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Archiv "Ärzte im NS-Staat" (23.05.1997)

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A-1422 (50) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997

T H E M E N D E R Z E I T DAS BESONDERE BUCH

E

s fällt auf, daß die Anziehungs- kraft der NS-Organisationen auf die Ärzte offenbar von dem Zeitpunkt an nachließ, als einerseits die zentralen Standesforderungen mit Errichtung von Reichsärztekam- mer und Kassenärztlicher Vereini- gung Deutschlands (KVD) erfüllt waren, andererseits aber die ver- schiedenen Vereinnahmungsversu- che an Intensität zunahmen. Trifft diese Beobachtung zu, dann wäre zu- mindest ein Teil der regime- konformen Parolen von Ärztevertre- tern eher mit nüchternen Erwägun- gen bezüglich Status und wirtschaftli- cher Vorteile in Zusammenhang zu bringen und nicht in erster Linie als Beweis einer tiefgehenden ideologi- schen Nazifizierung der Ärzteschaft zu deuten. Bestätigung erfährt diese Hypothese durch den sicher nicht ärz- tekritisch eingestellten Paul Sperling, Referent in der Münchener Reichs- ärztekammer.

Die Gleichschaltung ihrer Stan- desorganisationen, so erinnert er sich, habe die Ärzteschaft relativ we- nig tangiert. Statt dessen habe sie

„nach wie vor an ihre wirtschaftlichen und berufsständischen Interessen, al- so neben Honorar und Kassenzu- lassung an Facharztfragen, Kranken- hausprobleme und berufsgerichtliche Erfordernisse“ gedacht. Gegenüber dem KVD-Verantwortlichen Hein- rich Grote beklagte Sperling im Mai 1935, es sei bislang nicht gelungen, das

„Verständnis der großen Masse der Ärzte für unser ehrliches und gutes Wollen zu finden“. „Das Schwerge- wicht aller Klagen“ richte sich „natür- lich (und das war immer so, wird wohl auch stets so bleiben) gegen das kas-

senärztliche Honorar.“ Auch der Zwang zur Fortbildung – erinnert sei hier nur an die am 1. Juni 1935 einge- weihte „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ im mecklenburgischen Alt-Rehse – und die damit verbunde- nen wirtschaftlichen Einbußen wür- den den Unmut mehren, so daß „viele Kollegen nicht mehr aus innerer Überzeugung“ mitgehen würden, sondern nur, „weil sie sich fürchten“.

Einkommensverluste durch Parteiarbeit

Zum zunehmenden Unmut trug wesentlich die 1936 öffentlich im Deutschen Ärzteblatt beklagte Tatsa- che bei, daß „die

mehr oder weniger unentgeltliche Tätigkeit des Arz- tes im Gesund- heitsdienst für Par- tei und Staat [. . .]

für viele besonders dazu Berufene schon einen kaum mehr erträglichen Umfang angenom- men hat“. Auch das Amt für Volks- gesundheit des Gaus Westfalen- Nord urteilte im November 1936,

„dass viele Ärzte deshalb ihre Kräf- te der Bewegung nicht gern voll und ganz zur Verfü-

gung stellen, weil sie nicht mit Un- recht befürchten müssen, dass durch

ihre Mitarbeit für die Partei ihr Ein- kommen aus Privat- und Kassenpra- xis sich verringert“. Hinzu käme gera- de in „einer solch schwarzen Gegend wie Münster“, daß viele Patienten er- kennbar nationalsozialistische Ärzte meiden würden. Um solchen Erschei- nungen entgegenzuwirken, wurde al- len Ernstes vorgeschlagen, „den für die nationalsozialistische Bewegung tätigen Ärzten, soweit dieselben Mit- glieder der KVD sind, das Durch- schnittseinkommen der Ärzte der je- weiligen Bezirksstelle“ auszuzahlen.

Hierdurch würden jenen „die wirt- schaftlichen Sorgen genommen“ und gleichzeitig dem „Nachwuchs eine si- chere Existenz gewährleistet“.

