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Archiv "Sachverständigenrat/Konzertierte Aktion: Rationierungen vermeiden" (08.11.1996)

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ie Sozialabgabenquote (Anteil der Sozialabgaben am BIP) nahm im Gegensatz zur Steu- erquote, also dem Anteil der Steuern, bezogen auf das Brutto-In- landsprodukt (BIP), in den vergange- nen Jahren überdurchschnittlich zu.

Das stellt der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion in seinem neuen Gutachten fest. Seit 1974 ist dies in erster Linie eine Folge der stark ge- stiegenen Pflichtbeiträge zur Arbeits- losenversicherung, aber auch teilweise der seit 1970 um vier Prozentpunkte gestiegenen Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Umge- rechnet als Relation zum Brutto-In- landsprodukt stiegen diese von knapp fünf Prozent im Jahr 1974 über knapp sechs Prozent im Jahr 1990 auf heute über sieben Prozent.

Die „Gesundheitsquote“ (also die Gesamtausgaben für die Funktion

„Gesundheit“, gemessen am Brutto- sozialprodukt) lag in Deutschland im vergangenen Jahr bei rund 9,5 Pro- zent, wohingegen die vergleichbare Gesundheitsquote in den USA bei 14,3 Prozent lag. Dabei ist zu berück- sichtigen, daß in Deutschland rund 98 Prozent der Bevölkerung gesetzlich und privat gegen das Krankheitsrisiko versichert sind, wohingegen in den USA nur 30 Prozent der Bevölkerung Versicherungsschutz genießen und viele ältere und sozial Schwache so- wie junge US-Bürger gegen das Krankheitsrisiko überhaupt nicht Vorsorge getroffen haben.

Die Abgabenquote betrug 1993 rund 39 Prozent, lag mithin zwei Pro- zentpunkte unter dem EU-Niveau (41 Prozent) und geringfügig über dem Niveau der OECD-Staaten (38,5 Pro- zent), aber deutlich über der Quote in den USA und in Japan. Diese Länder

weisen eine im Vergleich zu Deutsch- land um 10 Prozentpunkte niedrigere Abgabenquote aus. Die gestiege- ne Abgaben- und Sozialleistungsquote ist auch ein Reflex

auf die geänder- ten Rahmenbedin- gungen und die verschlechterte de- mographische Ent- wicklung, den me- dizinischen Fort- schritt, die Inan- spruchnahme durch die Anspruchsbe- rechtigten, das ver- änderte Morbidi- täts- und Morta- litätsrisiko und die größeren Behand- lungsmöglichkeiten bei wachsender Lebenserwartung.

Nachfrageinduzie- rend wirkt sich die Senkung der Sterb- lichkeitshäufigkeit in allen Altersgrup- pen seit Anfang des Jahrhunderts aus.

Andererseits ist die Lebenserwartung von 1950 bis 1990 im Durchschnitt zwischen 3,5 und 4 Jahren gestie- gen, bei Frauen überdurchschnitt- lich. Der demo- graphisch bedingte Morbiditätswandel führt zwar zu einer Abnahme des In- terventionsbedarfs kurativer Leistun- gen in den höch-

sten Altersgruppen, allerdings steigt die Nachfrage an pflegerischen Lei- stungen überdurchschnittlich.

Der Rat erwartet einen Zusatz- versorgungsbedarf insbesondere bei obstruktiven Lungenerkrankungen, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor allem im operativen und rehabili- tativen Bereich ebenso wie bei Er- krankungen des Urogenitaltraktes, bei Krebserkrankungen, im Bereich der Erkrankungen des Bewegungsap- parates, bei Erkrankungen des Seh- und Hörsinns sowohl im ärztlichen als auch im nichtärztlichen Bereich und vor allem bei der geriatrischen und gerontopsychiatrischen Versorgung der Bevölkerung. Unausgeschöpft sei

P O L I T I K AKTUELL

Sachverständigenrat/Konzertierte Aktion

Rationierungen vermeiden

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat in seinem Jahresgutachten unter dem Titel „Gesundheitswesen in Deutschland: Kostenfaktor und Zu- kunftsbranche“ empfohlen, noch vorhandene Spar- und Rationalisierungsreserven im Ge- sundheitswesen zu mobilisieren. Andererseits sei der dynamisch wachsende Gesundheits- sektor ein beschäftigungsrelevanter Wirtschafts- und Wachstumsfaktor der Volkswirtschaft.

