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Archiv "Erkrankungen der Niere (20): Harnwegsinfektionen" (30.10.1992)

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UR FORTBILDUNG

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Für eine erfolgreiche Behandlung von Hamwegsinfektionen muß mehr denn je großer Wert auf eine gründliche Anamnese, die physikalische und die laboratoriumstechnische Untersuchung gelegt werden, damit sich die Behandlung auf eine sichere Diagnose stützen kann. Als we- sentliche Entscheidungsgrundlage dient die Analyse von frisch gelas- senem Mittelstrahlurin, der sofort untersucht werden muß, Vor dem Einsatz antibakteriell wirksamer Substanzen sollte versucht werden, die physiologischen Abwehrmechanismen durch unspezifische Allge- meinmaßnahmen aktiv zu unterstützen. Hamwegsinfektionen, auch chronische Verlaufsformen, führen niemals zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz, wenn sie der einzige Risikofaktor sind.

Erkrankungen der Niere (20)

Harnwegsinfektionen

Arno-E, Lison

nter dem Oberbegriff

„Harnwegsinfektion"

werden das Urethral- syndrom, die Zystitis, die akute und chroni- sche Pyelonephritis ( = bakterielle interstitielle Nephritis) und die soge- nannte asymptomatische Bakteriurie zusammengefaßt. Dabei ist der Be- griff der „Pyelonephritis" allein für die bakteriell bedingte interstitielle Nephritis reserviert, die sekundär Tubuli, Gefäße und Glomeruli in Mitleidenschaft ziehen kann. In die- sen Krankheitsprozeß sind Nieren- becken und ableitende Harnwege fa- kultativ einbezogen. Während die akute Pyelonephritis relativ häufig besonders beim weiblichen Ge- schlecht beobachtet wird, ohne daß besondere Gesundheitsrisiken er- kenntlich sind, wird die chronische Verlaufsform niemals ohne soge- nannte „prädisponierende Fakto- ren" beobachtet (1, 9, 16).

Unter dem Urethralsyndrom be- ziehungsweise der Zystitis versteht man einen vorwiegend bei Frauen beobachteten Symptomenkomplex.

Das Urethralsyndrom ist durch streng auf die Harnröhre und Harn- röhrenöffnung lokalisierte brennen- de Schmerzen sofort, während und nach der Harnentleerung zu erken- nen. Die Zystitis dagegen ist durch Brennen beim Harnlassen, Pollakis- urie und suprapubische Schmerzen

gekennzeichnet. Im Gegensatz dazu wird unter einer asymptomatischen Bakteriurie eine zufällig festgestellte signifikante Bakteriurie (100 000 oder mehr Keime/ml Urin bei nicht antibakteriell behandelten Kranken) verstanden, ohne daß zum Untersu- chungszeitpunkt objektive oder sub- jektive Zeichen einer Erkrankung der Harnwege vorliegen.

Erregerspektrum

In Abhängigkeit von dem zu be- treuenden Krankengut ändert sich die prozentuale Häufigkeit der ein- zelnen harnwegspathogenen Keime.

Für den nicht voroperierten und nicht antibakteriell vorbehandel- ten Kranken gilt, daß als häufigster Erreger von Harnwegsinfektionen Escherichia coli (44 bis 60 Prozent), Enterokokken (20 Prozent), Proteus spec. (13 Prozent), Pseudomonas- Gruppe (5 Prozent), Enterobacter- Gruppe (2 Prozent) und Staphylo- kokken mit 16 Prozent gefunden werden. Der Anteil von Enterokok- ken, Proteus und Pseudomonaden steigt bei im Krankenhaus beobach- teten Infektionen erheblich an (soge- Medizinische Klinik III (Direktor: Prof. Dr.

med. Arno-E. Lison), Klinikum für Innere Medizin, Zentrallccankenhaus St.-Jürgen- Straße, Bremen

nannte „Problemkeime"). Bei urody- namischen Hindernissen und nach instrumentellen Eingriffen an den Harnwegen finden sich gehäuft Mischinfektionen (1, 4, 10, 16, 20, 22, 23, 26, 27, 29).

