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ls erstes Bundesland hat Hessen am 15. Juli 2003 in Wiesbaden mit Erlass des „Kapitels Medizi- nischer Katastrophenschutz“ Regelun- gen für die humanitäre Daseinsvorsor- geplanung beschlossen. Der Landesbei- rat für den Katastrophenschutz hatte dazu ein Konzept vereinbart, das nach Anhörung der kommunalen Spitzen- verbände in Kraft gesetzt wurde. Damit ist es erstmals gelungen, durch Bildung interministerieller Arbeitsgruppen – im Sinne eines Kompetenzzentrums – ka- tastrophenmedizinischen Sachverstand zu bündeln und ein Konzept zu erarbei- ten, das Vorbild sein kann.Das sachkundige und harmonische Zusammenwirken aller in diesem Be- reich Tätigen und deren zielorientierte Arbeit zur Verbesserung der katastro- phenmedizinischen Vorsorgeplanung ist beispielgebend. Mit der Verabschie- dung des Konzepts Medizinischer Kata- strophenschutz trägt in dieser Form Hessen Forderungen der Ärzteschaft Rechnung („Denkschrift Katastrophen- medizin“, Bundesärztekammer 1985).
Der Schwerpunkt liegt auf der Dar- stellung aller Vorbereitungen für die Versorgung einer größeren Zahl Ver- letzter und Kranker. Das beginnt bei der möglichst qualifizierten Behand- lung der Patienten bereits am Ort des Schadensereignisses und reicht bis zur Behandlung in Krankenhäusern sowie der Verbesserung der Aus-, Weiter- und Fortbildung des medizinischen Perso- nals. Die Bevorratung von Heil- und Hilfsmitteln sowie Medikamenten wur- de überprüft, und Ergänzungen wurden geregelt. Das Konzept enthält Vorschlä- ge für weitere Verbesserungen der Ver- sorgung im Katastrophenfall. So soll die Bevölkerung besser in Erster Hilfe aus- gebildet werden.
Unter Berücksichtigung katastro- phenmedizinischer Standards hatte ei- ne interministerielle Arbeitsgruppe ein- schlägige Themen bearbeitet. Hierbei
wurden unter anderem bisher nicht im- mer berücksichtigte Grundsätze be- stimmt: Das gesundheitliche Gemein- wohlinteresse und die verfassungs- rechtlich verankerte Schutzwürdigkeit der individuellen und kollektiven kör- perlichen und geistigen Integrität (Ge- sundheit) gebieten es, staatliche Vorsor- geplanung unter Einbeziehung von Sachkompetenz und Fachverstand auch oder trotz (gesundheits-)ökono- mischer Zwänge zu betreiben. Leitsät- zen der Rechtsprechung des Bundes- gerichtshofs folgend, gilt unter ande- rem, dass organisatorische und ökono- mische Defizite nicht die medizinisch notwendige Versorgung der Patienten gefährden dürfen. Die Existenzfähig- keit von Leistungsträgern, Leistungser- bringern und Unternehmen im Ge- sundheitswesen sowie die Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung sind wegen zivil- und strafrechtlicher sowie forensischer Implikationen das grundlegende Schutzgut des Risikoma- nagements, wie es in Deutschland unter anderem durch das Gesetz über die Kontrolle und Transparenz im Unter- nehmensbereich und andere Rechts- normen kodifiziert worden ist.
Risikomanagement erforderlich
Ein integrierter Risikomanagementan- satz in der katastrophenmedizinischen Versorgungskette muss demnach anstre- ben, in einem systematischen Prozess die Risikopotenziale, denen die Patienten, Betroffenen/Leistungsempfänger, Lei- stungserbringer und -träger ausgesetzt sind, zu analysieren und unter Beach- tung einer optimalen Kosten-Nutzen- Relation im Hinblick auf das medizinisch notwendige Versorgungsziel zu bewälti- gen. In den katastrophenmedizinischen Risikomanagementprozess des „Unter- nehmens Gesundheitswesen“ müssen al-
le Risiken einbezogen werden, die die Gesundheit beeinträchtigen können. In einem integrierenden Prozess müssen alle Risikopotenziale unabhängig von ihrer Herkunft einbezogen und in den klassischen Stufen des Erkennens, Be- wertens, Begrenzens und Finanzierens beherrschbar gemacht werden.
Nach Durchführung einer Gefähr- dungsanalyse war es Aufgabe, Arbeits- gruppen zur Erstellung des Katastro- phenschutzkonzeptes eine zukunftsori- entierte humanitäre Daseinsvorsorge- planung des Landes zu entwickeln. Zu- nächst nur ansatzweise berücksichtig- te katastrophenmedizinische Standards und Versorgungsnotwendigkeiten wur- den nach dem 11. September 2001 durch das von interministeriellen Arbeitsgrup- pen, die von der Landesärztekammer Hessen initiiert worden waren, erarbeite- te Kapitel „Medizinischer Katastrophen- schutz“ ergänzt. Die Einführung eines ganzheitlichen Risikomanagement-Sy- stems, mit dem mögliche Risiken er- kannt und bewertet sowie entsprechende Schritte zu ihrer Abwehr beziehungswei- se Minimierung eingeleitet werden kön- nen, ist als notwendig erkannt worden.
Folgende Aufgaben wurden in An- griff genommen: Risikobewusstsein und -transparenz auf allen Ebenen medizi- nischen Katastrophenschutzes wurden ebenso verbessert, wie eine Risikosy- stematik für die Identifizierung und Analyse von sämtlichen erkennbaren Risikopotenzialen/Bedrohungsszenari- en erarbeitet wurde. Angemessene Frühwarn- und Katastrophenmanage- mentsysteme müssen über die beste- henden hinaus ebenso ausgebaut wer- den wie die Anstrengungen für mehr Si- cherheit und Versorgungsqualität bei medizinischen Großschadensereignis- sen und Katastrophen. Der Integra- tionsprozess zwischen dem Sicherheits- und Risikomanagement einerseits und der interministeriellen Zusammenar- beit – unter Einbeziehung der Heilbe- rufskörperschaften, Hilfsorganisatio- nen und der Feuerwehr – andererseits ist gelungen. Die Einführung geeigne- ter Software-Tools zur Unterstützung der Umsetzung des Risikomanage- ments und Verbesserung der Logistik ist erforderlich (Telematik in der Versor- gungskette) und bedarf der weiteren Förderung. Dr. med. Michael F. R. Popovi ´c P O L I T I K
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A2268 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 365. September 2003