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Archiv "Forum Gentech-Nahrung: Risiken ernst nehmen, aber nicht überzeichnen" (25.11.1994)

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POLITIK AKTUELL

Forum Gentech-\ahrung Risiken ernst nehmen, aber nicht überzeichnen

Das 4. Forum „Gesundheit und Umwelt" der Bundesärztekammer hatte ein Thema zum Inhalt, das niemanden kalt läßt: „Gentech- Nahrung". Liest man Berichte darüber, dann ist oft von „Franken- food", „Turbokühen" oder „Designerkäse" die Rede. Noch sind bei uns keine gentechnisch veränderten Lebensmittel auf dem Markt.

Lediglich gentechnisch produzierte Enzyme könnten unter Umstän- den bereits verwendet werden. Eine Novel Food-Verordnung wird

auf europäischer Ebene gerade erst vorbereitet. Doch die neuen Nahrungsmittel sind längst ein Thema. Im Gespräch mit Ärzten und Naturwissenschaftlern erörterten Teilnehmer eines von der Bundes- ärztekammer veranstalteten Forums am 4. November in Berlin, ob das Risiko von Nahrungsmittelallergien durch gentechnisch verän- derte Lebensmittel steigen könnte oder ob mit anderen Risiken zu rechnen ist, beispielsweise mit Antibiotikaresistenzen.

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n der öffentlichen Diskussion sei die Gentechnologie umstritten.

In Medizin und Pharmazie wer- de ihre Anwendung noch weit- gehend gebilligt. Die Mehrheit der Bevölkerung lehne gentechnisch veränderte Nahrungsmittel jedoch ab. Hauptursache für diese Skepsis sei wohl der Mangel an verständli- cher Information zu diesem Thema, urteilte Prof. Dr. med. Heyo Eckel.

Er eröffnete das Forum „Gesund- heit und Umwelt" der Bundesärzte- kammer zum Thema „Gentech- Nahrung". Eckel ist Präsident der Landesärztekammer Niedersachsen und engagiert sich sowohl in seiner als auch in der Bundesärztekammer im Umweltausschuß.

Aus der Sicht einer Molekular- biologin referierte in Berlin Dr. rer.

nat. Inge Broer von der Universität Rostock. Zum besseren Verständnis ihrer Schlußfolgerungen ging sie kurz auf Grundsätzliches ein. Bei gentechnologisch produzierten Nahrungsmitteln handele es sich um Pflanzen, Pilze oder Tiere, „de- ren Genom durch die Einführung eines oder mehrerer Gene so verän- dert worden ist, wie es natürlich nicht möglich wäre".

Ein Beispiel hierfür, das auch in Berlin mehrfach zur Sprache kam, ist die gentechnisch veränderte To- mate „Flavr Savr", die seit dem Sommer in den USA verkauft wird.

Durch eine gentechnische Manipu- lation verlangsamt sich der Abbau

der Zellwände. Reife Tomaten wer- den dadurch langsamer matschig beziehungsweise faul. Deshalb kön- nen sie später als andere Früchte geerntet werden, müssen nicht

künstlich nachreifen und schmek- ken angeblich besser.

Dr. Broer erläuterte anhand verschiedener Beispiele, wie sich transgene Pflanzen von den ur- sprünglichen unterscheiden kön- nen. Was den Stoffwechsel anbe- langt, könne man die Zusammen- setzung ihrer Inhaltsstoffe (zum Beispiel Vitamine, Stärke oder Fettsäuren) verändern, ihre Wider- standsfähigkeit gegenüber Pflan- zengiften oder Ungeziefer, ihren Reifungsprozeß. Sie verdeutlichte, daß Untersuchungen zu physiologi- schen Prozessen in gentechnisch veränderten Pflanzen in gewisser

Gentechnisch veränderte Lebensmittel sind Thema zahlreicher Publikationen. Diese Tomate ist auf dem Titel des Sonderhefts der Frankfurter Zeitschrift

„Politische Ökologie" zum Thema „Geniale Zeiten

— Essen aus der Genküche" abgebildet. Es ist 1994 erschienen und enthält vor allem kritische Beiträge.

