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Archiv "Raucherentwöhnung als gesundheitserzieherische Aufgabe" (27.03.1980)

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Raucherentwöhnung als

gesundheitserzieherische Aufgabe

Anregungen zum „Weltgesundheitstag" 1980

Karlheinz Woeber und Ernst Bauermann

Die jüngste Entwicklung zeigt, daß sich die Ärzteschaft vermehrt der Aufgabe widmet, Patienten, die an Raucherfolgekrankheiten leiden, sinnvoll zu beraten und zu behandeln. Dies erscheint um so richtiger und nützlicher, als gerade auf diesem Gebiet noch in zunehmendem Maße „Behandlungen" und Methoden von Laien angeboten werden, die einer qualifizierten und mindestens zielorientierten Grundlage entbehren. Der folgende Beitrag faßt Beobachtungen und Erfahrun- gen an vielen tausend Rauchern in den letzten 12 Jahren zusammen.

Zugleich demonstriert er exemplarisch, inwieweit systematischen und ärztlich geleiteten Raucherentwöhnungsprogrammen besondere Bedeutung im Rahmen der gesundheitserzieherischen und -aufkläre- rischen Maßnahmen zukommt. Die Verfasser ergänzen ihre Ausfüh- rungen im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT Heft 28/1979, Seite 1874 ff. Der Übersichtsaufsatz ist ein Beitrag zum Weltgesundheitstag 1980 unter dem Motto: „Rauchen oder Gesundheit - Deine Wahl".

Man ist sich heute schon weitge- hend klar, was man meint, wenn man über Gesundheitserziehung - bei Erwachsenen sagt man besser Gesundheitsbildung - spricht.

Vor wenigen Jahren waren diese Be- griffe durchaus noch nicht Allge- meingut, so daß sie auch selten zur Diskussioh standen. Sicherlich wer- den die Grenzen, die diesen Begrif- fen zugrunde liegen, zur Zeit und auch in Zukunft noch genauer abge- steckt, wobei sich erfreuliche Aktivi- täten nicht nur bei Ärzten und Psy- chologen, sondern auch bei Erzie- hern und Seelsorgern zeigen. Daß in letzter Zeit auch von seiten der So- ziologen und Politiker im vermehr- ten Maße hierzu Stellung genom- men wird, kann dann durchaus posi- tiv bewertet werden, wenn Bemü- hungen im Vordergrund stehen, sachliche Argumente hierzu beizu- steuern.

Daß die Gesundheitserziehung und -bildung nicht mehr beiseite gescho- ben, sondern in Zukunft einen im- mer breiteren und schließlich wahr- scheinlich entscheidenden Platz einnehmen wird, werden uns nicht zuletzt die Sozialversicherungen lehren, die für eine rein kurative Me- dizin letztlich immer höhere Beträge werden fordern müssen, die von der Gemeinschaft der Versicherten kaum noch aufzubringen sein wer- den. Ob diese Beträge im Falle einer Verstaatlichung der Sozialversiche- rungen dann noch aufzubringen wä- ren, ist eine politische Frage, die aber sicherlich nicht in dem Sinne zu beantworten sein wird, daß alles beim alten und bisherigen bleiben könnte.

So klar und eindeutig heute die Fra- ge beantwortet wird, daß Gesund- heitserziehung und -bildung in un- serem Lande ein Problem ist, das

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Aufsätze • Notizen Raucherentwöhnung

vorhanden und schnellstmöglich an- gegangen und gelöst werden muß, so wenig ist man sich aber darüber einig, auf welche Weise man diese Notwendigkeit in die Praxis einfüh- ren und „dem Mann auf der Straße"

vermitteln kann. Die verschiedenen bereits vorgelegten Denkmodelle sind oft positiv zu beurteilen; einzel- ne Versuche und auch praktische Information und Nutzanwendung bei entsprechenden Zielgruppen haben bislang teilweise schon zu erfreulichen Anfangserfolgen ge- führt.

