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Archiv "Rückgang der Brustkrebsinzidenz: „Eine Kausalität lässt sich aus den Daten nicht sicher ableiten“" (08.01.2007)

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A18 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 1–2⏐⏐8. Januar 2007

M E D I Z I N R E P O R T

E

s herrschte völlige Stille im Vortragssaal D des 29. San Antonio Breast Cancer Meetings, als der Biostatistiker Peter Ravdin vom M. D. Anderson Cancer Center in Houston/Texas bekannt gab, dass die Zahl der Brustkrebsneuerkran- kungen in den USA um durch- schnittlich sieben Prozent zurück- gegangen ist. Gebannt schaute das Auditorium auf Zahlenkolonnen, die auf Meldungen an das Sur- veillance Epidemiology and End Results (SEER)-Register beruhen, welches vom US-National Cancer Institute betrieben wird. Darin ist die Brustkrebsinzidenz von 1990 bis Ende 2003 erfasst. Ravdin und Mitarbeiter beschränkten ihre Ana- lyse auf neun Regionen des Landes;

diese gelten aber als repräsentativ für die Vereinigten Staaten.

Scharfer Kurvenabfall

„Zwischen 1990 und 1998 gab es einen regelmäßigen Anstieg der Brustkrebsfälle von 1,7 Prozent pro Jahr“, betonte Ravdin. „Ab 1998 be- gann die Zahl der jährlichen Neuer- krankungen um etwa ein Prozent abzunehmen. Anfang 2003 aber fiel die Kurve ungewöhnlich scharf ab – im ersten Halbjahr um sechs und im zweiten Halbjahr um neun Prozent, was einen Jahresdurchschnitt von

sieben Prozent ausmacht.“ Rechne man diese Zahlen auf die gesamten USA hoch, traten 2003 etwa 14 000 weniger Brustkrebserkrankungen auf als 2002 (das entspricht 124 Fällen pro 100 000 Frauen in 2003 bei 134 Fällen pro 100 000 Frauen in 2002).

Der stärkste Rückgang mit etwa zwölf Prozent wurde in der Alters- gruppe der 50- bis 69-jährigen Frau- en mit Östrogenrezeptor-positiven (ER-positiven) Tumoren verzeich- net. „Da diese Karzinomform von Hormonen genährt wird, ver- langsamt sie ihr Wachstum oder stellt es sogar ein, wenn ihr eine Nahrungsquelle entzogen wird.“

Über alle Altersgruppen hinweg habe die Rate der ER-positiven Mammakarzinome um acht und die der ER-negativen Tumoren um vier Prozent abgenommen.

Da die Studie eine rein statistische Analyse war, könne keine sichere

Aussage über die Ursache dieser un- gewöhnlichen Entwicklung daraus abgeleitet werden. „Epidemiologie kann niemals Kausalitäten er- klären“, betonte Ravdin. Trotzdem gab sich der Wissenschaftler über- zeugt, dass der Effekt auf die Verän- derungen der Hormon-Verordnun- gen zurückgeht.

Noch 2000 hatten 30 Prozent der Frauen älter als 50 Jahre gegen Wechseljahresbeschwerden Hormon- präparate eingenommen; etwa die Hälfte von ihnen stoppte die Behand- lung, als durch die WHI*-Studie (siehe Kasten) im Sommer 2002 ihre kanzerogenen und kardiovaskulären Risiken aufgedeckt wurden. „Und genau in der Gruppe der hormonsen- sitiven Karzinome war der Rück- gang der Neuerkrankungen am deut- lichsten ausgeprägt“, so Ravdin.

Einige der in San Antonio anwe- senden Gynäkologen bezweifelten, dass der statistische Effekt bereits im ersten Jahr nach Rückgang der Verordnungszahlen erkennbar sein soll. Dafür hatte Ravdin folgende Erklärung: Die Hormontherapie könnte die Karzinomentwicklung katalysiert haben, sodass einige Tumorformen schneller symptoma- tisch wurden. Ohne Hormone wür- den diese latent vorhandenen Kar- zinome erst später entdeckt. Mit Spannnnung erwarte er daher die Register-Auswertungen des Folge- jahres, die wahrscheinlich Mitte 2007 vorliegen werden.

Den Skeptikern der Hypothese entgegnete er, dass sein Team auch andere Theorien für den Rückgang der Brustkrebsinzidenz geprüft ha- be: So sei die Mammographie-Rate im besagten Zeitraum zurückgegan- gen (minus drei Prozent zwischen 2000 und 2003 bei Frauen im Alter von 50 bis 64 Jahren). Auch die Ein- nahme von Statinen, Antiphlogistika und SERMs scheide als Ursache aus.

„Nur der Rückgang in der Hor- montherapie ist stark genug, um den statistischen Effekt zu erklären“, sagt Ravdin.

Zwiespältige Reaktionen

„Es passt einiges zusammen und sieht stimmig aus“, sagt Dr. med. Gerd Antes, Direktor des Deutschen Coch- rane-Zentrums in Freiburg, welches

RÜCKGANG DER BRUSTKREBSINZIDENZ

„Eine Kausalität lässt sich aus den Daten nicht sicher ableiten“

Nach einer epidemiolo- gischen Analyse hat die Brustkrebsinzidenz in den USA um durchschnittlich sieben Prozent abgenom- men. Die Wissenschaftler sehen einen Zusammen- hang mit dem Rückgang der postmenopausalen Hormontherapie.

Mammakarzinom:

In Deutschland er- kranken jedes Jahr über 55 000 Frauen neu an Brustkrebs.

2007 wird evaluiert sein, ob der Rück- gang der postme- nopausalen Hor- montherapie auch hierzulande Aus- wirkungen hat.

