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Archiv "Interview: Ziemlich beruhigt" (19.03.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 11

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19. März 2010 A 497

Das Leser-Forum

Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns Kürzungen vorbehalten. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.

INTERVIEW

Der Bundesgesund- heitsminister erläu- terte die Grundzüge seiner Politik (DÄ 6/2010: „Interview mit Dr. med. Philipp Rösler: ,Ich kann nicht mehr Geld versprechen, aber ein faireres System‘“ von Sabine Rieser und Heinz Stüwe).

Erschreckend glatt

Die vom DÄ gut und lebensnah ge- stellten Fragen beantwortet der Bundesgesundheitsminister mit er- schreckender Glattzüngigkeit. Von der Diskussion über Priorisierung nichts zu halten, stattdessen auf ei- ne bessere (marktwirtschaftliche- re?) Organisation des Gesundheits- wesens zu setzen, muss wohl als Signal verstanden werden, dass das BMG nur begrenzt mit heißen Ei- sen befasst werden soll. Richtig wäre gewesen, zumindest anzuer- kennen, dass die Priorisierungsdis- kussion ansteht. Natürlich hat der Minister recht, dass unstreitig zu erbringende Aufgaben nicht ratio- niert werden dürfen.

Welche Tautologie! Die Frage ist doch gerade, welche Aufgaben streitig sind. Anders gesagt: Ange- sichts limitierter Mittel erfolgt schon jeden Tag eine Bewertung, teils durch Ärzte am Krankenbett, teils durch den G-BA, vielleicht durch das IQWiG, vielleicht durch Sozialfachangestellte in Prüffunk- tionen bei Kostenträgern. Mit seiner Suggestion, es sei ein Gebot ärztli- cher Ethik, das Bewerten zu ver- weigern, verkürzt der Bundesminis- ter die Sache unzulässig. Jedes Sys- tem hat Grenzen, nie können die Mittel unendlich sein, immer wird

es Interventionen geben mit einem nicht akzeptablen Kosten-Nutzen- Verhältnis. Priorisierung ist imma- nent und nicht unethisch. Im Ge- genteil wäre es unethisch, real exis- tierende Budgets durch Verweige- rung von Reflexion über Prioritäten schlecht zu nutzen.

Allerdings ist das unausweichliche Bewerten von Prioritäten seiner Na- tur nach nicht Medizin und nicht Wissenschaft, sondern ein politi- scher Akt von Wertentscheidungen, die einer demokratischen Kontrolle unterliegen müssen, weil es um den Umgang mit zwangssolidarisch auf- gebrachten Mitteln Dritter geht.

Niemand anders als der Bundesmi- nister für Gesundheit wäre mehr prädestiniert, einen politischen Pro- zess zu organisieren mit der Funkti- on, gesamtgesellschaftlichen Kon- sens zu erarbeiten über Eckpunkte von Priorisierung. Der Bewertungs- vorgang benötigt Fakten zur Quan- tifizierung des Nutzens, die es zu ei- nem guten Teil noch gar nicht gibt.

Es gäbe also viel zu organisieren.

Dr. med. Mathias Bertram, 22457 Hamburg

Raucher sollten mehr zahlen

Die Ablehnung der Priorisierung ist ungerecht. Warum sollte ein Typ-2- Diabetiker mit einem BMI > 30 die- selben Beiträge bezahlen wie ein Patient, der sich gesund ernährt und bewegt (Typ-2-Diabetiker nehmen circa 18 Prozent des gesamten Etats in Anspruch). Warum sollten Rau- cher über den Packungspreis nicht mehr zur (Kranken-)Kasse gebeten werden? Heute zahlen sie weniger über DMP-DM, -KHK und -COPD und Praxisgebühren und werden auch noch belohnt. Wer sich riskant verhält, bezahlt einfach

mehr wie in der Autoversicherung.

Bei unverschuldeten Erkrankungen gilt die volle Solidarität. Auch sollte die private Unfallversicherung Pflicht sein (1,5 Millionen Sportun- fälle/Jahr), dabei zahlen Drachen- flieger und Skifahrer sicher höhere Beiträge als Walker. Wo ist die Soli- darität mit denen, die einen ver- nünftigen Lebensstil haben? So sollten die Zusatzbeiträge indivi- dualisiert werden, dann wäre es ge- recht.