Bei klinischen Symptomen einer Harnwegsinfektion, aber bakteriolo- gisch sterilem Urin, müssen Infektio- nen mit Tuberkelbakterien, Pilzen, Chlamydien, Mykoplasmen und Vi- ren ausgeschlossen werden. Hierzu sind spezielle Kulturverfahren (die PCR = polychrome Kettenreaktion) oder elektronenmikroskopische Un- tersuchungen (CMV, EBV, Herpes) erforderlich (1, 3, 4, 10, 15). Ehe die- se aufwendigen Untersuchungen ver- anlaßt werden, ist stets zu prüfen, ob nicht eine versehentlich übersehene antibakteriell wirksame Substanz für den sterilen Urin verantwortlich ist.

Diese Frage läßt sich mit modernen Teststreifen (zum Beispiel Micur- Test R) schnell und sicher in jeder Praxis klären.

Pathogenese

Die Nieren und die ableitenden Harnwege können auf unterschiedli- chem Wege bakteriell besiedelt wer- den. Eine wesentliche Rolle spielt die sogenannte aszendierende Infek- tion, bei der die bakterielle Besiede- lung vom äußeren Genitale begin-

(2)

Tabelle 1: Prädisponierende Faktoren der chronischen Pyelonephritis 1. Harnabflußstörungen:

- Fehlbildungen

- Obstruktion (Steine, Strikturen, Tumoren)

- Blasenfunktionsstörung (Querschnittlähmung und ähnliches) - längere Bettlägerigkeit

2. Gravidität

3. Stoffwechselstörungen 4. Iatrogene Ursachen:

- Eingriffe an den Harnwegen (Katheter und ähnliches - Spinalanästhesie

5. Allgemeine und lokale Abwehrschwäche:

- chronische Erkrankungen, Nässe und Kälte (??), Dystrophie, In- fektionskrankheiten und chronische Infekte (Hypertonie) (?) 6. Medikamente:

- Analgetika, Antibiotika, Kortikoide nend über die Blase und die Urete-

ren bis zum pyelorenalen Grenzge- biet vordringt. Daneben spielt si- cherlich, nach neuerer pathophysio- logischer Erkenntnis, die hämatoge- ne Infektion die entscheidende Rol- le. Die Möglichkeit einer lymphoge- nen Infektion wurde immer wieder diskutiert, konnte aber bisher nicht belegt werden. Die vorliegenden Da- ten gestatten keine endgültige Stel- lungnahme zu dieser Möglichkeit.

Unabhängig davon gilt aber, abgelei- tet aus experimentellen Untersu- chungen und aus klinischen Beob- achtungen, daß chronische Infektio- nen der Nieren nur entstehen kön- nen, wenn Störungen der Flüssig- keitsströme in der Niere existieren.

Darunter sind Störungen des Harn- transportes, der Urodynamik im wei- teren Sinne oder Störungen des Blutstromes der Niere (arterielle Minderperfusion, venöse Ausflußbe- hinderung) zum Zeitpunkt der bak- teriellen Infektion zu verstehen (1, 7, 14, 16, 29). Im Prinzip ist gleichgül- tig, ob die arterielle Perfusion oder der venöse Abstrom aus der Niere behindert sind. Beide Störungen sind im Stande, im Sinne eines prädispo- nierenden Faktors einer bakteriellen Infektion des Nierenparenchyms Vorschub zu leisten. Besteht der prädisponierende Faktor ausrei- chend lange fort und kann die Infek- tion nicht unterbunden werden, muß der Übergang in eine chronische In- fektion befürchtet werden.

Gleiches gilt für Störungen des Harnflusses innerhalb und außer- halb der Niere. Innerhalb der Niere können Mikronarben, tubuläre Ver- quellungen, zum Beispiel unter Hor- monwirkung und Harnflußbehinde- rungen durch Konkremente, Tumo- ren, Blutgerinnsel oder Narben als prädisponierender Faktor wirksam werden. In der wissenschaftlichen Literatur mehren sich die Hinweise dafür, daß für die Verlaufsvariante

„chronische Pyelonephritis" die Bak- terien selbst möglicherweise nur im Sinne eines Starterphänomens wirk- sam werden. Die Fortschreibung der chronischen Entzündung in einer durch prädisponierende Faktoren konditionierten Niere ist nicht mehr zwangsläufig an die Existenz von Bakterien oder bakteriellen Struk-

turelementen in der Niere gebunden (16, 25, 29, 31).

