• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Exogene Ursachen menschlicher Entwicklungsstörungen" (24.04.1980)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Exogene Ursachen menschlicher Entwicklungsstörungen" (24.04.1980)"

Copied!
8
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Entwicklungsstörungen des Men- schen haben vielfältige Ursachen.

Eine Schätzung von Wilson (1)*) be- nennt 20 Prozent Genmutationen, 5 Prozent Chromosomenmutationen und 5 bis 10 Prozent exogene Ursa- chen, während bei 65 bis 70 Prozent der Entwicklungsstörungen die Ur- sache nicht eindeutig, monokausal, festgestellt werden kann.

Eigenartigerweise wird gerade den selteneren Ursachen (Chromoso- menaberrationen und rein exogene Ursachen) von Ärzten, Patienten und Presse die größere Aufmerksamkeit gewidmet. Dies ist besonders ver- wunderlich, weil bei Erkrankungen und Mißbildungen, die durch Gen- mutationen bewirkt werden, oder bei denen die Ursache nicht mono- kausal benennbar ist, das Wiederho- lungsrisiko wesentlich größer sein kann.

Schon bei eindeutig monokausaler Bedingtheit von Erkrankungen oder Mißbildungen kann es vorkommen, daß, obwohl der auslösende Faktor an sich vorhanden ist, die Anomalie nicht entsteht. So erkranken bei der autosomal-dominant vererbten An- iridie 10 Prozent der Genträger nicht. Die verminderte Penetranz ei- nes Gens bedeutet letztlich, daß zu- sätzlich noch andere Faktoren gene- tischer und/oder exogener Natur vorhanden sein müssen, damit das mutierte Gen den pathologischen Phänotyp hervorrufen kann. Damit ist ein Prinzip angesprochen, das vor allem in der Gruppe der Mißbil- dungen und Erkrankungen mit nicht

benennbarer Ursache zum Tragen kommt. Bei dieser Gruppe, die zwei Drittel aller Anomalien ausmacht, nimmt man eine multifaktorielle Ur- sache an, das heißt, daß hier zahlrei- che genetische und exogene Fakto- ren zusammenwirken müssen, um das pathologische Merkmal hervor- zurufen. Das gilt auch für fast alle normalen Merkmale. Anders wäre ei- ne kontinuierliche Variabilität, zum Beispiel der Körpergröße, gar nicht denkbar. Bei nicht kontinuierlichen Merkmalen, zum Beispiel Mißbildun- gen, ist das nicht ohne weitere Be- weise akzeptierbar. Solche Beweise sind jedoch zahlreich vorhanden.

Hier sei nur an die Zwillingsfor- schung erinnert. Bei der multifakto- riellen Genese hat man sich das Auf- treten von Mißbildungen so zu erklä- ren, daß durch das Zusammenspiel mehrerer genetischer und exogener Faktoren eine Variabilität der Stör- anfälligkeit geschaffen wird. Im Ex- trembereich kann dinn schon ein unter anderen Bedingungen tole- rierbarer Reiz die Embryonalent- wicklung oder auch die nachgeburt- liche Entwicklung zum Entgleisen bringen. So ist bei der Beratung des Patienten mit Entwicklungsentglei- sungen neben (fast) rein geneti- schen Ursachen oder (fast) rein exo- genen Ursachen vor allem an das Zusammenwirken von genetischen und exogenen Faktoren zu denken.

Bei den „rein exogenen" Ursachen gibt es klare Gesetzmäßigkeiten, die in den letzten vierzig Jahren in zahl- losen tierexperimentellen Studien herausgearbeitet wurden. Als Ent-

Wahrend im Tierversuch über 800 Teratogene nachgewie- sen wurden. sind beim Men- schen nur etwa 20 sichere oder wahrscheinliche Terato- gene bekannt. Bei entspre- chend hoher Dosierung dürfte diese Zahl jedoch zunehmen.

Daneben gibt es beim Men- schen eine Reihe von im Ver- dacht stehenden Teratoge- nen; diese Liste ist ständig in Fluß. Embryonaler Tod, Miß- bildungen oder funktionelle Störungen können durch Me- dikamente. Umweltchemika- lien, Genußmittel, Infektionen.

Strahlen und Krankheiten, die über die Mutter auf das Unge- borene einwirken, ausgelöst werden. Die Größe des Risikos hängt vom Zeitpunkt und von der Stärke der Exposition ab.

wicklungsentgleisungen werden embryonaler Tod, Mißbildungen un- terschiedlichen Schweregrades und funktionelle Störungen beobachtet.

Jede spezielle Störung kann nur zu bestimmten Zeiten der Embryonal- entwicklung ausgelöst werden. Von wenigen Ausnahmen (zum Beispiel Infektionen) abgesehen, kann vor der abgeschlossenen Implantation (Tag 13 p. o.) nur der embryonale Tod induziert werden; überlebt der Embryo, so wird er sich ungeschä- digt weiterentwickeln. Das Maxi- mum der Sensibilität des menschli- chen Embryos wird in der 3. bis 6.

Woche beobachtet. Das ist auch der Zeitpunkt, an dem die Embryonen abgestorben sind, die Wochen spä- ter als Spontanabort ausgestoßen werden (2). Nach der 8. (bis 10.) Wo- che p. o. können gröbere morpholo- gische Störungen nicht mehr entste- hen, jedoch sind funktionelle Defek- te denkbar (3, 4). Weitere Faktoren, die bei der Entstehung von embryo- nalen Entwicklungsentgleisungen eine bedeutende Rolle spielen, sind der Typ des exogenen Reizes (Medi- kamente, Umweltchemikalien, Ge-

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

Exogene Ursachen menschlicher

Entwicklungsstörungen

Jürgen Kleinebrecht

Aus dem Institut für Humangenetik am Klinikum

der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1980 1107

(2)

Entwicklungsstörungen

nußmittel, Infektionen, Strahlen usw.), die Dosis und der Genotyp.

Vor allem wegen der Bedeutung von Dosis und Genetyp (aber auch we- gen der Nichtanwendung) sind beim Menschen nur etwa 20 sichere be- ziehungsweise wahrscheinliche Te- ratogene bekannt, während im Tier- versuch über 800 nachgewiesen wurden (5-9). Darüber hinaus gibt es beim Menschen eine Reihe von in Verdacht stehenden Teratogenen.

