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Zwei seltene Gehirnmissbildungen bei schwarzbunten Kälbern der Rasse

Zusammenfassung

Bei zwei weiblichen Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins Farbrichtung schwarzbunt traten Fehlbildungen im Bereich des Großhirns auf. Bei einem Kalb lag eine Zystenzephalie vor und beim zweiten Kalb eine Meningoenzephalozele. Die Tiere stammten aus zwei verschiedenen Betrieben. Als möglicherweise ursächliche Veränderung am Großhirn konnte bei dem Tier mit Zystenzephalie eine Agenesie des Corpus callosum festgestellt werden. Bis auf eine Druckatrophie waren die restlichen Teile des Gehirns makroskopisch sowie histologisch unauffällig. Auch bei dem zweiten Tier waren Großhirn, Stammhirn und Kleinhirn bis auf die Umfangsvermehrung ohne besonderen Befund. Das Tier mit der Zystenzephalie wies eine einseitige Anophthalmie auf. Zusätzlich zeigten beide Tiere Wirbelsäulenmissbildungen in Form von Brachyurie, Verdopplungen und Fusionen von Wirbelkörpern und Rippen sowie Herzanomalien in Form von Ventrikelseptumdefekten. Die Kälber zeigten nur geringgradige klinische Symptome.

Beide Tiere stammten von Besamungsbullen ab, die jedoch miteinander nicht verwandt waren. Das Tier mit der Zystenzephalie war nach den Pedigreeinformationen nicht ingezüchtet. Für das Tier mit Meningoenzephalozele waren dagegen kaum Pedigreeinformationen bekannt, so dass Inzucht nicht nachweisbar war. Weitere betroffene Tiere konnten in beiden Beständen nicht ermittelt werden. Die Untersuchung auf Chromosomenanomalien war ohne besonderen Befund.

Schlüsselwörter: ZNS-Missbildung, Deutsche Holsteins, Enzephalozyste, Meningoenzephalozele, Agenesie des Corpus callosum.

Summary

Two black and white female German Holstein calves showed malformations of the cerebrum. The first calf exhibited a cystencephaly and the second calf a meningoencephalocele. The animals originated from two different dairy farms. Both

calves were sired by two unrelated natural service sires. The calf affected by cystencephaly was lacking the corpus callosum which may had been caused the cystencephaly. Except for a pressure atrophy, the remaining parts of the brain were macroscopically and histologically inconspicious. Histological examination of the cerebrum, brain stem and cerebellum in the second calf did not reveal specific changes. A further finding in the second calf was a unilateral anophthalmia. Both animals were affected by additional defects in the spinal column including brachyuria, duplications and fusions of vertebral bodies and rips as well as malformations of the heart such as ventricular-septal defects. Only mild clinical symptoms could be observed in both calves. The calves were not inbred and further calves affected by the identical anomalies could not be ascertained at the farms where the calves were born. Chromosomal anomalies could not be detected after examination of metaphase spreads using light microscopy.

Keywords: CNS, malformation, German Holsteins, cystencephaly, meningoencephalocele, agenesis of corpus callosum.

Einleitung

Angeborene zerebrale Defekte kommen im Vergleich zu anderen Anomalien beim Rind selten vor. GREENE et al. (1973) beschrieben 1275 kongenitale Defekte bei Rindern, davon waren 12,1 % im Zentralnervensystem lokalisiert. Störungen des zentralen Nervensystems lassen sich untergliedern in Agenesie des Corpus callosum, Anenzephalie, Arhinenzephalie, Exenzephalie, Hydranenzephalie, Hydrozephalus, Meningoenzephalozele und Microenezephalie (CHO et al. 1977, LEIPOLD et al. 1983, LEIPOLD et al. 1987). Das Corpus callosum tritt erst bei höheren Säugern neben der Commissura rostralis und der Commissura hippocampi als neue Querverbindung zwischen den beiden Neocortexhemisphären auf (NICKEL et al. 1992). Es kommt nicht bei Vögeln vor, die nur eine Commissura rostralis ausgebildet haben, und dient unter anderem der Dynamogenese symmetrischer Großhirnanteile (FRAUCHIGER u. FANKHAUSER, 1957). Beim Menschen kann die Agenesie des Corpus callosum asymptomatisch verlaufen oder in Verbindung mit

