sundheitsprämie, sondern auch eine überzeugende Synthese der beiden kontrovers disku- tierten Modelle. Leider wer- den zwei Schwachpunkte des jetzigen Systems gar nicht er- wähnt. Doch solange das Sach- leistungsprinzip beibehalten und umgekehrt kein Schadens- freiheitsrabatt eingeführt wird, fehlen wesentliche Steuer- elemente für den Beitragszah- ler. Weder kennt er die von ihm verursachten Kosten, noch
kann er ein persönliches Inter- esse an ihrer Minimierung ha- ben. Davon hat die Ärzte- schaft lange Zeit profitiert und ebenso die Wehleidigen auf Kosten der Gesundheitsbe- wussten. Schließlich sind Ge- sundheit und Krankheit keine festen Größen, als die sie von Politikern und Ärztefunk- tionären gerne dargestellt wer- den. So gehen etwa schwedi- sche Versicherte im Durch- schnitt jährlich nur einmal, deutsche dagegen achtmal zum Arzt. Ein weiteres Beispiel sind die drastisch gesunkenen Fehltage durch „Krankfeiern“.
Prof. Dr. Dr. Hans E. Müller, c/o Laborpraxis John, Campestraße 7, 38102 Braunschweig
Baustellen der GKV
Ein kluger Beitrag, bei dem leider (mangels Bodenhaf- tung?) etwas vergessen wurde:
Wie kann die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) so verändert werden, dass sie nicht mehr wie ein Super- markt ohne Kasse genutzt werden kann? Es macht wenig Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, ob alle Bürger und welche Einkommensarten in
eine prämienfinanzierte Volks- versicherung einbezogen wer- den sollen, wenn nicht vorher geklärt ist, wie mit den vor- handenen Ressourcen verant- wortungsvoller umgegangen werden kann. Vor gedanklicher Auseinandersetzung mit zukünf- tigen Versicherungsmodellen sollten erst die aktuellen Bau- stellen der GKV bearbeitet werden. Davon gibt es genug.
Um nur einige zu nennen: Un- gesteuerter Chipkarteneinsatz zur unbegrenzten Leistungs- inanspruchnahme ist nicht freie Arztwahl, sondern täglich erlebte Ressourcenverschwen- dung. Disease-Management- Programme verbessern nicht die Versorgungsqualität, son- dern vergrößern den Verwal- tungswasserkopf, der seit Jah- ren ungebremst wächst. Grö- ßenwahnsinnig anmutende Planungen für die elektroni- sche Gesundheitskarte sollten nicht weiter vorangetrieben werden, ohne vorher zu prüfen, ob kostengünstigere bezie- hungsweise kleinere Lösungen dem Praxistest standhalten . . . Dr. med. Johannes Pangritz, Mühlenbergzentrum 6, 30457 Hannover
Kleine Ergänzung mit Spareffekt
In der Sache habe ich dem temperamentvollen Beitrag nichts Kritisches entgegenzu- setzen, allenfalls eine kleine Ergänzung, die auch einen Spar- effekt haben könnte. Ich spiele mit dem Gedanken, in meiner HNO-Praxis das sehr sympa- thisch wirkende Bild aufzuhe- ben, auf dem man eine wohl mehr pädiatrisch-internistisch ausgerichtete Kollegin beim Versuch erkennt, einem gar nicht so krank wirkenden viel- leicht Zehnjährigen ins Ohr zu schauen. Habe vor, es zu ver- größern, vielleicht sogar zu ver- vielfältigen, um damit meinen Patienten beziehungsweise -eltern den Unterschied zwi- schen den Fachgruppen zu er- läutern, die sich oft mit densel- ben Erkrankungen befassen, mit häufig sehr unterschiedli- chen Ergebnissen. Ein verwert- barer otologischer Befund ist mit dieser Untersuchungsappa-
ratur – wenn’s drauf ankommt – auch bei großer Erfahrung nur selten zu erheben, geschwei- ge denn, dabei irgendeine Be- handlungsmöglichkeit gegeben, sollte man etwas im Gehör- gang finden: Bei Kindern ist et- wa zu 80 Prozent der aktuelle Vorstellungsanlass in meiner Praxis schlicht Cerumen, an dem vorbei alle möglichen Dia- gnosen, oft auch Fehldiagnosen, gestellt worden sind. Ich halte die Facharztausbildung an den deutschen Universitäten auch weiterhin für einen der gravie- rendsten Kostenfaktoren.