Diese Liste ist im ständigen Fluß.

Alkohol

Die teratogene Wirkung des Alkoho- lismus wurde von Lerneine et al (10) in einer zunächst wenig beachteten Publikation beschrieben. Unabhän- gig hiervon legten Jenes et al (11) weitere Beweise vor. Letztere führ- ten den Begriff "fetales Alkohol Syn- drom" ein, der aber irreführend ist, denn die beschriebenen Schädigun- gen entstehen zum großen Teil wäh- rend der Embryonalperiode. Die Symptomatik (12, 13) besteht aus

CD

allgemeiner prä- und postnataler Wachstumsretardierung

@ Dysmorphie des Gesichts (Hyper- telorismus, Epikanthus, verkürzte Lidspalten, kleines Kinn, dysplasti- sche Ohren),

@ Störungen der psychischen und intellektuellen Entwicklung,

@) Mikrozephalie,

®

weiteren somatischen Störungen (Skelett, Herz, Genitale u. a.).

Dabei ist nur in Ausnahmefällen (we- niger als 5 Prozent) und dann auch nur in leichteren Fällen die geistige Entwicklung normal. Die Kinder sind jedoch in Grenzen bildungsfähig (12). Mikrozephalie liegt in über 80 Prozent der Fälle vor. ln der Regel ist die statornotorische Entwicklung um mehrere Jahre verzögert.

Der Schweregrad der Mißbildungen hängt eindeutig von der Dauer der Trunksucht ab. Daten von Majewski (14) zeigen, wie sich seine 46 Fälle von Alkoholembryopathie unter- schiedlichen Schweregrades auf die Phasen der Trunksucht verteilen.

Tabelle 1 läßt die Aussage zu, daß mit zunehmendem Schweregrad der Trunksucht der Schweregrad der Al- koholembryopathie zunimmt, sie sagt jedoch nichts aus einerseits über die Häufigkeit der Alkoholem- bryopathie in den verschiedenen Stadien des Alkoholismus und ande- rerseits über die Risiken des gele- gentlichen übermäßigen Trinkens.

Bei schwerem chronischen Alkoho- lismus wird das Risiko einer Alko- holembryopathie mit 25 bis 50 Pro- zent angegeben (15, 16). ln der kriti- schen Phase des Alkoholismus sind Risikoangaben seltener und unzu- verlässiger. Majewski et al (16) ge- ben hier ein Risiko von 20 Prozent.

Im Prodromal-Stadium sind nur ver- einzelte und dann leichtere Alkohol- embryopathien zu erwarten. Die Al- koholmenge während der Schwan- gerschaft soll dabei keine Rolle spie- len, maßgeblich soll allein das er- reichte Stadium der Trunksucht (16)

Tabelle 1: Schweregrad der Mißbildungen bei Alkoholismus

Phase der Trunksucht Grad der

Embryopathie Prodromal kritisch chronisch

I 1 10 5

II 5 11

III 2 12

1110 Heft 17 vom 24. April1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

sein. Gelegentliches Trinken stellt anscheinend kein erfaßbares Risiko dar (17).

Der Befund, daß die Alkoholembryo- pathie eindeutig mit dem Stadium des Alkoholismus der Mutter korre- liert, nicht so sehr dagegen mit der getrunkenen Menge Alkohol, führte zu der Vermutung, daß nicht der Al- kohol an sich das teratogene Agens ist, sondern daß es die Begleitum- stände (zum Beispiel Mangel- und Fehlernährung) oder Veränderun- gen im Stoffwechsel (zum Beispiel Folsäuremangell der Mutter sind. Beweise hierfür sind aber bisher nicht erbracht worden.

Schlußfolgerung:

~ Alkohol sollte in der Schwanger- schaft gemieden werden

~ Eine meßbare Risikoerhöhung ist nur bei Alkoholikerinnen zu erken- nen. ln der kritischen bis chroni- schen Phase des Alkoholismus se- hen wir eine absolute Indikation, im Prodromal-Stadium eine relative In- dikation zum Schwangerschaftsab- bruch.

Strahlen

ln der Praxis sind hier Röntgenstrah- len und radioaktive Isotope von Be- deutung.

Röntgenstrahlen

Eine embryonale Dosis von 10 rad ist allgemein als praktische Grenze der Teratogenität anzusehen, das heißt unterhalb dieser Dosis ist das Risiko so gering, daß es- im Vergleich zu sonstigen Risiken- für die Beratung der Schwangeren keine Bedeutung hat. Betont sei jedoch, daß dies kei- ne vorgegebene Grenze (kein Schwellenwert) ist, sondern eine aus praktischen Erwägungen gesetzte Grenze. Im Tierversuch ließen sich in seltenen Fällen auch bei Dosen bis unter 5 rad kleine Defekte (ge- ringfügige Wachstumsretardierung, aber keine Mißbildungen) nachwei-

(3)

sen. Die 10-rad-Grenze gilt für jedes Stadium der frühen Schwanger- schaft. Erst ab etwa 20 rad ist die Mißbildungsrate deutlich erhöht. Die auftretenden Mißbildungen sind phasenspezifisch. Die Dosis-Gren- zen 10 rad und 20 rad sind aus zahl- reichen Tierversuchen abgeleitet (7).

Die Erfahrungen beim Menschen wi- dersprechen diesen Grenzen nicht.

Die bei der Röntgendiagnostik ge- bräuchlichen Dosierungen über- schreiten nur selten den Wert von 1 rad. Besteht der Verdacht, daß eine embryonale Dosis von 1 rad über- schritten ist, so sollte eine sorgfälti- ge Abschätzung, bei einer vermute- ten Dosis von über 5 rad eine sorg- fältige Berechnung der tatsächli- chen embryonalen Dosis erfolgen (18). Die embryonale Dosis läßt sich aus Angaben über Spannung, Filter, Abstand und wenn möglich, Anga- ben über mA und Dosisleistung be- rechnen.

Für die Praxis seien einige Richtzah- len von embryonaler Dosis (19) pro kompletter Röntgendiagnostik ge- nannt

HWS 2 mrad

BWS 9 mrad

LWS 275 mrad

Gallenblase 200 mrad

i. v. Pyelogramm 400 mrad

Hüfte 300 mrad

Schlußfolgerung

Eine Röntgenbelastung von weniger als 10 r führt zu keiner erkennbaren Risikoerhöhung. Diese Grenze wird bei der Röntgendiagnostik nur in Ausnahmefällen überschritten.