Aus diesen Informationen darf geschlossen werden, daß, abgesehen von schwerwiegenden nicht kurablen Veränderungen des harnableitenden Systems, Pyelonephritiden beim Schulkind und beim Erwachsenen im Regelfall nicht zu so schwerwiegen- den Veränderungen in der Niere führen können, daß sich eine dialyse- pflichtige Niereninsuffizienz entwik- kelt. Praktisch alle zur dialysepflich- tigen Nierenfunktionsstörung füh- renden Harnwegsinfektionen sind die Folge entweder angeborener oder vor dem 6. Lebensjahr erworbe- ner urodynamischer Störungen mit sekundärer bakterieller Infektion.

Der Frühuntersuchung von Säuglin- gen und Kleinkindern kommt daher eine zunehmende Bedeutung zu, da mechanische Beeinträchtigungen des Harnstromes zum Beispiel durch Megaureteren, Ureterabgangs- oder Uretermündungsstenosen sowie vesi- co-uretero-renalen Reflux (VUR) in diesem Alter noch rechtzeitig und wirkungsvoll behandelt werden kön- nen. Dabei gilt inzwischen als belegt, daß spätere Interventionen keines- wegs mehr im Stande sind, Einfluß auf die Rezidivhäufigkeit von Harn- wegsinfektionen bei solchen Grund- erkrankungen und auf den Verlauf der Nierenfunktionsstörung zu neh- men (1, 9, 10, 27, 25, 33, 30, 35).

Besorgnisserregend ist die stei- gende Frequenz von Kranken, die als prädisponierenden Faktor für die re- zidivierenden Harnwegsinfektionen die langjährige Einnahme von Anal- getika aufweisen, die zur sogenann- ten Analgetikanephropathie, einer schwerwiegenden chronischen inter- stitiellen Entzündung führt. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung kommt auch dem Abusus von Sal- uretika zu, der häufig bereits bei jun- gen Frauen angetroffen wird. Beson- ders fatal wirkt sich die Kombination aus Laxantien- und Saluretika-Ab- usus aus, gelegentlich noch unter- stützt durch Lakritzeinnahmen und Kauen von zuckerfreiem Kaugummi, die zu Hypokaliämie und Hyper- urikämie mit konsekutiver interstiti- eller Nephropathie führen und auf diesem Wege zur sekundären Pyelo- nephritis prädisponieren.

Auch bei rezidivierender Zystitis muß an prädisponierende Faktoren gedacht werden. Hier kommen in Abhängigkeit vom Alter Descensus vaginae, Kolpitis, (Candida, Tricho- monaden), Urethrastenose oder Urethradivertikel, Prostatahypertro- phie, mangelnde Anal- oder Sexual- hygiene und beginnende Sexualität in Betracht. Jeder der genannten Fakto- ren

ist geeignet, das Eindringen von

bakteriellen und anderen Erregern in die Blase und die Entwicklung einer Infektion zu ermöglichen

(3)

* Bei i.v.-Therapie Vitamin-K-Substitution!

** Auch wirksam gegen Chlamydien und Mykoplasmen

Grav. = Gravidität, + erlaubt, — kontraindiziert, NI = Niereninsuffizienz

Tabelle 2: Therapie der Harnwegsinfektionen mittlere Tagesdosis

Bemerkungen Präparat

—Amoxicillin (Amoxypen®, Clamoxyl®, Augmentane)

—Bacampicillin (Penglobe®)

—Cefalexin (Oracef®)

—Cefaclor (Panoral®)

—Cefotaxim®

(Claforan®)

—Cefoperazon*

(Cefobis®)

2,25 g oral

2,4 g oral

4,0 g oral 1,5 g oral 2-4 g i.v.

2-6 g i.v.

Grav. +

Grav. +

Grav. +, NI-Dosis Grav. +, NI-Dosis Grav. +, NI-Dosis Grav. +, NI-Dosis

—Doxycyclin**

(Vibramycin®)

—Sulfonamide (Aristamid®, Euvernil®)

—Cotrimoxazol (Bactrim®, Eusaprim®)

0,1 g oral 3-4 g oral

2 x 1-2 x 2 Tbl. oral

Grav. — , Kinder — Grav.: Mens IV bis 1 Woche vor Termin, NI-Dosis

Grav.: Mens IV bis 1 Woche vor Termin, NI-Dosis

■ für gramnegative Problemkeime vorzugsweise:

—Azlocillin 6,0 g i.v.

(Securopen®)

—Gentamycin (Refobacin®)

—Tobramycin (Gernebcin®)

Grav. +

Grav. — , NI-Dosis Grav. — , NI-Dosis

6-9 g/i.v.

