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Archiv "Ruhe im Staat" (09.04.2004)

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aus zu managen. Außerdem gehe in ei- nem derart großen Apparat die Basis- nähe verloren. „Die Kollegen haben kei- nen Ansprechpartner mehr vor Ort.“

Unglücklich über die Fusion und de- ren Zeitrahmen ist auch der Vorsitzen- de der KV Nord-Württemberg, Dr.

med. Werner Baumgärtner. Er sieht

„Riesenkosten“ auf die Zwangsverein- ten zukommen, denn die unterschied- lichen Honorarverteilungsmaßstäbe, Verträge mit Krankenkassen sowie die Arzneimittelobergrenzen, aber auch die Vermögen und die unterschiedli- chen Versorgungsansprüche der Mitar- beiter müssten harmonisiert werden. Er ist in guter Gesellschaft: Laut Ärzte- blatt Baden-Württemberg hat eine Blitz- umfrage in Südwürttemberg ergeben, dass mehr als 90 Prozent der dortigen Ärzte und Psychotherapeuten die Zu- sammenlegung ablehnen.

Obwohl in den KVen niemand der Fusion etwas abgewinnen kann, dürfte zumindest das Ziel der schlankeren Strukturen erreicht werden: Bislang wa- ren in Rheinland-Pfalz 115 Delegierte und 25 Vorstände in Amt und Würden, künftig werden es 40 Delegierte und in der ersten Wahlperiode fünf Vorstände sein. In Baden-Württemberg waren 220 Delegierte und 30 Vorstände am Werk, künftig werden es 50 und fünf sein.

Der gesetzlich vorgegebene Zeitrah- men für die Organisationsreform ist straff: Die Fusions-KVen haben ihre er- forderlichen Organisationsänderungen im Einvernehmen mit den Aufsichtsmi- nisterien bis zum 30. Juni durchzu- führen. Bis zum 30. September müssen in allen KVen die Wahlen zu den Ver- treterversammlungen gelaufen sein, so- dass diese bis zum 1. Dezember ihre Vorstände gewählt haben. Derzeit ar- beiten die KVen mit Hochdruck daran, ihre Wahlordnungen und Satzungen un- ter Dach und Fach zu bringen. Der Stand der Umsetzung ist unterschied- lich. In einigen KVen wie Nordrhein und Thüringen sind Satzung und Wahl- ordnung bereits genehmigt. In anderen wie Brandenburg und Berlin scheiterte eine Einigung an innerärztlichen Que- relen. In wieder anderen KVen wie Hessen und Niedersachsen haben die Aufsichtsbehörden die jeweiligen Sat- zungen nicht genehmigt, weil sie den Bezirksstellen zu viele Kompetenzen

P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 159. April 2004 AA983

Ruhe im Staat

1931 gründete der Staat die Kassenärztlichen Vereinigungen, um ein Gleichgewicht der Kräfte zu schaffen.

Bei der aktuellen Diskussion um die Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen) wird die historische Entwicklung der ärztlichen Körper- schaften oft außer Acht gelassen. Die KVen ver- weisen auf eine rund 50-jährige Geschichte und beziehen sich damit auf die Zeit des Wie- deraufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch ihre Wurzeln reichen wesentlich tiefer.

1883 wird in Deutschland die Versiche- rungspflicht für Arbeiter eingeführt, die Kran- kenkassen müssen die ärztliche Versorgung ihrer Versicherten und deren Angehörigen ge- währleisten. Mit welchen Ärzten und zu wel- chen Konditionen sie das tun, ist ihnen über- lassen. Die Kassen verfügen über das Vertrags- monopol.