Überblicken wir die Risikofaktoren des Menschen, bei denen es aus vielerlei Gründen angebracht wäre, hier gesundheitsbildend einzugrei- fen, so dürfte das Rauchen mit an erster Stelle zu nennen sein. Dieses Fehlverhalten hat so viele psychoso- ziale Ursachen und medizinisch ne- gative Folgeerscheinungen für den Betroffenen und soziale Folgerun- gen für die Allgemeinheit, daß von berufener Seite hier einzugreifen und zu lenken eine dringende For- derung darstellt.

A. Erkenntnisse bei der Behandlung von Rauchern

Untersuchungen an rauchenden Mitmenschen (Patienten), Beobach- tungen und Nachbeobachtungen über mehr als ein Jahrzehnt und schließlich Ergebnisse von Befra- gungen haben folgende grundsätzli- chen Erkenntnisse gebracht.

a) Raucher ist nicht gleich Raucher;

das heißt, die Motivation zum Rau- chen und die Abhängigkeit vom Rauchen sind von Raucher zu Rau- cher unterschiedlich.

b) Aus den Feststellungen unter a) ergibt sich, daß vor einer eventuel- len Behandlung (Entwöhnung) eines Rauchers eine möglichst exakte Dia- gnose des Rauchers (Rauchertyp) gestellt werden muß.

c) Die zahlreichen erfolgverspre- chenden Behandlungsmethoden sind nur bei dem jeweiligen diagno- stizierten Rauchertyp, bei dem sie einen Erfolg versprechen, anzu- wenden.

d) Jedwede Therapie kann nur so gut sein wie ihre Nachbetreuung (Gesundheitserziehung und -bil- dung) ist.

Zu a): Zehnjährige Studien und Be- handlungen sowie Nachbetreuung von rauchenden Patienten, die sich freiwillig einer entsprechenden The- rapie unterzogen haben, haben ge- zeigt, daß es etwas vereinfacht, aber für praktische Belange völlig ausrei- chend, möglich ist, die Raucher in vier Klassen (Typen) zu unterteilen.

Diese sind:

1. Gelegenheits- (oder Erholungs-) Raucher (ca. 20% aller Raucher);

2. Gewohnheits- (oder Streß-)Rau- cher (ca. 45% aller Raucher);

3. a) Psychisch abhängige Raucher (ca. 20% aller Raucher);

b) Körperlich abhängige Raucher (ca. 10% aller Raucher);

4. Mehrfach abhängige Raucher (Alkohol, Drogen, Medikamente) (ca.

5% aller Raucher).

Der bei unseren Untersuchungen und Behandlungen ermittelte Pro- zentsatz der Raucher der jeweiligen Typen ist den obigen Gruppen je- weils beigefügt.

Zu b): Es ist heute nicht mehr schwierig, jeden Raucher entspre- chend seinem Rauchertyp in eine der oben angegebenen Klassen ein- zuordnen. Die entsprechenden Aus- sagen und Feststellungen sind mit Hilfe von drei bis vier Fragebögen, von denen einer (siehe Abbildung) hier beigegeben ist, zu machen. Die Auswertung der Fragebögen ist nach entsprechender Unterweisung des Arztes in der Praxis durchaus möglich.

Zu c): Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen und zu einer un- nützen Polemik führen, alle heute bekannten „Raucherentwöhnungs- methoden" aufzuführen und zu dis- kutieren. Prinzipiell ist folgendes hierzu festzustellen:

Bei allen Rauchern des Typs I hilft prinzipiell jedwede Methode, sofern der Raucher dazu motiviert ist, sein Rauchen einzustellen, um auf diese Weise ein Ziel zu erreichen. Ob die-

ses Ziel im Einzelfall auf pekuniärer, familiärer, zwischenmenschlicher, ethischer oder gesundheitsbilden- der Ebene liegt, bleibt der subjekti- ven Einstellung und Wertschätzung des Individuums vorbehalten, wobei der Arzt gegebenenfalls die im Ein- zelfall adäquaten Motivationen fin- den und bei den Zielvorstellungen verstärken kann.