Tabelle

Geschätzter mittelfristiger Zusatz-/Minderbedarf nach medizinischen Bereichen

medizinischer Bereich Zusatzbedarf (und Probleme) Infektiöse Erkrankungen

– AIDS rückläufig

– sonstige niedrig

Pädiatrie rückläufig

Neugeborenen-Intensivbehandlung rückläufig

Geburtshilfe, Gynäkologie rückläufig / gleichbleibend

Alzheimer niedrig

Augen (OP) moderat

Bewegungsapparat moderat

Bildgebende Verfahren moderat (Additions- und Nutzenprobleme)

Diabetologie moderat (Präventions-,

Qualifizierungsprobleme) Lungen-/Atemwegserkrankungen moderat

Orthopädie (OP, Reha) moderat (Evaluations-/

Qualifizierungsprobleme) Pädiatrische Pulmologie / Kardiologie moderat

Psychiatrie (bzw. Gerontopsychiatrie) moderat (Struktur-, Evaluationsprobleme)

Kardiologie hoch (Evaluations-/

Indikationsprobleme) Laser-, minimal invasive Chirurgie hoch (Qualitäts- und

Indikationsprobleme)

Neurochirurgie hoch

Onkologie hoch (Evaluationsprobleme)

Präventivmedizin hoch (Perzeptions-, Forschungs-, Struktur- und Evaluationsprobleme) Rehabilitation hoch (Struktur-, Qualifizie-

rungsprobleme)

Urologie hoch (Evaluationsprobleme)

Aus dem Sachverständigengutachten, Oktober 1996

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Die neuen Verordnungen zur Einschränkung der kassenärztlichen Leistungen stehen im Widerspruch zur Epidemiologie von Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane und zur Wirksamkeit orthopädischer Leistun- gen in Klinik und Praxis. Nach neue- ren Untersuchungen ist die erste ernst- hafte behandlungsbedürftige Erkran- kung im Leben eines Erwachsenen oft eine orthopädische, wie zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall, Meniskus- oder Sprunggelenkschaden.

Die meisten Arbeitsunfähig- keitstage werden durch Skelett- und Muskelerkrankungen verursacht – mit zunehmendem Trend. Orthopädi- sche Erkrankungen überwiegen auch als Ursache für vorzeitige Rentenge- währung wegen Berufs- und Erwerbs- unfähigkeit. Um diese „Volkskrank- heiten“ adäquat angehen zu können, steht in Deutschland zur Zeit noch ein gut gestaffeltes orthopädisches Ver- sorgungssystem zur Verfügung.

In der orthopädischen Praxis lie- gen Schwerpunkte in der Infiltra- tionstherapie zur Orthopädischen Schmerztherapie (DÄ 30, 1996) sowie in der Besserung von Form- und Funktionsstörungen durch Chirothe- rapie, Physiotherapie, orthopädische Hilfsmittel und Prävention. Vielfach, in Deutschland mehr als in vergleich- baren anderen Ländern, vermeiden Orthopäden in der Praxis mit ihren Maßnahmen Krankenhausaufenthal- te und Operationen.

Frühmobilisation durch Hilfsmittel

So werden zum Beispiel Band- scheibenoperationen pro 100 000 Einwohner in den USA viermal häu- figer durchgeführt als in Deutschland.

Wenn das Praxisbudget der Orthopä- den nicht den tatsächlichen Leistun- gen angepaßt wird, sind vermehrte Klinikeinweisungen zu erwarten, was

letztlich Kostensteigerung bedeutet.

In der nächsten Stufe der Gesund- heitsreform ist vorgesehen, auch wichtige orthopädische Hilfsmittel aus der Leistungspflicht der Kranken- kassen zu nehmen.

Dagegen wehrt sich die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie entschieden, denn nach Verletzungen und Operationen erlauben orthopädische Hilfsmittel eine Frühmobilisation des Patienten, was wiederum den stationären Auf- enthalt verkürzt. Standards und Qua- litätssicherung bei orthopädischen Hilfsmitteln sind durch feste Indikati- ons- und Ausführungsbestimmungen gegeben.

Trotz Fortschritten in der konser- vativen Behandlung von Wirbelsäu- lenerkrankungen müssen sich immer noch zahlreiche Patienten einer Bandscheibenoperation unterziehen.