Foto:Aventis Pharma Deutschland GmbH

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A20 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 1–2⏐⏐8. Januar 2007

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systematische Übersichtsarbeiten zur Bewertung von medizinischen Thera- pien erstellt. „Ich behaupte nicht, dass das Fazit falsch ist. Aber methodisch ist die Behauptung ,weniger Hormone gleich weniger Krebs‘ heikel, da es in der Studie keine Kontrollgruppe von Frauen gab, die Hormone genommen haben. Man darf eine Korrelation nicht als Kausalzusammenhang dar- stellen. „Plausibilitäten müssen im- mer genau überprüft werden – vor allem, wenn sie in das eigene Welt- bild passen“, so Antes gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.

Auch Klaus Giersiepen, Leiter des Bremer Krebsregisters, betrach- tet Ravdins Mitteilung skeptisch:

„Man kann diesen Zusammenhang noch gar nicht sehen, selbst wenn sich die Verordnungspraxis so schnell geändert hat.“ Auch in Deutschland haben die kombinier- ten Östrogen-Gestagen-Präparate zur Behandlung von Wechseljahres- beschwerden drastisch an Bedeu- tung verloren. Wie die Techniker

Krankenkasse in ihrem „Gesund- heitsreport 2005“ berichtet, hat sich das Verordnungsvolumen zwischen 2002 und 2003 nahezu halbiert.

Andere Bundesländer beobachten ähnlichen Trend

Wie sich das veränderte Einnahme- verhalten in den Folgejahren auf die Brustkrebsinzidenz in Deutschland ausgewirkt hat, ist derzeit nicht zu beurteilen. Denn es existiert immer noch kein bundesweites, sondern es existieren nur regionale Krebsregi- ster. Die von ihnen – nach unter- schiedlichen Standards – erhobenen Daten werden von der Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland (GEKID) zusammen- geführt. Ihre Anfang dieses Jahres veröffentlichte Analyse beinhaltet Auswertungen aus dem Jahr 2002.

Danach steigt die Brustkrebsinzi- denz seit 1970 stetig an. Bei wie vie- len Frauen in Deutschland im Jahr 2003 ein Mammakarzinom diagnos- tiziert wurde, wertet die GEKID

zurzeit aus. „Aber auch wir sehen einen Trend zu weniger Brustkrebs- fällen“, sagt GEKID-Sprecher Priv.- Doz. Dr. med. Alexander Katalinic.

„Nach Auswertungen der Krebsre- gister in Saarland und Schleswig- Holstein, die eine Million respekti- ve 2,8 Millionen Einwohner ab- decken, ist die Brustkrebsinzidenz von 2003 auf 2004 in allen Alters- klassen um 9,2 Prozent zurückge- gangen.“ In der Gruppe der 50- bis 69-jährigen Frauen verzeichne man sogar einen Rückgang von 13 Prozent.

Ob ein Zusammenhang mit der postmenopausalen Hormontherapie besteht, versucht das Krebsregister Schleswig-Holstein anhand einer eigenen Studie zu eruieren. In die- sem Bundesland wurden seit 2001 inzwischen 100 000 Frauen befragt, ob sie Hormone einnehmen (ja/nein).

„Uns ist bewusst, dass die Ergebnisse daraus nur eine schwache Beweis- kraft haben werden, aber es sind Steine eines Mosaiks“, so Katalinic.

Erst am 8. Dezember hatten Chris- tina Clarke vom Northern Califor- nia Cancer Center in Oakland und Mitarbeiter berichtet, dass die Zahl der Brustkrebserkrankungen unter den 50- bis 74-jährigen weiblichen Versicherten von Kaiser Permanente in Nordkalifornien seit den Ergeb- nissen der WHI um zehn Prozent zurückgegangen ist (Journal of Clin- ical Oncology (2006: e49–50).

Die Versicherung registrierte ei- ne Reduktion der Verordnungen der Hormonpräparate um 68 Prozent (Kombinationen mit Gestagen) be- ziehungsweise 36 Prozent (Östro- gen-Monopräparate). Allerdings gab es keine Möglichkeit, die Verord- nung von Hormonen direkt mit den Brustkrebserkrankungen in Verbin- dung zu setzen, sodass die Zahlen eine kausale Beziehung nicht be- weisen können. Sollte sie aber be- stehen, dann würden durch den Ver- zicht auf die Hormonersatztherapie jedes Jahr in der Altersgruppe der 50- bis 74-Jährigen etwa 10 000 Brustkrebsfälle vermieden. Die Stu- die von Kaiser Permanente hat als einzige bereits Daten aus dem Jahr 2004 berücksichtigt. Man darf ge- spannt sein, ob sich dieser Trend

fortsetzen wird. I

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn/rme Mammographie:

In den USA wurden zwischen 2000 und 2003 bei Frauen im Alter von 50 bis 64 Jahren drei Prozent weniger Untersu- chungen durchge-

führt. Foto:Mammazentrum München

*ECKPUNKTE DER WOMEN’S-HEALTH-INITIATIVE(WHI)-STUDIE

An der „Women’s-Health-Initiative(WHI)-Studie hatten mehr als 16 000 Frauen mit einem Durchschnitts- alter von 63 Jahren teilgenommen. Nach fünf Jahren wurde die Studie vorzeitig beendet, da sowohl das kanzerogene als auch das kardiovaskuläre Risiko in der Hormongruppe erhöht war. Unter den Frauen, die eine Kombination aus Östrogen und Gestagen eingenommen hatten, kam es häufiger zu Brustkrebs (plus 25 Prozent), Herzinfarkt (plus 30 Prozent), Schlaganfall (plus 40 Prozent) und Venenthrombosen (plus 50 Prozent).

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