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Mammographie-Screening: Nutzen und Schaden

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Academic year: 2022

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Universitätslehrgang für Lehrerinnen und Lehrer der Gesundheits- und Krankenpflege 2009/2012

Mammographie-Screening: Nutzen und Schaden

Masterarbeit

zur Erlangung des Titels

Master of Science in Pflegepädagogik

vorgelegt von:

Antonia Rieger

Wissenschaftliche Leitung:

Univ. Prof. Dr.phil. Josef Scheipl

Pädagogische Leitung:

Mag

a

. Notburga Erlacher

Begutachter: Dr.med. Martin Sprenger MHP

September 2009 – Februar 2012

Graz, November 2011

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II Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Graz, am 22.11.2012 Unterschrift

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III Kurzfassung

Hintergrund:

Brustkrebs ist in Österreich die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Durch das Einführen eines Mammographie-Screening-Programmes, zu dem alle Frauen zwischen 45 und 69 Jahren routinegemäß alle zwei Jahre eingeladen werden, soll die Brustkrebs-Sterblichkeit gesenkt werden.

Ziele:

Ziel dieser Masterarbeit ist, einen Überblick über das Thema Screening zu geben und den Nutzen, aber auch die Schäden, die durch das Mammographie-Screening entstehen können, aufzuzeigen. Folgende Fragen, die sich die Autorin gestellt hat, werden beantwortet:

1. „Wird der Nutzen der Brustkrebs-Früherkennung überschätzt?

2. „Wie gut ist der Wissensstand in der Bevölkerung über den Nutzen und Schaden von Mammographie-Sceening-Programmen?“

3. „Nach welchen internationalen Standards sollte ein Mammographie- Screening-Programm“ durchgeführt werden?“

Methode:

Diese Masterarbeit ist eine Literaturarbeit.

Ergebnis:

Jedem Nutzen steht auch ein Schaden gegenüber. Um diesen möglichst klein zu halten, müssen qualitätssichernde Maßnahmen in den Organisationen unbedingt eingehalten werden. Das Mammographie-Screening führt in jedem Fall zu Überdiagnose und Überbehandlung, da jede gefundene Läsion, ob gefährliche oder harmlose Zellveränderung, behandelt wird. Die Information der Bevölkerung ist lückenhaft, mögliche Schäden werden in keinem Fall erwähnt. Aus diesem Grund wird der Nutzen deutlich überschätzt.

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IV Abstract

Background:

Breast cancer is the most common cancer of women in Austria. The number of breast cancer mortality should be decreased with an introduction of a

mammography screening program, to which all women between 45 and 69 are routinely invited every two years.

Goals:

The aim of this thesis is to provide an overview of the subject screening and their benefits but also to identify the damage that may arise from this screening. The following questions which the author has made, will be answered:

1. ”Are the benefits of mammography screening overrated”?

2. ”How good is the level of knowledge among the population about the benefits and harms of mammography screening programs“?

3. ”After what international standards, a mammography screening program should be implemented“?

Method:

This thesis is a literary work.

Result:

Each advantage is also facing a disadvantage. In order to keep this as small as possible, quality assurance measures in the organizations must be strictly

observed. The mammography screening leads in each case to over-diagnosis and treatments because each lesion found, whether dangerous or benign cellular changes, is treated. The public knowledge is full of gaps. Potential damages are not mentioned in any case. For this reason the benefits are clearly overestimated.

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V Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 1

2. Grundlagen ... 3

2.1 Die Brust ... 3

2.2 Anatomie und Aufbau der Brust ... 3

2.3 Erkrankungen der Brust ... 4

2.4 Entstehung von Brustkrebs ... 5

2.4.1 TNM-Klassifikation ... 7

2.4.2 Risikofaktoren für die Entstehung von Brustkrebs ... 8

2.5 Klinische Brustkrebszeichen ... 9

2.6 Brustkrebsvorsorge ... 10

3. Screening... 12

3.1 Geschichte des Screenings ... 12

3.1.1 Entwicklung des Screenings in Großbritannien und den Vereinigten Staaten ... 12

3.1.2 Entwicklung des Mammographie-Screenings in Deutschland ... 20

3.2. Was bedeutet Screening? ... 21

3.2.1 Definition „Screening“ ... 21

3.2.2 Defintion von Screening - Heute... 21

3.3 Screening und der Krankheitsverlauf ... 24

3.4 Screening – Prinzipien ... 26

3.4.1 Elemente des Screening – Systems ... 26

3.4.2 Der Ablauf des Screening-Programms... 30

3.4.3 Screening - Probleme ... 31

(6)

VI

3.5 Maßeinheiten zur Bewertung eines Screening-Programms ... 33

3.6 Maximaler Nutzen und Minimaler Schaden von Screening-Programmen ... 34

3.7 Das Popularitäts-Paradoxon ... 35

3.8 Mammographie-Screening aus Sicht der Betroffenen ... 37

3.9 Das Problem der Überbehandlung... 40

3.10 Die wissenschaftliche Evidenz von Screening ... 41

3.10.1 Der Healthy-Screenee-Effekt ... 41

3.10.2 Der Krankenhausdauereffekt ... 42

3.10.3 Vorlaufzeiteffekt ... 44

3.11 Finanzierung und Durchführung von Screening-Programmen ... 45

3.12 Qualitätssicherung ... 46

3.12.1 Anwendung der Qualitätssicherung ... 46

3.12.2 Donabedians Komponenten der Qualität ... 47

3.12.3 Wovon ist Qualität abhängig? ... 49

3.12.4 Definieren und Messen der Screening-Qualität ... 50

3.13 Screening-Politik ... 52

3.13.1 Probleme der Screening - Politik ... 52

3.13.2 Entscheidungen der Screening Politik ... 54

3.13.3 Framing in der Screening – Politik ... 57

3.13.5 Ethik in der Politikgestaltung ... 58

4. EU-Richtlinien für das Mammographie-Screening ... 60

4.1 Mammographie in Österreich - derzeit... 61

4.2 Der Qualitätsstandard in Österreich für das Mammographie- Screening .. ... 62

4.2.1 Strukturelle und Organisatorische Voraussetzungen ... 63

(7)

VII

4.2.2 Einladung zum Mammographie-Screening... 64

4.2.3 Fortbildung für medizinisches Personal ... 64

4.2.4 Qualitätssicherung von Mammographie- und Sonographiegeräten 66 4.2.5 Qualitätskriterien der medizinischen Prozesse... 66

4.2.6 Assessment ... 67

4.2.7 Qualitätsgesicherte Dokumentation ... 67

5. Information... 68

5.1 Der Wissensstand in der Bevölkerung zum Thema Früherkennung ... 69

6. Behandlung des Brustkrebs ... 70

6.1 Operatives Vorgehen ... 70

6.2 Strahlentherapie ... 71

6.3 Medikamentöse Therapie ... 71

7. Zusammenfassung ... 73

Literaturverzeichnis ... 74

(8)

VIII Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Aufbau der weiblichen Brust……….…..4

Abb.2: Bösartige Neubildungen der weiblichen Brust im Zeitverlauf………6

Abb 3: Neuerkrankungen pro 100 000 Frauen in Altersgruppen……….8

Abb.4: Formale Definitionen von Screening……….………22

Abb.5: Stadien im Verlauf einer Erkrankung………....24

Abb.6: Flussdiagramm eines einfachen Screenings………...28

Abb.7: Screening-Flussdiagramm für positive Tests……….30

Abb.8: Die 3x2 Felder-Tafel des Screenings……….37

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1

1. Einleitung

Brustkrebs ist mit 4600 Neuerkrankungen jährlich, die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Österreich. Die Mammographie ist eine Methode zur Früherkennung von Brustkrebs; Tumore in der Brust sollen frühzeitig erkannt werden, damit sie noch gut behandelbar sind.

Brustkrebsfrüherkennung, dazu zählen die klinische Untersuchung, die Mammographie und der Ultraschall, werden derzeit in Österreich im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung Neu, Frauen ab dem 40. Lebensjahr, in einem zweijährigen Intervall, angeboten.

Durch die Einführung eines Mammographie-Screening-Programms, das in vielen europäischen Ländern bereits Frauen zwischen 50 und 69 Jahren routinegemäß alle zwei Jahre angeboten wird, erhofft sich Bundesminister Stöger österreichische Frauen zur Teilnahme an der Brustkrebsfrüherkennung zu motivieren und dadurch die Brustkrebssterblichkeit zu senken. In Zukunft sollen Frauen zwischen 45 und 69 Jahren eine schriftliche Einladung zum Mammographie-Screening erhalten, die ihnen in einer qualifizierten Röntgen- einrichtung in der Nähe des Wohnortes eine Untersuchung ermöglicht.

