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Archiv "Virus-Infektion und Impfung in der Schwangerschaft" (25.04.1974)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin KOMPENDIUM

Virus-Infektion und Impfung in der Schwangerschaft

Jürgen Kleinebrecht

Aus dem Institut für Humangenetik im Klinikum der Universität Frankfurt

(Geschäftsführender Direktor: Professor Dr. med. Karl-Heinz Degenhardt)

Ob ein Embryo von einem Vi- rus geschädigt wird, hängt sowohl von der Virulenz des Erregers als auch von der Immunitätslage der Mutter ab. Auf Grund der niedrigen Durchseuchungsrate verursa- chen während der Schwan- gerschaft neben Röteln-Viren Zytomegalie-Viren die mei- sten Schäden. Impfungen, auch mit abgeschwächten Lebenderregern, sollten wäh- rend der ganzen Schwanger- schaft vermieden werden.

Mütterliche Infektionen während der Schwangerschaft können sich auf den Embryo und den Feten auswirken. Eine besondere Rolle spielen dabei Viren. Mit wenigen, noch fraglichen Ausnahmen ist ge- sichert, daß Viren zu allen Zeiten der Schwangerschaft die Plazenta passieren. In der Spätschwanger- schaft muß bei allen viralen Infek- ten damit gerechnet werden, daß der Fet oder das Neugeborene er- kranken. Die Wirkung auf den frü- hen Keim ist recht verschieden.

Ob der Embryo geschädigt wird, hängt in hohem Maße sowohl von der Virulenz des Erregers, als auch von der Immunitätslage der Mutter ab. In vielen Punkten ist das Wis- sen über die Gefährdung des Em- bryos bei mütterlichen Infekten noch sehr lückenhaft. Dies gilt auch für die Folgen von Impfungen während der Schwangerschaft. Seit einigen Jahren wird jedoch die Forschung auf diesen Gebieten zu- nehmend intensiviert.

Röteln

Die Durchseuchungsrate mit Rö- teln-Virus beträgt bis zu 90 Pro- zent. Infektion mit Röteln in der Schwangerschaft birgt ein hohes Risiko für die Frucht. Nach Infek- tion im ersten Monat wurden 47 Prozent Mißbildungen beobachtet.

Die Mißbildungsrate sank bei Infek- tion im zweiten Monat auf 22 Pro- zent und im dritten auf sieben Pro- zent. Die Häufigkeit von Mißbildun-

gen scheint örtlich unterschiedlich zu sein; allgemein gilt aber, daß nach Infektion im ersten Monat das Risiko für den Embryo am größten ist. Im zweiten Trimenon ist nur noch über zwei bis vier Prozent Miß- bildungen berichtet worden. Diese Zahlen beziehen sich auf Röteln- Epidemien. Es scheint möglich, daß bei sporadischen Infektionen das Risiko einer Fruchtschädigung wesentlich geringer ist. In Japan tritt die Röteln-Embryopathie selten auf. Dies scheint durch eine gerin- ge Virulenz des dort vorherrschen- den Virus bedingt zu sein.

Die Röteln-Embryopathie ist eine generalisierte Erkrankung, gekenn- zeichnet vor allem durch Katarakt, Taubheit, Mikrozephalie, geistige Retardierung und Störungen der Herzentwicklung. Die Mortalität der geschädigten Kinder beträgt im ersten Lebensjahr 15 bis 20 Pro- zent. Sie kann bei vorliegender Thrombopenie als Folge von Rö- teln-Infektion auf 35 Prozent ge- steigert sein.

Über die Folgen einer Impfung in der Schwangerschaft mit lebenden, abgeschwächten Viren liegen noch keine für eine endgültige Bewertung ausreichenden Erfahrungen vor.

