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Auftreten einer einseitigen Ohrmissbildung mit Thymushypoplasie bei

Holsteins

Zusammenfassung

Bei einem männlichen Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, wurde eine mittelgradige Hypoplasie der linken Ohrmuschel beobachtet. Mittel- und Innenohrstrukturen waren an diesem Ohr weder durch die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT), die Computertomographie (CT) noch bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung darstellbar. Die Messung Hirnstamm-evozierter Potentiale ergab eine einseitige Gehörlosigkeit. Die rezidivierenden Pneumonien und Enteritiden mit der Folge eines zurückgebliebenen Wachstums und schlechten Allgemeinzustands sind auf das Fehlen des Thymus zurückzuführen. Die bei dem Kalb gefundenen Anomalien sind dem DiGeorge oder Velocardiofacial Syndrom des Menschen sehr ähnlich. Auf dem Betrieb war noch ein weiteres älteres weibliches Tier mit beidseits missgebildeten Ohrmuscheln vorhanden. Die Tiere waren jedoch über 3 Generationen nachweislich nicht miteinander verwandt.

Abstract

Appearance of a one-sided ear-malformation and hypoplasia of the thymus in a black and white German Holstein calf

Key words: Microtia - aplasia of the middle and inner ear - calf - black and white German Holstein

A male black and white German Holstein calf showed moderate hypoplasia of the left outer ear. Middle and inner ear structures could not be observed on the left body side using magnetic resonance imaging, computer tomography and pathological examination. Brainstem auditory evoked potentials revealed unilateral deafness. The calf also suffered from recurring pneumonia, enteritis and reduced growth, possibly caused by the lack of a thymus. The malformations of the present calf were very

similar to the DiGeorge or velo-cardio-facial syndrome of man. A further older female animal with malformed ears was on the farm, but the two animals were not related over three generations.

1 Einleitung

Das Fehlen der Ohrmuschel (Anotie) ist eine beim Rind sehr seltene angeborene Anomalie (Bähr und Distl, 2004). Im Zusammenhang mit Ohrkerben können Tiere gefunden werden, denen nahezu beide Ohrmuscheln fehlen (Stummelohren, Mikrotie) (Scheider et al., 1994). Dieser Defekt der Ohrmuscheln tritt dann auf, wenn Rinder beide dominanten Allele für Ohrkerben homozygot aufweisen (Scheider et al., 1994). Außer bei Schottischen Hochlandrindern (Scheider et al. 1994) wurden Stummelohren auch bei Holstein Friesians in den USA und Skandinavien beschrieben (Herzog, 2001; MacDonald, 1957; Wriedt, 1925). Des Weiteren können Stummelohren als Begleiterscheinung bei Ichtyosis congenita auftreten (Molteni et al., 2006; Hill, 2003). Bei zwei Schweizer Braunvieh Kälbern wurden bilaterale Chondropathien sowie beidseitig symmetrische Anotie mit nahezu vollständig herabgesetztem Hörvermögen beschrieben (Bleul et al., 2006). Mittels computertomographischen, bakteriologisch-zytologischen und pathologisch-anatomischen Untersuchungen konnten jedoch keine Auffälligkeiten des Innen- und Mittelohres bei diesen Kälbern nachgewiesen werden. Außer bei Rindern werden auch bei Schweinen verkürzte Ohren, Aplasien des Innenohres sowie verkürzte Ohrmuscheln beschrieben, die ohne auffällige Veränderungen des Innenohres einhergehen. Für diese Ohranomalien werden genetische Ursachen vermutet (Hamori, 1983). Bei Ziegen wird die Ohrlänge als inkomplett dominantes Merkmal vererbt. Bei Homozygoten ist kein äußeres Ohr vorhanden und Heterozygote weisen eine um 30% verminderte Ohrlänge auf (Basrur und Yadar, 1990). Bei Ziegen mit beidseitigen Stummelohren sollen keine Beeinträchtigungen des Hörvermögens vorliegen (Herzog, 2001). Bei Schafen mit Anotie wurde vollständige Taubheit nachgewiesen, obwohl die Anlage des Innenohres vorhanden war (Wriedt, 1914, 1919, 1925). Beim Menschen treten Mikrotie und Anotie signifikant häufiger bei

Asiaten und Lateinamerikanern als bei anderen Bevölkerungsgruppen auf (Harris et al., 1996). Bei einseitigem Auftreten ist beim Menschen vorwiegend die rechte Seite betroffen (Harris et al., 1996). Die Ursache der Außen-, Mittel- und Innenohraplasien beim Menschen liegt in Mutationen von Genen aus der T-Box Familie (Arnold, 2006).