Beratungsbögen der Brustkrebsfrüherkennung versprechen eine Reduktion der Sterblichkeit von mindestens 20%, wenn der Tumor frühzeitig erkannt wird. Es wird in keinem Fall von etwaigen Nebenwirkungen beziehungsweise Schäden von Screening berichtet. Leider wird vergessen, dass es immer noch eine zweite Seite von Screening-Untersuchungen gibt. Brustkrebs-Screening hat nicht nur einen Nutzen, durch falsch angewandte Screenings können auch Schäden entstehen.

Frauen erhalten falsch positive Befunde, dadurch unnötige Eingriffe und sind enormen seelischen Belastungen ausgesetzt. Das Risiko eines falsch positiven Befundes liegt nach zehn Aufnahmen bei 40% bis 49%, wovon bei 20% dieser betroffenen Frauen Gewebeproben entnommen werden.

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2

Aus diesem Grund stellte sich die Autorin folgende Fragen:

„Wird der Nutzen der Brustkrebs-Früherkennung überschätzt?“

„Wie gut ist der Wissensstand in der Bevölkerung über den Nutzen und Schaden von Mammographie-Screening-Programmen?

„Nach welchen internationalen Standards sollte ein Mammographie-Screening- Programm durchgeführt werden?“

Ziel dieser Arbeit ist, einen Überblick über das Thema Screening zu geben – was bedeutet Screening, woraus besteht es, was muss beachtet werden, nach welchen Qualitätsstandards muss gearbeitet werden, wer entscheidet über ein Screening Programm und vor allem welche Folgewirkungen kann ein Screening-Programm nach sich ziehen.

Im ersten Teil dieser Arbeit, Kapitel 2 Grundlagen, versucht die Autorin ein Grundverständnis zu schaffen. Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Hauptthema der Arbeit, dem Screening. Die EU-Richtlinien und der derzeitige Stand der Mammographie in Österreich, einschließlich der Qualitätsstandard für Österreich, der sich derzeit in Überarbeitung befindet, sind in Kapitel 4 zusammengefasst. In Kapitel 5 schreibt die Autorin über das Thema der Information und was die Bevölkerung über Brustkrebsfrüherkennung denkt. Das letzte Kapitel gibt einen Überblick über die Behandlung von Brustkrebs.

(vgl. Feichter/Czirkovits/Hofer 2008; vgl. Frauengesundheitszentrum 2000; vgl.

Bundesministerium für Gesundheit 2011).

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3

2. Grundlagen

2.1 Die Brust

Die Brust der Frau, lateinisch Mamma, ist ein sehr sensibler Körperteil. Sie zählt zu den sekundären Geschlechtsorganen von Frauen.

2.2 Anatomie und Aufbau der Brust

Die Brust besteht aus Drüsengewebe, Bindegewebe und Fettgewebe. Das Drüsengewebe ist aus Drüsenläppchen (Lobuli) aufgebaut, die Muttermilch produzieren, in kleine Kanäle (Ductus) münden und zur Brustwarze führen. Das Bindegewebe stabilisiert die Brust, während das Fettgewebe die Zwischenräume ausfüllt. Die Brust wird durchzogen von Blutgefäßen, Nerven und Lymphbahnen.

Die Lymphgefäße transportieren die Gewebsflüssigkeit (Lymphe) in Richtung Achselhöhle. Ihre Aufgabe ist es, Erreger, wie auch Krebszellen, zu filtern. Sie sind in der Regel erbsengroß, weich und kaum tastbar. Durch Entzündungen und bösartige Erkrankungen können sie schmerzhaft anschwellen und sehr hart werden (vgl. Smola 2005, S.11-12; Albert et al 2010, S.10).

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Abb.1: Aufbau der weiblichen Brust (Öffentliches Gesundheitsportal Österreich 2011)

2.3 Erkrankungen der Brust

Das Gewebe der Brustdrüse ist durch hormonelle Einflüsse (Östrogen, Progesteron) sehr empfindlich. Dies kann zu verschiedenen gutartigen Erkrankungen führen. Durch einen nicht funktionstüchtigen Milchgang können Zysten entstehen, aber auch Knoten im Bindegewebe (Fibroadenome) und Knoten in den Fettläppchen (Lipome) können sich entwickeln. Durch Hautbakterien, die in den Milchgang gelangen, können Entzündungen der Brust entstehen, die unbedingt behandelt werden müssen. Meist klingen die Beschwerden nach der Behandlung wieder ab (vgl. Albert et al 2010, S.11).

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2.4 Entstehung von Brustkrebs

Brustkrebs entsteht durch eine krankhaft veränderte Zellteilung. Zellteilungen sind nichts Ungewöhnliches, es bedarf einer Zellteilung, damit unser Organismus überhaupt lebensfähig ist. Gewöhnlich werden verbrauchte Zellen durch neue ersetzt. Ein Tumor entsteht dann, wenn neue Zellen ungebremst wachsen und alte, verbrauchte Zellen, nicht mehr absterben. Überschreitet der Tumor die natürliche Gewebegrenze, spricht man von einem invasiven Brustkrebs oder invasiven Karzinom. Diese Zellen können Absiedelungen (Metastasen) in anderen Organen bilden.

Wenn sich eine Zelle nicht so entwickelt, wie sie sollte, spricht man von einer Dysplasie. Vermehren sich diese Zellen, bleiben aber noch begrenzt, liegt ein gutartiger Tumor oder ein In-Situ-Karzinom vor. Befinden sich diese Zellveränderungen an der Innenwand der Milchgänge, spricht man von einem DCIS (Ductales Carcinoma in situ). Bei jeder fünften Frau, die erstmalig die Diagnose Brustkrebs erfährt, tritt eine solche Zellveränderung auf. Da es bis heute keine Möglichkeit gibt festzustellen, bei welcher Frau sich ein DCIS zu einem bösartigen Brustkrebs entwickelt, wird jeder Frau eine Operation, die in diesem Fall eine Heilung verspricht, empfohlen (vgl. Albert et al 2010, S.13;

Weymayr/Koch 2003, S.21).

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Abb.2: Bösartige Neubildungen der weiblichen Brust im Zeitverlauf

Brustkrebs ist mit 28% aller Tumore die häufigste Krebserkrankung bei Frauen.

Im Jahr 2008 lag die Zahl der Neuerkrankungen bei 4570 Fällen. Ein Rückgang der Sterblichkeit ist in den letzten Jahren deutlich zu erkennen, da durch das Screening nicht nur vermehrt Brustkrebsfälle entdeckt, sondern auch immer in einem früheren Stadium erkannt werden. In den letzten zehn Jahren ist das Risiko für Frauen vor ihrem 75. Lebensjahr an Brustkrebs zu sterben von 2,1% auf 1,6%

zurückgegangen (vgl. Statistik Austria 2010).

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2.4.1 TNM-Klassifikation

Die Einteilung aller Tumore erfolgt nach der internationalen TNM- Klassifizierung, nach der Pathologen weltweit ihre Befunde erstellen.

T beschreibt die Tumorgröße und die maximale Ausdehnung.

T1 Karzinom bis 2 cm

T2 Karzinom zwischen 2 und 5 cm T3 Karzinom größer als 5 cm

T4 Karzinom dehnt sich auf Haut und/oder Brustmuskulatur aus, ohne Berücksichtigung der Größe

N bezeichnet die Achsellymphknoten N0 tumorfreie Lymphknoten

N1 Metastasen in 1-3 Lymphknoten N2 Metastasen in 4-9 Lymphknoten N3 Metastasen in 10 Lymphknoten

M beschreibt, ob Metastasen vorhanden sind oder nicht M0 es sind keine Metastasen vorhanden

M1 es sind Metastasen vorhanden

Die Aggressivität des Tumors wird mit G Grading (Grad der Differenzierung) beschrieben.

G1 hoch differenziert, langsames Wachstum G2 mittlere Differenzierung, mäßiges Wachstum G3 niedrig differenziert

G4 undifferenziert, hohe Aggressivität (vgl. Smola 2005, S.73ff).

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2.4.2 Risikofaktoren für die Entstehung von Brustkrebs

Es müssen viele Faktoren zusammenspielen, dass sich aus einer gesunden Zelle eine Krebszelle entwickelt. Einige Risikofaktoren können von jeder Frau selbst beeinflusst werden, andere nicht oder nur teilweise. Eine vollwertige Ernährung, regelmäßig Bewegung, ein normales Körpergewicht und geringer Alkoholkonsum wirken sich in jedem Fall günstig aus. Ungünstig sind eine Hormonbehandlung zur Verhütung von Schwangerschaften (Pille) und eine Hormontherapie bei Beschwerden während der Wechseljahre. Schwangerschaften und lange Stillzeiten, die zu den Risikofaktoren zählen, die nur teilweise beeinflusst werden können, haben ebenfalls eine positive Wirkung.