Oberhalb von 20 rad sehe ich eine absolute Indikation, zwischen 10 rad und 20 rad eine relative Indikation zum Schwangerschaftsabbruch.

Radioaktive Isotope

Von praktischer Bedeutung ist hier nur 131-J. Eine teratogene Wirkung (unter anderem Zerstörung der Schilddrüse und Hypothyreose) wur- de bisher nur bei therapeutischen

(ablativen) Dosen berichtet (16), nicht dagegen bei diagnostischen Dosen (mit Ausnahme eines Falles (20)). 131-J wird erst ab Tag 74 p. m.

in die fetale Schilddrüse aufgenom- men und kann auch erst dann seine teratogene Wirkung entfalten (15).

Für die Szintigraphie kann 131-J durch 99m-Tc ersetzt werden, das im Hinblick auf die Schwangerschaft viele Vorteile aufweist (kleinere Halbwertzeit, keine ß-Strahlung, wird nicht in Thyroxin eingebaut).

Schlußfolgerung

Diagnostische Dosen von 131-J füh- ren zu keiner erkennbaren Risikoer- höhung.

Tetrazykline

Tetrazykline werden in Röhrenkno- chen, Zähnen (und wachsenden Tu- moren) abgelagert.

Die Einlagerung in den Zähnen führt beim Menschen zu Zahnverfärbun- gen: graubraun, gelb, braun. Gelbe Zähne werden nach Lichteinwirkung sukzessive dunkler, bis sie braun sind.

Die Tetrazykline wirken nur während der Kalzifizierungsphase. Diese dau- ert bei den 1. Zähnen vom Ende des 4. Schwangerschaftsmonats bis zum 11. bis 14. Monat postnatal und bei den 2. Zähnen von kurz vor der Ge- burt bis zum Alter von 7 bis 8 Jahren.

Schon die therapeutische Dosis (1 g/

Tag) über drei Tage gegeben, kann ausreichen, um bei den ersten Zäh- nen eine Verfärbung zu bewirken.

Eine Verfärbung der bleibenden Zähne ist nur nach Langzeit-Thera- pie bekannt (21).

Die verschiedenen Tetrazykline wir- ken unterschiedlich stark „terato- gen", Oxytetrazyklin ist am schwächsten. Sonstige Mißbildun- gen, wie sie von einigen Autoren bei Ratten beschrieben — von anderen aber nicht beobachtet wurden — sind beim Menschen nicht bekannt.

Aminopterin, Methotrexat, Folsäuremangel

Die Folsäureantagonisten Amino- pterin und Methotrexat sind Zytosta- tika. Aminopterin bewirkt bei Ratte und Maus nach Injektion schon von kleinen Dosen den Tod der Embryo- nen. Thiersch (22) nutzte dies erst- mals zum Schwangerschaftsab- bruch beim Menschen aus. Bis 1962 waren 44 Fälle publiziert, in denen ein therapeutischer Schwanger- schaftsabbruch mit Aminopterin ver- sucht wurde, was in 30 Prozent der Fälle mißlang. 50 Prozent der gebo- renen Kinder waren mißgebildet (23). Hauptsymptome der komple- xen Mißbildungen nach Aminopterin sind:

> Kraniale Dysostose (fehlende/ver- zögerte Ossifizierung der Schädel- kalotte),

> eventuell Hydrozephalus,

> Hypertelorismus,

> Mikrognathie,

> Ohranomalien,

> Gliedmaßenmißbildungen u. a. m.

Methotrexat hat eine ähnliche Wir- kung (23). Schwächere Formen des Folsäuremangels, seien sie „natür- lich" oder durch andere Medika- mente bewirkt, scheinen beim Men- schen harmlos zu sein.

Antikoagulantien

Cumarin-Derivate, die als Antiko- agulantien wirken, können Mißbil- dungen auslösen. Bisher (24, 25, 26) wurden mehr als 20 Fälle beschrie- ben, nachdem der erste Bericht 1966 auftauchte. Hauptsymptome sind:

> Schwere Hypoplasie der Nasalia,

> Kalzifizierungspunkte in den Epi- physen,

> eventuell Brachydaktylie (End- phalangen).

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1980 1111

(4)

Entwicklungsstörungen

Zur Differentialdiagnostik muß an das Conradi-Hünermann-Syndrom ( = Chondrodystrophia congenita calcificans) gedacht werden. Als Ur- sache der Mißbildungen wurden em- bryonale Blutungen angenommen, was aber histologisch- nach Appli- kation in der Frühschwangerschaft- nicht bestätigt werden konnte (27).

Exakte Angaben über Dosisgrenze oder Mißbildungsrisiken liegen nicht vor. Zur. Zeit ist, wenn man die Lite- raturzusammenstellung von Nishi- mura und Tanimura zugrunde legt (6), mit einem Mißbildungsrisiko von 2 bis 3 Prozent zu rechnen, was je nach Population und Definition des Begriffs Mißbildung - als normal oder leicht erhöht bezeichnet wer- den kann. Einzelne Schätzungen nennen aber auch höhere Risiken (26). Es empfiehlt sich, wenn es the- rapeutisch möglich ist, in der Schwangerschaft auf Heparin über- zugehen, da Heparin die Plazenta nicht passiert. Dies sollte vor allem im ersten Trimenon (wegen eventu- eller Mißbildungen) und im letzten Monat (wegen embryonaler Blutun- gen) geschehen.

Organische

Quecksilber-Verbindungen

Von diesen sind nur solche mit einer Alkylgruppe und hiervon vor allem Methylquecksilber teratogen. Letz- teres wurde als Fungizid eingesetzt.

Über behandelte Weizenkörner, die eigentlich als Saatgut gedacht wa- ren, aber zu Mehl verarbeitet wur- den, kam es im Irak zu einer Epide- mie. in anderen Ländern gelangte Methylquecksilber über die Kette ln- dustrieabwässer- Fische zum Men- schen. Am bekanntesten ist die Epi-

dernie von Minimata und Niigata (Ja- pan). Insgesamt wurden 25 Fälle von fetaler Minimataerkrankung bekannt (27, 28). Hauptsymptome sind: Mo- torische Störungen, VerhaltEmsstö- rungen, Blindheit, Taubheit und an-· dere ZNS-Störungen (sehr variabel).