2 x 250-2 x 750 mg oral

2 x 100-2 x 200 mg i.v.

2 x 200-2 X 400 mg oral

Grav. ?, NI-Dosis Grav. — , NI-Dosis Kinder —

Grav. — , NI-Dosis Kinder —

0,16-0,24 g i. m.

3 rtiglkgKG alle 8 Std. i.v./i.m.

—Fosfomycin (Fosfocin®) - Ciprofloxacin

(Ciprobay®)

—Ofloxacin (Tarivid®) Eine Urethritis kann durch me-

chanische Irritation (Kohabitation, Petting) oder durch eine Kolpitis ausgelöst werden. Hier ist zu beach- ten, daß das untere Drittel der Harn- röhre der Frau das gleiche Epithel wie die Vagina aufweist und den gleichen zyklischen Veränderungen wie das Epithel des Genitaltraktes unterliegt (18, 19, 26, 27, 30).

Diagnose

Die Diagnose der Harnwegsin- fektion stützt sich auf:

—die charakteristischen klinischen Symptome im Bereich der Nieren und/oder der ableitenden Harnwege,

—vermehrten Harndrang,

—Erhöhung der Körpertemperatur,

—Schmerzen im Bereich der befalle- nen Niere und

—die typischen Harnbefunde im standardisierten Urinsediment (zum Beispiel unter Verwendung des MD- Kova-Systems: 5 Minuten bei 400 g zentrifugieren, mikroskopische Un- tersuchung in der MD-Kova-Kam- mer bei 8 x 40facher Vergröße- rung): Leukozyturie und/oder der Nachweis von Leukozytenzylindern sowie den kulturellen Nachweis ei- ner Bakteriurie (zum Beispiel mit dem Uricult®).

Für die Diagnose der chroni- schen Pyelonephritis ist der Nach- weis prädisponierender Faktoren und der der bakteriell induzierten Entzündung des Nierenparenchyms unverzichtbar (Tabelle 1). Hierzu werden allgemeine Entzündungszei- chen, eine Proteinurie sowie fakulta- tiv eine Erythrozyturie und Leuko- zyturie verlangt.

Unter Verwendung des standar- disierten Harnsediments (MD-Kova) gelingt auch häufig der Nachweis von Leukozytenzylindern, die die Mitbe- teiligung von Tubuli und Sammelroh- ren beweisen. Trotz aller Fortschritte durch den Einsatz von Harnteststrei- fen (Combur 9, am besten mit dem Automaten Urotron ausgewertet), ist die mikroskopische Untersuchung ei- nes standardisiert aufgearbeiteten Harnsedimentes nach wie vor unver- zichtbar (1, 3, 4, 5, 9, 10).

Neuere Untersuchungen zeigen, daß die Bestimmung der Interleukin-

6-Antwort in Zukunft möglicherwei- se dazu dienen könnte, Harnwegsin- fektionen rechtzeitig zu identifizie- ren. Immerhin kann als gesichert gel- ten, daß die IL-6-Sekretion ein Teil der Antwort der menschlichen Harn- wegsmukosa auf eine gramnegative Besiedelung darstellt. Diese und ähnliche Untersuchungsmethoden

(anti body coated Bakteria, mono- klonale Antikörper gegen harnwegs- pathogene Keime, sekretorisches Immunglobulin A, Immunglobulin- G-Rezeptoren, Assoziation von Typ- 1-Blutgruppenantigenen) sind alle noch nicht so weit entwickelt, daß sie im klinischen Alltag tatsächlich ei- ne verläßliche weiterführende Hilfe

(4)

Tabelle 3: Infektionen der ableitenden Harnwege

Präparat mittlere

Tagesdosis

43■1811101■MI

Bemerkungen - Cotrimoxazol

(Bactrim®)

- Amoxicillin (Arno pen®, Clamoxyl®, Augmentan®)

2 x 1-2 x 2 Tbl. ora

2,25 g oral

Grav.: Mens IV bis 1 Woche vor Termin, NI-Dosis

Grav. +

- Gyrase-Hemmer (Tarivid®, Ciprobay®) - Nitrofurantoin

(Furadantin®, Ituran®)

2 x 250-2 x 750 mg oral

2 x 100-2 x 200 mg i.v.

50-100 mg oral

Grav. - , NI-Dosis Kinder -

Grav.: Mens IV bis 1 Woche vor Termin,

+ NI = - darstellen. Allerdings sind hier we-

sentliche Fortschritte in der Zukunft zu erwarten (5, 12, 17, 19, 20, 21, 22, 28, 29, 33, 35).