Über das Auftreten von Stummelohrigkeit bei Deutschen Holstein Kälbern liegt bislang nur ein Bericht vor. Bei dem von Bähr und Distl (2004) beschriebenen Kalb fehlten bilateral die Ohrmuscheln und die äußeren Gehörgänge. Das Hör- und Sehvermögen war deutlich eingeschränkt. In diesem Fallbericht wird über eine unilaterale, linksseitige Ohrmuschelmissbildung mit fehlenden Mittel- und Innenohranteilen berichtet. Es werden dabei insbesondere die Ergebnisse audiometrischer Untersuchungen und die Befunde bildgebender Verfahren dargestellt.

2 Material und Methoden

An das Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wurden ein männliches Kalb und eine Kuh der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, wegen hochgradiger Anomalien im Bereich der Ohren überwiesen. Das Kalb war am Tag der Einstellung ca. eine Woche alt. Es wurde klinisch und neurologisch sowie mittels Magnetresonanztomographie (MRT), Computertomographie (CT) untersucht. Zusätzlich wurden auditorisch evozierte Potentiale gemessen. Die bildgebende Diagnostik wurde in Allgemeinanästhesie durchgeführt. Zur Narkoseeinleitung bekam das Kalb Ketamin (Ursotamin®) und Xylazin (Xylazin 2%®). Die Anästhesie wurde nach Intubation mit Isofluran (Isofluran-Baxter®, Baxter Deutschland, Unterschleißheim) in einem Sauerstoff-Luft-Gemisch fortgesetzt. Für die computertomographische Untersuchung wurde ein Somatom spiral AT (Siemens, Medical Solutions Computed Tomography, Forchheim) verwendet. Hierfür wurde das narkotisierte Kalb in Bauchlage gelagert.

Es wurden zusammenhängende transversale Schnitte vom gesamten Bereich beider Gehörorgane angefertigt. Nach anschließender Digitalisierung der Messwerte war eine Rekonstruktion in anderen Schnittebenen möglich. Für die Magnetresonanztomographie wurde ein Magnetom impact plus (1,0 Tesla, Siemens,

Medical Solutions Magnetic Resonance Imaging, Forchheim) verwendet. Bei dem Kalb wurden T2-gewichtete Spinecho-Sequenzen in der sagittalen, transversalen und dorsalen Projektionsebene (TR = Repetitionszeit in Millisekunden: 3458 ms, TE = Echozeit in Millisekunden: 96 ms) sowie transversale und dorsale T1-gewichtete Spinecho-Sequenzen (TR: 330 ms, TE: 12 ms) zur Darstellung des Gehirnes und beider Ohren durchgeführt. Die Schichtdicke betrug für alle Sequenzen drei mm. Die Funktionsfähigkeit des Hörvermögens wurde durch Ableitung von auditorisch evozierten Potentialen (AEP; Nicolet Viking IV D, Nicolet EBE, Kleinostheim) untersucht. Die durch akustische Stimulation ausgelöste Weiterleitung der Summenaktionspotentiale wurde mittels subkutan gesetzten Elektroden abgeleitet.

Die positiven Elektroden wurden bilateral über dem Vertex cranii, die negativen Elektroden an die Ohrbasis gesetzt. Die Erdung erfolgte durch eine subkutan gesetzte Elektrode im Nacken. Die Messung der linken und rechten Hörbahn erfolgte getrennt. Während dem einen Ohr des Patienten über Gehörgang-Hörer Klick-Geräusche in einer Lautstärke von 90 dB nHL (Dezibel normal Hearing Level) bei einer Frequenz von 11,1 Hz (Hertz) zugeleitet wurden, wurde das andere Ohr durch ein Rauschen in einer Lautstärke von 50 dB nHL vertäubt (Weßmann, 2002). Des Weiteren wurden Blutproben des Kalbes und seiner Mutter virologisch am Institut für Virologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover untersucht. Die Untersuchung auf Bovine Diarrhoe (BVD) Virusantigen (Ag) und -antikörper (Ak) erfolgte mittels ELISA.

