808 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 46⏐⏐14. November 2008
M E D I Z I N
Zugespitzter Hinweis
Für die wohlgesetzten Worte zurückhaltender epide- miologischer Bewertung der genannten Koinzidenzen gebührt Ihnen Dank.
Allerdings unterbleibt im Laufe der Erörterung vieler Pros und Kontras unter Heranziehen zahlreicher Refe- renzen die Verdeutlichung der – eben doch geringen – Höhe der möglichen Risikozunahme. An vielen Stellen kann der Interessierte anderswo Listen finden, aus de- nen die bekannten Ursachen für eine entsprechend höhere Brustkrebsinzidenz hevorgehen.
Daher mein zugespitzter Hinweis:
Solange in den zitierten epidemiologischen Arbeiten über noch so umfangreiche Tumorregister nicht beach- tet wird, wie sich im Lauf der Jahre bei Mammakarzi- nompatientinnen das Gewicht, das Menarchenalter, die Kinderzahl, die Stilldauer, der Alkoholkonsum und das Menopausenalter verändert haben, stellen noch so fein- fühlige Interpretationen der „Gefahr der HRT“ eben doch nur „einen Frevel am Wald“ dar – der Verbrauch von bedrucktem Papier für so einäugige Theorien steht in keinem angemessenen Verhältnis zum Informations- gehalt.
Und auch die isolierte Übertragung US-amerikani- scher Statistiken auf kleinräumige deutsche Verhältnis- se hilft nicht weiter, wenn schon die Grundbedingungen nicht passen: Die landesüblichen Substanzen für die HRT unterscheiden sich gravierend. Die abweichenden Beobachtungen in anderen Ländern bestätigen nur die Feststellung endokrinologischer Experten: Von einfa- chen Gruppeneffekten ist bei Sexualhormontherapie in der Regel nicht auszugehen.
Tumorbiologisch sind ohnehin Rückgänge von Brust- krebsinzidenzen innerhalb von 2 Jahren nach Ende einer solchen Hormontherapie höchst unwahrscheinlich.
Hoffentlich nehmen sich alle weiteren Autoren Ihre Empfehlung zu Herzen und warten einige Jahre ab!
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0808a
Dr. med. Joerg L. Neumann Grambeker Weg 86 23879 Mölln
Schlusswort
Ich kann mich der Ansicht von Herrn Kollege Neu- mann anschließen, dass eine noch umfassendere Be- trachtung der Einflussfaktoren auf die Brustkrebsinzi- denz wünschenswert wäre. Allerdings wird hier etwas
gefordert, was weltweit nicht existiert: eine Krebsre- gistrierung, die neben der Erfassung der Basisvaria- blen auch noch die genannten Risikofaktoren erfasst.
Eine solche Erfassung würde alleine noch nicht genü- gen. Auch müsste zur Beurteilung der Bedeutung die- ser genannten Faktoren die regelmäßige Erfassung dieser Faktoren auch bei nicht erkrankten Frauen er- folgen. Ein unbezahlbares Unterfangen, fürchte ich.
Zu dem Argument der Übertragbarkeit von US-Da- ten auf andere Populationen ist festzustellen, dass, wie in meinem Artikel erwähnt, erste deutsche Analy- sen (Schleswig-Holstein) einen vergleichbaren Inzi- denzrückgang sowie Rückgang der HRT-Verordnun- gen zeigen (1).
Epidemiologisch wurden bei der Brustkrebsinzi- denz bisher so deutliche und plötzliche Rückgänge nicht beobachtet. Die von Herrn Neumann erwähnten Faktoren (Körpergewicht, Menarchenalter, Kinder- zahl, Stilldauer, Alkoholkonsum, Menopausenalter) haben sich zwar über die Zeit geändert. Alle genann- ten Faktoren ändern sich jedoch nicht plötzlich und stark, sodass der plötzliche Inzidenzrückgang hiermit nicht erklärt werden kann. Die wichtigste alternative Erklärung ist das Registrierartefakt von Krebsregis- tern, welches in dem Artikel detailliert diskutiert wird.
Herr Neumann kritisiert, dass die landesüblichen Substanzen für die HRT-Verordnung sich deutlich von den USA unterscheiden. Diese Kritik ist unverständ- lich, da dieser Sachverhalt klar von mir angesprochen wird. Warum sind Epidemiologen von dem plötzli- chen Rückgang der Inzidenz so beeindruckt? Weil es in den letzten 30 Jahren zu einem stetigen, scheinbar unaufhaltbaren Anstieg der Brustkrebsinzidenz ge- kommen ist und alle Präventionsmaßnahmen diesen Anstieg nicht anhalten konnten.
DOI: 10.3238/arztebl.2008.0808b
LITERATUR
1. Katalinic A, Rawal R: Decline in breast cancer incidence after decrease in utilisation of hormone replacement therapy. Breast Cancer Res Treat 2008; 107: 427–30.
Prof. Dr. med. Andreas Stang Sektion Klinische Epidemiologie
Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik Medizinische Fakultät
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Straße 8
06097 Halle
Interessenkonflikt
Die Autoren beider Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkon- flikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
zu dem Beitrag
Rückgang der postmenopausalen
Hormonverordnungen und der Brustkrebsinzidenz
Ein epidemiologischer Diskurs
von Prof. Dr. med. Andreas Stang in Heft 16/2008