Die zwei wesentlichsten Risikofaktoren für die Entstehung von Brustkrebs sind ein höheres Alter und eine familiäre Vorbelastung.

Die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken steigt mit zunehmendem Alter an, und sinkt ab dem 70. Lebensjahr wieder leicht ab (vgl. Albert et al 2010, S16ff; Smola 2005, S.14).

Abb 3: Neuerkrankungen pro 100 000 Frauen in Altersgruppen (Albert et al 2010, S.18)

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Wenn innerhalb einer Familie mehrere Frauen an Brustkrebs erkranken, können erbliche Faktoren vorhanden sein. Eine genetische Veränderung wird mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 50% an die Kinder weitergegeben. Mit anderen Worten heißt das, dass von zwei Frauen mit einer bekannten genetischen Veränderung nur eine Frau diese Veränderung für ein erhöhtes Brustkrebsrisiko an ihr Kind vererbt. Diese Gene werden als BRCA 1 und BRCA 2 bezeichnet.

BRCA steht für Breast Cancer. Wenn bei Frauen eine Genveränderung von BRCA1 oder BRCA2 nachgewiesen wird, haben diese ein deutlich erhöhtes Risiko an Brust- und/oder Eierstockkrebs zu erkranken.

Weitere Risikofaktoren für die Entstehung von Brustkrebs sind gutartige Veränderungen in der Brust mit der medizinischen Bezeichnung ADH (Atypische Duktale Hyperplasie) und LN (Lobuläre Neoplasie). ADH sind Zellveränderungen in den Milchgängen, die Mikrokalk bilden und LN sind Zellveränderungen in den Milchläppchen (vgl. Albert et al 2010, S.16ff).

2.5 Klinische Brustkrebszeichen

Die ersten Zeichen eines Mammakarzinoms sind:

• Ein derber Knoten

• Eine Formveränderung der Brust

• Ziehende Schmerzen

• Einziehung der Brustwarze

• Austreten von Sekret aus der Mamille

• Hautveränderungen (vgl. Regierer, Possinger 2005, S.11).

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2.6 Brustkrebsvorsorge

Um Veränderungen in der Brust frühzeitig zu erkennen, werden folgende Vorsorgerichtlinien empfohlen.

• Brust-Selbstuntersuchung

Diese sollte ab dem 25. Lebensjahr monatlich durchgeführt werden, damit die Frau ihre Brust kennen und beobachten lernt. Der beste Zeitpunkt ist nach der Menstruation, denn dann ist die Brust relativ frei von hormonell beeinflussten Veränderungen (Knoten, Verdichtungen). Durch die regelmäßige Selbst-Untersuchung fallen kleine Veränderungen rasch auf und können vom Spezialisten abgeklärt werden.

• Ärztliche Tastuntersuchung / ärztliche Anamnese

Einmal im Jahr sollte die ärztliche Tastuntersuchung ab dem 25.

Lebensjahr und die Anamnese durchgeführt werden. Dabei untersucht die/der Ärztin/Arzt beide Brüste und die dazugehörenden Lymphknotenstationen im Stehen, Sitzen oder Liegen.

• Röntgenuntersuchung (Mammographie, Ultraschall)

Die Mammographie ist eine Röntgenaufnahme, die in zwei Ebenen, von oben nach unten, bzw. seitlich, erfolgt. Dabei werden die beiden Brüste zwischen zwei Röntgenplatten eingespannt.

Um Mammographieaufnahmen zu beurteilen, wurde ein Klassifikationssystem (BIRADS – Breast Imaging Reporting and Data System) vom American College of Radiology entwickelt. Dieses umfasst folgende Risikoeinstufungen:

• BIRADS 1: unauffälliger Befund

• BIRADS 2: benigner (gutartiger) Befund

• BIRADS 3: unklarer Befund

• BIRADS 4: suspekter Befund

• BIRADS 5: es besteht Malignitätsverdacht

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Der Ultraschall (Sonographie) wird oft zusätzlich zur Mammographie durchgeführt, da man hier manchmal Veränderungen erkennen kann, die in der Mammographie nicht oder nicht gut erkennbar sind, wie beispielsweise Zysten (vgl. Smola 2005, S.33ff; Regierer/Possinger 2005, S.11).

Das Mammographie-Screening für Frauen ab dem 50. Lebensjahr ermöglicht eine relative Reduktion der altersabhängigen Brustkrebssterblichkeit um 20-40%, dies zeigen prospektive randomisierte Studien. 10 Jahre Verlaufsbeobachtung zeigten einen Vorteil (ca. 17% Mortalitätsreduktion) in der Gruppe, die mammographisch untersucht wurde, obwohl die Treffsicherheit der Mammographie nur bei etwa 77% liegt. Dennoch ist die Mammographie die einzige Methode, die eine Früherkennung durch den Nachweis pathologischer Mikrokalzifikationen ermöglicht (vgl. Regierer/Possinger 2005, S.11ff).

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3. Screening

3.1 Geschichte des Screenings

Screening hat sich in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich entwickelt, geprägt durch Unterschiede in Medizin, Wirtschaft, Kultur und nicht zuletzt durch die Politik.

3.1.1 Entwicklung des Screenings in Großbritannien und den Vereinigten Staaten

Bereits im Jahr 1861 gibt es von Dr. Horace Dobell, einem angesehenen Arzt des Londoner Royalhospitals für Lungenerkrankungen, Empfehlungen dafür, Menschen regelmäßig zu untersuchen, auch wenn sie von sich aus keine medizinische Hilfe in Anspruch genommen hätten. Er argumentiert dahingehend, dass die im Totenschein angeführte Krankheit nicht allein auf den Tod zurückgeführt werden kann. Damit will er aussagen, dass die wirkliche Todesursache oft ein Fehlen von Lebenskraft ist, die einer Krankheit widerstehen kann. Dieses Fehlen von Lebenskraft führt er auf drei Haupteinflüsse zurück:

• den Lebensumständen,

• den Begleitkrankheiten und

• den Nachwirkungen von Vorerkrankungen.

Er sah die Prävention als Unterstützung von Krankheiten als wichtiger an, als die Behandlung von akuten Erkrankungen. Regelmäßige Routineuntersuchungen waren zur damaligen Zeit sehr ungewöhnlich und nur Wohlhabenden, die sich einen Leibarzt leisten konnten, nicht vollkommen fremd. In den USA und in anderen Ländern wurden Dobell´s Ideen schnell aufgegriffen und die Beobachtungsdateien wissenschaftlich ausgewertet. In Großbritannien aber wurde diese Idee größtenteils ignoriert, nur in das Kindergesundheitsprogramm wurde Screening aufgenommen (vgl. Gray, Raffle, S. 17-18).

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Zwischen 1900 und 1950 wurde versucht, regelmäßige Kontrolluntersuchungen zu etablieren. Diese Idee ging auf die im Juni 1900 veranstaltete 51. Konferenz der amerikanischen Ärztegesellschaft in New Jersey zurück. Bei dieser Konferenz trug Dr. George M. Gould, ein Arzt aus Philadelphia, durch einen Artikel wesentlich dazu bei, dass viele Amerikaner eine jährliche Routineuntersuchung haben sollten. Als Hauptargument trug er vor, dass viele Berufsgruppen, ob Bauern, Händler, Buchhalter oder Regierungsmitglieder, ihre Viehherden, ihr Warenlager,…, ihre Budgets, überprüfen, Ärzte aber niemals, ohne Anlass, ihre Patienten. Sein Artikel „Ein System der persönlichen biologischen Untersuchungen ist die Bedingung einer adäquaten medizinischen und wissenschaftlichen Lebensführung“ enthielt die Empfehlung von jährlichen Kontrolluntersuchungen, weil er die Ursachen von Krankheiten und wie man sie verhindern könnte, verstehen wollte, aber auch zukünftige Generationen sollten von diesem Wissen profitieren (vgl. Gray, Raffle, S. 19).

Interessant war, dass die Anbieter von Lebensversicherungen erst nach medizinischen Untersuchungen festlegten und regelmäßige Untersuchungen für ihre Kunden zu empfehlen begannen. Es war bemerkenswert, dass die Daten der Versicherungsgesellschaften zeigten, dass die Mortalitätsraten bei regelmäßigen Untersuchungen deutlich zurückgingen.

Dem Beispiel der Lebensversicherungen folgend übernahmen die Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten regelmäßige Routineuntersuchungen für ihre Angestellten. Es wurde das Ziel verfolgt, das Allgemeinwohl zu verbessern und ihre Effizienz und Produktivität zu erhöhen. Außerdem wurde der Schutz vor Kompensationszahlungen nach Arbeitsunfällen erhöht, denn durch Screening konnten bereits bestehende Krankheiten entdeckt werden. Andernfalls wäre es auch möglich gewesen, sie als Schäden, die die Arbeit verursacht hätten, geltend zu machen (vgl. Gray, Raffle, S.21).