Im weiteren Verlauf traten rezidivierende Pneumonien und Diarrhöen auf. Im Alter von ca. drei Monaten musste das Tier aufgrund von schlechtem Allgemeinbefinden, Pneumonie, Diarrhöe und Festliegens euthanasiert werden. Das Kalb wurde im Institut für Pathologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover pathologisch-anatomisch und pathologisch-histologisch nach Standardverfahren untersucht. Für die mikroskopische Beurteilung wurden Gewebeproben in einer aufsteigenden Alkoholreihe entwässert und bei 56°C in einem Paraffin-Paraplast-Gemisch (Histo-Comp, Vogel, Gießen, Germany) eingebettet. Mit Hilfe eines Rotationsmikrotoms wurden von den Paraffinblöcken 2-3 µm dicke Schnitte angefertigt und auf SuperFrost/Plus-Objektträger aufgezogen und maschinell in einem Färbeautomaten

(Leica ST 4040, Nussloch) mit Hämatoxylin-Eosin (HE) gefärbt. Die mikroskopische Auswertung erfolgte bei 25-, 100- und 400-facher Vergrößerung unter einem Mikroskop, an dem eine Videokamera zur digitalen Dokumentation (Color View II, 3,3 Megapixel CCD, Soft Imaging System, Münster) angeschlossen war. Von dem Kalb konnten die Abstammungsdaten erfasst, mittels des Programms Opti-Mate, Version 3.81 (Wrede und Schmidt, 2003) analysiert und Inzuchtkoeffizienten berechnet werden.

3 Ergebnisse 3.1 Anamnese

Das männliche Kalb fiel im Betrieb mit 47 Milchkühen und 42 Jungrindern durch eine stark verkleinerte Ohrmuschel und zurückbleibendes Wachstum bei schlechter Gewichtszunahme trotz guter Freßlust auf. Das Tier war zum Zeitpunkt der Vorstellung ca. drei Wochen alt. Auf dem Betrieb war eine weitere Kuh mit Anomalien der Ohren vorhanden. Sie hatte beidseitig missgebildete und verkleinerte Ohrmuscheln bei unterschiedlicher Lokalisation des Ohransatzes und leichter Gesichtsskoliose. Diese Kuh war über drei Generationen nachweislich nicht mit dem oben genannten Kalb verwandt. Alle Rinder auf diesem Betrieb waren IBR-frei.

3.2 Klinische Untersuchung

Bei der Einstellung in das Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover zeigte das Kalb eine hochgradige Dyspnoe und ein sehr schlechtes Allgemeinbefinden. Daraufhin wurde es mit Amoxicillin behandelt, wodurch sich der Allgemeinzustand deutlich verbesserte. Im weiteren Verlauf des Aufenthaltes traten rezidivierende Infektionen des Atem- und Verdauungstraktes auf, und das Tier behielt den Habitus eines Kümmerers trotz guter Nahrungsaufnahme.

Adspektorisch war das linke Ohr deutlich kleiner als das rechte Ohr (Abb. 4.1). Die neurologische Untersuchung des Kalbes war ohne besonderen Befund. Bei der Ohruntersuchung mittels Otoskop waren äußerer Gehörgang und Trommelfell rechts

regelrecht ausgebildet, während auf der linken Seite der äußere Gehörgang aufgrund einer hochgradigen Verengung nicht einsehbar war.

In der MRT-Untersuchung des Gehirnes und der Gehörorgane war der linke äußere Gehörgang schmaler als der rechte und nicht vollständig bis zum Trommelfell darstellbar. Die Bulla tympanica schien links kleiner als rechts zu sein, machte einen deformierten Eindruck und zeigte in den T1- und T2-gewichteten Sequenzen einen inhomogenen, hauptsächlich hyperintensen Inhalt (Abb. 4.2). Das rechte Gehörorgan und das Gehirnparenchym waren ohne besonderen Befund.

In der CT-Untersuchung stellte sich der äußere Gehörgang ebenfalls links schmaler als rechts dar (Abb. 4.3). Die Bulla tympanica war links hochgradig inhomogen hyperdens (höhere Dichte eines Gewebes im Vergleich zu seiner Umgebung). In diesem Bereich waren nur geringgradige Lufteinschlüsse zu erkennen.