Bei Typ 2, dem Gewohnheits- oder Streßraucher, bedarf es eines diffe- renzierteren Vorgehens. Es wird zu- erst nötig sein, diesem Raucher sein Rauchverhalten darzustellen und zu analysieren; anschließend müssen ihm generell und für den Einzelfall Hilfen gegeben werden, wie er von seiner Rauchgewohnheit, die mit Hilfe eines Verstärkers und Auslö- sers jeweils zum Raucherlebnis führt, dadurch „abgeblockt" werden kann, daß ihm eine „Störung" bezie- hungsweise „Änderung" oder ein

„Einbruch" vermittelt wird, der ihn von dem gewohnheitsmäßigen Ab- lauf, der bislang zum Rauchen als Ziel geführt hat, abhält und ihm auf diese Weise das erste Erlebnis einer Gesundheitsbildung vermittelt.

Daß diese persönliche Analyse des Rauchverhaltens durch ärztliche Hil- fe erleichtert werden kann, ist selbstverständlich; den jeweiligen Einbruch oder „Knick" zu finden, bleibt jedoch im wesentlichen eine Gemeinschaftsaufgabe von Arzt und Gewohnheits- bzw. Streßraucher.

Als große Erleichterung für den Rau- cher und den behandelnden Arzt hat sich eine Therapie in der Kleingrup- pe herausgestellt, in der willige Pa- tienten des gleichen Rauchertyps zusammen motiviert und behandelt werden, um sich in der behand- lungsfreien Zeit durch persönlichen (fernmündlichen, gesellschaftlichen usw.) Kontakt zu ergänzen und zu stärken.

Psychisch oder körperlich abhängi- ge Raucher (Typ 3 a und b), die glücklicherweise nur eine Minorität (siehe Tabelle) ausmachen, können mit Hilfe der bisherigen Methoden praktisch niemals zum Nichtrauchen geführt werden.

838 Heft 13 vom 27. März 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Ich habe die Gewohnheit, vor dem Waschen

zu rauchen.

Störung Änderung Einbruch

Noch im Bett ziehe ich meine Schlafanzugjacke aus.

Ich mache im Bett die ersten Atemübungen.

Dann husch, husch unter die Dusche.

Genuß + Gewinn

Wichtig ist es, daß Sie in diese Verhaltens- Harmonie einen „Knick", eine Anderung anbringen. Wenn möglich, bringen Sie den Anstoß zur Verhaltensänderung zwi- schen Gewohnheit und Auslöser.

Das oben aufgezeigte Beispiel kann den Weg weisen

Sind Sie ein abhängiger (Sucht-) Raucher?

nein

Ist für Sie der Gedanke, eine Besprechung, eine Reise oder nur einen normalen Arbeitstag ohne Zigaretten )Zigarren usw.) zu verbringen, geradezu unvorstellbar?

Ist für Sie jede körperliche oder nervliche Belastung bzw. jede entsprechende Entlastung lz B.

Freu. ein willkommener Anlaß zu rauchen?

Bemerken Sie manchmal (oder häuf daß Sie eine zweite Zigarette anzünden. während die vorige noch nicht zuende geraucht ist?

Rauchen Sie auch in denjenigen Situationen, in denen es der ,,gute Ton" eigentlich gebietet, nicht zu rauchen bzw zuvor um Raucherlaubnis anzufragen?

Würden Sie eine Sitzung (Besprechung, Tagung, Ihre Arbeit), in der Rauchen nicht gewünscht wird, als nahezu unerträgliche Belastung ansehen?

6 Würden Sie die im vorigen Fall von Zeit zu Zeit zu erwartenden Pausen als _letzte Chance zum überleben' . sehnsüchtig erwarten, so wie etwa der Taucher die Wasseroberflache ersehnt, um neue Luft zu schöpfen?

Wurden Sie im Notfalle, d.h., wenn eine Ihrer eigenen Marken nicht greifbar ist, auch andere mer- ken, die Sie sonst prinzipiell ablehnen, rauchen?

Würden Sie notfalls, — d.h für Sie ist keine Zigarette legal zu besorgen einen Ihnen fremden Menschen ansprechen, um von ihm irgendeine Zigarette zu erhalten,

Würden Sie nach Ihrer Vorstellung oder Beobachtung für Ihre Umwelt ohne _Ihr Quantum" an Rauchwaren schwierig. d.h. unleidlich, nervös, ungerecht und reizbar werden ,

Würden Sie im Falle eines ärztlichen Verbotes weiterzurauchen, weil eine schwere Raucherkrank- heit droht, dieses Verbot trotz _guten Willens - nicht einhalten können, da Sie nicht Herr über Ihre Rauchgewohnheiten sind, sondern Ihre Rauchgewohnheiten Ihren Ihr Rauchverhaften diktieren?