Weise auch für Ärztinnen und Ärz- te interessant sein können. Nach der Analyse der Veränderungen könne man nämlich überlegen, ob ein Verzehr bei Menschen Schaden anrichten könne oder nicht.

Über die möglichen Risiken gentechnisch veränderter Lebens- mittel referierte Prof. Dr. Klaus- Dieter Jany, Leiter des Molekular- biologischen Zentrums der Bundes- forschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe. Er gab zu bedenken, daß die Verbraucher zwar gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln kri- tisch gegenüberstehen, aber an- spruchsvoll sind in dem, was sie al- les von Lebensmitteln erwarten: Sie sollten am besten frisch sein, ge- sund und immer verfügbar, ökolo- gisch hergestellt, nicht krank ma- chend, egal wieviel man davon kon- sumiere, und preiswert.

Jany ging unter anderem auf das von gentechnisch veränderten Mikroorganismen erzeugte Enzym Chymosin ein, das in den USA be- reits häufig für die Käseherstellung verwendet wird. Diesem stellte er eine weitgehende Unbedenklich- keitserklärung aus: Die eigentliche Wirksubstanz sei gut analysiert, ebenso die restlichen Proteine. Im fertigen Käse sei schließlich nur noch wenig Labenzym enthalten.

Kritischer äußerte sich Jany zu gentechnisch hergestellten Wachs- tumshormonen. Ein Beispiel ist das Rinderwachstumshormon BST, mit Hilfe dessen die Milchproduktion bei Kühen gesteigert wird. Zwar sah der Wissenschaftler kein Risiko in den Hormonmengen, die über die Milch solcher Kühe in den

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994 (29) A-3253

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menschlichen Organismus gelan- gen. Allerdings beurteilte er die Gabe von Wachstumshormonen als solche kritisch: Ihre Verabreichung könne die Tiere in Streß versetzen und führe Untersuchungen zufolge häufiger zu Euterentzündungen, die dann wieder medikamentös behan- delt werden müßten. Auch die Zu- sammensetzung der Milchbestand- teile könne sich verändern.

Auf die Tomatensorte „Flavr Savr" ging Jany ebenfalls ein. Bei der Diskussion wird häufig ange- führt, daß der Verzehr solcher Gemüse unter Umständen Antibio- tikaresistenzen bei Menschen be- wirken könne. Hintergrund: Anti- biotikaresistenzgene werden als Markergene in die Pflanzen einge- baut. Sie helfen festzustellen, ob ei- ne gentechnische Manipulation ge- glückt ist. Bei einem Antibiotika- test überleben später dann nur Zel- len, bei denen ein Gentransfer statt- gefunden hat. Ein Verdacht ist, daß solche Markergene nach dem Ver- zehr beispielsweise einer gentech- nisch veränderten Tomate auf die menschlichen Darmbakterien über- tragen werden und so Antikiotika- resistenzen entstehen.

Damit wird auch eine Sorge an- gesprochen, die im Zusammenhang mit gentechnologischen Anwen- dungen große Bedeutung hat: näm- lich die, daß damit Artgrenzen übersprungen werden, ohne daß man die Auswirkungen über- blicken kann.

Resistenzgen:

Keine Gefahr

Jany meinte hierzu, daß man differenzieren müsse. Im Fall der gentechnisch veränderten Tomate sei die Gefährdung durch das Ka- namycin-Resistenzgen ausführlich untersucht worden. In der Verwen- dung dieses Resistenzgens sehe er keine Gefahr für Menschen.

Zudem sei in der „Flavr Savr"- Tomate gerade ein Resistenzgen eingebaut, das nur einen winzigen Teil der gesamten DNA bilde. Der Einfluß dieses einen Gens sei sicher sehr gering. Janys Meinung nach haben Resistenzgene dennoch in

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Nahrungsmitteln nichts zu suchen.

Sie müßten entfernt werden.

Ob Hauterkrankungen durch den vermehrten Verzehr gentech- nisch veränderter Lebensmittel zu- nehmen könnten — dieser Frage ging Prof. Dr. med. Hans Merk nach. Er ist Direktor der Hautklinik der RWTH Aachen. Merk schränk- te jedoch gleich zu Anfang ein:

„Unsere Kenntnisse sind begrenzt."