Auf der linken Körperseite waren keine akustisch evozierten Potentiale ableitbar und somit höchstwahrscheinlich kein Hörvermögen vorhanden. Auf der rechten Seite waren alle Kurven, die periphere und zentrale Hörbahnen repräsentieren, vorhanden, so dass auf ein erhaltenes Hörvermögen geschlossen werden konnte. Die Messung der linken zentralen Hörbahnen, die aufgrund der Kreuzung der Hörbahnen messbar sind, ergab beidseitig funktionelle intakte auditive Hirnstamm-Strukturen.

3.3 Pathologisch-anatomische Untersuchungsbefunde

Das Kalb befand sich bei der Sektion in einem schlechten Ernährungszustand. Es zeigte eine Verkleinerung der linken Ohrmuschel und des äußeren Gehörganges mit Verengung der Gehörgangslichtung auf ca. drei mm Durchmesser. Mittel- und Innenohranteile sowie der Thymus waren nicht auffindbar. Dünn- und Dickdarm zeigten eine hochgradige katarrhalische Entzündung. Das Herz wies eine mittelgradige, akute Dilatation beider Ventrikel auf. In der Lunge bestanden eine hochgradige, akute Stauungshyperämie und ein mittelgradiges, alveoläres Emphysem.

Pathologisch-histologisch wurden in repräsentativen Schnittebenen der linken Pars petrosa keine typischen Innenohrstrukturen festgestellt. Es wurde ein blind endender Meatus acusticus externus im linken Ohr vorgefunden. Dem blinden Ende des

äußeren Gehörganges benachbart fanden sich kollagenfaserreiches Bindegewebe und knöcherne Strukturen sowie Nervenanschnitte des Ganglion spirale (Abb. 4.4).

Im rechten Ohr hatte das Tier eine chronische, mittelgradige, lymphohistiozytäre Otitis media. Im gesamten Darm zeigte sich eine hochgradige, katarrhalische Entzündung mit Kryptdilatationen und Akkumulationen von Zelldetritus. In der Lunge war eine hochgradige, akute Stauungshyperämie und ein mittel- bis hochgradiges alveoläres Emphysem nachweisbar. Bei der Untersuchung des Gehirns wurde in der Medulla oblongata eine geringgradige Myelinscheidendilatation mit Nachweis von Myelinophagen vorgefunden.

3.4 Analyse der Pedigrees

Der Vater des Kalbes stammte aus einer Besamungsstation und gehörte der Rasse Deutsche Holsteins an. Weitere missgebildete Nachkommen dieser Art waren nicht bekannt. Es traten keine gemeinsamen Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits auf und somit war keine Inzucht nachweisbar. Die Mutter des Kalbes hatte bereits ein klinisch unauffälliges Kalb.

4 Diskussion

Das betroffene Kalb wies eine Hypoplasie der linken Ohrmuschel und des linken äußeren Gehörganges sowie eine Aplasie des Mittel- und Innenohres, insbesondere der Bulla tympanica und des Gehörganges, Ductus cochlearis, auf. Diese Befunde erklären das fehlende Hörvermögen des linken Ohres. Am rechten Ohr und im Gehirn wurden mit der bildgebenden Diagnostik keine besonderen Befunde erhoben.

Das Tier zeigte rezidivierende Infektionen des Darmes und der Lunge und den Habitus eines Kümmerers. Die Ursache der rezidivierenden Entzündungen und des Kümmerns lag wahrscheinlich in einer unvollkommenen Entwicklung des Immunsystems, hervorgerufen durch die Thymushypoplasie. Gehör- sowie Thymusentwicklung haben in der Embryogenese einen engen Zusammenhang. Das Gehör- und Gleichgewichtsorgan entwickelten sich embryonal aus dem Ektoderm, das knöcherne Labyrinth entsteht aus dem Kopfmesenchym. Das Mittelohr entsteht aus der ersten Schlundtasche, während die Gehörknöchelchen Hammer und