Autismus, Schizophrenie und anderen psychischen Störungen auftreten (CHINNASAMY et al. 2006, IMATAKA et al. 2006, VIDAL et al. 2006). Ein Fehlen des Corpus callosum kommt bei Rindern selten vor, wurde allerdings bei anderen Haustierarten auch beschrieben. Das Vorwölben von flüssigkeitsgefüllten Meningen durch einen Schädeldefekt wird als (Hydro-)meningozele, ein Vorwölben von Meningen einschließlich der erweiterten und druckatrophischen Hirnblase wird als (Hydro-) enzephalozele bzw. Meningoenzephalozele bezeichnet (DAHME et al.

1988). Der Reiz für eine Nervenzelle, sich zu Großhirnstrukturen zu entwickeln und zu proliferieren, geht unter anderem von Kontakten der neuronalen Vorläuferzelle mit der Pia mater aus. Für angeborene Anomalien des Großhirns werden bei Mensch und Maus Genmutationen vermutet (GUPTA et al. 2002). FIEDLER u. AGTHE (1973) beschrieben ein schwarzbuntes Kalb mit enteneigroßer Enzephalohydromeningozele und hochgradiger Störung des Allgemeinbefindens in Form von Apathie und fehlendem Saugreflex. Eine Ursache der Defekte wurde nicht genannt. Als Ursachen von ZNS-Missbildungen werden genetische oder umweltbedingte Ursachen vermutet (LEIPOLD et al. 1987). Eine häufige Ursache dafür sind intrauterine Infektionen mit dem BVD-Virus. Weiterhin werden das Bluetongue-Virus, Cache-Valley-Virus, Akabane Virus, Aino- und Chuzan Virus als infektiöse Ursachen genannt, auch eine Aufnahme der Alkaloide von Verratrum californicum und Astragalus spp. kann derartige Anomalien auslösen (WASHBURN u. STREETER 2004). Angeborene Wirbelsäulenverkürzungen, wie Verkürzung oder Fusion von Wirbelkörpern vor allem im cervikothorakalen Bereich, Missbildungen der Rippen und des Sternums, sowie das Auftreten von Skoliosen werden bei Holsteinrindern häufig der CVM („Complex Vertebral Malformation“) zugerechnet. Bei CVM bleiben die Feten in ihrem Wachstum zurück, werden oft ab dem siebten Monat abortiert, und es besteht eine bilaterale Krümmung der Karpal- und Metakarpalgelenke (AGERHOLM et al. 2004). Zudem sind oft Ventrikel-Septum-Defekte im Herzen feststellbar. CVM ist ein absoluter Letalfaktor infolge Abort oder Totgeburt (AGERHOLM et al. 2001, DUNCAN et al. 2001, NAGAHATA et al. 2002, AGERHOLM et al. 2004). In dem vorliegenden Bericht sollen hochgradige zystische Umfangsvermehrungen im Großhirnbereich bei zwei Deutschen Holsteinkälbern

beschrieben und mögliche Ursachen diskutiert werden. Beide Tiere zeigten zusätzlich angeborene Veränderungen an der Wirbelsäule und Herzmissbildungen, die eine Ähnlichkeit mit CVM aufwiesen. Um CVM als Ursache der Missbildungen zu bestätigen oder auszuschließen, wurde molekulargenetisch das Exon 4 des bovinen SLC35A3 Gens untersucht, in dem die für CVM ursächliche Mutation beschrieben wurde (THOMSEN et al. 2006).