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Zwei Seiten-Beispiele aus einem programmierten Raucherentwöhnungskurs nach Prof. Dr. med. Karlheinz Woeber und Ernst Bauermann (in Zusammenar- beit mit: Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Rehabilitation e. V., Aachen) Hier ist ein Intensivnichtraucher-

Trainingsprogramm notwendig, das mit Hilfe einer zeitlich begrenzten stationären Behandlung durchzu- führen ist. Die wesentlichen Elemen- te der hier genannten Therapie sind in der psychoanalytischen Aufarbei- tung im Einzel- und Gruppenge- spräch bei allen Problemfällen, in einer ausgewogenen psychophysi- schen Konditionierung, in einer ad- äquaten körperlichen Aktivität mit psychischer Entlastung innerhalb der Gruppe oder im Einzeltraining sowie schließlich in einer psychoso- matischen Umstellung und Zielvor- stellung, daß das Nichtrauchen nicht als ein Verlust, sondern als ein ganz entscheidender Gewinn zu erfassen und erfahren ist, zu sehen. Bei die- sen — aber auch nur bei diesen — Voraussetzungen sind die Erfolge, abhängige Raucher sicher zu Exrau- chern zu therapieren, überraschend gut. Mehrfach abhängige Raucher (Typ 4), die nur einen geringen pro- zentualen Anteil ausmachen, sind al- len oben angegebenen Behand- lungsmodalitäten nicht zugängig, da sie zu leicht aus einer Abhängigkeit in eine andere ausweichen.

Es ist dringend notwendig, entwöh- nungswillige Raucher entsprechend ihrem Rauchertyp zu behandeln. Es hat beispielsweise wenig Sinn, einen abhängigen Raucher mit allgemein probaten Behandlungsmethoden der Gruppe 1 oder 2 anzugehen, da in diesem Fall — ganz entgegen den sonstigen Gepflogenheiten — nicht der Therapeut wegen Unfähigkeit gewechselt wird, sondern der Pa- tient sich selbst als Versager ansieht und somit frustriert allen weiteren therapeutischen Bemühungen ge- genüber sich ablehnend verhält.

Wenn diese Erkenntnisse endlich einmal breiteren Eingang in die Be- handlung und Betreuung von Rau- chern finden würden, wäre auf dem Gebiet der Gesundheitserziehung auf diesem Sektor schon Erhebli- ches gewonnen und viel Mühe sowie Zeit und Geld nicht vergeblich ein- gesetzt worden.

Zu d): Es gibt kaum Raucher—wenn man einmal von der relativ kleinen Gruppe Typ 1 absieht —, die, wenn

sie einmal Exraucher (= nicht mehr rauchende Raucher) geworden sind, diesen Status beibehalten, wenn ih- nen in der Folgezeit keine weitere Betreuung, Hilfe oder neue Motiva- tionen zugehen.

Die Gewohnheit, bei „allen mögli- chen und unmöglichen" Anlässen zu rauchen, ist doch im allgemeinen so tief und langzeitig verwurzelt, daß es kaum möglich ist, von einem Durchschnittsmenschen eine Ände- rung für die Dauer in einer relativ kurzen Entwöhnungszeit zu er- warten.

In diesem Zusammenhang sei je- doch noch darauf hingewiesen, daß es sehr fraglich und bei dem Typ 3 (abhängige Raucher) überhaupt

nicht möglich ist, mit einer allmähli- chen Verminderung des Rauchkon- sums über Tage oder Wochen („Scheibchenmethode") zum Ziel zu gelangen, da hier im allgemeinen Gegenmechanismen provoziert wer- den, die die Zielvorstellung fast im- mer aus den Augen verlieren lassen.

