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Psychologische Aspekte ethisch geleiteten Verhaltens HERMANN

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Academic year: 2022

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Psychologische Aspekte ethisch geleiteten Verhaltens H

ERMANN

K

REXNER

Bei der Demonstration der Globalisierungsgegner in Genua ereignete sich laut Berich- ten der Presse folgender Vorfall: Ein Demonstrant stürmt mit zum Wurf erhobenem Feu- erlöscher auf ein offenes Polizeifahrzeug zu. Einer der Polizisten im Fahrzeug schießt. Der Demonstrant wird durch den Schuss getötet. Dieser Vorfall zeigt uns die Komplexität menschlichen Handelns. Ein Modell der drei Ebenen hilft etwas zum Verständnis. Die erste Ebene kann psychophysisch genannt werden. Auf dieser Ebene sind psychische Vorgänge mit körperlichem Wohlbefinden bzw. Unwohlsein verbunden. Das Objekt, das Abhilfe schafft, entspricht genau dem physischen Bedürfnis: z. B. Schlaf bei Müdigkeit, Trinken bei Dehydration.

Die zweite Ebene kann psychosozial genannt werden. Hier geht es um Bedürfnisse nach Zuneigung, Anerkennung, Selbstwert, um das Bedürfnis mit anderen zusammen- zuwirken, das Bedürfnis, Schmerz zu vermeiden usw. Diese Bedürfnisse werden in den Beziehungen der Menschen untereinander gelebt und beantwortet. Verständnis für die Welt, das Leben und seine Möglichkeiten und Anforderungen ist notwendig. Es gibt nicht mehr die eindeutige Zuordnung von Bedürfnis und Objekt der Beantwortung wie auf der ersten Ebene. Sondern es gibt viele Wege Bedürfnisse zu leben und zu beant- worten.

Die dritte Ebene kann geistige Ebene genannt werden. Auf dieser Ebene stellen sich die Fragen nach dem Sinn des menschlichen Lebens, nach Verantwortung und Ethos;

auch die Frage nach dem Ethos des Soldaten.

Diese drei Ebenen wirken immer zusammen. Der Mensch hat relativ wenig Instinkt:

d.h. es gibt kaum vorgegebene Verhaltensweisen, die er nicht auch lassen oder modifi- zieren könnte. Das gilt auch schon für die erste Ebene. Gegen das Schlafbedürfnis kann der Mensch ankämpfen, wenn er Hunger hat, muss er trotzdem nicht essen, er muss auch nicht unbedingt trinken.

Ein weiteres wesentliches Element, das den Menschen auszeichnet, ist das Vermögen, Situationen und Eindrücke bewusst zu bewerten und zu interpretieren. Nimmt der Mensch etwas wahr, wird es unmittelbar, ohne Reflexion, als unangenehm oder als angenehm im weitesten Sinn dieser Begriffe erlebt. Auch dieses Erleben ist wenig instinktgesteuert. Es hängt mit Erfahrungen, Prägungen, Charakter und genetischen Elementen zusammen. Wir wissen darüber noch sehr wenig. Nach der ersten unmittel- baren Bewertung kann eine zweite Bewertung erfolgen. Sie geschieht bewusst, die Per- son reflektiert den ersten Eindruck bzw. wie und wodurch er entstanden ist. Auch die dritte Ebene kann nun zum Tragen kommen. Die erste Bewertung kann so modifziert werden. Auch eine Neubewertung ist möglich.

Angewandt auf das oben genannte Ereignis von Genua: Die erste Bewertung des Poli- zisten war: höchste unmittelbare Bedrohung. Die Bedrohung wird durch Angst ange- zeigt. Wenn Angst auftritt, werden alle biochemischen Voraussetzungen getroffen, dass das dem Menschen mögliche Höchstmaß an Abwehrbereitschaft zur Verfügung steht.

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Abwehr kann heißen: davonzulaufen oder auf das Bedrohliche loszugehen. Dass es sich um ein offenes Fahrzeug handelte, erhöhte den Eindruck der Gefährdung, durch das Wurfgeschoss getroffen zu werden. Die Bedrohung wurde auch dadurch erhöht, dass der Gegenstand hätte explodieren können. Der Polizist saß nicht am Steuer des Wagens, er hatte also nicht die Möglichkeit auszuweichen. Vom Wagen in die tobende Menge zu springen war auch kein Ausweg. Was hätte er tun sollen? Welche Möglichkeiten blieben ihm? Dem Wurfgeschoss auszuweichen war unmöglich. Daher betätigte er den Abzug der Waffe. Das Erfassen der Bedrohung führt zur Handlungsbereitschaft. Höchstwahr- scheinlich war das die einzige Aktion, die er in diesem Augenblick setzen konnte.

Dieser Polizist kann ein Mensch mit einer hohen ethischen Überzeugung sein. Die Frage ist: Wie kann er das in einer Situation höchster unmittelbarer Bedrohung noch leben? Gab es in seiner Situation noch Handlungsspielraum? Wenn ja, war er nicht in der Lage, ihn auszuschöpfen? Was müsste gelernt werden, damit das möglich ist? Ist das überhaupt möglich? Oder war seine Reaktion die angemessene Antwort auf diese besondere Bedrohung? Wenn ja, hat er ethisch richtig gehandelt. Ist ein Urteil darüber wirklich möglich?

Diese Fragen stellen sich auch für den Soldaten, der im Kampfeinsatz hohen Belas- tungen und Bedrohungen ausgesetzt ist. Die Schwierigkeit ist, dass der Ernstfall nicht geprobt werden kann, weil dabei die reale Bedrohung nicht besteht. Im Training kann keine Erfahrung mit der Wirklichkeit des Kampfeinsatzes gemacht werden. Es können nur bestimmte Abläufe und Tätigkeiten geübt werden.

Psychologisches Beschreiben und Analysieren kann helfen, die Unangemessenheit von Moralisieren und Verurteilen aufzuzeigen. Es zeigt die Grenzen menschlichen Ver- haltens auf. Ethos kann nur in gemeinsamer sittlicher Verantwortung verwirklicht wer- den. Je mehr unmittelbare Bedrohung da ist, desto weniger Spielraum ist, einander das Leben zu bewahren und ethische Überzeugungen zu verwirklichen.

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