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Zuzahlungen (§§ 31 Abs. 3, 61 SGB V)

Im Dokument für die pharmazeutische Industrie (Seite 54-58)

2 Deutschland in einem ersten Vergleich mit führenden

3.3 Preisregulierung

3.3.7 Zuzahlungen (§§ 31 Abs. 3, 61 SGB V)

Die Eigenbeteiligung der Versicherten war in den vergangenen Jahren ein häufiger Ansatzpunkt für gesetzliche Änderungen. Ab Ende der 80er Jahre gehörte die Änderung von Zuzahlungsregelungen zum „Standardrepertoire“

jedes kleineren oder größeren Reformansatzes. Nachdem zunächst seit den 30er Jahren Zuzahlungen in Form einer so genannten Rezeptblattgebühr erhoben wurden, erfolgte ab 1977 die Umstellung auf eine fixe Gebühr je Verordnung. Ab 1993 wurden dann mit dem Gesundheitsstrukturgesetz erstmals gestaffelte Zuzahlungen eingeführt, zunächst für ein Jahr preisge-staffelt, ab 1994 dann gestaffelt nach Packungsgrößen (Tabelle 4).

Allein in den 90er Jahren wurden die Regelungen fünfmal geändert, was in der Regel eine höhere Belastung der Patienten nach sich gezogen hat (vgl.

Nink und Schröder 2004b, Abbildung 16)

Tabelle 4: Historische Betrachtung zur Selbstbeteiligungsregelung bei Arzneimit-teln

Zeitraum Regelung

1923 bis 1929 Regelsatz von 10 %, der in Einzelfällen auf 20 % verdoppelt werden konnte 1930 bis 1933 0,50 RM pro Rezept

1934 bis 1945 0,25 RM pro Rezept 1946 bis 1967 0,50 RM/DM pro Rezept 1968 bis 1969 1 DM pro Rezept

1970 bis 6/1977 20 %, aber maximal 2,50 DM pro Rezept 7/1977 bis 1981 1 DM pro verordnetes Medikament 1982 1,50 DM pro verordnetes Medikament

1983 bis 1988 2 DM pro verordnetes Medikament (ab 4/1983 Ausgrenzung von „Bagatell-arzneimitteln“)

1989 bis 1992 3 DM pro verordnetes festbetragsfreies Medikament, ggf. festbetragsbedingte Zuzahlungen, seit 7/1991 erweiterte Negativliste

1993 preisgestaffelte Zuzahlung(3 DM für Präparate unter 30 DM, 5 DM zwischen 30 DM und 50 DM, 7 DM über 50 DM)

1994 Packungsgrößen-gestaffelte Zuzahlung(‚kleine‘ Packung: 3 DM für N1, ‚mittle-re‘ Packung: 5 DM für N2, ‚große‘ Packung: 7 DM für N3)

1/1997 bis 6/1997 Packungsgrößen-gestaffelte Zuzahlung (4 DM für N1, 6 DM für N2, 8 DM für N3)

7/1997 bis

12/1998 Packungsgrößen-gestaffelte Zuzahlung (9 DM für N1, 11 DM für N2, 13 DM für N3)

1/1999 bis

12/2001 Packungsgrößen-gestaffelte Zuzahlung (8 DM für N1, 9 DM für N2, 10 DM für N3)

1/2002 bis

12/2003 Packungsgrößen-gestaffelte Zuzahlung (4 € für N1, 4,50 € für N2, 5 € für N3) ab 1/2004 Prozentuale Zuzahlung von 10 %, mind. 5 €, max. 10 € je Packung