Um den neuen Exraucher in seinem Entschluß, das Rauchen auch für längere Zeit aufzugeben und schließlich zum Nichtraucher zu werden, zu unterstützen und ihm mit positiven Anregungen weiterzuhel- fen, scheint uns die eingangs ange- sprochene Gesundheitserziehung und -bildung ein probates Mittel zu sein, das, sinnvoll eingesetzt, bis- lang in der Praxis erfreuliche Aspek- te und Ergebnisse gezeigt hat. >

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 27. März 1980 839

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Aufsätze • Notizen

Raucherentwöhnung

B. Erkenntnisse bei der Gesundheitserziehung und -bildung von Exrauchern Während der Aufklärungsarbeit in Industriebezirken, in denen noch schwer arbeitende Menschen zu fin- den sind, begegnet die Ermahnung, aus gesundheitlichen Gründen das Rauchen aufzugeben, —früher häufi- ger als heute — dem Hinweis, daß man damit wohl das letzte Vergnü- gen des schwerarbeitenden Men- schen wegnehmen wolle. Anderer- seits findet man immer wieder bei Teilnehmern zu Beginn von Rau- cherentwöhnungslehrgängen eine Stimmung, die dem Abschied von einem sehr guten Freund gleicht, den man nimmer wiederfinden wird.

Schließlich kann man auch an das Beispiel eines Psychologen denken, wonach man einen Nagel in die Wand schlagen, ihn wieder aus ihr herausziehen, aber nicht das ent- standene Loch in der Wand ohne weiteres beseitigen kann.

All dies weist auf einen mehr oder weniger herben Verlust hin, den ein Raucher erleidet, wenn er mit dem Rauchen Schluß macht.

Solange diese Einstellung vor- herrscht, ist es in der Tat schwierig und letztlich unvernünftig, mit dem Rauchen aufzuhören, zumal man im täglichen Leben auf anderen Gebie- ten ohnehin genügend negative Ein- drücke nicht vermeiden kann.

Hier sollte die Gesundheitsbildung einsetzen, die je nach Alter, Ge- schlecht, Gesundheitszustand, so- zialer Schicht und Freizeitinteressen von Pädagogen, Psychologen, So- zialarbeitern, Seelsorgern und nicht zuletzt von Ärzten praktiziert werden müßte. Zweifellos wäre es sehr wün- schenswert, wenn bei diesen Bemü- hungen, die häufig auch im Team- work durchzuführen sind, der Arzt als Primus inter pares zu finden wä- re. Bis dahin dürfte aber noch ein gerüttelt Maß an ärztlicher Eigenmo- tivation zu erbringen sein.

Nach dem Gesagten darf bei keinem Raucher der Eindruck entstehen, daß er als Nichtraucher in einer be-

trüblichen und negativen gesell- schaftlichen Lage sich wiederfinden wird; vielmehr muß versucht wer- den, durch aktive Tätigkeit und Auf- gaben kleine Schritte in der Gesund- heitserziehung mit ebensolchen Er- folgserlebnissen zu kombinieren. Es bleibt dabei dem „Entwöhner" vor- behalten, diejenigen Stellen des je- weiligen Rauchers zu finden, an de- nen er am ehesten für eine aktive Mitarbeit in diesem Sinne zu moti- vieren ist.

Die Gründe für das Nichtrauchen, die über zweitausend ehemalige Raucher auf schriftliche Befragung angegeben haben, sind nach ihrer Zahl und Wertigkeit folgende:

Bessere Gesundheit, Freisein von Abhängigkeit,

Leitbild für jüngere Familienangehö- rige,

Abwendung von Krankheiten, bessere wirtschaftliche Stellung.

In Anlehnung an diese Liste der Mo- tivationen sollten dann auch die Be- mühungen sein, positive Motive für die Entwöhnung und den Nichtrau- cherstandpunkt zu finden.

Es würde zu weit führen, sämtliche Einzelaspekte ausführlich zu be- sprechen und anhand von prakti- schen Möglichkeiten zu diskutieren.