Andere Organe als das ZNS sind nicht betroffen.

Thalidomid

Anhand der Thalidomidembryopa- thie (29) lassen sich die Gesetzmä- ßigkeiten, die im Tierexperiment er- arbeitet wurden, am Menschen überprüfen. Dabei zeigt sich vor al-

lem, daß die sensible Phase gut mit

tierexperimentellen Daten überein- stimmt. Diese besonders empfindli- che Phase der Embryonalentwick- lung wird beim Menschen bezüglich Thalidomid mit dem 39. bis 49. Tag p. m. (30) oder dem 34. bis 50. Tag

p. m. (31 und andere Autoren) ange-

geben. Diese Zeiträume bezeichnen sicherlich nur das Maximum der Störanfälligkeit Leichtere und eher

isolierte Mißbildungen sind auch au-

ßerhalb dieser Zeiträume zu erwar- ten; sie entgehen aber häufig der Beobachtung. Innerhalb der sensi- blen Phase zeigen sich eindeutige Abhängigkeiten der einzelnen Miß- bildungstypen (32). Die Dosisabhän- gigkeit und das Mißbildungsrisiko ist bei der Thalidomidembryopathie noch nicht abschließend geklärt.

Lenz (33) postuliert ein 100-Prozent- Risiko, wenn Thalidomid in der sen- siblen Phase genommen wurde. Be- funde von Kajii et al (34) lassen die Vermutung zu, daß das Risiko nur 50 Prozent betragen könnte-immerhin noch ein erschreckender Prozent- satz und nur vergleichbar mit den Risiken bei früher Rötelninfektion.

Tabelle 2: Mißbildungsrate bei "Epilepsie

+

Antikonvulsiva··

Epilepsie + Kontrolle Epilepsie

Antikonvulsiva unbehandelt

...!.§.!_

= 6 1% 4241 6

2633 ' 150543 = 2

'8

% 389 = 1'5%

1112 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Antikonvulsiva

Neben den Sexualhormonen stellen bezüglich einer möglichen teratoge- nen Wirkung die Antikonvulsiva zur Zeit wohl das größte Problem dar, da nur wenigeverläßliche Aussagen ge- macht werden können. Fest steht, daß der Komplex "Epilepsie + Anti- konvulsiva" eine erhöhte Mißbil- dungsrate aufweist. Sie ist etwa dop- pelt so hoch wie die allgemeine Miß- bildungsrate. Eine eigene Zusam- menstellung aus 18 Publikationen bis 1975 ergibt die in Tabelle 2 wie- dergegebenen Zahlen. Zu im Prinzip vergleichbaren Ergebnissen kommt Janz (35) in seiner Zusammenstel- lung von Literaturdaten.

Auf die Fragen, ob die zweifellos er- höhte Mißbildungsrate durch die

"Epilepsie", die "Antikonvulsiva"

oder durch den Komplex "Epilepsie + Antikonvulsiva" bewirkt wird, ist zur Zeit noch keine zuverlässige Ant- wort möglich. Es scheint jedoch so, als komme der Epilepsie (oder deren nicht optimaler Behandlung?) die größere Bedeutung zu und den Anti- konvulsiva die geringere (35, 36).

Würde die Epilepsie der Mutter die erhöhte Mißbildungsrate oder zu- mindest einen Teil dieser Erhöhung bewirken, so könnten genetische Faktoren (im Sinne der Polygenie) oder exogene Faktoren (die Erkran- kung der Mutter ist vom Embryo her gesehen exogen) der Grund sein.

Genetische Ursachen sind von Fra- ser et al (37) ausführlich untersucht - und verneint worden. Dagegen sind Erkrankungen der Mutter als exogene Ursache von Mißbildungen bei anderen Erkrankungen (u. a.

Diabetes) gesichert oder wahr- scheinlich.

Für einzelne Antikonvulsiva ist eine teratogene Wirkung beim Menschen beschrieben worden, wobei speziel- le Syndrome aufgestellt wurden.

Hydantoin

..,.. Hauptsymptome sind: Prä- und postnatales Wachstumsdefizit, Mi- krozephalie, geistige Retardierung, kraniofaziale Dysmorphien (kurze

(5)

breite Nase, Epikanthus, geringer Hypertelorismus, Ptosis, Strabis- mus, breiter Mund).

..,.. Seltener werden beobachtet: Lippenspalte und/oder Gaumenspal- te, Hypoplasie der Nägel und dista- len Phalangen, fingerähnliche Dau- men. Die Diagnose ist nur über meh- rere Symptome möglich. Das volle klinische Bild (Hauptsymptome) soll nach Hanson (38) bei mindestens 10 Prozent der exponierten Kinder vor- handen sein, während weitere 30 Prozent ein abgeschwächtes Bild zeigen. Bei seinem Krankengut, 35 untersuchte Kinder, handelt es sich aber nur um eine kleine Serie, außer- dem fehlen Angaben über die Miß- bildungsrate in der Kontrolle. Ein so ausgeprägter Effekt des Hydantoins wurde in einer großen amerikani- schen prospektiven Studie nicht be- obachtet (36). Hier wurden nach Hydantoin zwar ebenfalls etwa 10 Prozent Mißbildungen beobachtet.

Dies entsprach aber nur einer Ver- doppelung der Mißbildungsrate.

Trimethadion

Trimethadion und andere Antikon- vulsiva vom Oxazolidin-Typ wurden ebenfalls verdächtigt; Mißbildungen beim Menschen zu bewirken. ..,.. Hauptsymptome (39) sind: Ent- wicklungsverzögerung (50 Prozent), Sprachschwierigkeiten (60 Prozent), V-förmige Augenbrauen, Epikan- thus, tiefsitzende Ohren mit nach vorne gefalteter Helix (40 Prozent), Gaumenanomalien (40 Prozent), un- regelmäßige Zähne.

..,.. Als weitere Symptome werden u. a. genannt: intrauterine Wachs- tumsretardierung, Mikrozephalie, Augenanomalien, Hypospadie, 4- Finger-Furche.