Das Engagement der Ärzte für regelmäßige Routineuntersuchungen war anfangs sehr zögerlich. Bereits im Jahr 1922 wurde eine regelmäßige Gesundenuntersuchung durch die amerikanische Ärztegesellschaft empfohlen.

Vermutlich stand dahinter das Eigeninteresse der Ärzte, weil unabhängige Ärzte

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befürchten mussten, ihre exklusive Beziehung zu den Patienten zu verlieren.

Durch öffentliche Gesundheitsprogramme wurden Ärzte gebunden, aber die Screening-Beteiligung ermöglichte es, ihre Führungsposition im Gesundheitswesen zu behalten und verhinderte, dass öffentliche Institutionen und die Regierung diese übernahmen.

Ab 1950 wurde die jährliche Gesundenuntersuchung zur regelmäßigen Praxis, da man nun in dem Glauben war, dass die Menschen dadurch profitieren würden (vgl. Gray, Raffle, S.22).

Zehn Jahre später wurde durch die Veröffentlichung zweier Berichte, einer vom lokalen Nuffield Krankenhausfonds, der andere von der Weltgesundheitsorganisation, und die Durchführung von zwei randomisiert- kontrollierten Studien, das Screening in Frage gestellt, da sich weder ein positiver Effekt auf Sterblichkeit noch auf den Gesundheitszustand zeigt. Erstmalig war man sich einig, die Vor- und Nachteile eines Screeningprogramms zu untersuchen. Der Nuffield Krankenhausverband gründete eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Thomas McKeown, Professor für Sozialmedizin in Birmingham, die sich mit der Validierung von Screening-Verfahren auseinandersetzte. Es wurden folgende zehn bereits existierende Screening- Verfahren bewertet: Harnuntersuchung auf Bakterien bei Schwangeren, Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Taubheit bei Kindern, Zuckerkrankheit, Grüner Star, Eisenmangelanämie, Phenylketonurie, Lungentuberkulose und Rhesusunverträglichkeit bei Neugeborenen. Sechs der zehn bewerteten Screening- Programme ergaben „ernsthafte Mängel“, sodass man nicht sagen konnte, ob diese Programme mehr Nutzen als Schaden brächten. Das Ergebnis dieser Untersuchungen führte dazu, dass eine Expertengruppe einberufen wurde, die unabhängig von der Regierung die wissenschaftliche Datenlage in diesem komplexen Themenbereich noch einmal untersuchen sollte (vgl. Gray/Raffle, S.27-28).

Da Screening-Verfahren ohne klare wissenschaftliche Beweise zunehmend durchgeführt wurden, beauftragte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Dr.

Max Wilson, Leiter der Ärzte im Dienst des Gesundheitsministeriums in London

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und Gunnar Jungner, ein erfahrener Chemiker aus Schweden, einen Bericht zu veröffentlichen. Dieser befasste sich mit folgenden Themen: die Zunahme der Anzahl von Screeningprogrammen, dem daraus resultierenden Nutzen, einschließlich Gefahren, den Fehlerquellen und dem Potential für Schädigung durch Screening, der Überflüssigkeit von Maßnahmen, wenn diese konsequenzlos sind und dem Fehlen von Informationen über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Screening.

Für Wilson und Jungner war von großer Wichtigkeit das positive Potential den möglichen negativen Auswirkungen, die ein Screeningprogramm mit sich bringen kann, in Verhältnis zu setzen. Sie erstellten „zehn Leitsätze zur Planung von Krankheitsfindung“, die im Folgenden getreu der Orignalpublikation wiedergegeben werden.

1. Die Krankheit, nach der gesucht wird, sollte ein großes gesundheitliches Problem darstellen.

2. Es sollten nur Krankheiten sein, für die es eine akzeptierte Behandlung gibt.

3. Einrichtungen zur Diagnose und Therapie sollten vorhanden sein.

4. Es sollte eine erkennbare Latenzzeit oder frühsymptomatische Phase geben.

5. Es sollte einen passenden Test oder eine Untersuchung geben.

6. Der Test sollte für die Bevölkerung annehmbar sein.

7. Der natürliche Verlauf der Krankheit, inklusive der Entwicklung durch die Latenzphase bis zur manifesten Erkrankung, sollte entsprechend verstanden sein.

8. Es sollte eine klare Übereinkunft darüber geben, wer als Patient behandelt werden soll.

9. Die Kosten der Krankheitsfindung, inklusive die der Diagnose und der Therapie der Patienten, sollten in einem vernünftigen Verhältnis zu den Gesamtkosten für die Gesundheitsversorgung liegen.

10.Die Krankheitsfindung sollte ein kontinuierlicher Prozess sein und kein

„Einmal-für-immer-Vorgang“ (Wilson&Jungner, 1968, S.26-27).

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Für Wilson und Jungner waren ihre Leitsätze eine Art vorläufige Checkliste, um das Verhältnis zwischen Nutzen und Schaden sowie Leistbarkeit und optimaler Durchführbarkeit zu durchleuchten. Sie konnten nicht ahnen, wie schwierig es sein würde, Ärzte, Öffentlichkeit und Politiker von der wissenschaftlichen Evidenz auf der Screening beruhen müsse, zu überzeugen (vgl. Gray/Raffle, S.29- 31).

Die amerikanische Krankenversicherung Kaiser Permanente führte im Jahr 1964 eine randomisiert-kontrollierte Studie mit 10 000 Mitgliedern im Alter von 34 bis 64 Jahre durch. Bei der Interventionsgruppe wurde einmal jährlich eine multiphasische Untersuchung durchgeführt, hingegen die Kontollgruppe nicht aufgefordert und nur auf eigenen Wunsch multiphasisch untersucht wurde. In der Interventionsgruppe war die durchschnittliche Anzahl der Untersuchungen 6,8, in der Kontrollgruppe 2,8. Das Ergebnis, welches nach sieben und 16 Jahren veröffentlicht wurde, brachte weder einen Unterschied in der Gesamtsterblichkeit, noch in der selbst eingestuften Krankheitswahrnehmung zwischen Interventions- und Kontrollgruppe (vgl. Gray/Raffle, S.31).

Auf Wunsch des britischen Gesundheitsministeriums wurde im Jahr 1967 eine weitere Studie im Süd-Osten Londons gestartet. Es wurden über einen Zeitraum von neun Jahren 7000 Personen im Alter von 40 bis 64 beobachtet. Inhalt dieser zwei multiphasischen Screenings waren ein ausführlicher Gesundheitsfragebogen, eine körperliche und medizinische Untersuchung bestehend aus Röntgenuntersuchung der Lunge, Lungenfunktionsprüfung, Elektrokardiogramm und einer Blutuntersuchung. Beim ersten Screening lag die Teilnehmerrate bei 73,4% und beim zweiten Screening bei 65,5%. Personen aus der Kontrollgruppe wurden nicht untersucht. Die Anzahl der Besuche beim Hausarzt, die Anzahl der Krankenhausaufnahmen, die Anzahl der offiziellen Krankheitstage bei der Arbeit, die Sterberate und ein abschließender Gesundheitsfragebogen für alle Teilnehmer (Interventions- und Kontrollgruppe) zwei Jahre nach dem zweiten Screening wurden in das Ergebnis inkludiert. Zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden. Obwohl beide Studien klein angelegt und nicht ohne methodische Schwachstellen waren, zogen die Autoren den Schluss, dass multiphasisches Screening durch den Hausarzt bei

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Personen mittleren Alters nicht länger empfohlen werden kann. (vgl. Gray/Raffle, S.32-33).

Die Ergebnisse dieser beiden randomisiert-kontrollierten Studien hätten eine Richtungsänderung in Theorie und Praxis des Screenings bewirken müssen, bei denen folgende Aspekte betrachtet werden:

1. Die Reorganisation und wissenschaftliche Untersuchung der bereits existierenden Screeningprogramme.

2. Das Bewusstsein in der Bevölkerung in Bezug auf potentielle Gefahren des Screenings zu steigern.

3. Screeningprogramme nur dann einzuführen, wenn sie innerhalb eines vernünftigen Kostenrahmens mehr Nutzen als Schaden bringen.

4. Die Entwicklung des theoretischen Wissens über Screening inklusive Durchführung und Evaluation.

Die breite Akzeptanz des Screenings in der Öffentlichkeit war mitunter dafür verantwortlich, dass es weitere 30 Jahre dauerte, bevor sich die neue Erkenntnis bei der Mehrheit der Gesundheitsexperten und Politiker durchsetzte.

