DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DAS EDITORIAL
Nikotinpflaster + Verhaltenstherapie ein Tandem zur Raucherentwöhnung
Rainer Tölle
ikotinpflaster zur transdermalen Sub- stitution wurden im September 1989 vom Bundesgesundheitsamt zugelas- sen. In den Apotheken sind nun zwei identische Handelspräparate zu erhalten: „Ni- cofrenon" und „Nicotinell TTS".
Nikotinpflaster ist verschreibungspflichtig (wird aber nicht von den Krankenkassen erstat- tet), daher haben sich viele Patienten bereits an ihren Arzt gewandt. Hierdurch ist die Diskussion über die Raucherentwöhnung neu belebt wor- den. Zugleich aber ist Unsicherheit entstanden;
denn der eine der beiden Hersteller empfiehlt, Nikotinpflaster mit Verhaltenstherapie zu ver- binden (und gibt hierzu geeignetes Informations- material ab), der andere Hersteller jedoch nicht.
Was hat sich zur
Raucherentwöhnung bewährt?
Die erheblichen Gesundheitsschäden durch das Zigarettenrauchen sind allgemein bekannt.
Ohne Zweifel sind viele Raucher abhängig. Da- bei handelt es sich sowohl um eine pharmakolo- gische Abhängigkeit von Nikotin als auch eine psychische Abhängigkeit vom Rauchen.
Gesichert ist inzwischen auch, welche Maß- nahmen der Entwöhnung erfolgversprechend sind. Das wurde in jüngerer Zeit durch systema- tische Untersuchungen so gut geklärt, daß nun eine Bewertung möglich ist.
Zahlreiche Medikamente wurden früher zur Raucherentwöhnung angeboten, die Reihe reicht von Lobelin bis zu Nikotinantagonisten.
Alle diese Behandlungen erwiesen sich als un- wirksam beziehungsweise nicht besser wirksam als Placebo. Es handelte sich im wesentlichen nur um Suggestiveffekte.
Nur eine medikamentöse Maßnahme ver- dient größeres Interesse: die Nikotinsubstituti- on. Nikotin wurde in Form von Tabletten, Injek- tionen, Infusionen, Nasenspray und Kaugummi substituiert. Die Vorstellung war jeweils, daß diese Applikationsformen weniger gefährlich sei- en als das Zigarettenrauchen und daß sie des- halb zur Raucherentwöhnung eingesetzt werden könnten. Über ein Experimentierstadium ist nur das Nikotin-Kaugummi hinausgekommen, ohne sich aber durchsetzen zu können.
Die Nachteile des Nikotinkaugummis sind das für jedermann sichtbare Kauen, das auch beim Sprechen stört; diskontinuierliche Nikotin- zufuhr; Reizungen der Mundschleimhaut und Beeinträchtigungen des Geschmacks; es ist nicht zu benutzen bei Zahnprothese; Kontraindikation bei Magengeschwür.
Erst die Nikotinsubstitution mittels Pflaster konnte für die Raucherentwöhnung nutzbar ge- macht werden.
Verhaltenstherapie
Auch die psychotherapeutischen Maßnah- men der Raucherentwöhnung sind inzwischen auf ihre Anwendbarkeit und Wirksamkeit hin sehr gut untersucht worden. Hypnose, Akupunk- tur und andere Suggestivmaßnahmen sind längst verlassen worden, auch die Aversionsbehand- lung.
Als wirksam erwies sich hingegen Verhal- tenstherapie zur Selbstkontrolle (1). Die einzel- nen Maßnahmen, die nicht besonders aufwendig sind, sollen hier nur in Stichworten angegeben werden: Erhöhen der kognitiven Dissonanz, Analyse des Rauchverhaltens, Reizkontrolle, sy- stematische Desensibilisierung, Durchbrechen von Verhaltensketten, Modifikation des Rauch- vorgangs, Selbstverstärkung, Bestrafung des
Rauchens, vertragliche Vorsatzbildung, kogniti- ve Beeinflussung (ausführlicher in 3).
Die Kombination
als Methode der Wahl
Der kombinierten Raucherentwöhnung mit Nikotinsubstitution und Verhaltenstherapie liegt folgende Überlegung zugrunde: Die doppelte Abhängigkeit vom Nikotin beziehungsweise vom Rauchen macht die Entwöhnung schwer. Es be- währt sich daher, im Ablauf der Entwöhnung pharmakologische und psychische Abhängigkeit sozusagen zu entkoppeln. Das heißt praktisch:
Zuerst soll das Rauchen eingestellt werden, wo- zu die systematische Verhaltenstherapie dient.
In der ersten Zeit aber wird die Nikotinzufuhr noch aufrechterhalten, und zwar mittels Nikotin- pflaster, um den pharmakologischen Zustand zu erhalten. Es ist nämlich für den Raucher leich-
Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991 (63) A-125
ter, zunächst nur auf die Gewohnheit des Rau- chens zu verzichten und nicht zugleich auch auf die Wirkungen des Nikotins. Mit den Methoden der Selbstkontrolle wird also verhaltensthera- peutisch die psychische Abhängigkeit zurückge- bildet.