Auffällig ist, daß im Gegensatz zum Hydantoin-Syndrom keine Nagel- und Phalangenhypoplasie beobach- tet wird. Von 53 Schwangerschaften aus der Literatur (40) endeten 13 (24 Prozent) als Spontanabort. Von den 40 Lebendgeborenen waren 33 ( =

83 Prozent) mißgebildet, 14 von die-

Tabelle 3: Mißbildungsrate bei Rötelninfektion

Nach Infektion im 1. Monat: 50% Entwicklungsstörungen Nach Infektion im 2. Monat: 30% Entwicklungsstörungen Nach Infektion im 3. Monat: 10% Entwicklungsstörungen Nach Infektion im 4. Monat: 5% Entwicklungsstörungen

sen 33 starben. Von den 53 war nur in 8 Fällen Trimethadion allein ge- nommen worden, wobei sieben Kin- der mißgebildet waren.

Schlußfolgerung

Bei Therapie mit Antikonvulsiva muß man mit einer Verdoppelung der Mißbildungsrate rechnen. Die Epi- lepsie unbehandelt zu lassen, ist aber auch im Hinblick auf eine even- tuelle Schädigung des Embryos nicht zu verantworten. Präparate mit Hydantion oder Trimethadion sind, wenn möglich, zumindest in der kri- tischen Phase der Embryogenese, zu meiden oder möglichst niedrig zu dosieren.

Viren

Die Embryonalentwicklung kann durch Viren auf verschiedenen We- gen beeinträchtigt werden. Beim Menschen wurde bisher allerdings nur die transplazentare Infektion des Embryos nachgewiesen. Bei Tieren dagegen sind Störungen der Em- bryonalentwicklung ohne Infektion des Feten (systemische Wirkung auf die Mutter oder Infektion der Plazen- ta) und mit Infektion des Feten (verti- kal, transovar, aufsteigend oder transplazentar) bekannt (41 ).

Röteln

Nach Infektion der Feten treten ent- zündliche Prozesse und Zellnekro- sen auf. Dadurch kann es zu Mißbil- dungen und/oder funktionellen Schäden der betroffenen Organe kommen. Das klinische Bild ist sehr

variabel (37). Am augenfälligsten be- troffen sind das Herz-Kreislauf-Sy- stem (Hypoplasie der Arteria pulmo- nalis, offener Ductus arteriosus, Septumdefekte), das Zentralnerven- system (Enzephalitis, geistige Retar- dierung, Mikrozephalie erst später),

die Augen (Katarakt), das Blutsy-

stem (Purpurea und Thrombozyto- penie), die Leber (Hepatosplenome- galie, Gelbsucht), die Knochen (Feinstörungen der Metaphysen) und die Ohren (Gehörstörungen un- terschiedlichen Schweregrades bis zur Taubheit).

Das Mißbildungsrisiko hängt ein- deutig vom Zeitpunkt der Infektion ab, mit fortschreitender Schwanger- schaft nimmt es immer mehr ab. Die Angaben über die Höhe des Risikos schwanken in der Literatur stark.

Richtwerte gibt Tabelle 3 .

..,.. Die Folgen einer Impfung mit le- benden, abgeschwächten Viren während der Schwangerschaft las- sen sich noch nicht endgültig be- urteilen.

Das Virus findet sich auch nach ei- ner Impfung in Plazenta und fetalen Organen. Dabei zeigt die Plazenta die gleichen Störungen wie nach na- türlicher Infektion. Das Mißbildungs- risiko ist jedoch wesentlich geringer als früher vermutet wurde.

Bisher ist nach Rötelnimpfung nur ein Fall von Rötelnembryopathie in über 150 publizierten Fällen berich- tet worden. Damit dürfte das Risiko unter 1 Prozent liegen. Um auch die- ses Risiko zu vermeiden, sollte 2 Mo- nate vor und vor allem während der Schwangerschaft nicht geimpft wer-

den. [>

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 17 vom 24. April1980 1113

(6)

Entwicklungsstörungen

Zytomegalie

Die Durchseuchungsrate beträgt nur etwa 60 Prozent, und in 3 bis 5 Pro- zent der Schwangerschaften treten frische Infekte auf (43, 44, 45). Von den Neugeborenen sind etwa 1 Pro- zent (die Angaben schwanken zwi- schen 0,5 Prozent und 2 Prozent) Ausscheider. Von diesen wieder sind maximal10 Prozent geschädigt (43, 44, 45, 46, 47).

..,.. Hauptsymptome sind: Hepato- splenomegalie, Thrombozytopenie, intrauterine Wachstumsretardierung und Enzephalitis. Relativ häufig sind auch Mikrozephalie- 10 bis 25 Pro- zent aller Mikrozephalen sind CMV- Ausscheider- und Anämie zu beob- achten.

Als weitere Symptome treten unter anderem auf: Chorioretinitis, Opti- kusatrophie, Hydrozephalus, Myo- karditis. Unter Berücksichtigung der obigen Daten ist nach Infektion wäh- rend der Schwangerschaft das Risi-

·ko für den Feten mit etwa 0,1 Pro- zent anzunehmen.

Andere Viren

Nach Windpocken/Herpes zoster in der Schwangerschaft sind vereinzelt angeborene Defekte beschrieben worden. Bisher wurden 11 Fälle be- richtet (49).

Schwerer wiegend als das Risiko für Mißbildungen nach Infektion in der Frühschwangerschaft scheint die In- fektion unmittelbar vor der Geburt (0 bis 4 Tage) zu sein (49). ln die- sem Fall sind bei 6 Prozent der Kin- der schwere Schädigungen (Tod, schwere neurologische Schäden) zu erwarten.

Sever et al (46) halten eine teratoge- ne Wirkung von Herpessimplex mit ähnlichem klinischen Bild wie nach CMV-Infektion für möglich.

Insgesamt ist jedoch bei keiner Vi- rusinfektion während der Schwan- gerschaft mit Ausnahme von Röteln ein ernstes Risiko für Mißbildungen gegeben. Wohl aber ist häufig die

Abortrate nach Infektion im ersten Trimenon erhöht. ln der Spät- schwangerschaft reagiert der Föt auf Infektionen ähnlich wie ein Neu- geborenes.

Toxoplasmose

Die Durchseuchungsrate mit Toxo- plasma gondii ist regional unter- schiedlich (Paris 80 Prozent; USA 40 Prozent) und überdies altersabhän- gig (50).

ln der Bundesrepublik Deutschland wurden bei den un-ter 20jährigen ei- ne Durchseuchungsrate von 63 Pro- zent und bei mindestens 40jährigen eine Durchseuchungsrate von 80 Prozent festgestellt (43). Die Rate der frischen Infekte während der Schwangerschaft liegt unter 1 Pro- zent. Die Hauptinfektionsquelle ist der Genuß von rohem Fleisch. Da- durch wird das Infektionsrisiko um ein Drittel erhöht (43).