Screeningprogramme wurden drei Jahrzehnte lang positiv umworben und nie hinterfragt, viele persönliche Karrieren waren damit verknüpft und große Institutionen finanziell abhängig. Diese positive Einstellung der Amerikaner in Bezug auf Screening hatte globale Auswirkungen. Menschen auf der ganzen Welt waren der Überzeugung von Screeningprogrammen ausschließlich profitieren zu können. In den 1970er-Jahren wurden Gesundenuntersuchungen mit öffentlichen Mitteln finanziert, in Österreich und etwas später auch in Deutschland, eingeführt.

Den Verantwortlichen waren die Berichte aus England und der WHO und damit die Komplexität des Screenings nicht bekannt. Die Gestaltung der Inhalte der jährlichen Untersuchung in Österreich erfolgte ohne Erarbeitung der wissenschaftlichen Evidenz, die in anderen Ländern jedoch schon vorlag. Im Jahr 2005 konnte nach heftigem Ringen jedoch die Art der Untersuchung verändert und der Anteil der evidenzbasierten Screening-Untersuchungen deutlich erhöht werden. Die Entwicklung des evidenzbasierten Screenings erlebte im

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englischsprachigen Ausland im Gegensatz zu Deutschland und Österreich einen starken Aufschwung und eine andere Entwicklung (vgl. Gray/Raffle, S.33-34).

Folgende Veränderungen sind auf die beiden randomisiert-kontrollierten Studien zurückzuführen:

1. Die Einführung eines Subkomitees für Screening im Gesundheitswesen in Großbritannien und Nordirland, das 1969 zum ersten Mal tagte. Ihre Aufgabe war Rat zu erteilen.

2. 1975 wurde eine ausführliche Zusammenfassung der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur über Screening in den Vereinigten Staaten von Frame und Carlson veröffentlicht (Frame & Carlson, 1975, Teile 1, 2 und 3), 1986 erschien eine aktualisierte Version (Frame, 1986, Teile 4, 5 und 6).

3. Eine kanadische Arbeitsgruppe für regelmäßige Untersuchungen wurde im Jahr 1976 einberufen (Canadian Task Force on the Periodic Health Examination, 1979).

4. In den Vereinigten Staaten wurde 1984 ein Komitee der Arbeitsgruppe zur Prävention eingerichtet (US Preventive Services Task Force; USPSTF);

1989 veröffentlichte dieses Komitee als erstes eine Reihe von Empfehlungen zum Thema Screening (US Preventive Services Task Force, 1989).

Die Hauptveränderung durch diese Berichte war, jedes einzelne Screeningprogramm als Einflussmöglichkeit auf eine bestimmte Krankheit zu sehen und nicht mehr wie bisher alle Untersuchungen gemeinsam zu beurteilen (vgl. Gray/Raffle, S.35).

(27)

19

Gesundheitspolitische Entscheidungen führten relativ bald erneut zu Veränderungen. In den späten 1980er- Jahren versuchte der neue Gesundheitsminister regelmäßige Untersuchungen aller Erwachsener in den Hausärztevertrag zu integrieren. Durch lautstarke Proteste von Hausärzten, die in der Süd-West-London-Studie 1967 mitgearbeitet hatten, wurde die Idee jedoch wieder fallen gelassen. Dennoch nahm die Anzahl der Screeningprogramme ohne wissenschaftliche Absicherung immer weiter zu. Dem entgegenzuwirken wurde 1996 ein einziges Screening-Komitee für Großbritannien gegründet. Dieses führte eine Auflistung aller nicht evaluierten und nicht regulierten Screening-Verfahren durch und kam zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um mehr als 300 Programme handelte. Dies führte dazu, dass man sich nun über die Notwendigkeit wissenschaftlicher Absicherung und systematisch-politischer Entscheidungen sowie einer koordinierten Programmabwicklung von Screening einig war. Ein langsamer, aber wichtiger Veränderungsprozess von einem größtenteils ineffektiven System hin zu einem gut organisierten Programm mit realistischen Zielen hatte begonnen (vgl. Gray/Raffle, S.36).

Auch in Zukunft wird die Rationalität des Screenings mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Herausforderungen zu meistern haben.

(28)

20

3.1.2 Entwicklung des Mammographie-Screenings in Deutschland Die Mammographie befand sich Ende der 1970er Jahre noch in den Kinderschuhen. Erste Geräte mit einer Drehanode wurden entwickelt. Es galt die Devise „Jeder Knoten muss raus!“. Technische Verbesserungen der Röntgenuntersuchung der Brust, die Entwicklung der Sonographie und der Kernspintomographie und die daraus resultierende Implementierung in die moderne Brustdiagnostik prägten den langsamen Weg zu einem einheitlichen und qualitätsgesicherten Mammographie-Screening-Programmes.

Bereits in den 1980er Jahren gab es in Skandinavien und den Niederlanden große qualitätsgesicherte Screeningprojekte, während die Entwicklung in Deutschland vorerst im „grauen Screening“ mündete. Offiziell hatten nur Frauen mit einer belastenden Familienanamnese beziehungsweise mit einem klinisch suspekten Befund Zugang zur Mammographie. Somit wurden häufig Scheinindikationen (z.B. fibrozystische Mastopathie) gestellt, oder die Kosten wurden von den Frauen selbst übernommen. Die Mammographie in Deutschland war in den 1990er Jahren auch ohne ein strukturiertes Früherkennungsprogramm relativ weit verbreitet („graues Screening“). Die Qualität der Mammogramme war damals allerdings sehr unterschiedlich, außerdem gab es keine Doppelbefundung. Die im Mammographie-Screening vorgeschriebene minimalinvasive Abklärung suspekter Befunde durch Stanzbiopsien beziehungsweise stereotaktische Vakuumbiopsien fehlte gänzlich. Bis vor wenigen Jahren wurden zur histologischen Abklärung offene Probeexzisionen in Vollnarkose durchgeführt. Die Folge waren hohe Kosten durch stationäre Behandlungen, eine Beeinträchtigung der Kosmetik der Brust und Zerstörung des Brustparenchyms, welches die Befundung von Folgemammographien erschwert.

2002 wurde das Mammographie-Screening vom Deutschen Bundestag und des Bundesrates einstimmig beschlossen. Screening-Pilotprojekte in Deutschland waren die Folge und wurden erfolgreich abgeschlossen (vgl. Uleer/Samse, S.51).

Frauen in Deutschland zwischen 50 und 69 Jahre werden alle zwei Jahre schriftlich zur Mammographie eingeladen. Die Einladung wird von einer zentralen Stelle, die für die Organisation zuständig ist, geschickt, welche die

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21

persönlichen Daten vom örtlichen Melderegister erhalten. Die Mammographie wird in der Screening-Einheit durchgeführt, die sich in der Nähe des Hauptwohnsitzes befindet (vgl. Kooperationsgemeinschaft Mammographie 2011).

3.2. Was bedeutet Screening?

Mit dem Begriff „Screening“ wird oft Unterschiedliches gemeint:

• Eine Untersuchung, die einer Gruppe von Menschen oder einer ganzen Bevölkerungsgruppe angeboten wird.

• Eine ganze Reihe von Untersuchungen, die Screeningtests und Interventionen beinhalten, die einem Screeningprogramm ähnlich sind.

• Eine Untersuchung, die einer Person bei passender Gelegenheit angeboten wird.

• Ein evidenz-basiertes und qualitätsgesichertes Screening-Programm, das unter Berücksichtigung der notwendigen Komponenten eine Risikoreduktion herbeiführt (vgl. Gray/Raffle, S.55-56).

3.2.1 Definition „Screening“

„to screen“ bedeutet „Sichten durch Passieren eines Siebes“ (Shorter Oxford English Dictionary).

3.2.2 Defintion von Screening - Heute

Unter Screening verstehen wir ein Programm von Untersuchungen, die bei Personen durchgeführt werden, die Zeichen oder Symptome jener Erkrankung, auf die sie getestet werden entweder nicht haben, oder noch nicht erkannt haben;

das heißt, diese Personen glauben, gesund zu sein. Ziel eines jeden Screeningprogrammes sollte es sein, das Risiko einer Person, eine bestimmte Krankheit zu bekommen, zu reduzieren, beziehungsweise wertvolle Informationen über das Risiko zu geben, auch wenn das Risiko dadurch nicht verändert werden kann.

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22

Screening ist ein Siebungsprozess, für den gilt Wenige unter Vielen zu finden.

Der erste Test eines Screeningprogrammes trennt die beiden Hauptgruppen voneinander, diejenigen mit einem negativen Testergebnis von denjenigen mit einem positiven Testergebnis. Die Teilnehmer mit dem negativen Testergebnis scheiden aus dem Screeningprogramm aus und die Teilnehmer mit dem positiven Testergebnis müssen weiter differenziert werden, um abzuklären, bei welchen Personen eine Intervention mit großer Wahrscheinlichkeit einen Nutzen bringen wird (vgl. Gray/Raffle, S.55-58).

