Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
EMANZIPATION
Die Diskussion unter den Lesern um die weiblichen Sanitätsoffiziere hält an - un- erwartet lange, unerwartet heftig. Der folgende Brief bezieht sich vor allem auf die Leserzuschrift von Dr. Ritscher im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 48/
1976.
Um die „difference"
Mit meiner Befürwortung der Ent- scheidung des Bundesverteidi- gungsministers, auch für Ärztinnen die Laufbahn als Sanitätsoffiziere zu öffnen, eine Befürwortung, die zu- nächst durch eine Anekdote aus al- ter Zeit, später mit faktischer Argu- mentation erfolgte, habe ich offen- sichtlich vielen Maskulinisten auf ein empfindliches Hühnerauge ge- treten. Ich darf zunächst versichern, daß trotz vorgerückten Alters und der vor mehr als drei Jahrzehnten erfolgten Beförderung zum General- arzt d. Res. mir die Kenntnis des Unterschieds zwischen den beiden Geschlechtern
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und o nicht verlo- rengegangen ist, nicht einmal die Kenntnis der vom Kollegen Ritscher betonten „difförence".Fest eingewurzelte Vorurteile ster- ben langsam aus. Aber, das ist das Beruhigende, sie sterben sicher aus.
Auch Herr Ritscher befindet sich auf dem Rückzugsgefecht und gibt zu, daß, nachdem Frauen als Schwe- stern in der Krankenpflege sich seit langem bewährt haben, nun auch die vor 70 Jahren von der Standesor- ganisation noch rigoros abgelehn- ten Ärztinnen bei der Behandlung kranker Männer ertragbar sind. Aber er entdeckt dafür die untragbare De- mütigung des männlichen Ge- schlechts, im gesunden Zustand auf Diensttauglichkeit durch eine Ärztin beurteilt zu werden.
Das militärische Musterungsge- schäft ist noch nie als wesentlicher Beitrag zur Hebung der menschli- chen Würde eingestuft worden. Aber wo liegt der Unterschied, bzw. nach Kollegen Ritscher, die „difförence"
zwischen der Einstellungsuntersu- chung durch eine Werksärztin im In- dustriebetrieb und der Musterungs- untersuchung durch das Wehrer- satzamt? Selbst die wildesten
LESERBRIEF
Emanzippen haben es bisher noch nicht als menschenunwürdig ent- deckt, daß weibliche Bewerber um einen Arbeitsplatz bei der Einstel- lungsuntersuchung auf einen Arzt masculini generis treffen.
Ohne Frage gibt es Dienstverrich- tungen, die für eine Ärztin noch we- niger reizvoll sind als für einen Arzt.
Ich bin dem Alltag der Bundeswehr zu sehr entfremdet, um zu wissen, ob auch heute noch die vor dem Ersten Weltkrieg übliche monatliche Kontrolle auf venerische Infektion (im Kommiß-Jargon „Schwanzpara- de" genannt) zum Dienstplan des Truppenarztes gehört. Auch für den Stabsarzt des Jahres 1914 war sie kein ästhetisches Vergnügen. Aber das sind die Untersuchung von Kot und Urinproben sowie selbst das Musterungsgeschäft, schließlich auch nicht. Wenn diese Vorsorgeun- tersuchungen auch heute noch truppenüblich sind, kann der Stabs- arzt (w.) sie beruhigt an einen Sani- tätsoberfeldwebel ohne Schaden für die Gesundheit der Gruppe dele- gieren.
Im übrigen bin ich wenigstens in ei- nem Punkte mit Herrn Ritscher ei- nig. Als Anhänger und Vertreter der These von der naturgegebenen Un- gleichheit der Menschen bin ich kaum zu übertreffen. Wenn auch für mich Gleichheit vor Recht und Ge- setz selbstverständlich sind, sind mir alle politischen und sonstigen Ideologien, die eine Gleichheit aller Menschen und Rassen behaupten, absurd; aber ebenso wie der Überle- genheitsdünkel, der aus den vorhan- denen naturgegebenen Unterschie- den von Individuen und Gruppen Werturteile ableiten will. Meinungs- unterschiede sind selbstverständ- lich und berechtigt, haben aber vor anderen Unterschieden den großen Vorteil, daß sie nicht fixiert, sondern wandelbar sind. Beispiele dafür sind in den letzten Wochen zur Genüge öffentlich diskutiert worden, so daß ich diese Tatsache nicht durch Na- mensnennung zu belegen brauche.
Prof. Dr. med. Gerhard Rose Vor den Büschen 46 3063 Obernkirchen Strahlenschutzgrundsätze
Die Arbeitsmedizin kann in ihrer vorwiegend präventiven Aufgabe nicht auf röntgenologische Unter- suchungsverfahren verzichten.
Bei der Anlegung eines strengen Maßstabes bei der Anordung und Durchführung von Röntgenuntersu- chungen (Risiko-Nutzen-Abschät- zung) bleibt die Röntgenologie ein unverzichtbarer Bestandteil aller Untersuchungsverfahren in der Ar- beitsmedizin. Bei Beachtung der Bestimmungen der RöV ist davon auszugehen, daß der Nutzen der Röntgenuntersuchung in der Ar- beitsmedizin zur Früherkennung bzw. Abwendung von Berufskrank- heiten und arbeitsbedingten Er- krankungen höher einzustufen ist als das hieraus resultierende Strahlenrisiko. Der röntgenolo- gisch tätige Arbeitsmediziner muß keinen Diagnoseverzicht leisten.
Er hat auch nicht eine fehlerhafte Unterlassung einer Röntgenunter- suchung zu befürchten. Die Rönt- genologie in der Arbeitsmedizin ist ähnlich anderen präventiven Rönt- genuntersuchungen, z. B. der Mam- mographie, mit den Bestimmungen der RöV durchaus in Einklang zu bringen, sie hat entsprechend § 21 ihre Indikationen.
Literatur
(1) Verordnung über den Schutz vor Schä- den durch Röntgenstrahlen (Röntgenver- ordnung — RöV) vom 1. März 1973, BGBl.
I S. 173 — (2) Strahlenschutz, Schutz des Patienten in der Röntgendiagnostik, Veröf- fentlichungen der Internationalen Strahlen- schutzkommission ICRP, Heft 16, G. Fi- scher-Verlag, Stuttgart, 1974 — (3) Stieve, F. E.: Strahlenschutzkurs für Ärzte, Strah- lenschutz des Patienten, Verlag H. Hoff-
mann, Berlin, 1974 — (4) Zerlett, G.: Rönt- genverordnung, 2. Auflage, Verlag W. Kohl- hammer, Köln, 1974.
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Wilhelm Heinen Dr. med. Georg Zerlett
Arbeitsmedizinisches Zentrum der Rheinische Braunkohlenwerke AG Wickratherhofweg 27
5000 Köln 40 (Weiden)
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 31. März 1977 895