Das Virus findet sich auch nach ei- ner Impfung in Plazenta und feta- len Organen. Die Plazenta zeigt die gleichen Störungen wie nach na- türlicher Infektion. Aus diesem Grund muß von einer Impfung mit Lebendvakzine während der ge-

samten Schwangerschaft abgera- ten werden. Passive Immunisierung mit Röteln-Immunglobin, möglichst innerhalb von 48 Stunden nach ei- ner Röteln-Exposition, ist sehr an- geraten.

Poliomyelitis

Das Poliovirus durchdringt die Pla- zenta. Nach Infektion der Mutter im ersten Trimenon wurde über eine stark erhöhte Abortrate (bis zu 47 Prozent) berichtet. Erkrankung im zweiten Trimenon führte in etwa zehn Prozent der Fälle zu Aborten, und nach Infektion im dritten Tri- menon starben vier Prozent der Fe- ten. Infektion in der späteren Fetal- zeit kann zudem zu Frühgeburt und Polio des Neugeborenen führen.

Mißbildungen scheinen nicht aufzu- treten. Eine Impfung mit Lebend- vakzine ist während der gesamten Schwangerschaft abzulehnen. Da- gegen ist die Impfung mit abgetö- teten Viren nach Salk unbedenk- lich.

Masern

Infektionen mit Masernvirus in der Schwangerschaft sind sehr selten (<0,1 Prozent). Das Virus durch- dringt die Plazenta. Eine Erhöhung der Rate an Aborten und Totgebur- ten ist beschrieben worden. Mißbil- dungen scheinen nicht vorzukom- men. Kongenitale Masern können nach Infektion am Ende einer

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 25. April 1974 1239

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Impfung in der Schwangerschaft

Schwangerschaft auftreten; sie ver- laufen meist unkompliziert. Wegen der ungeklärten Wirkung auf den Embryo ist in der Schwangerschaft eine passive Immunisierung vorzu- ziehen.

Pocken

Pockenviren passieren die Plazen- ta. Infektionen sind in der Schwan- gerschaft sehr selten. Der infizierte Fet kann eine generalisierte Vakzi- na entwickeln, die zu einer höhe- ren Rate von Aborten, Totgeburten und zu einer erhöhten Neugebore- nen-Sterblichkeit führt. Mißbildun- gen wurden nur vereinzelt be- schrieben. Ob sie auf die direkte Wirkung des Virus zurückzuführen sind, ist unklar. Auch nach Impfung oder Sekundärinfektion muß wäh- rend der ganzen Schwangerschaft mit einer transplazentaren Virusin- vasion gerechnet werden. So wur- den bei 47 Prozent der Frauen, die in der vierten bis zwölften Woche geimpft worden sind, Störungen der Gravidität beobachtet.

Mumps

Bedingt durch die hohe Durchseu- chungsrate (85 Prozent bis zum 16.

Lebensjahr) sind Infektionen mit Mumps-Virus in der Schwanger- schaft selten (bis 0,2 Prozent). Das Virus geht auf den Keim über.

Nach Infektionen im ersten Trime- non muß man mit einer erhöhten Abortrate rechnen. Nach Infektion im dritten Trimenon kann angebo- rener Mumps auftreten. Mißbildun- gen (Fibroelastosis) sind beschrie- ben worden, doch scheint die Miß- bildungsrate gering zu sein. Passi- ve Immunisierung ist die Methode der Wahl.

Influenza

Es ist noch nicht sicher bekannt, ob Influenza-Viren die Plazenta passieren. Während Influenza-A2- Epidemien wurde ein erhöhte müt- terliche Sterblichkeit beobachtet, vor allem bei Infektion in der zwei- ten Hälfte der Schwangerschaft.

Diskutiert werden hämatopoetische Neoplasmen und eine erhöhte Neu-

geborenen-Sterblichkeit als Folge einer Infektion während der Schwangerschaft. Doch handelt es sich hier wahrscheinlich um eine indirekte Wirkung. Mißbildungen wurden beim Menschen bisher nicht beobachtet; beim Hühnchen- Embryo und bei der Maus sind da- gegen teratogene Wirkungen gesi- chert. Impfung mit inaktivierten Er- regern ist unbedenklich.