Material und Methode

Am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wurden zwei weibliche Kälber der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, wegen hochgradiger Anomalien im Schädelbereich gemeldet. Tier 1 war am Tag der Einstellung im Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule bereits neun Wochen, Tier 2 erst drei Tage alt. Die Tiere wurden zunächst klinisch, röntgenologisch und ophtalmologisch untersucht. Für weiterführende Untersuchungen wurden Blutproben der Kälber und der Mütter genommen. Die betroffenen Kälber wurden im Anschluss an die klinische Untersuchung euthanasiert und im Institut für Pathologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover anatomisch und pathologisch-histologisch untersucht. Die pathologische Untersuchung umfasste eine vollständige Untersuchung aller Organsysteme. Die veränderten Organe wurden zusätzlich einer histologischen Untersuchung unterzogen. Die Gehirne wurden in toto entnommen und für mindestens zehn Tage in 10 %-igem gepuffertem Formalin fixiert.

Anschließend wurden die Gehirne komplett lamelliert und mehrere Proben aus Kleinhirn, Hirnstamm, Thalamus, Hypothalamus, Corpus callosum, Cortex cerebri sowie den makroskopisch veränderten Bereichen in einer aufsteigenden Alkoholreihe entwässert und bei 56 °C in einem Paraffin-Paraplast-Gemisch (Histo-Comp, Vogel, Gießen) eingebettet. Mit Hilfe eines Rotationsmikrotoms wurden von den Paraffinblöcken 2-3 µm dicke Schnitte angefertigt und auf SuperFrost/Plus-Objektträger aufgezogen und maschinell in einem Färbeautomaten (Leica ST 4040, Nussloch) mit Hämatoxylin-Eosin (HE) gefärbt. Von den ausgewählten Lokalisationen wurden zur Darstellung der Neurofibrillen zusätzlich fünf µm dicke Schnitte einer

Silberfärbung nach Bielschowsky (Romeis, 1989) sowie zur gleichzeitigen Darstellung der Nissl-Substanz einer anschließenden Gegenfärbung mit Kresylechtviolett unterzogen. Die mikroskopische Auswertung erfolgte bei 20- bis 400-facher Vergrößerung unter einem Mikroskop, an dem eine Videokamera zur digitalen Dokumentation (Color View II, 3,3 Megapixel CCD, Soft Imaging System, Münster) angeschlossen war. Am Institut für Virologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover erfolgte eine Untersuchung auf BVD–Virus-Antigen (Ag) mittels ELISA (Herd Check BVD Ag/Serum Plus, IDEXX Laboratories) und BVD-Virus-Antikörper (AK) mittels ELISA (Herd Check BVDV Ak, IDEXX Laboratories).

Beide Tiere waren IBR frei. Von Tier 1 konnten die Abstammungsdaten erfasst und mittels des Programmes Opti-Mate, Version 3.81 (WREDE und SCHMIDT, 2003) analysiert und Inzuchtkoeffizienten berechnet werden.

Mittels molekulargenetischen Untersuchungen sollte geklärt werden, ob die betroffenen schwarzbunten Deutschen Holstein Kälber, die für CVM verantwortliche Punktmutation im Exon 4 des Solute Carrier Family 35 (SLC35A3, UDP-N-acetylglucosamine (UDP-GlcNAc) transporter, member A3) Gens zeigen (THOMSEN et al. 2006). Aus EDTA-Blutproben der betroffenen Kälber wurde mit Hilfe des QIAamp 96 DNA Blood Kit (QIAGEN, Hilden) hochreine genomische DNA isoliert.

Zur PCR-Amplifikation wurde das Primerpaar CVM_Ex4F (5´- GGAAATGGTTGCATTTTTACC-3´) und CVM_Ex4R (5´- AAAAGGAACCAAAAGGGATG-3´) aus der publizierten Sequenz (Accession No.

AY160683) ausgewählt, die einen Bereich von 432 bp des bovinen SLC35A3 Gens mit dem gesamten Exon 4 sowie flankierenden Intronabschnitten amplifizieren. Bei den von CVM betroffenen Tieren tritt ein homozyogter Einzelbasenaustausch von G zu T in Codon 180 auf, was eine Veränderung der Aminosäuresequenz von Valin zu Phenylalanin bewirkt.