In Deutschland werden jährlich 20 000 Eingriffe dieser Art durchge- führt. Der Trend geht zur minimal in- vasiven offenen Operation mit dem Mikroinstrumentarium. Bei anlage- bedingten Fehlbildungen (Skoliose, Wirbelgleiten), bei Tumoren und nach bestimmten Wirbelbrüchen sind größere Operationen erforderlich.

Durch Implantate, die zum Teil auch endoskopisch eingesetzt werden können, ist es heute möglich, die Wir- belsäule sofort zu stabilisieren. Dann können die Patienten direkt nach der Operation aufstehen und nach einer Woche bis zehn Tagen das Kranken- haus verlassen. Dieser Fortschritt hat natürlich seinen Preis.

In der Klinik ergibt sich die Lei- stungsbegrenzung insbesondere durch Deckelung des Budgets. Neu- entwicklungen und strukturelle Än- derungen werden nicht berücksich- tigt. Große Wirbelsäulenoperationen und andere aufwendige spezielle Ein- griffe müssen über den Abteilungs- pflegesatz abgerechnet werden. Dem- nächst können Orthopäden diese A-2920 (28) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996

P O L I T I K AKTUELL

Orthopädie im Schatten der Gesundheitsreform

Therapie-Fortschritt

geht am Patienten vorbei

das Präventivpotential insbesondere zur Verhinderung der Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Er- krankungen der Atemwege (insbe- sondere Allergien) und bei Unfällen.

Rationalisierungsreserven müß- ten insbesondere auch in folgenden Bereichen mobilisiert werden:

l wesentliche Verringerung der routinemäßig vorgenommenen Rönt- genuntersuchungen und von präope- rativen Diagnostiken;

l Einschränkung oder Wegfall der Knochendichtemessung als Scree- ning-Methode bei beschwerdefreien Personen;

l ein großer Teil der durchge- führten Arthroskopien ist nach Ein- schätzung des Rates „nicht notwen- dig“;

l in der Diagnostik und Thera- pie der in der ambulanten Versorgung häufig unkomplizierten Rücken- schmerzepisoden gebe es ebenfalls Sparreserven;

l bei den Gesundheitsunter- suchungen (Gesundheits-Check up) werde in mehr als der Hälfte der Fälle ein Ruhe-EKG ohne ausreichende In- dikation durchgeführt;

l bei einer Gallenblasenentfer- nung könnten 20 Prozent der Kosten gespart werden, falls das offen-chirur- gische vermehrt durch das laparosko- pische Verfahren ersetzt würde.

Sparreserven und teilweise Mißwirtschaft mutmaßen die Sach- verständigen auch im Krankenhaus- sektor. Hier müßte den Kliniken mehr Entscheidungsbefugnis im Investiti- onsbereich eingeräumt werden, ob- wohl die Dualistik der Finanzierung weiter gilt und die Länderaufsichts- behörden mitmischen. Obwohl von den gesamten Krankenhauskosten nur etwa 10 bis 15 Prozent auf die In- vestitionskosten entfallen, sind diese entscheidend für die Dimensionie- rung und den Einsatz der übrigen 85 bis 90 Prozent der laufenden Betriebs- kosten. Dringlich ist aus der Sicht des Rates die Durchschlagskraft der Be- triebsführung, deren Leitungskompe- tenz zu verbessern sei. Da im Kran- kenhaus rund 70 Prozent der Kosten auf die Personalkosten entfallen, müs- se dieser Sektor streng überwacht werden. Investitionen im Aus- und Weiterbildungssektor seien zumeist effizient. Dr. Harald Clade

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Knochenmark, Leber, Milz, Thymus und das Lymphsystem, meh- rere Dutzend unterschiedlicher Zel- len sowie mehr als hundert Signalstof- fe, Hormone und die dazugehörigen Rezeptoren – das zwei Kilogramm schwere Immunsystem des Menschen ist heute ein beliebig kompliziertes Netzwerk. Kaum zu glauben, daß die meisten Details noch vor etwa 35 Jah- ren völlig im dunkeln lagen, als die deutschen Professoren Klaus Rajew- ski und Fritz Melchers sowie der Australier Prof. Sir Gustav J. V. Nos- sal ihre wissenschaftlichen Karrieren begannen.