Wie bereits oben erwähnt, gibt es unterschiedliche Bedeutungen von Screening.

Folgende Tabelle von formalen Definitionen veranschaulichen, wie sich der Begriff „Screening“ im Laufe der Zeit verändert hat.

US Commission on Chronic Illness 1957

Die mutmaßliche Identifikation einer unerkannten Krankheit oder eines Defektes durch die Anwendung von Tests, Untersuchungen oder anderen Verfahren. Screening-Untersuchungen unterscheiden offensichtlich gesunde Personen, die wahrscheinlich keine Erkrankung haben. Eine Screening-Untersuchung ist nicht dazu gedacht diagnostisch eingesetzt zu werden. Personen mit positiven oder verdächtigen Resultaten müssen an ihren Arzt zur weiteren Diagnose und möglicherweise Therapie verwiesen werden.

Journal of Medical Screening 1994

Screening ist die systematische Anwendung einer Untersuchung oder einer Befragung, um Individuen innerhalb einer Gruppe von Personen zu identifizieren, die sich zwar in Bezug auf eine Erkrankung nicht medizinisch begutachtet haben lassen, die aber ein genügend großes Risiko für diese Erkrankung haben, um von weiteren Untersuchungen oder direkten präventiven Maßnahmen zu profitieren.

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23 UK National Screening

Committee 2000

Screening ist eine Public-Health-Maßnahme, bei der Mitgliedern einer umschriebenen Population, die selbst keine Krankheitssymptome oder bestehende Risiken für eine bestimmte Krankheit haben, eine Befragung oder eine Untersuchung angeboten wird, um die Individuen zu identifizieren, die durch weitere Untersuchungen und Behandlungen mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Nutzen als einen Schaden davon haben, um so das Risiko einer Erkrankung zu reduzieren.

Abb.4: Formale Definitionen von Screening (Gray/Raffle, S.57)

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24

3.3 Screening und der Krankheitsverlauf

Screening stellt einen Siebprozess dar, der darauf abzielt, eine Krankheit beim Menschen zu finden noch bevor Symptome auftreten, bereits in einem frühen Stadium ihres natürlichen Verlaufs. Der Krankheitsprozess hat viele Teilabschnitte, in dem individuelle Faktoren und Umweltfaktoren eine Rolle in der Manifestation einer Krankheit spielen. Mit anderen Worten spielen diese Faktoren eine bedeutende Rolle, ob und wie schnell sich biologische Veränderungen zu ernsthaften Krankheiten entwickeln, beziehungsweise ob sie durch das körpereigene Abwehrsystem in Schach gehalten oder zurückgedrängt werden können.

Abb.5: Stadien im Verlauf einer Erkrankung (vgl. Gray/Raffle, S.59)

Krankheitsstadien:

manche bilden sich zurück, manche

schreiten nicht weiter fort

Kein Risiko vorhanden Eine Person hat keine Risiko- marker

Risiko vorhanden Eine Person hat ein Risiko aber noch keine Erkr.

vorhanden

Klinisch Eine Person hat eine klinische Erkr., die geheilt oder fortschreiten kann Nicht

berichtet Eine Person hat Symptome, aber noch niemand mitgeteilt Symptom-

los Krankheits verlauf beginnt ohne Symptome Nachweisbare

Risikomarker zeigen sich

Pathologische Veränderungen beginnen sich zu entwickeln

Symptome und Krankheits -zeichen entstehen

Person sucht ärztl.

Hilfe, Diagnose- stellung

Erkrankung ist unter Kontrolle, geheilt oder schreitet fort

Zeit

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25

Screening leistet im natürlichen Krankheitsverlauf folgende Beiträge:

• Bei vorhandenem Krankheitsrisiko ohne pathologische Veränderungen wird auf Risikomarker gescreent.

• Bei symptomlosen pathologischen Veränderungen wird auf die pathologischen Veränderungen gescreent.

• Sind bereits Symptome vorhanden, die Krankheit aber noch nicht diagnostiziert, ist das Ziel, das Krankheitsbewusstsein der Menschen zu erhöhen, um Symptome rechtzeitig zu erkennen und diese beim Arzt abklären zu lassen. Die Definition Screening ist in diesem Fall nicht ganz richtig, die eigentliche Bezeichnung wäre „rechtzeitiges Erkennen“.

Dennoch wird manchmal von Screening gesprochen. Ein Beispiel dafür wären die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen.

• Das nächste Stadium ist die klinische Phase, in der Personen mit einer bestimmten Erkrankung eine Routineuntersuchung als Teil der klinischen Behandlung erhalten. Auch hier wird manchmal von Screening gesprochen. Diese Untersuchungen stehen aber normalerweise in Zusammenhang mit der Erkrankung, von der eine Person betroffen ist, den Nebenwirkungen einer Therapie oder mit der Diagnose und Behandlung von Begleiterkrankungen (vgl. Gray/Raffle, S.59).

(34)

26

3.4 Screening – Prinzipien

Screening sollte nicht nur eine Untersuchung, sondern ein System sein, um für eine Bevölkerungsgruppe gute Ergebnisse zu erzielen. Unter einem System wird der Ablauf mehrerer Aktivitäten mit gemeinsamer Zielsetzung verstanden. Dazu zählen: Die Identifikation und Information der Personen, die gescreent werden sollen, Behandlung und Nachfolgeuntersuchungen von Personen, bei denen eine Abweichung festgestellt wurde, aber auch die Unterstützung von Personen, die die Krankheit trotz Screening entwickeln (Gray/Raffle, S.63).

3.4.1 Elemente des Screening – Systems

Es gibt zwei Arten von Screening.

Um Screening auf einem hohen Qualitätsstandard zu praktizieren, müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Die Kernaktivitäten eines Programmes, für das lokale Organisationen die Verantwortung tragen, sind folgende:

• Koordination und Projektmanagement

• Information, Beratung und Beistand der Teilnehmer

• Durchführung und Auswertung der Tests

• Statistische Auswertung von Monitoring und Durchführung

• Geeignete Personen identifizieren und einladen

• Diagnostische Untersuchungen durchführen und auswerten

• Festsetzung operativer Methoden

• Interventionen durchführen

• Ergebnisse aufzeichnen, Nachfolgeuntersuchungen terminisieren und Betrieb der Ausfallsysteme

Weitere unterstützende Faktoren sind:

• Konkrete und allgemeine Ziele festlegen und die Politik

• Anschaffen von Ausstattung

• Mitarbeiter ausbilden

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27

• Evidenzbeurteilung, medizinische Technologien bewerten, neue Forschung in Auftrag geben

• Personalbestand planen

• Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikationsstrategien organisieren

• Qualitätssicherung aller Aspekte

• Entwicklung und Wartung von Systemen zum Informationsgehalt

Bei der Durchführung eines hochwertigen Screening-Programms werden die oben genannten Punkte von unterschiedlichen Personen durchgeführt. Ein wesentlicher Punkt ist, dass zwischen den Elementen des Systems konstruktive Beziehungen, Informationen und Gespräche stattfinden.

Die zweite Art von Screening setzt bei den einzelnen Abschnitten an, die eine Person innerhalb des Screening-Programms durchläuft. Den anfänglichen Screening-Prozess kann man sich als ein Sieb vorstellen, alle weiteren Untersuchungen als Aussortierungsvorgänge. Personen, die ein negatives Testresultat erhalten, können beruhigt werden, es muss ihnen aber klar vermittelt werden, dass sie keine Garantie für eine Nichterkrankung haben, weder jetzt noch in Zukunft (vgl. Gray/Raffle, S.66ff).

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28

Screening-Phase

Testresultat negativ

Testresultat positiv diagnostische Phase

diagnostische Phase negativ

abweichende Ergebnisse

Abb.6: Flussdiagramm eines einfachen Screenings (Gray/Raffle, S.68)

Bei dieser Grafik handelt es sich um eine idealisierte Darstellung. Fragwürdige Resultate fehlen hier vollständig, hierbei handelt es sich um unklare Einstufungen einer Erkrankung, die immer auftreten. Sie stellen ein Screening-Problem dar, dem bis jetzt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Gesamte Population

In Frage kommende Population

sieben

sortieren

intervenieren

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29

Einen wesentlichen und schwierigen Teil für die Planung, Evaluierung und Durchführung eines Screenings stellt das sich Festlegen auf eine klare Definition der Erkrankung, die gescreent werden soll, dar. Selbst dann kommt es zu Beginn eines Screening-Programmes zu einem scheinbaren Anstieg der Inzidenz der Erkrankung in der Bevölkerungsgruppe, in der das Screening durchgeführt wird.