Das PCR Reaktionsvolumen betrug 50 µl und enthielt ca. 25 ng genomische DNA, 1,5 mM MgCl2, je 5 pmol Primer, 100 mM je Desoxyribonukleosidtriphosphat (dNTP) und 1 U Taq DNA Polymerase (Q-Biogene, Heidelberg). Die PCR Amplifikate der betroffenen Kälber wurden anschließend direkt auf dem automatischen Kapillar- Sequenziergerät MegaBACE 1000 (GE Healthcare, Freiburg) sequenziert.

Ergebnisse Anamnese

Tier 1 fiel im Betrieb durch einen stark aufgewölbten Schädel im Stirnbereich und eine zu kleine linke Lidspalte mit fehlendem Augapfel auf (Abb. 3.1). Da keine Öffnung in der Schädeldecke zu fühlen war, entschieden sich die Halter dafür, das Tier zunächst zu behalten und zu beobachten. Nach einiger Zeit wurde das Tier aber zunehmend schreckhafter und nervöser und trank schlechter. Daraufhin wurde das Tier an das Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover überwiesen. Die Mutter des Kalbes hatte bereits in drei vorhergehenden Abkalbungen drei klinisch unauffällige Kälber zur Welt gebracht.

Tier 2 fiel im Betrieb aufgrund einer nicht geschlossenen Schädelkalotte im kaudalen Schädelbereich auf, aus der sich unbehaarte gehirnwindungsähnliche Haut stark hervorwölbte (Abb. 3.2). Das Kalb war im Betrieb sonst unauffällig.

Klinische Untersuchung der Tiere

Beide Tiere waren in der Lage, ohne Probleme aufzustehen und zu laufen, und sie bewegten sich unauffällig. Das Verhalten der Tiere war unauffällig. Bei Tier 1 war eine mittelgradige Verkrümmung der Wirbelsäule nach dorsal und bei Tier 2 eine leichte dorsale Krümmung der Lendenwirbelsäule zu beobachten. Tier 1 nahm an seiner Umgebung sehr aufmerksam teil und ließ ein reges Ohrenspiel und eine geringe Schreckhaftigkeit erkennen, was möglicherweise mit der zumindest einseitigen Blindheit zusammenhing. Tier 1 zeigte keine Anzeichen von zentralnervösen Störungen oder weiterem veränderten Verhalten außer einer leichten Kopfschiefhaltung. Der Ernährungszustand von Tier 1 war gut, von Tier 2 dagegen mäßig. Die getesteten Reflexe (Drohreflex, Pupillarreflex, Lidreflex, Kornealreflex, Schluckreflex, Zungenreflex, Pannikulusreflex, Patellarreflex) waren bei beiden Tieren unauffällig. An den Augen mit Ausnahme des linken Auges von Tier 1 waren keine besonderen Befunde zu erheben. Die Herzfrequenz bei Tier 1 war auf 133 Schläge pro Minute erhöht. Es konnte ein endokardiales Rauschen, jedoch ohne eindeutige Puncta maxima diagnostiziert werden. Am zweiten Tag der

Einstellung zeigten sich plötzlich Husten, Diarrhoe und Anorexie, die nach einer antibiotischen Behandlung abklangen. Bei der röntgenologischen Untersuchung konnten eine massive Aufwölbung des Os frontale und ein linsengroßes Loch in der Schädeldecke festgestellt werden. Tier 2 zeigte eine erhöhte Herzfrequenz von 147 Schlägen in der Minute und ein systolisches und diastolisches „Maschinengeräusch“.

Das Allgemeinbefinden war geringgradig gestört. Die virologischen Untersuchungsergebnisse beider Kälber und ihrer Mütter auf BVD-Antigen und- Antikörper verliefen negativ.