Therapie

Bestehen allgemeine Entzün- dungserscheinungen mit gastrointe- stinalen Symptomen sowie Fieber, ist Bettruhe anzuraten. Mit Hilfe loka- ler Wärmeanwendung auf die er- krankte Nieren- oder Blasenregion kann erhebliche subjektive Linde- rung erzielt werden. Bei starken Schmerzen sind Spasmolytika und eine aktive Regulierung der Darmtä- tigkeit zu empfehlen. Solange Bett- ruhe eingehalten wird, sollte leicht verdauliche und flüssigkeitsreiche Kost verabreicht werden. Im Regel- fall ist eine Einschränkung der Ei- weiß- oder Kochsalzzufuhr nicht er- forderlich (Ausnahmen: Hypertonie, Herzinsuffizienz, Ödeme, fortge- schrittener Nierenfunktionsverlust) (1, 3, 6, 9, 10, 11).

Antibakterielle Chemotherapie

"taammiriää.,

Für die Behandlung der Pyelo- nephritis (bakterielle interstitielle Nephritis!) ist die Verordnung von Substanzen erforderlich, die thera- peutisch wirksame Plasma- und Harnspiegel erreichen. Medikamen- te der ersten Wahl sind Amoxicillin, Cephalosporine, und Cotrimoxazol oder andere Sulfonamid/TMP-Kom- binationen. Die reinen Sulfonamide haben hier trotz ausreichender Wirksamkeit ihren Stellenwert verlo- ren. Für gramnegative Problemkei- me stehen Azlocillin und Aminogly- koside zur Verfügung (Tabelle 2).

Bei oraler Applikation der anti- bakteriell wirksamen Substanz ist darauf zu achten, daß die letzte Ein- zeldosis unmittelbar vor Beginn der Nachtruhe nach Entleeren der Harnblase eingenommen wird, um möglichst in der nächtlichen Ruhe- periode mit geringer Harnwechsel- freqenz hochwirksame antibakteriel- le Konzentrationen im Harn und im Nierenparenchym zu erzielen. Für die Zystitis finden Cotrimoxazol,

Sulfonamide und neuerdings die Gy- rase-Hemmer der dritten Generati- on Verwendung, wenn durch Erhö- hung der Trinkmenge und durch Einsatz von sogenannten Nieren- und Blasen-Tees keine Beschwerde- freiheit erzielt wurde. In der Regel sollte vor dem Einsatz antibakteriell wirksamer Substanzen auch eine gynäkologische Untersuchung zum Ausschluß einer Kolpitis und eine genitalhygienische Beratung (Präpu- tialsack, Scheidenspülungen, Blasen- entleerung „danach" usw.) stattfin- den. Nitrofurantoin gilt in der wis- senschaftlichen Diskussion der letz- ten Jahre wegen seiner relativ hohen Rate an unerwünschten Wirkungen nicht mehr als Medikament der er- sten Wahl, ist aber unverändert gut wirksam und führt seltener zu Resi- stenzen als die anderen genannten Substanzen (Tabelle 2). Bei den Gy- rase-Hemmern (Ciprofloxazin, Nor- floxazin, Ofloxazin) sollte die Indika- tion noch mit Zurückhaltung gestellt werden, um nicht unnötige Resi- stenzentwicklung gegen ein erfreu- lich wirksames antibakterielles Prin- zip zu riskieren (1, 2, 7, 10, 11, 13, 14, 24, 31, 32).

Urethritis und Zystitis

Vor dem Einsatz antibakteriell wirksamer Substanzen sollten lokale Wärmeanwendung und reichliche Flüssigkeitszufuhr mit dem Ziel ei-

ner hohen Harnflußrate und hohen Harnwechselfrequenz versucht wer- den, da letztere zu einer Verminde- rung der bakteriellen Besiedelung beiträgt und vom Kranken als sehr angenehm empfunden wird. Interna- tional ist inzwischen eine einmalige hochdosierte Behandlung, mit zum Beispiel 1,5 g Amoxycillin oder eine nur drei Tage dauernde Therapie weit verbreitet. Wenn die Einmal- therapie der Urethritis beziehungs- weise Zystitis versagt, wird die Be- handlung wie bei akuter Pyelone- phritis durchgeführt. Bei Gonorrhoe ist die Behandlung mit Penicillin G gemeinsam mit Probenecid oder mo- dernen Gyrase-Hemmern (zum Bei- spiel Ciprofloxazin), bei Trichomo- naden-Infektionen mit Metronidazol durchzuführen (Tabelle 3).