Der Grund dafür ist, dass die Fälle, die klinisch wahrscheinlich nicht manifest geworden wären, im Screening-Programm denen zugeordnet werden, die tatsächlich diagnostiziert wurden (vgl. Gray/Raffle, S.68ff).

(38)

30

3.4.2 Der Ablauf des Screening-Programms

Wie bereits erwähnt, sind Screening-Untersuchungen wie ein Sieb. In der folgenden Grafik sind Personen mit positivem Testresultat dargestellt.

Screening-Phase

Testergebnis positiv diagnostische Phase

Abb.7: Screening-Flussdiagramm für positive Tests (Gray/Raffle, S.81).

Gesamtpopulation Geeignete Population

sieben

aussortieren

intervenieren

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31

Gescreent wird hier eine Subgruppe der Gesamtpopulation, von der angenommen wird, dass diese Personen am meisten profitieren werden, zum Beispiel Frauen ab dem 50. Lebensjahr. Diese bilden die Gruppe der geeigneten Population, die entweder individuell oder über einen öffentlichen Aufruf am Screening teilnehmen. Durch den Siebungsprozess wird die Gruppe mit positivem Testergebnis ausgesondert. Diese Personen durchlaufen nun einen Ausleseprozess, da sie Abnormitäten aufweisen und deshalb detaillierter untersucht werden. Bei manchen Screening-Systemen entfällt der Ausleseprozess und es wird aufgrund des ersten Untersuchungsergebnisses bereits eine Intervention angeboten. Es gibt auch Screening-Programme, bei denen es noch eine weitere Kategorie gibt, nämlich die der „nicht zur Auslese Zugewiesenen“

und die der „nicht zur Intervention Zugewiesenen“. Diesen Personen wird eine Wiederholungsuntersuchung oder es werden ihnen mehrere Wiederholungsuntersuchungen empfohlen (vgl. Gray/Raffle, S.80ff).

3.4.3 Screening - Probleme

Bei jedem Screening-Programm können Probleme auftreten:

• Probleme mit der Untersuchung

Kein Sieb ist perfekt, so gibt es auch keine perfekte Untersuchung. Es werden niemals alle Krankheitsfälle erfasst und es gibt auch immer einige gesunde Personen in der Gruppe mit positivem Screening-Resultat (vgl. Gray/Raffle, S.

82).

• Probleme mit den Testpersonen

Ein Reis-Sieb kann keine kleinen Stücke zurückhalten, die die gleiche Größe haben wie Reiskörner. Die gleiche Schwierigkeit tritt beim Screening von Menschen auf, da selten ein kategorischer Unterschied zwischen definitiver Normalität und definitiver Krankheit besteht. Im Unterschied zu Reis und Steinen, die sich grundlegend unterscheiden, wird beim Screening vom

(40)

32

Menschen auf kontinuierlich verteilte Variablen geschaut, auch wird versucht vorauszusagen, was in der Zukunft passiert (vgl. Gray/Raffle, S.82-83).

• Auslese mit Unsicherheiten

Haben Personen ein positives Testergebnis im Rahmen eines Screenings, wird ihnen eine Behandlung angeboten. Wird beim Screening keine Abnormität festgestellt, kann den Personen keine hundertprozentige Sicherheit für eine Nichterkrankung gegeben werden, da auch Menschen trotz negativem Untersuchungsergebnis die Krankheit bereits haben, beziehungsweise bald nach der Untersuchung daran erkranken können. Eine große Schwierigkeit stellen die Personen dar, die zu der Gruppe der grenzwertigen Erkrankungen zählen. Diese Menschen fühlen sich oft gezwungen, über viele Jahre an Untersuchungen teilzunehmen und sind dadurch erheblich in ihrem Wohlbefinden eingeschränkt (vgl. Gray/Raffle, S. 83-84).

• Probleme mit der Behandlung

Personen mit Risikofaktoren oder nicht symptomatischen pathologischen Veränderungen nach dem Sieb- und Auslesevorgang wird eine Behandlung angeboten. Diese Behandlungen haben meist auch Nebenwirkungen. Es ist von großer Wichtigkeit effektive Behandlungen, die nicht invasiv und ein geringes Risiko haben, anzubieten (vgl. Gray/Raffle, S.85).

• Probleme mit dem Behandlungsergebnis

Normalerweise nimmt man an, dass eine Behandlung den Gesundheitszustand verbessert. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass viele der Behandelten niemals Probleme mit der Krankheit bekommen hätten, also war die Behandlung ohne Zweck. Bei manchen Personen ist das Ergebnis aufgrund der frühen Intervention besser, bei anderen ist das Ergebnis gut, aber die frühe Erkennung hat keinen Unterschied gemacht. Es gibt auch jene Personen, die trotz Früherkennung ein schlechtes Ergebnis haben (vgl. Gray/Raffle, S.86).

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33

3.5 Maßeinheiten zur Bewertung eines Screening-Programms

Sensitivität und Spezifität sind Maßeinheiten, die die Fähigkeiten einer Untersuchung bewerten, um Fälle als Fälle und Nicht-Fälle als Nicht-Fälle zu erkennen. Die alles entscheidende Rolle ist hier die Definition des Falls. Zur besseren Verständlichkeit ein Beispiel: Ein Serumcholesterintest ermittelt einen erhöhten Serumcholesterinspiegel, mit Definition des Falls ist hiermit gemeint, dass bei einer Wiederholung des Test bzw. ein Test derselben Probe in einem anderen Labor ein erhöhter Cholesterinspiegel nachgewiesen wird. Die Test- Sensitivität sagt nichts aus über die Fähigkeit des Tests, die Risikogruppe der Herzinfarktpatienten zu ermitteln (vgl. Gray/Raffle, S.69).

Sensitivität ist die Fähigkeit einer Untersuchung, Fälle als positiv zu identifizieren.

Spezifität ist die Fähigkeit einer Untersuchung, Nicht-Fälle als negativ zu identifizieren (Gray/Raffle, S.69).

Bei Screenings muss das Ergebnis des gesamten Systems und nicht nur die Untersuchung bedacht werden. Zusätzlich zu einer hohen Sensitivität und Spezifität einer Untersuchung müssen auch folgende Punkte berücksichtigt werden.

Man muss sich sicher sein, dass:

• Krankheiten, die mittels Screening entdeckt wurden, sich zu einer schweren Erkrankung entwickelt hätten und somit die Früherkennung das Ergebnis verbessert hat.

• Das Screening-Programm gut organisiert werden kann, um konsistente Qualitätsstandards zu gewährleisten (vgl. Gray/Raffle, S.69ff).

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34

3.6 Maximaler Nutzen und Minimaler Schaden von Screening- Programmen

Um aus Screening-Programmen einen maximalen Nutzen zu ziehen, benötigt es:

• eine hohe Aufnahmezahl

• eine hohe Sensitivität (d.h. Erkennungsrate), für den Siebe- und den Aussortierungsvorgang und

• eine hohe Zustimmungsrate zur Behandlung Im Gegensatz dazu braucht man:

• eine hohe Spezifität (d.h. niedrige falsch-positive Rate) für den Siebe- und den Aussortierungsvorgang und

• umfassende Informationen für die Personen, die an einem Screening- Programm teilnehmen und die kritische Auseinandersetzung über die Sinnhaftigkeit einer Teilnahme,

um den Schaden zu minimieren (vgl. Gray/Raffle, S.87).

Bei Screening-Programmen gilt es, den maximalen Nutzen gegen den minimalen Schaden abzuwägen. Dies wird einerseits beeinflusst durch Veränderungen der Untersuchungen und der Grenzwerte von Programmen, um das Gleichgewicht zwischen der Identifikation von möglichst vielen zukünftigen Krankheitsfällen und der Identifikation von jenen, die erkrankungsfrei bleiben zu halten. Einen Effekt hat auch die Erweiterung beziehungsweise die Verkleinerung der geeigneten Bevölkerungsgruppe. Andererseits ist die Information von Menschen ausschlaggebend dafür, ob sie sich für oder gegen ein Screening-Programm entscheiden. Personen, die daran teilnehmen, sollten die Vorteile aber auch die Nachteile verstehen (vgl. Gray/Raffle, S.88).

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35

3.7 Das Popularitäts-Paradoxon

„Je größer der Schaden durch Überdiagnose und Überbehandlung durch Screening ist, desto mehr Menschen glauben, dass sie ihre Gesundheit, oder sogar ihr Leben dem Programm verdanken (Gray/Raffle 2009, S.88).“

Personen, die im Rahmen eines Screening-Programms eine Therapie erhalten, obwohl sie niemals erkrankt wären, sind Opfer einer Überdiagnose oder einer Überbehandlung, erkennen dies selbst jedoch nicht. Dies geschieht deshalb, da jeder Person mit einer Abnormität eine Behandlung angeboten wird. Es ist bekannt, dass von beispielsweise 40 Personen, die am Screening teilnehmen, eine Betroffene behandelt werden müsse, um ernsthafte Krankheitsfolgen verhindern zu können, jedoch ist dies nicht möglich diese zu identifizieren. Somit ist es notwendig, all diesen Personen eine Behandlung anzubieten, denn es könnte jede/r diese eine Person sein (vgl. Gray/Raffle, S. 88).