Pathologie Tier 1

Bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung zeigte das Gehirn eine komplette Agenesie des Corpus callosum (Abb. 3.3). Zwischen den rostral und dorsal des dritten Ventrikels komplett getrennten Großhirnhälften befand sich median eine große mit Liquor gefüllte zystenartige Umfangsvermehrung, deren Wand eine neuropilartige Differenzierung aufwies (Abb. 3.4). Die zystische Umfangsvermehrung war durch die Meninx von den anderen Gehirnhemisphären getrennt. Das Lumen der zystischen Umfangsvermehrung zeigte eine weitlumige Verbindung zum dritten Ventrikel dorsorostral der Foraminae interventriculares. Die Umfangsvermehrung wies in ihrer dorsokranialen Wand einen porenzephalischen Defekt von elf x fünf cm auf, der von einem membranartigen Verschluss bedeckt wurde. Die pathologisch-histologische Untersuchung ließ erkennen, dass die Wand der Umfangsvermehrung eine unregelmäßige neuropilartige Differenzierung mit unregelmäßiger großhirnartiger Architektur mit deutlicher teils radiärer Gefäßproliferation und eine mittelgradige, akute Stauungshyperämie aufwies. Sie enthielt zahlreiche Blastenlager und multifokale dystrophisch verkalkte Einzelzellen. Der Hohlraum war mit Ependym ausgekleidet. Es lag eine linksseitige Anophthalmie vor. Distal des Chiasma opticum betrug der Durchmesser des linken Sehnervs nur ca. einem mm. Die Lidspalte war nur ca. 2,4 cm im Durchmesser groß (rechte Lidspalte 4,8 cm). Bei der pathologisch-histologischen Untersuchung des Inhaltes der linken Augenhöhle wurde neben den Augenlidern der Knorpel des dritten Augenlides vorgefunden sowie die Tränendrüse, die ohne besonderen Befund war. Die Muskulatur der Orbitalhöhle war multifokal mit

teils knäuelartigen Nervenfasern durchsetzt, die vereinzelt axonale Degenerationen zeigten. Bulbusstrukturen waren nicht zu identifizieren. An der Wirbelsäule befand sich vom zehnten bis dreizehnten Brustwirbelkörper eine Skoliose nach links und leicht nach dorsal. Am zehnten und elften Brustwirbelkörper war eine Fusion der Wirbelkörper-Rippengelenke und der Rippenköpfchen zu erkennen. Die fusionierte Rippenanlage teilte sich nach ca. 15 cm lateral der Wirbelsäule in zwei Rippenkörper (Abb. 3.5). Die ersten bis dritten Lendenwirbelkörper wiesen eine Skoliose nach rechts auf. Rechts dorsal zeigte sich eine teilweise Verdopplung des ersten Lendenwirbels. Am ersten bis fünften Lendenwirbelkörper war eine Kyphose mit ventral keilförmiger Gestalt des dritten und vierten Lendenwirbels ausgebildet (Abb.

3.6). Am Herzen zeigte sich ein Ventrikelseptumdefekt direkt unterhalb des Aortenursprungs mit einem Durchmesser von vier cm.

Pathologie Tier 2

Bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung wurde eine neuroektodermale Zyste in der Meninx median über dem Großhirn mit einem Durchmesser von ca.

sechs cm festgestellt (Abb. 3.7). Die Zyste war mit Liquor gefüllt und erstreckte sich bis unter die äußere Haut. Eine Verbindung des liquorgefüllten Zystenlumens mit dem Ventrikelsystem des Gehirns konnte nicht festgestellt werden (Abb. 3.8). In den mittels Bielschowsky-Versilberung und Kresylechtviolett gefärbten Schnitten im Bereich der Großhirnrinde waren keine Besonderheiten feststellbar. In Abb. 3.9 ist ein der Gehirnoberfläche zugewandter Teil der Umfangsvermehrung zu sehen. Die Umfangsvermehrung war von der normalen Großhirnoberfläche vollständig durch eine unterschiedlich dick ausgebildete Schicht meningealen Gewebes getrennt.

Direkt an die Meninx angrenzend wies die Wand der Umfangsvermehrung eine zellarme Schicht auf, die an die Molekularschicht (I) der normalen Großhirnrinde erinnerte. Darunter folgte eine Schicht kleinerer, eher rundlicher Neurone, wie sie auch in der äußeren Körnerzellschicht (II) der normalen Großhirnrinde zu finden sind.