Heute leitet das Triumvirat (Nos- sal ist emeritiert) nicht nur Institute, die zu den weltweit besten Adressen der Immunologie gehören; die Wis- senschaftler haben auch einen we- sentlichen Teil des Rahmens errich- tet, in das heute täglich neue moleku- lare Details eingepaßt werden. Für diese Leistungen erhielten Rajewski und Melchers jetzt den mit 100 000 Mark dotierten Robert-Koch-Preis, Nossal für sein Lebenswerk die Robert-Koch-Medaille in Gold.

Das Hauptinteresse aller drei galt den Antikörper produzierenden B-Zellen. Nossal gelang 1958 der Ein- stieg in die Immunologie mit einem Paukenschlag: Er konnte die für das Verständnis der Immunantwort fun- damental wichtige Idee beweisen, daß jede der vielen Milliarden B-Zellen nur je einen Antikörpertyp herstellt.

Die dazu von ihm entwickelte Metho- de war Grundlage für weitere elegan- te Experimente, darunter der Nach- weis, daß Antikörper schon vor dem ersten Kontakt mit einem Antigen eine festgelegte Form besitzen und daß der Klassenwechsel nicht die Spe- zifität verändert.

Außerdem wies Nossals Gruppe nach, daß gegen den eigenen Körper gerichtete B-Zellen inaktiviert wer- den können. Die Stiftung würdigte auch sein Engagement bei der Ent-

wicklung von Impfstoffen für Ent- wicklungsländer. Nossal leitet heute einen Ausschuß des Immunisierungs- programms der Weltgesundheitsorga- nisation.

Mit Melchers und Rajewski wür- digte die Stiftung zwei Forscher, de- ren Arbeiten sich fast ideal ergänzt haben, weil sie sich auf unterschiedli- che Abschnitte im Lebenslauf einer B-Zelle konzentrierten. Melchers Hauptinteresse liegt auf der Zeitspan- ne, bis eine B-Zelle ihren ersten Kon- takt zu einem Erregerantigen hat. Be- vor die aus dem Knochenmark stam- menden Zellen nämlich im Blut auf- tauchen, haben sie insgesamt sieben Prüfungen zu bestehen, die ihr Funk- tionieren sicherstellen.

Tatsächlich erreichen die meisten jungen B-Zellen das Ziel nie. Eine von Melchers’ Entdeckungen, der seit 1980 das Baseler Institut für Immuno- logie in der Schweiz leitet, war ein neues Element des unreifen Antikör- pers, die sogenannte Pre-B-L-Kette.

Diese Kette ist an der Koordination jener Phase in der Entwicklung einer jungen B-Zelle beteiligt, in der sie nacheinander die Gene für die leichte und schwere Kette ihres Antikörpers aus zwei „Genbaukästen“ zusammen- würfelt.

Weitere Kontrollen stellen si- cher, daß Zellen mit autoaggressiven Antikörpern aus dem Verkehr gezo- gen werden, bevor sie Schaden an- richten können. Autoimmunkrank- heiten sind ein Beleg, daß das nicht immer perfekt geschieht.

Die Arbeiten Klaus Rajewskis konzentrieren sich auf die Reaktio- nen, die eine reife B-Zelle zeigt, nach- dem sie Kontakt mit einem Erreger- antigen hat. Ihr Antikörper ist vor dem ersten Antigenkontakt lediglich ein Rohling – also weit davon ent- fernt, eine perfekte Waffe zu sein. Ra- jewski leistete entscheidende Beiträ- ge in der Frage, wie es B-Zellen inner- halb von zwei Wochen bewerkstelli-

P O L I T I K AKTUELL/MEDIZINREPORT

Operationen nur noch in beschränk- tem Umfang durchführen. Werden Fallpauschalen für die chirurgische Orthopädie eingeführt, betreffen sie einige Standardoperationen, wie Hüftendoprothesen bei Koxarthro- sen, die auch in chirurgischen Klini- ken operiert werden können. Schwere Dysplasiekoxarthrosen, die vor allem in den großen orthopädischen Klini- ken operiert werden und viel aufwen- diger sind, fallen unter die gleichen Fallpauschalen.

