die Krebsentstehung – oder aber:

Die chronische Stimulation des Im- munsystems durch ein Antigen in- duziert die Entwicklung zufälliger proonkogener Mutationen und so ein erhöhtes Karzinomrisiko.

Eine Beobachtungsstudie bei bri- tischen Patienten (British Journal Dermatol 2010; 163: 1036–43) un- ter Verwendung des Health Im - provement Network ergab bei AD- Patienten sowohl insgesamt als auch für Subtypen eine erhöhte Rate von Karzinomen. Alters- und geschlechtsadjustiert wurde eine signifikant erhöhte Ratio der Inzi- denzrate (pro 10 000 Personenjah- re) für Lymphome (IRR 2,21, 95-%-KI 1,65–2,98), Melanome (1,74, 1,25–2,41) und NMSC (1,46, 1,27–1,69) ermittelt.

Nicht die AD, sondern der Schweregrad des Ekzems sei der

Hauptrisikofaktor für ein Lym- phom, argumentieren Wollenberg, Thaçi und Luger in einem Leser- brief im Deutschen Ärzteblatt (2011; 26: A 1486). Darin weisen sie auf eine „genestete“ Fall-Kon- trollstudie aus den USA hin: Da- nach sei ein schweres atopisches Ekzem per se der Hauptrisikofaktor für Lymphome (OR 2,4, KI 1,5–3,8). Die Originalarbeit (Jour- nal of Investigative Dermatology 2007; 127: 808–16) wiederum dif- ferenziert bei den AD-Patienten der PharMetrics-Datenbasis nur zwi- schen schwerer AD und nicht schwerwiegenden Fällen.

Die Autoren dieser Studie haben bei einer vergleichbar angelegten Studie (Journal of Allergy and Clini- cal Immunology 2009; 123(5):

1111–6) bei AD-Patienten (Datenba- sis: 3,5 Millionen) ein erhöhtes Risi- ko für Lymphome berechnet (OR 1,83 95-%-KI 1,4–2,36). Bezogen auf Patienten, die von Dermatologen behandelt wurden, stieg diese Rate noch an (OR 3,72, KI 1,40–9,87).

Bei topischen Steroiden zeigte sich in Großbritannien ein – mit der Po- tenz der Kortikoide – signifikant ge- steigertes Lymphomrisiko, in den USA war eine Signifikanz nur bei oralen Steroiden nachzuweisen.

In der britischen Studie war die Zahl der TCI-Exponierten zu ge- ring, um mögliche Assoziationen zu Lymphomen festzustellen (es wur- den auch keine beobachtet), in der US-Studie mit etwa 300 000 AD- Patienten war das Zeitintervall mit vier Jahren sehr kurz.

Das gilt zwar auch für die große unabhängige Studie der Kaiser- Permanente -Versicherung (Annals of Pharmatherapy 2009; 43[12]:

1956–63). Trotzdem zeigte sich hier bereits im kurzen Zeitintervall ein erhöhtes Risiko für T-Zell-Lym- phome. Die Autoren haben in der bisher umfangreichsten retrospekti- ven Kohortenstudie mit mehr als 950 000 AD-Patienten zwischen 2001 und 2004 ein signifikant er- höhtes Risiko für T-Zell-Lympho- me unter Tacrolimus (HR 5,04, 95-%-KI 2,39–10,63) und Pimecro- limus (HR 3,76, 1,71–8,28) erho- ben. Nachdem vier Fälle mit ver- mutlich (prä)kanzeröser Läsion bei

Behandlungsbeginn eliminiert wur- den, blieb die Hazard Ratio bei Tacrolimus signifikant, bei Pime- crolimus nicht. Das Resümee der Autoren: TCI führen nicht zu einem insgesamt gesteigerten Krebsrisiko.

„Die Anwendung von topischem Tacrolimus könnte mit einem er- höhten Risiko für T-Zell-Lympho- me vergesellschaftet sein.“

Selbst wenn – wie im Leserbrief bemängelt – das Kollektiv mit Pa- tienten „verdünnt“ war, die eine Kontaktdermatitis aufwiesen, spricht das nicht gegen, sondern umso mehr für ein potenziell erhöhtes Risiko , da diese Subgruppe nicht ein erhöhtes, von der Grundkrank- heit ausgehendes Lymphom-Risiko aufweist“, erklärt Prof. Dr. med.

Axel Schnuch, Göttingen.

Kontrolluntersuchungen der Patienten werden geraten

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat zwar bisher keine Hinweise auf Haut- krebs erhalten. Der berichtete Fall mit multiplen aktinischen Kerato- sen (Carcinomata in situ) nach langjähriger topischer Anwendung von Tacrolimus war nach Auffas- sung von Schnuch in diesem Zu- sammenhang jedoch Grund genug, zu erhöhter Wachsamkeit, das heißt gezielten Kontrolluntersu- chungen der Patienten, zu raten.

„Aktinische Keratosen sind vor al- lem eine Erkrankung älterer Pa- tienten. Der Betroffene war jedoch 43 Jahre alt.“

Fazit: Eine erhöhte Krebsgefahr bei Anwendung von TCI ist bisher nicht belegt worden. Sie ist aber derzeit auch nicht auszuschließen.

Notwendig sind Langzeitstudien mit entsprechender Fallzahl – spe- ziell bei Kindern und Heranwach- senden. Zwei derartige Untersu- chungen mit Langzeit-Follow-up von pädiatrischen Fällen sind angelaufen . Eine Interims-Analyse (APPLES-Studie) mit 3 998 Patien- ten von 2005 bis 2008 ergab kein

erhöhtes Risiko.

Dr. rer. nat. Renate Leinmüller

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Bericht des Pediatric Advisory Committee des FDA: www.aerzteblatt.

de/13644

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