Einiges sei jedoch ableitbar aus dem, was man heute über Allergien wisse.

Kennzeichnungspflicht Bei bestimmten Nahrungsmit- teln oder auch Latex zum Beispiel seien die Proteine, die in diesem Fall eine allergische Reaktion aus- lösen, recht gut bekannt. Bei gen- technologisch veränderten Lebens- mitteln könne man also prüfen, ob sie vorhanden sind, sprich: das vor- handene Wissen über allergene Po- tentiale von Proteinen nutzen.

Merk erläuterte jedoch auch, daß die Möglichkeiten bei neuen Substanzen erheblich eingeschränkt seien: Hier könne man nicht auf vorhandenes Wissen zurückgreifen.

In der Diskussion wurde deutlich, daß viele Ärzte pessimistischer sind:

Einige Forumsteilnehmer waren der Auffassung, daß man in diesen Fällen keine befriedigenden Analy- semöglichkeiten habe. Wenn man im Fall einer Allergie keinen kon- kreten Verdacht habe, wisse man nicht, wonach man suchen solle.

Ein weiteres Problem wurde darin gesehen, daß gentechnisch veränderte Lebensmittel unter Um- ständen gar nicht gekennzeichnet sind. Daß sie manipuliert wurden, kann man nach Beendigung dieses Prozesses kaum mehr feststellen:

„Eine generelle Analytik, mit Hilfe derer man untersuchen kann, ob Lebensmittel gentechnisch manipu- liert wurden, gibt es nicht", sagte ein Teilnehmer. So votierte die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte, die am Forum teilnahmen, denn auch dafür, solche Lebensmittel ausreichend zu kennzeichnen.

Insgesamt wurden in Berlin durchaus die möglichen Vorteile

gentechnisch veränderter Lebens- mittel zur Kenntnis genommen. So wies beispielsweise Prof. Dr. Hans- Joachim Zunft vom Deutschen In- stitut für Ernährungsforschung bei Potsdam darauf hin, daß man sie zur Prophylaxe und Therapie be- kannter Ernährungsstörungen ein- setzen könne. Ein Beispiel sind Nahrungsmittel für Menschen, die auf glutenfreie Produkte angewie- sen sind. Außerdem könnten gen- technisch veränderte Nahrungsmit- tel einen Beitrag zur Aufklärung von Stoffwechselprozessen leisten.

Als Risiko nannte Zunft allerdings neue Ernährungsstörungen.

Ganz am Ende wurden Aspek- te des Themas noch einmal aufge- griffen, die Prof. Eckel anfangs an- gesprochen hatte. Prof. Dr. Ingrid- Ute Leonhäuser, Ökotrophologin an der Universität Gießen, referier- te über Aufgaben der Verbrauche- rinformation und -beratung. Bevor man „die Bevölkerung" informiere, müsse man erst einmal ihren Wis- sensstand kennen, sagte sie. Die meisten Menschen besäßen jedoch kaum Kenntnisse über gentechnisch veränderte Nahrungsmittel.

Vor schnellen Rückschlüssen aus Befragungen zum Thema Gen- technologie warnte Prof. Leonhäu- ser. Zwar hat eine Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag ergeben, daß die Akzeptanz gentechnologischer Anwendungen variiert: Entspre- chend erzeugte Medikamente fan- den die größte Zustimmung, mani- pulierte Lebensmittel die geringste.

Welche Antworten gegeben werden, hänge jedoch sehr von der Art der Befragung und von der Wortwahl ab. Als Beispiel nannte Leonhäuser Fragen zum Wachs- tumshormon BST. Wiesen die Fra- gesteller eher auf die Vorteile hin (niedrigerer Gülleverbrauch), fie- len die Antworten positiver aus, als wenn negative Aspekte betont wur- den (schlechterer Geschmack).

Auch klinge „biotechnische Le- bensmittel" für viele Menschen po- sitiver als „gentechnologisch verän- derte Lebensmittel". Mit ersterem assoziierten zahlreiche Befragte ei- ne biologische Anbauweise oder keine Pflanzengifte. Sabine Dauth A-3256 (32) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994

Referenzen

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