Stationäre Reha häufig günstiger

Minimal invasive Eingriffe und bessere, allerdings auch teure Opera- tionstechniken haben den stationären Aufenthalt in Orthopädischen Akut- kliniken verkürzt. Die Nachbehand- lung nach größeren Eingriffen, zum Beispiel nach Implantation einer Hüftgelenksendoprothese, muß aber weiterhin gewährleistet sein. Die Pati- enten kommen früher und damit län- ger in die Nachbehandlungskliniken, die einen günstigeren Tagespflegesatz als die Akutkliniken aufweisen.

Die Kapazität dieser nicht-ope- rativ eingerichteten Kliniken sollte noch aus einem weiteren Grund er- halten bleiben: Für viele orthopädi- sche Erkrankungen – vor allem an der Wirbelsäule – ist eine stationär durch- geführte konservative Therapie die bessere Alternative zur Operation.

In den Orthopädischen Akutkli- niken fehlen für diese Patienten die Bettenkapazitäten, so daß orthopä- disch konservativ zu behandelnde Pa- tienten vielfach in fachfremden inter- nistischen oder chirurgischen Abtei- lungen zum Akutpflegesatz behandelt werden. Ein entsprechender Versor- gungsauftrag an Orthopädische Re- hakliniken zur konservativ sta- tionären Akutbehandlung wäre nicht nur medizinisch notwendig, sondern auch kostengünstiger.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Jürgen Krämer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie Orthopädische Universitätsklinik St. Josef-Hospital, Gudrunstraße 56 44791 Bochum

Robert-Koch-Preis für immunologische Spitzenforschung

Vom aufregenden

Lebenslauf einer B-Zelle

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gen, die Antikörper zu exakt passen- den Maßanfertigungen zurechtzufei- len. Dabei geschieht Evolution im Zeitraffer: Durch Mutation der Anti- körpergene während der Zellteilung entsteht eine Population von Tochter- B-Zellen mit leicht abgewandelten Antikörpern. Der Erreger selbst sti- muliert dann jene Zelle zum schnell- sten Wachstum, die den besten Anti- körper herstellt.

Rajewski, der seit 1966 die Abtei- lung Immunologie am Institut für Ge- netik der Kölner Universität leitet, hat zudem miterarbeitet, daß B-Zel- len zur Aktivierung neben einem An- tigen auch Kontakt- und Hormonsi- gnale von T-Zellen benötigen. In jün- gerer Zeit bemüht sich Rajewski um enge Verknüpfung der Grundlagen- mit der medizinischen Forschung. Mit einer Methode, die die genetische Analyse einzelner Zellen aus ei- nem Gewebeverbund – etwa einem Lymphknoten – erlaubt, gelang seiner Gruppe beispielsweise der weltweit seit Jahren versuchte Nachweis, daß der Hodgkin-Tumor tatsächlich eine klonale Erkrankung ist. Klaus Koch

M

ögliches Ziel eines vor kur- zem in Hannover genehmig- ten Projekts ist die Implan- tation embryonaler mensch- licher Zellen in das Gehirn von Mor- bus-Parkinson-Patienten. Diese klini- sche Anwendung sei jedoch nicht In- halt der jetzigen Entscheidung, be- tonte die Ethikkommission der Medi- zinischen Hochschule Hannover (MHH). Das Teilprojekt, das „als ethisch verantwortbar gehalten wur- de, betrifft Verfahren zur Gewinnung und Reindarstellung von menschli- chen embryonalen Hirnzellen aus Ge- webe, das bei Schwangerschaftsun- terbrechungen bis zum dritten Monat gewonnen wird“. Es gehe außerdem um spezielle experimentelle Untersu- chungen mit diesem Gewebe, unter anderem auch um die Implantation von Zellen in Ratten. Diese Versuche sollen der Feststellung und Verbesse- rung der Funktionsfähigkeit von em- bryonalen Zellen dienen, auch nach deren Übertragung in einen lebenden Organismus. Über eine klinische An- wendung der Implantation embryona- ler Gehirnzellen beim kranken Men- schen will die Ethikkommission nach Vorlage der Ergebnisse des jetzt ge- nehmigten Teilprojektes erneut ent- scheiden. Dabei werde dann auch der aktuelle Stand anderer Behandlungs- möglichkeiten der Parkinsonschen Krankheit zu berücksichtigen sein.