Dr. Eveline Krieger-Dippel, 81667 München

Ziemlich beruhigt

Nach der Lektüre blicke ich ziem- lich beruhigt in die Zukunft. Nach der Flickschusterei ist da jetzt einer, der die Sache gründlich angeht. Erst die gründliche Diagnose – wie denn anders? Und alle Ärzte wissen, dass die einige Zeit kosten kann.

Mir tun schon lange die Patienten leid. Man hat sie gemolken und oft mit falschen Therapien abgespeist.

Das lag nicht an der Ärzteschaft, sondern an den Funktionär(inn)en, gegen die der einzelne Arzt kaum eine Chance hat. In NRW ist es sprichwörtlich, dass ein Kassenarzt gegen die Kassenärztliche Vereini- gung vor dem Sozialgericht nicht obsiegen kann.

Zu Recht hat Herr Dr. Rösler den

§ 73 b SGB V genannt als Beispiel der Patientenentrechtung. Die freie Arztwahl ist heilig. Natürlich führt sie zu einigen unnötigen Konsulta- tionen, aber die haben einen Grund:

Der Patient fühlt sich bisher nicht richtig behandelt. Sein Recht, dann woanders sein Heil zu suchen, darf nicht angetastet werden.

Einen Arzt, der dem Patienten be- wusst schaden will, habe ich in meinem ganzen Leben nur sehr sel- D

h t s 6 m R nicht mehr Geld vers

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19. März 2010 ten getroffen. Einen Arzt, der be-

trügt, obwohl er sein gerechtes Aus- kommen hat, etwas häufiger, aber immer noch nicht oft. Unter diesem Aspekt sind der Kontrollwahn und die daraus abgeleitete Dokumentati- onspflicht der Frau Schmidt krank- haft . . .

Dr. med. Heinz Gerhard Vogelsang, 47802 Krefeld

Schade

Schade, Herr Rösler: Es dürfte wohl endgültig klar sein, dass er, wie- wohl Kollege, echte finanzielle Ver- besserungen für Ärzte und andere Leistungserbringer scheut wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen ganz wie Frau Schmidt (SPD) ein windelweiches „Verbesserungen für alle, vor allem die 80 Millionen Versicherten“. Das Ganze garniert mit blumigen Formulierungen wie Lob des „enormen Einsatzes der Ärztinnen und Ärzte“, die „wieder Freude am Beruf haben sollen“.

Selbstverständlich „mehr Verant- wortung, weniger Bürokratie“. Na ja. „Druckreif, aber ausweichend“ – der Kommentar passt exakt.

Und das ebenfalls windelweiche

„Fair“ statt „Gerecht“ oder „Solida- risch“– Hört, hört! Nein: „Gerech- tigkeit“ und „FDP“ – das geht halt nicht zusammen. Es rettet uns kein höh’res Wesen, das müssen wir schon selbst tun. Mit massenhaften und fantasievollen Demonstrationen und Aktionen, zum Beispiel nach dem Muster der Medi-Aktionen letztes Jahr in Baden-Württemberg und Bayern. Auf geht’s!

Dr. med. Peter Görgler, 70372 Stuttgart

Mutiert

Das Interview mit dem neuen Ge- sundheitsminister Dr. Philipp Rös- ler, abgedruckt im DÄ, zeigt auf beeindruckende Weise, wie viel- seitig Ärzte sein können. Die Mu- tation eines Arztes zum geschmei- digen Gesundheitspolitiker schrei- tet hier bemerkenswert rasch und fließend fort. Die zentrale These des neuen Ministers unterscheidet sich nicht erkennbar von der seiner Vorgängerin: Es ist genug Geld da für alles und für alle. Auch seine Einstellung in der Diskussion über

die Priorisierung, von unserem Präsidenten Prof. Hoppe epochal und verdienstvoll angestoßen, ist dieselbe. Neu ist die Begründung, denn er ist selbst Arzt: Unter dem Vorwand, er könne eine Priorisie- rung „mit seinen ethischen Vor- stellungen als Arzt nicht in Ein- klang bringen“, wird weiterhin die tagtäglich stattfindende Rationie- rung auf dem Rücken und auf dem Gewissen der draußen tätigen Ärz- te abgeladen, statt den dringend überfälligen gesellschaftlichen Konsens eben einer Priorisierung anzustreben. Dieser Konsens wür- de nämlich allen Beteiligten eine gerechte Verantwortung auferle- gen, die offenbar gescheut wird.