Bei Frauen sollte prinzipiell eine gynäkologische Untersuchung zum Ausschluß einer Trichomonaden- oder Pilzkolpitis veranlaßt werden, ehe eine antibakterielle Therapie verordnet wird (6, 8, 15).

Asymptomatische Bakteriurie

Eine antibakterielle Therapie der asymptomatischen Bakteriurie wird nur in der Schwangerschaft und bei

Kleinkindern durchgeführt. Bei

allen erwachsenen, nichtschwange- ren Kranken ist eine antibakterielle Therapie nicht erforderlich. Welche

(5)

Bedeutung der asymptomatischen Bakteriurie bei immunsupprimierten Kranken (zum Beispiel Transplan- tatempfänger, fortgeschrittenes Al- ter, konsumierende Erkrankung, Kollagenosen) zukommt, ist derzeit noch ungeklärt.

Die unbehandelte asymptomati- sche Bakteriurie in der Schwanger- schaft führt bei 35 Prozent der be- troffenen Frauen (sieben Prozent al- ler Schwangeren) im weiteren Ver- lauf der Schwangerschaft zu einer akuten Pyelonephritis. Daher gilt für diese Situation das gleiche Behand- lungsschema wie für die akute Pyelo- nephritis außerhalb einer Schwan- gerschaft. Bei Kindern ist unter allen Umständen auch nach anatomischen Fehlbildungen im Bereich der Nie- ren und ableitenden Harnwege zu fahnden, falls eine solche Bakteri- urie rezidivierend beobachtet wird (1, 6, 8, 10).

Akute Pyelonephritis

JIM

Nach diagnostischer Sicherung der Erkrankung und Anlegen einer Harnkultur (zum Beispiel Uricult®) wird eine sieben- bis zehntägige Therapie mit einem der genannten nebenwirkungsarmen Breitbandche- motherapeutika durchgeführt. Bei Klinikpatienten oder antibakteriell vorbehandelten Kranken kann eine Resistenz gegenüber den üblicher- weise verwendeten Antibiotika vor- liegen, so daß die Verordnung sich in diesen Fällen nach dem Resisto- gramm richten muß. Deshalb emp- fiehlt es sich, vor Beginn jeglicher antibakterieller Therapie die Erstel- lung eines Resistogrammes zu veran- lassen, da es dann rechtzeitig beim Versagen der Erstmaßnahmen (also nach zwei bis drei Tagen) als Richtli- nie zur Verfügung steht.

Wird die Infektion nach der er- sten Behandlung nicht beseitigt, ist ein zweiter, gegebenfalls höher do- sierter Behandlungsversuch durch- zuführen, der eventuell ebenfalls in Abhängigkeit vom Resistogramm modifiziert werden muß. In einzel- nen Fällen kann es notwendig wer- den, eine hochdosierte parenterale Therapie in der Klinik durchzufüh- ren (1, 6, 8, 10, 14).

Chronische Pyelonephritis

1.113111111

Bei der chronischen Pyelone- phritis erfordert der klinische Zu- stand des Kranken häufig keine sofor- tige therapeutische Intervention. Es besteht daher ausreichend Zeit, das Ergebnis der bakteriologischen Harn- analyse und des Resistogrammes ab- zuwarten. Die antibakterielle Be- handlung wird dann wie bei der aku- ten Pyelonephritis durchgeführt (Ta- belle 1). Besteht die Infektion fort (Kontrolle des Mittelstrahlurins drei bis fünf Tage nach Behandlungsbe- ginn), wird die Stoßtherapie wieder- holt. Sollten zwei bis drei Therapie- versuche vergeblich sein, ist eine sta- tionäre Aufnahme zur hochdosierten parenteralen Therapie indiziert. Be- steht trotz mehrerer Behandlungsver- suche eine Bakteriurie fort, ohne daß der Kranke subjektiv Beschwerden aufweist und ohne daß eine Leukozyt- urie und Proteinurie sowie allgemeine Entzündungszeichen nachweisbar sind, besteht keine Behandlungsindi- kation. Solche Kranken sollten in acht bis zwölfwöchigen Intervallen über- wacht werden. Eine Indikation zur an- tibakteriellen Chemotherapie ist dann nur bei akuten symptomatischen Schüben der Erkrankung gegeben.