Dr. med. Ulrich Leidenfrost, Nansen Straße 7, 79539 Lörrach
Stalkingopfer
Zu dem „Status“-Beitrag „Gestörte Patienten: Ärzte als Stalkingopfer“
von Marion Sonnenmoser in Heft 24/2005:
Aus Not und Verzweiflung
Ihr Artikel lässt die Situation unberücksichtigt, die wohl häufig zu Stalkingverhalten führt. Tatsache ist, dass Be- handlungsfehler durchaus in unserem ärztlichen Alltag vor- kommen und nicht nur eine reine „Glaubensangelegen- heit“ sind – im Sinne von, der Patient „glaubt“ sich schlecht behandelt. Und Tat- sache ist auch, dass bei Fehlbe- handlungen den Patienten im- mer noch kaum eine realisti- sche Chance eingeräumt wird, Schadensersatzansprüche tatsächlich auch geltend ma- chen zu können. Dass der eine oder andere Patient in seiner Not und Verzweiflung schließ- lich zur „schlagfertigen Eigen- initiative“ übergeht, ist für bei-
de Konfliktparteien sicherlich tragisch, für diejenigen, die je- mals Opfer einer Fehlbehand- lung wurden, menschlich aller- dings durchaus verständlich.
Viele Patienten (insbesondere Patienten mit Borderline-Per- sönlichkeitsstörung) haben zu- dem in der Vorgeschichte sehr oft extrem belastende, trauma- tische Erfahrungen erlitten:
Sie erleben eine Fehlbehand- lung dann oft als eine Retrau- matisierung . . . Die ärztliche Behandlung wird heutzutage von vielen Patienten viel, viel kritischer betrachtet, als dies vor zehn, zwanzig, dreißig Jah- ren noch der Fall gewesen ist.
Das mag für einige Kollegen unangenehm sein, doch ei- gentlich bietet das die Chance eines veränderten, kooperati- ven Umgangs mit dem Patien- ten, um eigene Fehler sowie nachfolgendes Stalkingverhal- ten zu vermeiden. Berechtigte Schadensersatzansprüche ei- nes Patienten jedoch einfach nur als eine bloße „Glaubens- angelegenheit“ oder gar als das „Stalking“ eines „gestör- ten“ Querulanten abzuurtei- len, ist mir zu billig und wird der Differenziertheit und Komplexität des Phänomens meiner Meinung nach nicht gerecht.
Stephan Baltzer,Zum Mühlenberg 5, 53721 Siegburg
DMP
Zu der Meldung „Disease Manage- ment: AOK sieht DMP als Erfolg“ in Heft 23/2005:
Zu hohe Fehlerquote
Nun hat meine spärliche Be- geisterung für das DMP einen weiteren Dämpfer erhalten:
A
A2304 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 34–35⏐⏐29. August 2005
B R I E F E
Briefe, die die Redaktion per E-Mail erreichen, werden aufmerksam gelesen. Sie können jedoch nur veröffentlicht werden, wenn sie ausdrücklich als „Leserbrief“ bezeichnet sind. Voraussetzung ist ferner die vollständige Anschrift des Verfassers (nicht die bloße E-Mail-Adresse). Die Re- daktion behält sich ohne weitere Mitteilung vor, E-Mail- Nachrichten, die als Leserbrief erscheinen sollen, zu
kürzen. DÄ
Foto: Peter Wirtz
Mir wurde im Rahmen der Auswertung gemeldet, dass in meiner Praxis überdurch- schnittlich viele normalge- wichtige Diabetiker mit Bigua- niden behandelt würden. Nach dem ersten Zweifel an mir selbst habe ich die Daten der angegebenen Patienten über- prüft mitsamt der Kopien der von mir ausgefüllten Melde- bögen: Von neun Patienten stimmt die Meldung nur bei zweien. Vier Patienten werden gar nicht mit Biguaniden be- handelt. Und die übrigen drei haben zwischen zehn und 30 kg Übergewicht. Sieben Fehler von neun. Das macht eine Fehlerquote von 77,8 Pro- zent. Das ist kein Fall für Qua- litätskontrolle, sondern für den Müllhaufen . . . Wilfried Deiß,Uhlandstraße 50, 57074 Siegen
Untersuchung
Zu dem Beitrag „Die körperliche Un- tersuchung: Fundament in Gefahr“
von Dr. med. Christian Thomsen in Heft 23/2005:
Vergleich mit den USA
Der Erkenntnis des Herrn Kollegen Thomsen kann ich voll zustimmen. Ich möchte auf zwei Aspekte noch auf- merksam machen. Während meiner Ausbildung in den USA habe ich die Erfahrung gemacht, dass sehr viel mehr Wert auf subtile Fähigkeiten in der Kunst der körperlichen
Untersuchung gelegt wur- de . . . Die amerikanischen Kollegen beziehen sich gerne auf William Osler als Refe- renz für die Bedeutung von Anamnese und Untersu- chung. Die Wahrheit ist wohl etwas schlichter: Wer über die Geschichte und den Befund eines Patienten fundierte Kenntnisse erhoben und die Verdachtsdiagnose so schon eingeengt hat, braucht weni- ger apparative Medizin (lies:
teure Untersuchungen), um der wahren Diagnose näher zu kommen. In den USA wurden bereits 1985 DRGs eingeführt. Bisher habe ich meinen Studenten in der In- neren Medizin Anamnese und Untersuchung immer als das „Handwerkszeug“ ver- kauft, ohne das sie als Ärzte nicht bestehen werden kön- nen. In letzter Zeit kommt die Unabwendbarkeit wirt- schaftlicher Zwänge und die dadurch notwendige Be- schränkung auf die absolut unabdingbaren technischen Untersuchungen als Motiva- tionshilfe dazu.