Amboss aus dem ersten und der Steigbügel aus dem dritten Kiemenbogen hervorgehen. Der äußere Gehörgang und das Trommelfell entwickeln sich aus der ersten Kiemenfurche. Die Ohrmuschel entsteht aus dem ersten und zweiten Kiemenbogen. Aus der dritten Schlundtasche entwickelt sich der Thymus (Schnorr und Kressin, 2001). Da das linke Innenohr nicht angelegt war, Defekte am linken Mittel- und äußerem Ohr sowie eine Thymushypoplasie vorliegen, ist eine Störung in der embryonalen Entwicklung des Kiemenbogenapparates wahrscheinlich. Defekte, die beim Rind die Entwicklungsstörung der Kiemenbögen betreffen, werden als Dysostosis mandibulo-auricularis beschrieben (Rieck und Ojo, 1988). Hierbei treten verschiedene Formen von Missbildungen wie Arhinenzephalie, Agnathie oder Dysgnathie, Brachygnathie, Arthrogryposen, Zungenhypo- oder aplasie und Zyklopie auf (Rieck und Ojo, 1988). Dieser Defekt geht immer mit Dysplasien oder Aplasien des Hörapparates einher. Eine Ursache der Entwicklungsstörung konnte bisher bei den betroffenen Tieren nicht gefunden werden (Rieck und Ojo, 1988). Das in diesem Bericht untersuchte Tier zeigte allerdings nur die Missbildung am linken Gehörorgan und Thymus und weicht somit vom Krankheitsbild der von Rieck und Ojo (1988) beschriebenen Fälle ab, die in der Regel Missbildungen beidseitig aufwiesen. In der Humanmedizin werden allerdings auch einseitige Fälle der Dysostosis mandibulo-faciales beschrieben, bei der eine typische Physiognomie oft fehlt (Fleischer-Peters, 1973). Diese Anomalie wird von der angeborenen hemifazialen Mikrosomie abgegrenzt, die mit dem Fehlen des Ramus mandibularis einhergeht und zu einseitiger Mikrotie und Gesichtshypoplasie führt (Fleischer-Peters, 1973). In dem von Bähr und Distl (2004) beschriebenen Fall von Stummelohrigkeit trat die Missbildung im Gegensatz zu dem hier beschriebenen Kalb beidseitig auf, und es waren keine knorpeligen Strukturen der äußeren Ohrmuschel vorhanden. Des Weiteren wurden keine speziellen Untersuchungen des Hörvermögens des Kalbes mit beidseitiger Anotie durchgeführt. Eine genetische Ursache wurde aufgrund des bilateralen Auftretens der Anotie von Bähr und Distl (2004) vermutet. Eine der Dysostosis mandibulo-auricularis ähnlichen Anomalie des Menschen, das DiGeorge Syndrom oder Velocardiofacial Syndrome (VCFS), wird vornehmlich durch eine 1,5 bis 3,0 Mb große hemizygote Deletion auf dem Chromosom 22q11.2 verursacht,

wobei die Haploinsuffizienz des TBX1 (T-box Transkriptionsfaktor 1) Gens für die meisten morphologischen Veränderungen verantwortlich ist (Funke et al., 2001;

Morrow et al. 1995; Greenberg et al., 1988). Ein kleinerer Anteil der Fälle mit DiGeorge Syndrom zeigt Defekte auf dem Chromosom 10p13. Das DiGeorge Syndrom geht beim Menschen sowie bei der Maus mit einer gewissen phänotypischen Variationsbreite in der Ausprägung der Symptome einher und ist durch eine neonatale Hypokalzämie in Form von Tetanie oder Krampfanfällen, Ohranomalien, hoher Infektionsanfälligkeit infolge einer T-Zell-Defizienz wegen der Thymusaplasie/Thymushypoplasie sowie in variablem Ausmaß von Herzgefäß-/Herzseptumdefekten, Gesichtsanomalien und Gaumenspalten gekennzeichnet (Funke et al., 2001; Morrow et al., 1995). Das Gen Brunol3 gilt beim Menschen im Zusammenhang mit der Thymusentwicklung als wichtiger Faktor und bei Patienten mit partieller 10p Monosomie und Thymushypo-/aplasie wird Brunol3 als Kandidatengen angesehen (Lichtner et al., 2007). Die molekulargenetische Ursache sowie die Pathogenese des vorliegenden Ohrdefektes soll in weiteren Untersuchungen abgeklärt werden.

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Kapitel 5

Ein Fall von Schistosoma reflexum bei einem Deutschen Holstein Kalb

Bettina Constanze Buck1, Reiner Ulrich3, Peter Wohlsein3 und Ottmar Distl1

¹Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

²Institut für Pathologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Angenommen zur Veröffentlichung in der „Deutschen Tierärztlichen Wochenschrift“

5 Ein Fall von Schistosoma reflexum bei einem Deutschen