Falls überhaupt Aussicht auf ei- nen dauerhaften Behandlungserfolg bestehen soll, muß jeder prädispo- nierende Faktor (Tabelle 3) vor einer antibakteriellen Therapie oder zeit- gleich beseitigt werden. Bedauerli- cherweise gelingt das nicht in allen Fällen. Vorübergehende Besserun- gen (etwa durch Beseitigung postre- naler Abflußhindernisse oder Ent- fernung von Konkrementen) werden leider häufig durch lokale Verände- rungen in der Folge des operativen Eingriffs wieder zunichte gemacht (lokale Harntransportbehinderung durch Narben). Auf diese Weise ist häufig die Stabilisierung des Be- handlungserfolges in Frage gestellt.

Therapiekontrolle

Die Erfolgskontrolle der anti- bakteriellen Therapie ist von ent- scheidender Bedeutung. Subjektive

Beschwerden und objektive Krank- heitszeichen klingen im allgemeinen innerhalb von zwei bis drei Tagen ab.

Sie stellen jedoch keine verläßlichen Parameter für den Behandlungser- folg dar. Bei einer erfolgreichen Therapie sollte der Urin 36 bis 48 Stunden nach Beginn der Behand- lung entweder steril sein oder eine deutliche Verminderung der Keim- zahl aufweisen (Uricult). Unter die- sen Umständen wird die eingeschla- gene Therapie fortgesetzt. Bei un- veränderter Bakteriurie ist ein Wechsel der antibakteriell wirksa- menen Substanz dem dann vorlie- genden Resistogramm entsprechend erforderlich. Eine abschließende Harnanalyse sollte eine Woche nach Therapieende sowie anschließend noch mehrmals im Verlauf eines Jahres nach antibakterieller Chemo- therapie durchgeführt werden, um Rezidive (durch den gleichen Erre- ger) oder Reinfektionen (durch an- dere Erreger) rechtzeitig erkennen zu können. Bei Therapieresistenz oder häufiger Rezidivneigung muß unbedingt gründlich nach prädispo- nierenden Faktoren gefahndet wer- den (1, 9, 10).

Rezidivprophylaxe

Miß MIM

Trotz des Einsatzes auch hoch- wirksamer antibakterieller Substan- zen gelingt es in Einzelfällen nicht, die Häufigkeit symptomatischer Re- zidive von Harnwegsinfektionen zu vermindern. Die Ursachen für dieses Phänomen sind nur teilweise be- kannt. Einige Faktoren können je- doch positiv beeinflußt werden. Da- zu gehören die sogenannten präzipi- tierenden Faktoren wie Kohabitati- on, Menstruation, Anal- und Geni- talhygiene. Schließlich sind aber auch Therapieversager durch Aus- wahl des falschen Antibiotikums oder eine zu geringe Dosierung zu erwähnen. Kommt es zu häufigen Rezidiven, wird nach Beseitigung der Infektion und der Beseitigung präzpitierender Faktoren eine maxi- mal sechs Monate dauernde Lang- zeitprophylaxe mit einem Harnwegs- desinfizienz (Cotrimoxazol, Gyrase- Hemmer, Nitrofurantoin) empfoh- len. Im Regelfall ist es ausreichend,

(6)

eine Tablette der genannten Sub- stanz am Abend nach der letzten Miktion einzunehmen. Treten die Rezidive nach der Kohabitation auf, ohne daß eine sexualhygienische Be- ratung solche Rezidive verhindern hilft, ist die Gabe eines Antibioti- kums unmittelbar nach dem Ge- schlechtsverkehr zu empfehlen („Pil- le danach"). Hier ist allerdings auch häufig die Anweisung wirksam, nach der Kohabitation die Blase zu ent- leeren. Bei Reinfektionen kommt im allgemeinen eine Langzeitprophyla- xe nicht in Betracht. Hier werden nur symptomatische Infektionen be- handelt (1, 9, 13).