Deutlich weniger als 20 Prozent der Infizierten zeigen bei Geburt Anzei- chen einer Erkrankung, 40 Prozent von ihnen sind geschädigt. Daraus resultiert bei Infektion während der Schwangerschaft ein Risiko von deutlich weniger als 8 Prozent. Die- se Abschätzung des Risikos nach oben ist jedoch unbefriedigend, da sie möglicherweise vom realen Risi- ko wesentlich abweicht. So war von 41 Kindern aus einer prospektiven Studie nach frischer Infektion wäh- rend der Schwangerschaft keines betroffen (43). Das reale Risiko könnte deshalb eher im Bereich von 1 Prozent liegen.

Infektion in der Frühschwanger- schaft führt zu den schwersten Schäden, während nach Infektion im 3. Trimenon der Zustand bei der Ge- burt oft asymptomatisch ist.

Die Sterberate der geschädigten Kinder beträgt 12 Prozent (46). Von den Überlebenden sind 85 Prozent geistig retardiert, 60 Prozent spa- stisch gelähmt, bei 50 Prozent ist das Sehvermögen stark geschädigt, und 20 Prozent zeigen Hydrozepha- lus oder Mikrozephalus.

1114 Heft 17 vom 24. April1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Syphilis

Die Infektion mit Treponema palli- dum schädigt den Feten nur dann, wenn die Infektion nach der

16. Schwangerschaftswoche erfolgt

und keine rechtzeitige Behandlung erfolgt (51). Das Schädigungsmuster variiert von der Sepsis des Neugebo- renen mit nachfolgendem Tod bis zum asymptomatischen Zustand in der Kindheit mit anschließender ter- tiärer Syphilis im frühen Jünglings- alter (51, 52). Genaue Angaben des Risikos sind nicht möglich, es scheint aber sehr hoch zu sein (51).

Diabetes der Mutter

Seit Einführung der Insulinbehand- lung hat sich die Konzeptionsfähig- keit verbessert, während mütterliche Sterblichkeit und fetale Verluste zu- rückgegangen sind, ist mit folgen- den Risikoerhöhungen gegenüber dem Durchschnittsrisiko der Bevöl- kerung zu rechnen: Aborte 2mal, Mißbildungen 3- bis 4mal häufiger

(43, 53). Darüber hinaus ist die Rate

der Totgeburten deutlich erhöht.

Der pathologische Schwanger- schaftsausgang ist korreliert mit der Dauer des Diabetes und der Güte der Blutzuckerkontrolle in der Schwangerschaft.

Schilddrüsenerkrankung der Mutter

Im Fall einer Schilddrüsenerkran- kung können Unterfunktion, Jod- mangel, Überfunktion, Therapie und Diagnostik zu fetalen Schäden füh- ren (54). Bei Hypothyreose der Mut- ter wurden erhöhte Raten von Spon- tanaborten, Frühgeburt, Totgeburt und größeren Anomalien berichtet (55). Bei ernährungsbedingtem Jod- mangel ist das Risiko für Totgeburt, frühkindliche Sterblichkeit und Kre- tinismus erhöht (56).

Bei unbehandelter Hyperthyreoseist in schweren Fällen mit einer stark erhöhten Abortrate (etwa 40 Pro- zent) und einer leicht verstärkten pe- rinatalen Sterblichkeit (etwa 2 Pro- zent) zu rechnen. Behandlung mit

(7)

Antithyreoidea senkt diese Werte in den Bereich der Norm. Bei alleiniger Medikation mit Antithyreoidea ist je- doch in 15 bis 20 Prozent ein ange- borener Kropf zu erwarten (57, 58, 59). Der Kropf bildet sich in der Re- gel innerhalb einiger Monate von selbst zurück. Bei gleichzeitiger Hormonsubstitution läßt sich der an- geborene Kropf vermeiden.

Phenylketonurie

Etwa 80 Prozent der Kinder von Phe- nylketonurikerinnen sind geschä- digt. Im Vordergrund steht die Mi- krozephalie. Daneben wurden in- trauterine Wachstumsretardierung, verschiedene Mißbildungen und ei- ne erhöhte Rate von Spontanabor- ten berichtet (60). Eine Literaturzu- sammenstellung (61) von 72 Fällen, in denen die Mütter einen Phenylala- ninspiegel über 20 mg/100 ml hat- ten, berichtet, daß bei 54 Prozent Mikrozephalie, bei 46 Prozent in- trauterine Wachstumsretardierung und bei 35 Prozent neurologische Auffälligkeiten vorlagen. Die Wieder- aufnahme phenylalaninfreier Diät

vor dem Eintreten einer Schwanger- schaft, so daß ein Phenylalaninspie- gel von 20 mg/100 ml nicht über- schritten wird, verhindert bis auf Einzelfälle Mißbildungen.

Sexualhormone

Androgene und synthetische Proge- stagene (17-substituierte Steroide) können eine Vermännlichung weib- licher Feten hervorrufen. Hierzu sind über 600 Fälle bekannt (62). Bei den Mißbildungen handelt es sich um unterschiedliche Grade von Klitoris- vergrößerung und um Fusion der Labien. Die Klitorisvergrößerungen wurden bei Medikation ab der 12.

Embryonalwoche, die Fusion der La- bien bis zur 12. Woche beobachtet (6). Beide Fehlbildungen sind opera- tiv gut behebbar. Der früheste Zeit- punkt, zu dem eine Fusion der La- bien induziert werden kann, läßt sich embryologisch abschätzen. Bis zur 6. Embryonalwoche ist das äußere Genitale noch indifferent. Ab der 9.

Woche zeigen sich bei weiblichen

und männlichen Embryonen Unter- schiede der Urogenitalfalten. Diese Phase ist korreliert mit dem Beginn der Androgenproduktion. Somit kann man (mit einem Sicherheitsab- stand von zwei Wochen) eine exogen induzierte Vermännlichung weiblicher Feten vor der 7. Embryo- nalwoche ausschließen.