Einige wenige praktische Beispiele sollen aber Anregungen geben, auf das Individuum abgestellte Einzelak- tivitäten zu suchen und praktisch zu handhaben. So dürfte es durchaus möglich sein, einem mehrfachen Ri- sikoträger, der zum Beispiel außer dem Rauchen auch noch an Überge- wicht und Bluthochdruck leidet, klarzumachen, daß er durch Nicht- rauchen seine Lebenserwartung nachweisbar verbessert, später aber durch eine gezielte und ärztlich überwachte Gewichtsreduktion, die durch körperliche Aktivitäten er- gänzt wird, eine ganz erhebliche Verbesserung der Lebenszeit errei- chen wird. Kann diese Zielvorstel- lung noch mit äußerlich erkennba- ren Erfolgserlebnissen im täglichen oder sportlichen Leben kombiniert

werden, die von seiten der Familie oder Freunde honoriert werden, sind wesentliche Grundlagen einer Gesundheitsbildung initiiert und können unter sachgerechter einfüh- lender laufender ärztlicher Beratung und Betreuung gefestigt werden.

Auch die Erfahrung, daß zum Bei- spiel ein abhängiger Raucher dem Drang nach der Zigarette nicht mehr hilflos ausgesetzt ist, sollte — jetzt vielleicht unter Führung des Psycho- logen — ihn dahingehend orientie- ren, daß er gewisse kleine Aufgaben in seiner Umgebung wahrnimmt, die ihn immer wieder mit seiner neuen.

Position des Exrauchers im positi- ven Sinne in Verbindung bringt.

Sehr gut haben sich hier zum Bei- spiel kleine Tischkarten bewährt, auf denen, jeweils am Arbeitsplatz auf- gestellt, der Text „Ich rauche nicht mehr" zu finden ist, was meist zu einer Aussprache mit Besuchern, Mitarbeitern und Freunden Anlaß gibt. Daß hier wiederum die gesamte Palette der Gesundheitserziehung und -bildung ins Gespräch kommen kann, ist selbstverständlich und soll- te von seiten des Lehrers zuvor oder auch laufend mit dem neuen Exrau- cher besprochen werden.

Die Rolle in der Leitbildfunktion, die der Exraucher in bestimmten Fällen innehat, führt ihn eigentlich von vornherein in die Situation, in der Gesundheitserziehung in Wort und Tat voranzugehen und den meist jüngeren „Zuschauern" entspre- chend praktisches Anschauungsma- terial zu bieten. Hier wiederum Hil- fen und wegweisende Beispiele zu geben, könnte durchaus die Aufga- be eines Arztes, eines Lehrers oder gar eines geeigneten Seelsorgers sein. Der Leidensdruck, der häufig als das beste Motiv für die Raucher- entwöhnung angesehen wird, hat durchaus seine guten Seiten. Nach- teilig ist lediglich die Tatsache, daß nach Sistieren des Leidens und sei- ner subjektiven oder objektiven Be- schwernisse auch häufig das Motiv vergessen wird, so daß der alte Zu- stand des Rauchens wiederum ein- tritt. Es ist deshalb eine entschei- dende Aufgabe jedes Arztes, wäh- rend dieser Zeit, in der ein Patient aus dem eben genannten Grunde

840 Heft 13 vom 27. März 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Der Bundesminister für Jugend, Fa- milie und Gesundheit hat am 16. Ja- nuar 1980 ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs herausge- geben, das sich wirklich lohnt, ge- nau gelesen zu werden. Man muß es wohl als eine Aktivität verstehen, die nach dem Scheitern so vieler Pläne und Programme der Drogenbe- kämpfung einen neuen und ver- stärkten Schwung geben soll. Wenn dort zu Anfang erwähnt wird, ein ständiger Arbeitskreis der Drogen- beauftragten habe sich am 22. Sep- tember 1971 konstituiert und habe bisher 43 Sitzungen abgehalten, so stellt sich die Frage, was denn in all diesen Sitzungen und Jahren er- reicht worden sei. Man liest dann weiter auf Seite 7, die Drogensitua- tion habe sich seit 1971 verändert und seit 1978 verschärft, vor allem sei die Zahl der Drogentodesopfer gestiegen, erheblich angestiegen.

Zu dieser Tatsache werden allerlei Erklärungen abgegeben, die aber im einzelnen nicht recht überzeugen können. Ob wirklich das drängende und „günstige" Angebot in Heroin so wichtig ist, wie es dort dargestellt wird, möchte ich so ohne weiteres nicht berechnen.