Um 1900 ist ein Drittel der Deutschen in ge- setzlichen Krankenkassen versichert – in indu- striellen Ballungsgebieten sogar mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Die Ärzte sind völlig ab- hängig vom Wohlwollen der Kassen. Es kommt zu Unruhen, die Ärzteschaft organisiert sich im Leipziger Verband unter der Führung von Her- mann Hartmann, nach dem der heutige Hart- mannbund benannt ist. Die Forderungen der Ärzte sind eindeutig: Zulassung aller organi- sierten Ärzte zur Kassenpraxis; Organisation der Ärzteschaft in Selbstverwaltung; Kollektiv- statt Einzelverträge; freie Arztwahl für die Versi- cherten. Als der Reichstag im Jahr 1911 die Reichsversicherungsordnung als Vorläufer des heutigen Sozialgesetzbuches V verabschiedet, sind die Ärzte tief enttäuscht: Die „Diensther- ren-Gewalt“ der Krankenkassen bleibt un- berührt. Zwei Jahre später spitzt sich die Lage zu. Auf einem außerordentlichen Ärztetag fällt im Oktober 1913 der Beschluss für einen Gene- ralstreik zu Beginn des Jahres 1914. Die Regie- rung lenkt ein und fordert Kassen und Ärzte an den Verhandlungstisch. Das Berliner Abkom- men wird geschlossen – eine Art Burgfrieden für die nächsten zehn Jahre. Erstmals wird die so genannte Verhältniszahl eingeführt: auf 1 300 Versicherte muss jetzt ein Arzt kommen.

Ein Arztregister wird geschaffen, Richtlinien re- geln die Zulassung interessierter Ärzte, ein Ver- tragsausschuss kontrolliert die Verträge zwi- schen Kassen und Ärzten. Dies sind die Anfänge der späteren gemeinsamen Selbstverwaltung.

Krieg und Inflation behindern die weitere Ent-

wicklung. Es geht weder dem Staat noch den Kassen, noch den Ärzten gut. Die gesundheit- liche Versorgung der Bevölkerung ist in Ge- fahr. Der Staat greift erneut ein und über- nimmt das Berliner Abkommen weitgehend in gesetzlichen Regelungen. 1923 gibt es erst- mals einen Reichsausschuss der Ärzte und Krankenkassen, der sich um Zulassung und Verträge kümmert. Schiedsämter werden für den Streitfall eingerichtet. Erstmals taucht auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit bei Be- handlung und Verordnung auf.

Die entscheidenden Notverordnungen des Staates – und damit die eigentliche Geburts- stunde der KVen – fallen in die Jahre 1931 und 1932. Der Staat gibt den Ärzten ein Honorie- rungsmodell vor: die Kopfpauschale. Danach stellen die Kassen als Gesamtvergütung pro Mitglied einen Geldbetrag zur Verfügung, mit dem die Ärzte bei der Behandlung und Verord- nung auskommen müssen. Jetzt kommt auf 600 Versicherte ein Kassenarzt – und als Gegenge- wicht zu den mächtigen Krankenkassen werden die KVen gegründet. Die Kassenärzte erhalten ihre seit Jahrzehnten geforderte Selbstverwal- tung als Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Fortan herrscht zwischen Kassen und Ärzten

„Waffengleichheit“. Krankenkassen und KVen sind gleichberechtigte Verhandlungspartner.

Der Staat zog damals die Konsequenzen aus den jahrelangen Unruhen – ausgelöst durch das Ungleichgewicht zwischen Kassen und Ärzten. Mit der Gründung der KVen er- hielten die Ärzte deutlich mehr Rechte, aber auch neue Pflichten. Das Streikrecht wurde abgeschafft – ein Verzicht, der zu verschmer- zen war, weil unter dem Dach der KVen die all- gemeine Zulassung zur Kassenpraxis, Ho- norarvereinbarungen und Kollektivverträge die Existenz der Ärzte sicherten.

Die gemeinsame Selbstverwaltung lebte nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wieder- gründung der KVen wieder auf. In den folgen- den Jahrzehnten bewährte sich das Prinzip des Gleichgewichts der Kräfte erneut – bis zum er- sten Mal der Begriff von der „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ die Runde machte. Der Staat versuchte mit Kostendämpfungsgeset- zen in den Siebzigerjahren und zahlreichen Ge- sundheitsreformen seit Beginn der Neunziger- jahre die steigenden Ausgaben in den Griff zu bekommen. Mehr und mehr wurden die Ärzte für die finanzielle Entwicklung der Gesetzli- chen Krankenversicherung verantwortlich ge- macht. Inzwischen sind vor allem die KVen ins Visier der Politik gerückt: Sie gelten zumindest im Regierungslager als „Kartelle“, die einer sinnvollen Weiterentwicklung der GKV entge- genstehen und deshalb in ihrem Einfluss zu be-

schneiden sind. Josef Maus

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