Auch der Sicherheitsdienst der SS berichtete 1938, es würde darüber geklagt, „daß die Aktivität der Ärzte- schaft im Hinblick auf die Mitarbeit in der Partei und ihren Gliederungen immer mehr nachläßt“. Das sei einer- seits durch die „sehr starke Überorga- nisation“, „zum anderen aber auch durch die nach wie vor materialisti- sche Einstellung einer Reihe von Ärz- ten“ bedingt, was sich unter anderem an der unzureichenden Besetzung von ländlichen Arztstellen zeige.

Als die Mitgliedersperre der NSDAP im Sommer 1939 wieder ein- mal aufgehoben war, nahmen – ver- glichen mit anderen Berufsgruppen – nur relativ we- nig Mediziner die Möglichkeit zum Beitritt wahr, da, so der Befund von Michael Kater, das Ansehen der Partei durch Mobilisierung, drohenden Krieg und die Auswirkungen der Planwirt- schaft erheblich angeschlagen gewesen sei.

Mit Kriegs- beginn und der damit verbun- denen Nieder- lassungssperre sowie der Neu- regelung der Honorarverteilung wur- de die Haltung der Ärzte gegenüber

Ärzte im NS-Staat

Martin Rüther

Hinlänglich bekannt ist inzwischen, daß gegen Ende der NS-Zeit mindestens 45 Prozent der deutschen Ärzte in der NSDAP waren. Damit stellten die Ärzte die Berufsgruppe mit dem weitaus höchsten Anteil an Parteimitgliedern. Weniger be- kannt hingegen ist, daß bereits bis zu dem 1934 verhängten Aufnahmestopp über 30 Prozent der Ärzte den Weg in die NS-Partei gefunden hatten. Das scheint eine deutliche Sprache zu sprechen, doch verdeckt diese ernüchternde Tatsache allein ein wenig den Blick auf die zum Teil eher opportunistischen und sich an materiellen Aspekten orientierenden Erwartungen, die sich mit der NS-Mitgliedschaft verbanden.

Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti

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dem Regime allem Anschein nach noch distanzierter. Der führende rhei- nische NS-Ärztefunktionär Rudolf Hartung (1891–1957) stellte der Ärz- teschaft Ende Oktober 1939 in seinem Tagebuch ein wenig schmeichelndes Zeugnis aus, als er deren Reaktion auf die kriegsbedingten Einschränkungen so zusammenfaßte: „einmal, der Be- sitz macht charakterschwach, und fer- ner: das Denken sonst intelligenter Menschen und ihr Fühlen wird primi- tiv“. In ähnliche Richtung gingen auch Einschätzungen des Sicherheits- diensts der SS. Der Honorarvertei- lungsplan der KVD, so hieß es im März 1940, lasse aufgrund des erheb- lichen Rückgangs der ärztlichen Pri- vateinnahmen nur die Auszahlung ei- nes unzureichenden Pauschbetrages zu. Beobachtungen hätten ergeben,

„daß sich die gleiche Honorierung bei verschiedener Leistung auf längere Sicht nachteilig auf die Schaffensfreu- digkeit des Arztes und damit die Volksgesundheit auswirken müssen“.

Reichsgesundheitsführer Conti sah sich Anfang Dezember 1939 gar ver- anlaßt, mit einer Bekanntmachung im Deutschen Ärzteblatt der Befürch- tung entgegenzutreten, „daß die für die Dauer des Krieges getroffenen Maßnahmen zu einer weitgehenden Sozialisierung des Ärztestandes nach Beendigung des Krieges führen könn- ten“.