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK

Mit dem GMG wurden die Zuzahlungsregelungen wiederum geändert, wo-bei die rot-grüne Koalition erstmals seit dem Regierungswechsel die Patien-ten wieder stärker belastete. Dabei wurde die bislang nach Packungsgrößen gestaffelte Zuzahlung auf eine prozentuale Zuzahlung umgestellt. Hiernach zahlen die Patienten 10 % – mindestens jedoch 5 € und höchstens 10 € – des Abgabepreises. Darüber hinaus wurden die Befreiungsmöglichkeiten grundsätzlich neu gestaltet. Die Härtefallregelung, nach der bestimmte Per-sonengruppen vollständig von bestimmten Zuzahlungen befreit waren, wurde abgeschafft. Chronisch kranke Versicherte müssen zukünftig jedes Jahr Zuzahlungen bis zu einer Belastungsgrenze von 1 % der Bruttoein-nahmen zum Lebensunterhalt erbringen, alle anderen erwachsenen Versi-cherten erbringen jährlich Zuzahlungen bis zu einer Grenze von 2 % der Einnahmen. Im Rahmen dieser neuen Regelung sind die Zuzahlungen im

Jahr 2004 auf 2,2 Mrd. € angestiegen und umfassen damit 10,4 % des ge-samten Fertigarzneimittelumsatzes (Vorjahr 7,4 %). Nicht berücksichtigt sind in dieser Rechnung Zahlungen, die die Versicherten aufgrund des Aus-schlusses von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zusätzlich erbringen müssen. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die vorliegenden Zahlen Zuzahlungen bzw. Zuzahlungsbefreiungen anhand des Verordnungsstatus bestimmen. Nachträglich zurückerstattete Zuzahlungen der Versicherten durch die Kassen können bei diesen Berechnungen nicht berücksichtigt werden, sodass der tatsächlich geleistete Zuzahlungsbetrag für Kassenrezepte insgesamt etwas niedriger liegen dürfte.

Abbildung 16: Eigenbeteiligung der GKV-Versicherten bei Fertigarzneimitteln und Anteil der Zuzahlungen am Umsatz seit 1987

0,6 0,6 0,8 0,7 0,6 0,7

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

0,0

Anteil der Zuzahlung am Umsatz

Zuzahlung (in Mrd. Euro) Anteil der Zuzahlung am Umsatz (in %)

0,6 0,6 0,8 0,7 0,6 0,7

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

0,0

Anteil der Zuzahlung am Umsatz

Zuzahlung (in Mrd. Euro) Anteil der Zuzahlung am Umsatz (in %)

Quelle: GKV-Arzneimittelindex, nach Arzneiverordnungs-Report 2005

Ebenfalls deutlich angestiegen ist der Anteil der Verordnungen, die zuzah-lungspflichtig sind. So waren im Jahr 2003 mit rund 48 % fast die Hälfte aller Verordnungen zu Lasten der GKV von den Zuzahlungen befreit, im Jahr 2004 lag dieser Anteil hingegen nur noch bei rund 29 %. Die Ursache hierfür liegt in der Abschaffung der „Härtefallregelung“ und Änderung der

„Chronikerregel“, sodass alle erwachsenen Versicherten vom Sozialhilfe-empfänger bis zum Diabetiker zunächst 2 % bzw. 1 % (Chroniker) ihres Bruttoeinkommens zum Lebensunterhalt als Zuzahlung erbringen müssen.

Der Quartalsverlauf zeigt, dass im Jahr 2004 die zuzahlungsbefreiten Ver-ordnungen erwartungsgemäß zunahmen. Lag ihr Anteil im 1. Quartal 2004 noch bei rund 19 %, hatte er sich im 4. Quartal mit knapp 41 % mehr als verdoppelt.

Mit der Umstellung auf eine prozentuale Zuzahlung ist die Frage verknüpft, ob Zuzahlungen neben einer rein fiskalischen Entlastung der Kostenträger auch eine steuernde Wirkung entfalten können. So wurde in der gesund-heitspolitischen Diskussion verschiedentlich angeführt, dass eine prozentua-le Zuzahlung eine steuernde Wirkung entfalten könne, da sie für die Patien-ten Anreize für ein wirtschaftlicheres InanspruchnahmeverhalPatien-ten schaffe.