Die meisten bisher beobachteten Fälle traten auf zum einen nach An- wendung von Androgenen in hohen Dosen wegen Mammakarzinom und zum anderen in den 50er Jahren bei Anwendung von Progestagen im Fall eines drohenden Aborts. Bei den Progestagenen betreffen die meisten Fälle Ethisteron und Nore- thisteron. Beim Norethisteron steigt das Risiko für weibliche Feten bei einer Dosis von 10 bis 14 mg/Tag auf bis 15 bis 20 Prozent (63). Neuere Progestagene scheinen ein Risiko von weniger als 10 Prozent zu haben (6). Diese hohen Risiken gelten für die Langzeittherapie. Wie hoch das Risiko bei kurzfristiger Anwendung (zum Beispiel beim hormonellen Schwangerschaftstest) ist, ist unge- klärt. Es scheint jedoch wesentlich (vernachlässigbar?) niedriger zu sein.

Seit etwa fünfzehn Jahren wird eine Korrelation von weiblichen Sexual- hormonen mit sonstigen Mißbildun- gen (neben der Vermännlichung weiblicher Feten also) diskutiert. Die Diskussion wurde vor allem von Gal (64) in die Öffentlichkeit getragen.

Sie geht um die Frage, ob durch Progestagene im hormonalen Schwangerschaftstest Neuralrohr- defekte ausgelöst werden. Die Arbei- ten von Gal kranken an einem ent- scheidenden Fehler, der für jeden Embryologen offensichtlich ist: die hormonalen Schwangerschaftsteste wurden 2 bis 3 Wochen nach dem Termin durchgeführt, bis zu dem der Schluß des Neuralrohres verhindert werden kann (65). Arbeiten anderer Autoren zeigen statistische Korre- lation zwischen Sexualhormonen (hormonaler Schwangerschaftstest, Ovulationshemmer) und Mißbildun- gen der Extremitäten oder des Herz- Kreislauf-Systems. Nocke (66) hat sich kürzlich ausführlich und kri-

fisch mit der umfangreichen und wi- dersprüchlichen Literatur auseinan- dergesetzt. Er kommt zu dem Schluß, „daß ein ursächlicher Zu- sammenhang zwischen Hormonex- position in der Schwangerschaft und kongenitalen Mißbildungen nicht einmal als allgemein gültige Hypothese akzeptiert werden kann".

Auch wenn man dem nicht ganz zu- stimmt, so muß doch betont wer- den, daß dem Problem zwar weiter- hin wissenschaftlich nachgegangen werden muß und, daß man vor- sichtshalber auch von hormo- nalen Schwangerschaftstests abse- hen sollte, daß andererseits aber das Gesamtmißbildungsrisiko einer Schwangerschaft (unbeschadet ei- ner eventuellen Erhöhung von Einzelmißbildungen) durch einen hormonalen Schwangerschaftstest nicht meßbar verändert wird. Dem entsprechen auch die Daten aus dem US Collaborative Perinatal Pro- jekt (31).

Abschließende Betrachtung Es vergeht kein Monat, in dem nicht der Verdacht erneut auftaucht, daß irgendein Medikament, eine Infek- tion, eine Umweltbelastung, eine Krankheit usw. teratogene Wirkung beim Menschen habe. Glücklicher- weise bestätigen sich diese Vermu- tungen nur in den seltensten Fällen.

Leider wird mancher Verdacht aber voreilig geäußert, d. h. er wäre bei besserem statistischen Verständnis oder besseren embryologischen Kenntnissen gar nicht entstanden.

Was aus ungerechtfertigten Ver- dächtigungen folgt, hat einer der Vä- ter der Teratologie — Warkany (24) — wie folgt beschrieben:

„Einem Medikament eine teratoge- ne Wirkung zuzuschreiben, sollte mit Vorsicht getan werden. Seit Tha- lidomid den allgemeinen Argwohn auf Medikamente und andere chemi- sche Substanzen gerichtet hat, sind eine Reihe von Erzeugnissen ohne hinreichenden Beweis angeklagt worden, teratogen zu sein. Während Wachsamkeit und Argwohn in dieser Beziehung gerechtfertigt und not- wendig sind, muß sorgfältige Abwä-

1116 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(8)

Beim mechanischen Ikterus findet — als Weiterentwicklung der diagnosti- schen Chiba-Punktion — die prä- operative oder palliative Gallen- gangsdrainage zunehmend Verwen- dung, um den Patienten in einen besseren Zustand zu versetzen be- ziehungsweise den lästigen Juckreiz zu beseitigen.

Bei 48 Patienten mit Verschlußikte- rus wurde auf perkutanem, transhe- patischem Wege ein Polyäthylentu- bus in den Gallengang eingeführt.

Bei den meisten Patienten gelang es, durch Vorschieben des Ablei- tungskatheters bis in das Duodenum eine innere Drainage herzustellen, bei zehn Patienten erfolgte die Gal- leableitung nach außen. Bei 27 Pa- tienten konnte eine Normalisierung

Bei Ophthalmo-Chirurgen und Oph- thalmo-Pathologen verstärkt sich der Verdacht, daß das maligne Mela- nom der Aderhaut — im Gegensatz zu anderen malignen Tumoren —sel- ten vor dem Zeitpunkt der Entdek- kung und Behandlung metastasiert ist. Man beobachtet jedoch ein rapi- des Ansteigen der Mortalität in den Jahren nach der Enukleation, so daß die Operation als mögliche Ursache der raschen Metastasierung disku- tiert wird.

Wie sich unbehandelte maligne Me- lanome oder Aderhaut verhalten, ist dagegen wenig bekannt. Die Schwierigkeit der Beurteilung sol- cher Fälle liegt vor allem darin, daß wenige Veröffentlichungen über un- behandelte Melanome vorliegen und man andererseits das Risiko des Zu- wartens nicht eingehen möchte.

Bei 29 Patienten, die zum Zeitpunkt der Enukleation bereits Metastasen hatten beziehungweise wegen Meta- stasen nicht mehr enukleiert worden waren, lag die Zahl der erkrankten

FÜR SIE GELESEN

der Bilirubinwerte erreicht werden.

Die Überlebenszeit der 32 Patienten mit permanenter Endoprothese vari- ierte zwischen acht und 560 Tagen.