Personen, mit dem Wissen ein „nicht-erkannter“ Fall sein zu können, das heißt trotz Teilnahme am Screening-Programm erkranken zu können, sind extrem aufgebracht und fühlen sich im Stich gelassen, da sie angenommen hatten, dass ein negatives Testergebnis die Garantie für eine Nicht-Erkrankung darstellt.

Durch den Druck, der dadurch in der Öffentlichkeit und in den Medien entsteht, wird die Sensitivität von Screening-Programmen erhöht, trotz des Wissens der Überbehandlung. Dies verhindert negative Schlagzeilen und Gerichtsverfahren und schafft öffentliches Vertrauen, obwohl Theorie und Praxis dadurch oft voneinander abweichen. Vermieden werden könnte dies, indem die Unvermeidbarkeit von unentdeckten Fällen akzeptiert und öffentlich erklärt wird, und Standards zur Minimierung falsch ausgelegter positiver Fälle erstellt würden wie beispielsweise in Großbritannien. Diese Standards verlangen, dass der Anteil an Frauen, die an einer Mammographie teilgenommen haben und zu nachfolgenden Untersuchungen eingeladen werden, weniger als 7 Prozent beträgt und der Anteil an benignen (gutartigen) Biopsien geringer als 2 von 1000 gescreenten Personen sein muss (NHS Breast Screening Programm, 2005). Die Verhinderung von Überdiagnose und Überuntersuchungen auf diese Art variiert von Programm zu Programm und von Land zu Land. Die Ursache für niedrigere

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36

Raten von falsch-positiven Frauen beim Mammographie Screening in bestimmten Ländern sind möglicherweise die Befolgung dieser Standards, aber auch der Zugang zu vorhergehenden Röntgenbildern zum Diagnosezeitpunkt, der es einfacher macht, eine Veränderung zu entdecken. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn Screening im Rahmen eines Programms angeboten wird und nicht als Untersuchung durchgeführt wird (vgl. Gray/Raffle, S.88-89).

Dänische Wissenschaftler, Peter Gotzsche und Margarethe Nielsen, haben zum Thema Mammographie-Screening eine systematische Übersichtsarbeit (Review) aus sieben Studien durchgeführt, an der insgesamt eine halbe Million Frauen in Nordamerika und Europa teilgenommen haben. Sie kamen zu folgenden Ergebnissen:

• Von 2000 Frauen, die regelmäßig am Brustkrebs-Screening teilnehmen, stirbt eine Frau weniger an Brustkrebs.

• Von diesen 2000 Frauen erhalten 10 Frauen eine Brustkrebsbehandlung, obwohl sie gar keinen Brustkrebs haben und

• 200 von 2000 Frauen haben innerhalb dieser zehn Jahre mindestens einen Fehlalarm (vgl.Gotzsche/Nielsen 2006).

Eine weitere Studie aus Dänemark kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Es konnte kein Effekt in den dänischen Mammographie-Screening-Programmen gefunden werden, der Auswirkungen auf die Brustkrebs-Sterblichkeit hat. Die Reduktion der Mortalität in gescreenten Regionen, die während der Studie über Jahre beobachtet wurde, ist gleich beziehungsweise größer als in nicht gescreenten Regionen. Zurückzuführen ist dies laut Forscher jedoch nicht auf das Mammographie-Screening, sondern auf Veränderungen der Risikofaktoren und eine Verbesserung der Behandlung (vgl. Jorgensen/Zahl/Gotzsche 2009, S.5).

Die USPSTF (U.S. Preventive Services Task Force), eine vom U.S.- Gesundheitsministerium eingesetzte Behörde für Präventivmedizin, änderte ihre Empfehlungen aus dem Jahr 2002. Frauen sollen statt mit 40 Jahren erst mit 50 Jahren mit dem Mammographie-Screening beginnen und anstatt des jährlichen Intervalls, nur alle zwei Jahre daran teilnehmen (vgl. Institut für Health Technology Assessment der Ludwig Boltzmann Gesellschaft 2009, S.65).

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3.8 Mammographie-Screening aus Sicht der Betroffenen

Das Ergebnis eines Tests wird anhand einer Vier-Felder-Tafel dargestellt.

Überdiagnose und Erkrankung werden jedoch in der Vier-Felder-Tafel nicht berücksichtigt, deshalb wird die Gruppe der Echt-Positiven nochmals unterteilt.

Eine Gruppe bildet die Personen, die eine ernsthafte Erkrankung entwickeln werden und die andere Gruppe gebildet von Personen ohne künftige ernsthafte Erkrankung. Daraus ergibt sich eine 3x2 Felder Tafel. Das Testresultat befindet sich an der Unterseite und die bestmögliche Annäherung an die Wahrheit auf der Oberseite.

Nachfolgende Tabelle stellt das Beispiel eines dreijährigen Mammographie- Screenings zur Verminderung der Todesrate durch Brustkrebs dar. Es wird dabei nur eine einzige Screening-Untersuchung angenommen.

Abb.8: Die 3x2 Felder-Tafel des Screenings (Gray/Raffle, S.90)

Die Wahrheit ist

Pathologie der Brust, Pathologie der Brust, Keine Pathologie, der die sich zu symtoma- die latent geblieben Brust. Testperson wird

tischem Brustkrebs wäre keine symtomatische

entwickeln würde Erkrankung vor dem

nächsten Routine- screening entwickeln

Der Test zeigt positiv echt-positiv „echt“-positiv falsch-positiv (MG)

Negativ falsch-negativ „falsch“-negativ echt-negativ

(46)

38

Echt Positiv: Sind die Frauen, die ein abnormales (d.h. positives) Mammogramm und Brustkrebs haben, der, wenn er unbehandelt bliebe, zu einer schwerwiegenden Erkrankung führen würde. Die Folge sind weitere Untersuchungen und Behandlungen, bei den meisten Frauen läuft alles gut. Bei manchen Betroffenen wäre auch ohne das Screening das Ergebnis das gleiche gewesen, da sie aber nicht von denjenigen, bei denen Screening den Unterschied ausgemacht hat, unterschieden werden können, erhalten auch sie die Behandlung und sind dafür dankbar. Bei anderen Frauen wird die Krankheit trotz Screening- Programm und Behandlung fortschreiten und eventuell tödlich verlaufen.

„Echt“-Positiv: Sind jene Frauen mit einem abnormen Mammogramm und mit einem Brustkrebs, der sich nicht zu einer schwerwiegenden Erkrankung entwickeln wird. Begriffe wie „Pseudoerkrankung“, „latente Erkrankung“ oder

„inkonsequente Erkrankung“ werden dafür verwendet. Es wird in der Behandlung jedoch kein Unterschied zu den Echt-Positiven gemacht und die Frauen werden darüber nicht aufgeklärt. Vor allem in den letzten 20 Jahren stellt die Behandlung von Frauen mit einem „latenten Brustkrebs“ ein großes Problem dar, da es nicht möglich ist, diese beiden voneinander zu unterscheiden.

Überdiagnose beim Brustkrebs-Screening stellt ein Problem dar. Dies beweisen zwei Hauptquellen: Post-mortem Studien zeigen, dass die Prävalenz von nicht diagnostizierten in situ und invasiven histopathologischen Läsionen in der Brust weit höher ist, als durch uns bekannte Erkrankungsraten (Inzidenz) erklärt werden könnte. Je genauer Pathologen suchen, umso mehr Fälle werden gefunden.

Weiters gibt es die Erkenntnis, dass die Inzidenz von Brustkrebs seit Einführung des Brustkrebs-Screenings gestiegen und größer ist als in nicht gescreenten gleichaltrigen Kontrollgruppen. Die Ergebnisse dieser zwei Hauptquellen sind, dass für jede einzelne Frau, für die das Brustkrebs-Screening eine Lebensverlängerung brachte, mindestens zwei, wahrscheinlich mehr als zwei eine Brustkrebs-Behandlung mit Entfernung der Brust, Chemo- und Strahlentherapie erhielten, obwohl dieser latent geblieben wäre und niemals Schwierigkeiten gemacht hätte. Mindestens ein Viertel, der durch das Screening entdeckten Fälle von Brustkrebs, wären unerkannt geblieben und hätten keine Probleme bereitet. In Zahlen bedeutet das, dass von 200 Frauen, die in einem Zeitraum von zehn Jahren

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