Internationale Erfahrungen etwa in der Schweiz oder in den Niederlanden deuten jedoch darauf hin, dass es sehr schwierig ist, eine prozentuale Zu-zahlungsregelung so zu gestalten, dass einerseits ein wirtschaftliches Ver-halten der Patienten gefördert wird, aber andererseits die Zuzahlung nicht so hoch liegt, dass ärmere Patienten, um Kosten zu sparen, auf dringend notwendige Medikamente verzichten. So wurde eine 1997 erstmals in den Niederlanden eingeführte Selbstbeteiligungsregelung, die unter anderem eine 20-prozentige Eigenbeteiligung bei Arzneimitteln beinhaltete, bereits zwei Jahre später wieder eingestellt, da weder finanzierungs- und nachfra-gebegrenzende Effekte ersichtlich wurden noch die betroffenen Personen dieses System akzeptierten. Insgesamt sank jedoch der Arzneimittel-verbrauch in den unteren Einkommensschichten und es konnte letztlich nicht ausgeschlossen werden, dass notwendige Medikamente aus finanziel-len Erwägungen nicht mehr eingenommen wurden (Müller 1999).

Des Weiteren wird aus kanadischen Ergebnissen deutlich, dass eine höhere Eigenbeteiligung die Medikamentenausgaben zur Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen und des Bluthochdrucks sowie für Psychopharmaka verringert, dass sich jedoch die Gesamtausgaben zur Behandlung chronisch kranker Patienten erhöhen, da vermehrt stationäre Aufenthalte notwendig waren (Holst und Laaser 2003). So kann vermutet werden, dass eine Steue-rungswirkung ausschließlich bei unteren Einkommensschichten oder Chro-nikern erreicht werden kann, die dann durch die geringere finanzielle Leis-tungsfähigkeit einerseits und das generell höhere Krankheitsrisiko anderer-seits gleich doppelt betroffen wären – in der Literatur ist dieses Phänomen als „soziales Dilemma“ bekannt. Als zentrale Kritik an dem Modell einer Nachfragesteuerung durch wirtschaftliche Anreize für Patienten wird dar-über hinaus angeführt, dass der Versicherte wenig Einfluss auf Preis und Menge der Leistung in einer ungleichen Arzt-Patienten-Beziehung habe und daher weder das Bild des aufgeklärten „autonomen“ Kunden noch das des so genannten „homo oeconomicus“ im Gesundheitswesen die Realität widerspiegelt (Klose und Schellschmidt 2001, Österreichisches Bundesinsti-tut für Gesundheitswesen 2002). Bis heute bleibt die Arzneimittelzuzahlung das empirische Argument schuldig, dass sie eine steuernde Wirkung entfal-tet und nicht nur eine rein fiskalische. Auch eine prozentuale Zuzahlung, die aus marktwirtschaftlicher Sicht als sinnvoll erachtet werden muss, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die möglichen Steuerungswirkungen

unter anderem aufgrund der hohen Quote an Zuzahlungsbefreiungen nur sehr begrenzt ausfallen würden. Darüber hinaus könnte eine prozentuale Zuzahlung unter heutigen Marktbedingungen ausschließlich im generikafä-higen Markt entsprechende direkte Anreize setzen. Damit würde sich je-doch der adressierbare Umsatz deutlich reduzieren (Klauber et al. 2003).

Mit dem AVWG besteht nun die Möglichkeit, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen Versicherte von der Zuzahlung von Arzneimitteln, deren Preise 30 % oder mehr unterhalb des Festbetrags liegen, vollständig befrei-en.

Unter den Rahmenbedingungen des GMG würde sich der adressierbare Umsatz dann vergrößern, wenn die untere Kappungsgrenze von 5 € aufge-hoben würde, da dann auch Präparate unterhalb eines Apothekenverkaufs-preises von 50 € eingeschlossen würden. Das betrifft immerhin rund 80 % aller rezeptpflichtigen Verordnungen des Jahres 2004. Würde man in die-sem Preissegment bis 50 € anstatt einer fixen Zuzahlung von 5 € eine 10-prozentige Zuzahlung erheben, würde dies die Patienten auf der Basis der Verordnungen und der Zuzahlungsbefreiungen des Jahres 2004 um rund 900 Mio. € entlasten. Das Gutachten des Sachverständigenrates spricht sich für eine derartige prozentuale Zuzahlung mit einer Obergrenze von maxi-mal 10 € aus, um die Anreize für den Kauf preiswerterer Präparate auf Pati-entenseite zu stärken.

Im Dokument für die pharmazeutische Industrie (Seite 54-58)