Darunter waren noch weitere, nur undeutlich voneinander abgrenzbare laminäre Veränderungen der Zelldichte und Zellform zu erkennen. Insbesondere konnte eine tiefe Schicht großer eher polygonaler bis dreieckiger Zellen mit prominenten

argyrophilen Neuriten identifiziert werden, die an die Zellen der inneren Pyramidenzellschicht (V) erinnerte. Eine dem subkortikalen Marklager entsprechende dicke Schicht tangential zur Oberfläche verlaufender Fasern war in der Wand der Umfangsvermehrung jedoch nicht ausgebildet.

Deutlich traten die auf Grund einer Stauungshyperämie mit Erythrozyten gefüllten radiär verlaufenden Blutgefäße in Erscheinung. Die zur Mitte der Umfangsvermehrung gerichtete, eher polymorphe Schicht grenzte direkt an den mit einem von Zilien besetzten Ependym ausgekleideten zentralen Hohlraum. In Abb. 9B ist eines der pyramidenzellähnlichen Neurone aus der Tiefe der Wand der Umfangsvermehrung zu erkennen. Im Perikaryon ist deutlich die blau-violette, granulierte Nissl-Substanz zu erkennen. Das Perikaryon setzt sich in mindestens drei mit argyrophilen Neurofibrillen angefüllten Neuriten fort. Die pathologisch-histologische Untersuchung der Zystenwand zeigte im ventralen Bereich eine neuropilartige Differenzierung mit ungefähr spiegelbildlicher großhirnrindenähnlicher Architektur sowie eine umfangreiche intraparenchymale Kapillarsprossung. Der Hohlraum der Zyste war mit Ependym ausgekleidet. Die dorsale Wand enthielt im der Haut zugewandten Bereich myxoides, meninxartiges Stroma aus spindelartigen Zellen. Einige Bereiche des Großhirns zeigten eine Druckatrophie. Das Stammhirn sowie das Kleinhirn waren ohne besonderen Befund. Das Rückenmark zeigte eine akute, diffuse Stauungshyperämie. Weiterer Befund war eine halbseitige Fusion des zehnten und elften Brustwirbelkörpers auf der rechten Körperseite (Abb. 3.10). Aus diesem Wirbelkörper gingen rechts eine und links zwei Rippen hervor, so dass das Tier insgesamt auf der rechten Seite 13 Rippen und auf der linken Seite 14 Rippen aufwies. Bei der Betrachtung des Herzens wurde ein Ventrikelseptumdefekt direkt unter dem Aortenursprung mit einem Durchmesser von 2,5 cm festgestellt.

Analyse der Pedigrees und molekulargenetische Untersuchungen

Das Pedigree von Tier 1 war über drei Generationen verfolgbar. Der Vater des ersten Kalbes stammt von einem Besamungsbullen ab und gehört der Rasse Deutsche Holsteins Farbrichtung schwarzbunt an. Weitere missgebildete Nachkommen sind nicht bekannt. Es traten keine gemeinsamen Vorfahren väterlicher- und

mütterlicherseits auf. Die Mutter von Tier 1 hatte bereits drei klinisch unauffällige Kälber. Der Vater von Kalb 2 stammt von einem Besamungsbullen ab und gehört der Rasse Deutsche Holsteins an. Weitere missgebildete Nachkommen waren nicht bekannt. Die für CVM beschriebene Punktmutation wie auch weitere Mutationen in Exon 4 des SLC35A3 Gens waren nichtfeststellbar.

Ergebnisse der zytogenetischen Untersuchung

Bei der zytogenetischen Untersuchung der Kälber konnten lichtmikroskopisch keine erkennbaren Abweichungen in der Chromosomenanzahl nachgewiesen werden.

Beide Tiere wiesen den Karyotyp weiblicher Rinder mit 2n = 60, XX auf.

Diskussion

Die untersuchten Kälber zeigten angeborene Anomalien des zentralen Nervensystems, der Wirbelsäule und des Herzens. Tier 1 zeigte klinisch in Anbetracht der Hochgradigkeit der Defekte ein relativ hohes Lebensalter bei klinisch sehr geringen, unspezifischen Symptomen, wie erhöhter Aufmerksamkeit und Nervosität. Dieses ist eventuell damit zu erklären, dass der Defekt so früh in der Embryonalentwicklung entstand, dass der Schädel der Umfangsvermehrung nachgeben konnte. Tier 2 hatte ebenfalls nur geringgradige klinische Symptome, da die Umfangsvermehrung durch einen fehlenden Verschluss der Schädeldecke nach außen ausweichen konnte. Tier 1 wies eine liquorgefüllte, zystische Umfangsvermehrung mit neuropilartiger Struktur in einer erweiterten knöchernen Schädelhöhle auf. Ähnliche Umfangsvermehrungen werden auch von PÜSCHNER u. FANKHAUSER (1968), FRAUCHIGER u. FANKHAUSER (1957) beschrieben.