Zytomegalie

In der prospektiven Studie der Deutschen Forschungsgemein- schaft über Schwangerschaftsver- lauf und Kindesentwicklung wurde eine Durchseuchungsrate von nur 56 Prozent festgestellt. Entspre- chend hoch (5,8 Prozent) war die Häufigkeit von frischen Infekten während der Schwangerschaft. An- dere Studien berichten von drei bis fünf Prozent frischen Infekten. Das Virus passiert die Plazenta. Etwa ein Prozent der Neugeborenen scheiden das Virus im Urin aus.

Die Infektion verläuft jedoch meist subklinisch oder harmlos. Bei etwa zehn Prozent der infizierten Neuge- borenen ist ein pathologisches Bild nachweisbar. Im Vordergrund steht eine Mikrozephalie (bei rund zehn Prozent aller Mikrozephalen soll serologisch eine pränatale Infek- tion mit Zytomegalie-Virus nachzu- weisen sein). Daneben wurden be- obachtet: Hydrozephalus, Chorio- retinitis, Blindheit, Hepatospleno- megalie, Enzephalitis und geistige Retardierung. Impfschutz ist noch nicht möglich.

Hepatitis (Typ B)

Transplazentare Infektion mit dem Hepatitis-Virus (Typ B) ist selten;

die Infektion findet meist während der Geburt statt. Bei transplazenta- rer Infektion werden Spätabort be- ziehungsweise Frühgeburt als Fol- geerscheinung diskutiert. Nur 0,01 bis 0,03 Prozent aller Schwanger- schaften sind durch Hepatitis kom- pliziert. Neugeborene können Gelbsucht und Hepatosplenomega- lie aufweisen. Passive Immunisie- rung wird bei Infektionsgefahr empfohlen.

Herpes simplex

Kongenitale Infektion mit dem Her- pes simplex-Erreger Typ 2 kann zu ähnlichen Symptomen führen wie nach Zytomegalie-Infektion. Doch scheint das Risiko gering zu sein.

Am größten ist es, wenn die Schwangere am Ende der Schwan- gerschaft an einem genitalen Her- pes leidet. Im Tierversuch wurden beim Hühnchen-Embryo durch den Typ 2 des Virus ähnliche Mißbil- dungen erzeugt wie beim Men- schen.

Echo-Viren

Als mögliche Folge einer intrauteri- nen Infektion mit Echo-Viren wer- den Mißbildungen des Zentralner- vensystems diskutiert. Bisher lie- gen aber nur wenige Daten vor.

Windpocken

Auf Grund der hohen Durchseu- chungsrate mit Varizellen-Virus sind Infektionen in der Schwanger- schaft sehr selten (<0,1 Prozent).

Nach Infektion in der Frühschwan- gerschaft sollen vermehrt Aborte und Totgeburten auftreten. Infek- tion in der späteren Schwanger- schaft kann zu Frühgeburt und konnatalen Windpocken führen.

Die passive Immunisierung gilt als Methode der Wahl.

Neben den Röteln-Viren, vor allem während Epidemien, sind auf Grund der niedrigen Durchseuchungsrate Zytomegalie-Viren in der Schwan- gerschaft von besonderer Bedeu- tung. Alle anderen Infekte spielen, bezogen auf die Gesamtbevölke- rung, in unseren Breiten nur eine untergeordnete Rolle. Im Einzelfall sollten aber auch diese beachtet werden. Impfung, auch mit abge- schwächten Lebenderregern, ist in der gesamten Schwangerschaft nach Möglichkeit zu vermeiden.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Dozent Dr. rer. nat. J. Kleinebrecht 6 Frankfurt am Main

Paul-Ehrlich-Straße 41

1240 Heft 17 vom 25. April 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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