Auf scharfe Kritik stieß die Ent- scheidung der Ethikkommission beim Behindertenbeauftragten des Landes Niedersachsen, Karl Finke. „Diese Behandlungsmethode, deren Erfolgs- aussichten äußerst ungewiß sind, de- gradiert die verbrauchten Embryo-

nen zum Ersatzteillager und drängt Frauen in die Rolle von Rohstoffliefe- rantinnen für ethisch äußerst fragwür- dige Forschungsprojekte“, so Finke.

Er räumte jedoch ein, daß die ver- brauchende Forschung an abgetriebe- nen Embryonen bisher gesetzlich nicht geregelt sei. Die grundsätzliche Entscheidung, ob kranken Menschen embryonales Gewebe übertragen werden dürfe, könne nicht von Ethik- kommissionen getroffen werden.

„Hier ist der Gesetzgeber gefragt, der solchen Praktiken einen Riegel vor- schieben muß“, forderte Finke.

„Abtreibung auf Bestellung“

Diese Ansicht vertrat auch Mari- na Steindor, gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grü- nen. „Derzeit nutzen Mediziner die rechtliche Grauzone zwischen Em- bryonenschutzgesetz und Paragraph 218 aus, um verschiedene Verfahren der Embryonalzelltransplantation zu entwickeln.“ Leichtfertig würden Ärzte und Forscher ihren kurzsichti- gen Machbarkeitsvorstellungen erlie- gen. Solche Transplantationen förder- ten die Abtreibung auf Bestellung.

Das zeichne sich bereits in China und den GUS-Staaten ab, wo der Schwan- gerschaftsabbruch gängiges Mittel der Familienplanung sei. Dort wür- den embryonale Zellen der Bauch- speicheldrüse bereits zur Diabetesbe- handlung eingesetzt.

Im Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen sei deshalb festgelegt, daß „Organe, Organteile, Gewebe A-2924

P O L I T I K MEDIZINREPORT

(32) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996

Gen-Soja gesundheitlich

„unbedenklich“

Das Robert Koch-Institut sowie die entsprechenden Behörden der übrigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) bewerten gentechnisch veränderte Sojabohnen hinsichtlich der Risiken „für Gesundheit und Umwelt als unbedenk- lich“. Mit der diesjährigen US-Ernte soll erstmals ein Lebensmittel und Lebensmit- telrohstoff in Europa auf den Markt kom- men, dem ein gentechnisch veränderter Organismus zugrunde liegt.

Der vorgenommene gentechnische Eingriff bewirkt, daß die Sojapflanzen resi- stent gegen das Unkrautbekämpfungsmit- tel „Roundup“ mit dem Wirkstoff Glypho- sat sind. Glyphosat hemmt in Pflanzen das Enzym EPSPS, das am lebenswichtigen Aufbau von bestimmten aromatischen Aminosäuren beteiligt ist. Die Hemmung des Enzyms läßt empfindliche Pflanzen zugrunde gehen.

Einige Mikroorganismen besitzen ei- ne Variante des Enzyms, die durch Gly- phosat nicht wesentlich gehemmt wird.

Das Gen für dieses EPSPS-Enzym wurde in die Sojapflanzen übertragen, so daß die- se gegen Glyphosat resistent sind. Statt das Herbizid – wie bisher üblich – vorbeugend auszubringen, kann es so je nach Unkraut- befall auch in bereits wachsenden Soja- kulturen eingesetzt werden. EB

Transplantation fötalen Gewebes bei Parkinson

Kontroverse um

rechtliche Grauzone

Erstmals wurde jetzt von der Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Han-

nover ein Antrag auf „Verwendung von humanem embryonalen ZNS-Gewebe zur

Erforschung und Behandlung der experimentellen und klinischen Form der Parkinson-

schen Erkrankung“ in einer ersten Phase genehmigt. Das löste eine Diskussion über die

Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Transplantation fötalen Gewebes aus.

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as neue, familienorientierte Kinder- und Jugendhilfege- setz (KJHG), welches das 1922 erlassene Reichsjugend- wohlfahrtsgesetz ablöst, spiegelt die markanten Entwicklungen der Kin- der- und Jugendpsychiatrie und Psy- chotherapie der achtziger Jahre wider (Grafik 1). Obwohl die Fachverbände eine insgesamt positive Stellung- nahme zu diesem Gesetz abgegeben haben, weisen sie dennoch auf kriti- sche beziehungsweise negative Ent- wicklungen hin. So sollten Streitfälle zwischen einzelnen potentiellen Lei- stungsträgern wie zum Beispiel den gesetzlichen Krankenkassen, den lo- kalen Trägern der Jugendhilfe und den überörtlichen Trägern der Sozial- hilfe nicht zu Lasten der Betroffenen ausgetragen werden dürfen, sondern

es sollte innerbehördlich geklärt wer- den, daß die Betroffenen bei berech- tigten Ansprüchen vom zunächst an- gegangenen Träger vorläufige Lei- stungen erhalten.