Wollen wir hoffen, dass die freundliche Hoffnung unseres Prä- sidenten auf einen langsamen Wandel zu einer besseren Gesund- heitspolitik nicht von der raschen oben genannten Mutation überholt wird.

Prof. Dr. Bernd Rieck, 31134 Hildesheim

Was ethisch geboten ist

Wie dem Interview des Gesund- heitsministers an ganz prominenter Stelle zu entnehmen ist, wider- spricht eine Priorisierung medizini- scher Leistungen seinen ethischen Vorstellungen. Dass man jedem al- les geben muss, ist ja eigentlich die luxuriöse Sichtweise eines Heili- gen, gehört aber sicherlich nicht zur Haltung, die der höchste Ver- antwortliche für das Gesundheits- system einnehmen sollte. Seine ureigenste Aufgabe wäre es, die immer (!) beschränkten Mittel optimal zum Wohl aller zu verteilen und nicht, sich seinen altruisti- schen Fantasien hinzugeben. Nun glaube ich nicht, dass Herrn Rösler das Prinzip der Priorisierung im medizinethischen Kontext unbe- kannt ist – das wäre auch zu trau- rig. Denn: Eine transparente Priori- sierung von Leistungen ist funda- mentaler Bestandteil einer jeden ethisch verantworteten Entschei- dung – zumindest auf einer höhe- ren organisatorischen Ebene. Wer dies leugnet, leistet einer verdeck- ten Rationierung Vorschub und dies sicherlich nicht zum Wohle

der Patienten. Wem es nützt? Dar - über kann man spekulieren – aber ethisch wäre eine solche Haltung nicht.

Was allerdings ethisch geboten ist, ist eine offene und sachliche Priori- sierungsdebatte unter Einbeziehung aller Fachverbände, der Standesver- tretungen und der Industrie. Dass ein solches Projekt unendlich schwierig ist und jederzeit davon bedroht ist, von Partikularinteressen zerrieben zu werden, muss jedem klar sein. Die Bundesregierung täte gut daran, eine solche Debatte mit allen Kräften zu unterstützen. Ist sie doch wahrscheinlich die einzige Autorität, die in der Lage wäre, die allgegenwärtigen Interessenvertre- ter und Lobbyisten zur Raison zu bringen.

Dr. Gregor Scheible, 81675 München

Der Clou

Das ist ja köstlich: Minister und Kollege Philipp Rösler versteht das neue Abrechnungssystem mit RLV und extrabudgetären Leistungen nicht und ist damit nicht allein.

Er versteht aber auch uns Hausärzte nicht, wenn er sich gegen den

§ 73 b SGB V positioniert. Wir können mit dem Regelleistungsvo- lumen (Westfalen-Lippe ist Schlusslicht mit knapp 25 Euro) nicht die hausärztliche Rundumver- sorgung über drei volle Monate Tag und Nacht stemmen. Wir haben nun mal höhere Medikamentenbudgets, weil wir die der Fachärzte regelmä- ßig mit übernehmen müssen. Und wir machen die meist unbezahl- ten Hausbesuche, weil Fachkolle- gen sich für so etwas zum Teil schon sehr lange zu schade sind.

Apotheker bekommen ein (Schub- laden-)Entnahmeentgelt von 8,20 Euro pro Packung selbst bei billigs- ten Generika. Bei drei Positionen auf einem Rezept wird auf der Ein- nahmenseite fast ein ganzes RLV verbucht, was bei uns für drei Mo- nate laufende Ausgaben reichen soll. Und zugleich wird über zu ho- he Arzneipreise lamentiert.

Der Clou ist allerdings, dass Herr Kollege als gelernter Augenarzt . . . nicht mal genau hinschauen mag.

Sein Kopfpauschalenmodell in An-

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Referenzen

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