Die erste Frage an den Minister lau- tet, wie er denn das Wirken des Ar- beitskreises in all den Jahren beur- teilt, nicht in Detailfragen, etwa dem

Erfolg der politischen, polizeilichen oder juristischen Aktivitäten, son- dern im zentralen Punkt: der Vor- beugung des Süchtigwerdens. Auf Seite 28/29 wird zwar über Präven- tion gesprochen, gesundheitliche Aufklärung erwähnt, jedoch hätte man gerade hier gerne etwas mehr gewußt. Ob und wie haben sich die- se Maßnahmen in der Vergangen- heit ausgezahlt? Nur dann könnte man entscheiden, ob die Fortset- zung lohnt. Wenn es an einer Stelle heißt, Informationsbroschüren für unterschiedliche Zielgruppen hätten eine hohe Akzeptanz gezeigt, so würde ich aus medizinischer Sicht dahinter ein dickes Fragezeichen machen; mir ist völlig unklar, wie man hier eine objektive Erfolgskon- trolle anstellen kann.

Die zweite Frage geht dahin, ob man sich genügend klar geworden ist über die tieferen Wurzeln des Süch- tigwerdens. Es wird zwar ausge- führt, die Ursachen für den Drogen- mißbrauch junger Menschen seien vielfältig; Mißbrauchsverhalten sei nur eine Form abweichenden Ver haltens, welches sich auf dem Hin- tergrund einer gestörten Persönlich- keitsentwicklung und/oder einer be- sonderen Konfliktsituation ausbil- den könne. Mißbrauchsverhalten sei als ein „psychisches Notsignal" zu verstehen, mit dem auf eine Lebens- situation hingewiesen werde, die da- nicht raucht, eine positive Motiva-

tion aufzubauen, zu verstärken und als Grundlage für das spätere Nicht- rauchen zu festigen. Dies kann häu- fig ohne weiteres mit einer der zuvor genannten Modalitäten — entspre- chend der psychosozialen Struktur des Patienten — zum Ziele führen.

Wenn rein wirtschaftliche Momente zum Nichtrauchen motivieren, soll- ten auch diese gelten und sinnvoll in die Gesundheitserziehung einge- baut werden. Da bekanntlich das Geld, das man bislang für das Rau- chen verwandt hat, am Ende des Jahres doch nicht zur Verfügung steht, sondern anderweitig ausgege- ben wurde, sollte man mit Hilfe eines festen Planes und Ziels die einge- sparte Summe für einen Zweck ver- wenden, bei dem gesundheitliche, entspannende und lebensfördernde Momente im Vordergrund stehen.

Eine Reise, ein Sportgerät, ein ge- meinsames Unternehmen mit Freun- den zur Steigerung der körperlichen Fitness sollten hier von seiten des

„Entwöhners" empfohlen werden.

Diese wenigen Beispiele, die ver- ständlicherweise beliebig zu erwei- tern und dem Einzelfall anzupassen sind, sollen zeigen, daß Gesund- heitserziehung und -bildung im Rah- men der Raucherentwöhnung als ei- ne unter positiven Aspekten meist spielerisch erlernbare und erfahrba- re Conditio sine qua non für einen bleibenden Nichtraucherstandpunkt angesehen werden kann. Daß hier- bei nichtrauchende Lehrer, Psycho- logen, Seelsorger und nicht zuletzt Ärzte als Leitbilder und „Gesund- heitserzieher" in Aktion treten soll- ten, dürfte aus dem eben Gesagten klar ersichtlich und verständlich sein.

Literatur und Testunterlagen beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Karlheinz Woeber

Chefarzt am Luisen-Hospital Deutsche Gesellschaft zur Förderung

der Rehabilitation e. V.

Im Grüntal 59 5100 Aachen

Was hat die Drogenbekämpfung bisher gebracht?

Eine Kritik am Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs

Walter Geller

Die bisherige Bekämpfung des Drogenmißbrauchs hat sich, das ergibt sich auch aus dem Aktionsprogramm der Bundesregierung, auf die sekundären Quellen und Auswirkungen beschränkt konzentriert.

Nötig wäre es aber, schon den Anlässen zum Protest und zu frühen Fehlentwicklungen nachzugehen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 27. März 1980 841

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