Prof. Dr. med. J.-Matthias Löhr, II. Medizinische Klinik,
Universitätsklinikum Mannheim, Theodor-Kutzer-Ufer 1–3, 68167 Mannheim
Wohlwollende Ergänzungen
Anstelle von immer mehr Zu- wendung zu Bildschirm und Tastatur soll der Arzt wieder
mehr Aufmerksamkeit auf Be- obachten und Betasten des Kranken verwenden. Drei wohlwollende Ergänzungen:
R. Gross hatte von „unmit- telbarer Untersuchung“ ge- sprochen. Der Begriff ist weni- ger vieldeutig als „körperliche Untersuchung“ und „klinische Untersuchung“.
Die Vernachlässigung der unmittelbaren Untersuchung hängt vermutlich mit einem verkürzten Diagnoseverständ- nis zusammen: Es geht in der praktischen Medizin nicht so sehr um die Frage: „Was ist es?“ – Diagnose im Sinne von Erkenntniswissen, zu wel- chem Krankheitsbegriff das Leiden des Patienten zuzu- ordnen ist. Es geht mehr um die Frage: „Was ist zu tun?“ – Diagnose im Sinne von Hand- lungswissen – einer Abschät- zung der Gefährdung des Pa- tienten und der Indikation zu bestimmten therapeutischen Maßnahmen. Eine Indikati- on, richtig gestellt, trifft den rechten Zeitpunkt und das rechte Maß. Beides ist nur im unmittelbaren Kontext wahr- zunehmen.
Techniken unmittelbarer Wahrnehmung stehen dem Arzt nur dann nutzbringend zur Verfügung, wenn sie stän- dig trainiert werden.
Es war an der Zeit, mit Nach- druck auf das Fundament ärzt- lichen Handelns hinzuweisen.
Dem Autor sei Dank für sein Plädoyer!
Dr. med. W. Christoph Hager, Chorbuschstraße 66, 50765 Köln
Psychiatrie
Zu dem Beitrag „Kinder- und Jugend- psychiatrie: Zwischen Einsamkeit und Hoffnung“ von Prof. Dr. med. Dr. phil.
Helmut Remschmidt in Heft 25/2005:
Krankenkassen sollen Kosten übernehmen
Es ist Prof. Remschmidt zu dan- ken, dass er Viktor E. Frankl in- sofern erwähnt, als er die Hoff- nung als Heilfaktor ansieht.
Frankl ist nämlich derjenige Psychiater und Psychothera- peut, der die therapeutisch rele- vanten existenziellen Bedin- gungen deutlich macht, die den Menschen „Ja zum Leben sa- gen“ lassen (können). Er spricht von der existenziellen Frustration, die sich zur nooge- nen Depression auswachsen kann, wenn diese Bedingungen übersehen oder psychologisch abgewertet werden. Hoffnungs- losigkeit und Zukunftsangst, die nicht durch körperliche Erkrankungen erklärbar sind, sind im Sinne seiner psychothe- rapeutischen Konzeption in der Tatsache begründet, dass der Mensch keine Erfüllung findet, die Suche nach Sinn nicht ans Ziel und somit eine nihilistische Lebensdeutung zum Zuge kommt. Das von ihm begründe- te therapeutische Konzept der Existenzanalyse und der Logo- therapie sollte deshalb von den Krankenkassen normalerweise erstattet werden.
Pater Vinzenz B. Ganter, Waldstraße 145, 67405 Neustadt/Weinstraße
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 34–35⏐⏐29. August 2005 AA2305
B R I E F E