FIEDLER u. AGTHE (1973) beschrieben ein schwarzbuntes Kalb mit enteneigroßer Enzephalohydromeningozele. Bei Tier 1 war kein Corpus callosum ausgebildet. Oft sind davon betroffene Tiere klinisch unauffällig oder nur durch weitere Missbildungen auffällig (FRAUCHIGER u. FANKHAUSER, 1957). CHO u. LEIPOLD (1978) beschreiben zwei Kälber mit fehlendem Corpus callosum, Hydrozephalus, Mikrenzephalie und Zysten dorsal des Thalamus. Klinisch waren die von CHO u.

LEIPOLD (1987) beschriebenen Tiere zunächst unauffällig, ein Tier lag fest, das

andere begann ein paar Stunden nach der Geburt zu taumeln und lag dann fest. Ein Tier starb nach 24 Stunden, das andere musste eingeschläfert werden. Es konnten keine erblichen oder infektiösen Ursachen gefunden werden. Das Endhirn stellt in der embryonalen Entwicklung nach der Abgrenzung des Zwischenhirns zunächst eine einheitliche, unpaare Blase dar. Die seitlichen Teile vergrößern sich zunehmend und werden zu den beiden Hemisphärenbläschen. Durch das Wachstum der Hemisphärenbläschen gelangt die Lamina terminalis in die Tiefe, und über ihr ziehen die Kommissurenfasern von einer Hemisphäre zur anderen. In diesem Gebiet bildet sich die Kommissurenplatte (Corpus callosum) aus (MICHEL 1986). Eine Agenesie des Corpus callosum könnte die Ursache sein für die Ausbildung einer Blase aus dem Ventrikelsystem, die bis an die Pia mater reicht, da das Corpus callosum teilweise das Ventrikelsystem von dorsal begrenzt. Da ein Kontakt mit der Pia mater eine Differenzierung von neuronalen Vorläuferzellen zu Großhirnstrukturen nach sich ziehen kann (GUPTA et al. 2002), wäre denkbar, dass sich diese Blase in der Embryonalentwicklung durch Kontakt zur Pia mater an der Oberfläche zum Großhirn

andere begann ein paar Stunden nach der Geburt zu taumeln und lag dann fest. Ein Tier starb nach 24 Stunden, das andere musste eingeschläfert werden. Es konnten keine erblichen oder infektiösen Ursachen gefunden werden. Das Endhirn stellt in der embryonalen Entwicklung nach der Abgrenzung des Zwischenhirns zunächst eine einheitliche, unpaare Blase dar. Die seitlichen Teile vergrößern sich zunehmend und werden zu den beiden Hemisphärenbläschen. Durch das Wachstum der Hemisphärenbläschen gelangt die Lamina terminalis in die Tiefe, und über ihr ziehen die Kommissurenfasern von einer Hemisphäre zur anderen. In diesem Gebiet bildet sich die Kommissurenplatte (Corpus callosum) aus (MICHEL 1986). Eine Agenesie des Corpus callosum könnte die Ursache sein für die Ausbildung einer Blase aus dem Ventrikelsystem, die bis an die Pia mater reicht, da das Corpus callosum teilweise das Ventrikelsystem von dorsal begrenzt. Da ein Kontakt mit der Pia mater eine Differenzierung von neuronalen Vorläuferzellen zu Großhirnstrukturen nach sich ziehen kann (GUPTA et al. 2002), wäre denkbar, dass sich diese Blase in der Embryonalentwicklung durch Kontakt zur Pia mater an der Oberfläche zum Großhirn