Bei einem Patienten kam es als Komplikation des Eingriffs zu einer intraabdominellen Blutung, zehn Patienten klagten am ersten Tag nach Einlegen der Drainage über mäßige Leibschmerzen.

Die Autoren empfehlen ihr Verfah- ren als Alternative zur bilio-digesti- ven Anastomose bei Patienten mit inoperablem malignen Verschluß- ikterus.

Burcharth, F.; Jensen, I.; Olesen, K.: Endopro- sthesis for internal drainage of the biliary tract.

Technique and results in 48 cases, Gastroente- rology 77 (1979) 133-137, Departments of Sur- gical Gastroenterology and Radiology, Herlev Hospital, University of Copenhagen, Denmark

Männer doppelt so hoch wie die der Frauen, was darauf hinweist, daß dieser Tumor—wie übrigens auch in der Haut — bei Männern eine wesent- lich schlechtere Prognose hat.

Kleinere, spindelzellige Tumoren fanden sich meist bei jüngeren Pa- tienten, große und epitheloidzellhal- tige dagegen mehr bei älteren. Über die Hälfte der Fälle zeigte bereits eine erhebliche extrabulbäre Aus- breitung, ein Befund, den man bei enukleierten Melanomaugen selte- ner findet.

Anhand von 27 eigenen Beobach- tungen und 122 Beobachtungen ei- ner anderen Klinik sehen sich die Autoren in ihrer Vermutung bestä- tigt, daß das Uveamelanom lange Zeit, meist über zehn Jahre, langsam wächst, ehe es jenes Stadium er- reicht, in dem es plötzlich zu einer Aussaat kommt. Srm

Zimmerman, E. L.; McLean, Metastatic dis- ease from untreated uveal melanomas. Amer.

J. of Ophthal., 88 (1979) 524-534

Entwicklungsstörungen

gung von nutzbringenden Chemika- lien stattfinden, bevor sie aufgrund unbewiesener Anklagen aus dem Verkehr gezogen werden. Die Ver- antwortung der Anklagenden ist be- trächtlich, weil sie einen Patienten vom Nutzeffekt einer kostbaren me- dikamentösen Behandlung aus- schließen können".

Man sollte hinzufügen: „. . oder zu- mindest den Arzt und die schwange- re Patientin entscheidend verunsi- chern".

Wie immer bei seinem Handeln, aber insbesondere bei bestehender Schwangerschaft muß der Arzt ab- wägen, was für seinen Patienten, in diesem Fall für die Mutter und den Embryo, besser ist, die Krankheit zu behandeln oder sie unbehandelt zu lassen. Für den Embryo ist es in fast jedem Fall besser, die Krankheit der Mutter zu behandeln.

Literatur

Shepard, Th. H.: Catalog of teratogenic agents, The Johns Hopkins University Press, Baltimore (1976) — Bierich, J. R.: Pränatale Schädigungen durch Alkohol, Gynäkologe 11 (1978) 142-150

— Stieve, F.-E.: Strahlenexposition als Indika- tion zum Schwangerschaftsabbruch, Internist 19 (1978) 299-303 — Cohlan, S. 0.: Tetracycline staining of teeth, Teratology 15 (1977) 127-130

— Warkany, J.: Aminopterin and methotrexate:

folic acid deficiency, Teratology 17 (1978) 353-358 — Warkany, J.: Warfarin embryopathy, Teratology 14 (1976) 205-210 —Janz, D.: Haben Antiepileptika eine teratogene Wirkung beim Menschen?, Dtsch. Med. Wschr. 103 (1978) 485-487 — Heinonen, 0. P., Slone, D., and Sha- piro, 5.: Birth defects and drugs in pregnancy, Publishing Sciences Group Littleton (1977)

—Deutsche Forschungsgemeinschaft, Schwan- gerschaftsverlauf und Kindesentwicklung, Ha- rald Boldt-Verlag, Boppard (1977) — Luthardt, Th.: Zytomegalie, Dt. Ärzteblatt 76 (1979) 488-492 — Hörnchen, H., Stuhlsatz, H. W., Pla- gemann, L., Eberle, P., und Habedank, M.: Kin- der phenylketonurischer Mütter, Dtsch. Med.

Wschr. 102 (1977) 308-312 — Nocke, W.: Sind weibliche Sexualsteroide teratogen?, Gynäko- logie 11 (1978) 119-141 — Weitere Literatur im Sonderdruck.

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. rer. nat.

Jürgen Kleinebrecht Institut für Humangenetik am Klinikum der

Johann Wolfgang Goethe- Universität

Paul-Ehrlich-Straße 41 6000 Frankfurt am Main 70

Endoprothese zur inneren Gallengangsdrainage

Metastasenbildung bei unbehandelten Uveamelanomen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 17 vom 24. April 1980 1117

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

MÖRSCH wies bereits nach dem Vorliegen der Ergebnisse des Heftes 48 darauf hin, daß die Verhältnisse nicht so günstig für die halbe Schubsicherung beim durch- laufenden Balken

Indes: Die Sorgfalts- Arzneimittel verordnen pflicht gebietet es, daß der oder alternative Therapie- Arzt den Patienten nach konzepte erwägen.. Unab- den Grundsätzen der Not-

Sind nämlich die Zeichen nicht so deutlich, und dies wiederum hängt nicht nur von den Zeichen selbst, sondern auch von der Urteilskraft des Leidenden ab, die ihrerseits

So müßte ein emeritierter Professor das Honorar für ein Buch, das er im Ruhestand schreibt, auf seine Pension anrechnen lassen, und es erginge ihm damit nicht anders

Wenn der Mäzen aber fehlt, um für For- schung, Wissenschaft und Technik die Mit- tel, sozusagen aus philosophischer Laune oder aus »Liebhaberei«, zur Verfügung zu stellen, so muß

Denn die Krankenkassen von Düsseldorf, München und Wiesbaden wissen sehr genau, daß 100 Pro- zent mehr Internisten etwa 60 Prozent mehr Arztko- sten — bei gleicher Patien-

Der Zinssatz für die monatlichen oder vierteljährlichen Sparlei- stungen richtet sich nach den Konditionen für Spar- konten mit vierjähriger Kündigungsfrist.. Das sind

Wie bekannt, erfolgt die Mel- dung ohne Namensnen- nung, das kann auch bei einer Verbindung mit der Honorierung so bleiben. Mein Vorschlag: die For- mulare ohne Namensnen-