„Gesundheitswerk des Deutschen Volkes“

Diese Zusicherung zur Besitz- standswahrung wurde aber bald von anderer Seite in Frage gestellt, was die Attraktivität des NS-Regimes un- ter den Ärzten wohl nicht unerheblich beeinträchtigt haben dürfte. Die Plä- ne der von Robert Ley (1890–1945) geführten Deutschen Arbeitsfront (DAF) für ein „Gesundheitswerk des Deutschen Volkes“ bedrohten seit Herbst 1940 die noch jungen Errun- genschaften des Ärztestandes. Hier- nach wäre der im Rahmen der „Lei- stungsmedizin“ immer stärker in den Mittelpunkt gerückte Betriebsarzt mit dem niedergelassenen Arzt als Träger der medizinischen Primärver- sorgung gleichberechtigt auf eine Stu- fe gestellt worden. Statt freier Arzt-

wahl und der Vergütung von Einzel- leistungen wäre bei Realisierung des Vorhabens ein System getreten, bei dem der Arzt, unabhängig vom Ar- beitsaufwand, pauschal für die Be- treuung einer Anzahl ihm zugeteilter Familien entlohnt worden wäre.

Außerdem hatte Ley die Absicht, das durch die Standesorganisationen kontrollierte Niederlassungsprinzip durch staatlich konzessionierte Arzt- stellen zu ersetzen.

Angesichts solcher Pläne ver- wundert es nicht, wenn Paul Sperling im Juli 1941 beobachtete, daß die Ärzteschaft von „Unruhe“ erfaßt sei, wobei zwei Aspekte im Mittelpunkt des Interesses standen: „1. die Höhe des kassenärztlichen Honorars und 2.

die Form der Zulassung“. Für beide Bereiche beanspruchte Ley und da- mit der NS-Staat das Zugriffsrecht, was Sperling zu der Bemerkung ver- anlaßte, mit der beabsichtigten „allzu weit gehenden Schematisierung“ sei- ner beruflichen Tätigkeit würde der Ärztestand „natürlich den letzten Rest von Freiheit“ zu Grabe tragen,

„ohne dafür etwas Besseres einzutau- schen“. Hätte sich die DAF durchge- setzt, so wären die Ärzte in ihrer Führungsrolle im Gesundheitswesen durch (Sozial-)Politiker abgelöst wor- den. Daher wird man wohl mit Er-

leichterung registriert haben, daß sich Hitler 1942 weigerte, für die Dauer des Krieges dieses Thema weiter zu disku- tieren.

Aber auch so gab es genügend Konfliktstoff.

Durch die kriegsbeding- te Arbeitsüberlastung ohnehin schon gereizt, bestimmten nicht nur nach Bekunden Paul Sperlings Zulassungs- und insbesondere Ho- norarfragen die Interes- sen der „Basis“. Anfang 1942 wurde im Ärzte- blatt angesichts einer zu- nehmenden Unart eine deutliche Warnung aus- gesprochen. Es solle im- mer noch vorkommen, daß Kassenärzte mit der Begründung zu schlech- ter Bezahlung die Be- handlung von Patienten rundweg ab- lehnen würden. Zukünftig würde ge- gen solche Berufskollegen vorgegan- gen, da deren Argumente nicht nur falsch seien, sondern hinreichend er- läutert worden sei, daß „nicht das ge- samte von den Kassen gezahlte Geld allein den Heimatärzten“ zugute kommen könne.

Zurückgehendes Interesse für NS-Gesundheitspolitik

Das Interesse an der NS-Gesund- heitsführung jedenfalls war, sofern zu- vor überhaupt vorhanden, bis Herbst 1942 offenbar auf den Nullpunkt ge- sunken. Ein Teil der deutschen Ärzte- schaft, so ein Mitarbeiter Contis, stehe deren Aufgabe „teilnahmelos gegenüber“. Für sie seien die Be- griffe Reichsgesundheitsführung und Gebührenordnung „eine Gedanken- assoziation, bei der die Höhe der ge- zahlten Honorare direkt proportional der Güte der Reichsgesundheits- führung ist“.

Auch bei vorsichtiger Bewertung der angeführten Belege drängt sich die Vermutung auf, daß der hohe Or- ganisationsgrad weniger auf politische Überzeugungen als eher auf materiel- le Erwägungen zurückzuführen ist.

A-1423 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997 (51)

Sorgte für Unruhe unter der Ärzteschaft: Das Gesundheitswerk des Deutschen Volkes

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