Der anspruchsvolle Aufgaben- katalog (Grafik 2) und seine fort- schrittliche großzügige inhaltliche Ausführung im Gesetz zeigen, daß de- ren Urheber von besseren ökonomi- schen Bedingungen ausgegangen sind, als dies nach der Wiedervereinigung tatsächlich der Fall ist. Angesichts der allgemeinen Leere in den öffentlichen Kassen besteht sowohl bei einzelnen Betroffenen als auch bei den sie ver- tretenden Verbänden eine gewisse Sorge bei allen neuen Regelungen. Sie befürchten, daß durch eine restriktive Auslegung des KJHG bisher gesicher- te Versorgungs- und Betreuungsmög-

T H E M E N D E R Z E I T MEDIZINREPORT/AUFSÄTZE

Kinder- und Jugendhilfegesetz

Bessere Versorgung psychisch kranker und behinderter Kinder

Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ( SGB VIII), das in den neuen Bundesländern seit dem Vereinigungstag (3. Oktober 1990) und seit dem 1. Januar 1995 nun bun- desweit in Kraft ist, haben Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeuten er- ste Erfahrungen gesammelt. Mit dem folgenden Beitrag soll auf die zentrale Ver- änderung im Jugendhilferecht, vor allem in ihren Auswirkungen auf das Zusam- menwirken zwischen Ärzten und Fachkräften der Jugendhilfe, hingewiesen werden.

Grafik 1

Übersicht zum Aufbau des KJHG und Zellen von Anencephalen, Em-

bryonen und Föten weder entnom- men noch übertragen oder zu expe- rimentellen oder industriellen Zwek- ken, insbesondere der pharmazeuti- schen oder kosmetischen Industrie dienenden Zwecken verwendet wer- den“ dürfen.

Der Entwurf zu einem Trans- plantationsgesetz, den die Regie- rungsparteien und die SPD erarbeitet haben, stellt ausdrücklich fest, daß sich der Geltungsbereich „nicht auf Gene oder andere DNA-Teile, Ei- und Samenzellen, embryonale und fe- tale Organe“ bezieht. Dafür würden das Embryonenschutzgesetz und die entsprechenden Richtlinien der Bun- desärztekammer (BÄK) greifen.

Die Ethikkommission der MHH beruft sich auf die „Richtlinien zur Verwendung fetaler Zellen und feta- ler Gewebe“ der BÄK von 1991. Dar- in heißt es, daß „Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch unabhän- gig von dem Vorhaben einer Verwen- dung für Forschungs- oder Therapie- zwecke erfolgen. Das Gespräch über die Verwendung fetaler Zellen oder Gewebe darf erst geführt werden, wenn der Entschluß zum Schwanger- schaftsabbruch endgültig ist. Vergün- stigungen, mit denen die Entschei- dung zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Verwendung des Fetus beeinflußt werden sollen, dürfen we- der angeboten noch gewährt werden.“

Die an der Abtreibung Beteiligten dürften nicht an der Verwendung feta- ler Zellen oder fetaler Gewebe zu Forschungs- oder fremdnützigen The- rapiezwecken mitwirken.

Prof. Dr. med. Rudolf Pichlmay- er, der Vorsitzende der Ethikkommis- sion der MHH, betont, „daß entschei- dende Grundvoraussetzung für die Akzeptanz dieses auf die Behand- lungsmöglichkeit einer schweren und häufigen Erkrankung gerichteten Forschungsvorhabens ist, daß eine strikte und gesicherte Trennung des Bereichs Schwangerschaftsunterbre- chung einerseits und einer erst nach der Entscheidung zu der Schwanger- schaftsunterbrechung möglichen Dis- kussion über eine Verwendung des Gewebes – einschließlich einer ent- sprechenden Entscheidung der Schwangeren – andererseits gewähr- leistet wird.“ Gisela Klinkhammer

Jörg M. Fegert

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