Schlußbemerkung

1

Moderne Harnanalyse als Grundlage der Behandlung von Harnwegsinfektionen verlangt unter

Ausnutzung aller methodischen Weiterentwicklungen der vergange- nen Jahre, daß besonders im Kran- kenhaus — aber auch beim niederge- lassenen Arzt — die Harnprobenana- lyse unmittelbar nach der Gewin- nung vorgenommen wird. Anderen- falls ist das Ergebnis durch Kontami- nation und verlorengegangene zellu- läre Strukturen unbrauchbar ver- fälscht. Damit erweist sich das Einsammeln von Harnproben in den Stationen der Krankenhäuser zur anschließenden Analyse in Zentral- laboratorien letztlich als nicht mehr akzeptabler Rückschritt, da Analy- senzeit und Probenmaterial den An- sprüchen an eine relevante Analytik nicht mehr gerecht werden können.

Auf diese Weise gewonnene Ergeb- nisse dienen nicht dem Kranken und verwirren den Therapeuten. Sie stel- len eine unnötige Belastung des Etats dar und können ersatzlos ent-

fallen. Moderne Harnanalyse sollte im wahrsten Sinne des Wortes wie- der patientennah durchgeführt wer- den. Sie kann und muß in jeder Stati- on angeboten werden.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A1 -3648-3658 [Heft 44]

Die Zahlen in HIammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordem über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Arno-E. Lison Direktor der

Medizinischen Klinik III Klinikum für Innere Medizin Zentralkrankenhaus

St.-Jürgen-Straße W-2800 Bremen 1

Blasenkarzinome monoklonalen Ursprungs

Ob das multifokale, metachrone Auftreten von Karzinomen im Or- gansystem eines Patienten Ausdruck eines generalisierten genetischen Zelldefekts oder vielmehr Folge ei- ner monoklonalen Zelltransformati- on mit Tumorwachstum an verschie- denen Orten ist, wird in der medizi- nischen Literatur kontrovers disku- tiert.

In einer amerikanischen Studie führten die Untersucher bei Patien- tinnen mit multifokalen Blasenkarzi- nomen Chromosomenanalysen der Tumorzellen durch. Durch das Mu- ster einer identischen X-chromoso- malen Inaktivierung sowie den kon-

Antiphospholipid-Antikörper wurden bisher als Marker für ein ho- hes Risiko eines rezidivierenden kar- diovaskulären Ereignisses bei jun- gen Patienten, die einen akuten Myokardinfarkt überlebt haben, be- trachtet. In einer Kohorten-Studie wurden die Anticephalin-(aCEPHA)

stanten Nachweis von Verlusten von Chromosom-9q-Sequenzen konnte der monoklonale Ursprung der Kar- zinome aufgezeigt werden. Die bei weiterer Tumorprogression zu beob- achtenden Verluste der Chromo- som-17p- und -18q-Sequenzen waren variabel ausgeprägt und deuteten auf eine spätere, voneinander unabhän- gige genetische Alteration der Tu- morzellen hin. acc

Sidransky, D. et al.: Clonal origin of blad- der cancer. N. Engl. J. Med. 326 (1992) 737-740.

Dr. Vogelstein, Dep. of Oncology, John Hopkins Oncology Center, 424 N. Bond St., Baltimore, MD 21231, USA.

und Anticardiolipin-(aCL) Antikör- per bei einer Gruppe von Patienten, die einen akuten Infarkt überlebt hatten, bestimmt. Von 597 unter- suchten Patienten waren 13,2 Pro- zent IgG- oder IgM-aCEPHA-posi- tiv, verglichen mit 4,4 Prozent einer Referenz-Population (n = 158; p =

FÜR SIE REFERIERT

0,002). In einer multivariaten Analy- se, die auf die Hauptfaktoren kar- diovaskulärer Risiken ausgerichtet war, stellten weder aCEPHA (IgG oder IgM) noch aCL (IgG oder IgM) einen unabhängigen Risikofaktor für Mortalität, Reinfarkt oder einen nichthämorrhagischen Schlaganfall dar.

Obwohl ein höherer Anteil Pa- tienten, die einen Myokardinfarkt überlebten, Antiphospholipid-Anti- körper aufwiesen, kann die Präsenz dieser Antikörper nach Meinung der Autoren nicht als Risikofaktor für eine folgende koronare oder zere- brovaskuläre Thrombose angesehen werden. lng

Sletnes, K. E. et al.: Antiphospholipid anti- bodies after myocardial infarction and their relation to mortality, reinfarction, and non-haemorrhagic stroke, Lancet 339 (1992) 451 — 453

Dr. K. E. Sletnes, Haematological Re- search Laboratory, Department of Medici- ne, Ulleval University Hospital, N-0407 Oslo 4, Norwegen

Antiphospholipid-Antikörper nach Myokardinfarkt

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