Zeitlich versetzt hierzu erfolgt die pharma- kologische Entwöhnung, indem die Dosis des Pflasters schrittweise reduziert wird. Dabei kön- nen zwar Entziehungserscheinungen auftreten, die das erneute Verlangen nach Nikotin (cra- ving) wieder aufkommen lassen und eine Rück- fallgefahr bedeuten. Inzwischen aber wurden die Verhaltensmuster psychotherapeutisch geän- dert, so daß der Betroffene besser gerüstet ist und abstinent bleiben kann.
Die Erfolge dieser kombinierten Behand- lung sind durch die Arbeiten von Buchkremer und Mitarbeitern (1, 2) erwiesen: Führte schon Verhaltenstherapie allein bei einem nennens- werten Anteil der Behandelten zur dauerhaften Entwöhnung (Vier-Jahres-Katamnesen), so wur- de diese Rate durch die Kombination mit dem Nikotinpflaster noch einmal erhöht. In diesem Sinne spricht man von einem Tandem: Mit den beiden Methoden fährt der Ex-Raucher leichter, und er kommt weiter.
Das Pflaster
Das Nikotinpflaster wurde von Opitz und Horstmann in Münster entwickelt (2). Die Vor- teile dieser Nikotinsubstitution sind: Kontinuier- liche Zufuhr des Nikotins, auch um diskrete Ni- kotinmangelzustände auszugleichen; einfache Handhabung und gute soziale Akzeptanz; infol- ge dessen breite Anwendbarkeit; sehr wenig Ne- benwirkungen.
„Nicofrenon" und „Nicotinell" werden in drei Varianten angeboten: 10, 20 und 30. Mit diesen Zahlen sind cm2 Freigabefläche des Pfla- sters gemeint. Dabei enthalten 10 cm 2 Freigabe- fläche 17,5 mg Nikotin, und die durchschnittliche Wirkstofffreigabe beträgt 7 mg/24 Stunden. Das Pflaster wird täglich an wechselnden Hautstellen aufgelegt. Die Dosierung richtet sich nach der zuvor gerauchten täglichen Zigarettenzahl. Die Substitutionsbehandlung dauert bis zu 12 Wo- chen.
Diese transdermale Nikotinsubstitution hat nur wenige spürbare Effekte, die den vegetativen Wirkungen des Rauchens entsprechen. Kontra- indikationen sind , Hautallergien, speziell Nikotinüberempfindlichkeit der Haut (und na- türlich auch ausgeprägte Pflasterempfindlich- keit), schwere Formen der koronaren Herz- krankheit sowie Herzrhythmusstörungen (Herz-
krankheiten sind andererseits geradezu Indika- tionen der Raucherentwöhnung), weiterhin kürzlich eingetretene Apoplexie. Wenn die Ni- kotinsubstitution aus diesen Gründen nicht an- gebracht erscheint, kann doch die Raucherent- wöhnung mit Verhaltenstherapie allein durchge- führt werden.
Über das kombinierte Vorgehen unterrich- tet in Kürze die Informationsschrift „Tandem — der neue Weg zur Raucherentwöhnung", heraus- gegeben von und erhältlich durch: Hefa-Frenon Arzneimittel GmbH, Am Bahnhof 1-3, 4712 Werne.
Empfehlung für die Praxis
Wenn ein Patient in der Sprechstunde nach Raucherentwöhnung fragt und wenn der Arzt den Eindruck hat, daß dieser Patient ernsthaft zur Abstinenz motiviert ist, soll der Arzt ihn zu- nächst ausführlich informieren über Nikotinab- hängigkeit, Möglichkeiten und Aussichten der Entwöhnung sowie über die Wirkungsweise der kombinierten Entwöhnungsbehandlung. Er soll dem Patienten von der alleinigen Verwendung des Pflasters (ohne Verhaltenstherapie) abraten.
Bei dieser Informations- und Motivationsarbeit kann der Arzt Zeit einsparen, wenn er dem Pa- tienten die genannte Broschüre empfiehlt, die auch für Laien gut verständlich ist.
Nikotinpflaster zu rezeptieren, kann für den Patienten nur dann nützlich sein, wenn der Arzt ihm zugleich eine systematische Verhaltensthe- rapie empfiehlt und ein solches Programm be- nennt oder vermittelt (in der Volkshochschule, in Gesundheitsämtern und auch in größeren Be- hörden und Betrieben). Von der kombinierten Methode der Raucherentwöhnung kann ein we- sentlicher Beitrag zur medizinischen Prävention erwartet werden.
Literatur:
(1) Bents, H., G. Buchkremer: Raucherentwöhnung — psychologi- sche und pharmakologische Methoden. Dtsch. med. Wschr.
112: 559-564 (1987)
(2) Buchkremer, G., H. Bents, M. Horstmann, K. Opitz, R. Tölle:
Combination of behavioral smoking cessation with transdermal nicotine substitution. Addictive behaviors 14: 229-238 (1989) (3) Tölle, R., G. Buchkremer: Zigarettenrauchen. Epidemiologie,
Psychologie, Pharmakologie und Therapie. Berlin — Heidel- berg — New York, Springer (1989)
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Rainer Tölle Klinik für Psychiatrie der Universität Albert-Schweitzer-Str. 11
W-4400 Münster A-126 (64) Dt. Ärztebl. 88, Heft 3, 17. Januar 1991