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Zustandseinschätzung des Schutzgutes marine Säugetiere

2.7 Marine Säuger

2.7.2 Zustandseinschätzung des Schutzgutes marine Säugetiere

Der Schweinswalbestand in der Ostsee hat im Laufe der letzten Jahrhunderte abgenommen.

Die Situation des Schweinswals in der Ostsee hat sich durch den kommerziellen Fang der Tiere in früheren Zeiten, aber auch durch extreme Eiswinter verschlechtert und ist schließlich durch Beifang, Schadstoffbelastung, Lärm und Nahrungslimitierung weiter verschärft worden (AS-COBANS, 2003). Die separate Population der östlichen Ostsee ist zusätzlich durch die kleine Anzahl von Individuen, die geographische Restriktion und den fehlenden Genaustausch beson-ders gefährdet und gilt daher als vom Aussterben bedroht (ASCOBANS, 2010).

Anhand der Auswertung der Daten aus MINOS und MINOSplus wird der Bestand in den deut-schen Gewässern saisonabhängig auf 230 bis 6.300 Tiere geschätzt. In den drei Erfassungs-gebieten in der Ostsee reichte die Schätzung von 1.350 Schweinswalen im März/April 2005 (95% KI = 230-3.840) bis zu 2.900 Tieren im Juni 2005 (95% KI = 1.308-6.384) und 2.760 Tieren im September 2005 (95% KI = 1.193-5.902). Dies entspricht einem Dichtebereich von 0,06 bis maximal 0,1 Tieren pro km² (GILLES et al., 2007). Bei den Abundanz- oder Be-standsberechnungen anhand von Befliegungen gilt dabei zu bedenken, dass die gelegentliche Sichtung einer großen Ansammlung (Gruppe) von Tieren innerhalb eines Gebietes, das in einer kurzen Zeit erfasst wird, zur Annahme von unrealistisch hohen relativen Dichten führen kann –

wie dies aus Auswertungen von Daten aus der Nordsee bekannt ist (REID et al., 2003). Das Erkennen von Verteilungsmustern bzw. die Berechnung von Beständen wird insbesondere durch die hohe Mobilität der Tiere erschwert.

Der Bestand der Schweinswale im gesamten Erfassungsbereich von SCANS I und II hat sich seit 1994 nicht wesentlich verändert bzw. konnten zwischen Daten aus 1994 und 2005 keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (HAMMOND and MACLEOD, 2006). Allerdings hat sich die Verbreitung innerhalb verschiedener Gebiete der Nordsee verändert: So zeichnete sich bei der SCANS II-Erfassung eine Verlagerung der Schweinswalkonzentration von der nördli-chen und zentralen Nordsee zur südlinördli-chen Nordsee ab.

Inwieweit diese Bestandsverlagerung in der Nordsee auf die Population der westlichen Ostsee, Kattegat und Beltsee Auswirkungen hat, ist noch unklar.

Vorkommen von marinen Säugern in Teilflächen der deutschen AWZ, insbesondere in den Clusterflächen des BFO-O

Auf Grundlage großräumiger Befliegungen und akustischer Erfassungen mit Klickdetektoren, insbesondere im Rahmen von Forschungsvorhaben wie MINOS und MINOSplus sowie im Rahmen des Monitorings der Natura2000-Gebiete durch das Deutsche Meeresmuseum im Auf-trag des BfN wurden belastbare Abschätzungen des Vorkommens des Schweinswals für den Bereich der deutschen Gewässer der Nord- und Ostsee vorgenommen. Dabei wurde in der Ostsee ein Dichtegradient von Westen nach Osten festgestellt. Dieser Gradient ist bereits im Sommer vorhanden und nimmt im Herbst zu. Nach aktuellem Kenntnisstand wird der westliche Bereich am häufigsten von Schweinswalen genutzt. Der östliche Bereich der deutschen Ostsee wird weniger von Schweinswalen genutzt. Die einmalige Sichtung einer größeren Gruppe von Tieren auf die Oderbank deutet eher auf eine temporäre Einwanderung als auf eine regelmäßi-ge Nutzung des Gebiets hin (BENKE et al., 2014). Es ist jedoch vorstellbar, dass der Bestand durch geeignete Maßnahmen (ASCOBANS, 2003/ 2010) zunimmt und eventuell dann auch der östliche Bereich wieder vermehrt durch Schweinswale genutzt werden könnte. Insgesamt wei-sen die ausgewerteten Daten auf ein stark saisonabhängiges Vorkommen mit Abundanzmaxi-ma im Sommer hin.

Aktuelle Ergebnisse des Forschungsvorhabens SAMBAH unter Beteiligung der Anrainerstaaten der Ostsee haben gezeigt, dass in der Ostsee drei Populationen des Schweinswals vorkom-men: a) die Nordsee-Population im Skagerrak, b) die Belt-See Population in der westlichen Ostsee –Kattegat, Beltsee, Sund - bis hin zum Bereich nördlich Rügen und c) die lation vom Bereich nördlich Rügen und in der zentralen Ostsee. Die Abundanz der Ostseepopu-lation wurde dabei anhand der akustischen Daten auf 447 Individuen (95% Konfidenzintervall, 90 – 997) geschätzt (SAMBAH, 2014 und 2016).

Die Ostseepopulation wurde u. a. aufgrund der sehr geringen Anzahl von Individuen und des räumlich bedingt eingeschränkten genetischen Austausches von der IUCN und von der HEL-COM als stark gefährdet eingestuft (HELHEL-COM – Red List Species, 2013).

Das Planungsgebiet (insbesondere Cluster1 und 2) wird, basierend auf dem aktuellen Kennt-nisstand, überwiegend dem Lebensraum der Schweinswale der stark gefährdeten Ostseepopu-lation zugeordnet. Das Gebiet wird von Schweinswalen allerdings unregelmäßig zum Durchque-ren, zum Aufenthalt und als Nahrungsgrund genutzt. Das Vorkommen von Schweinswalen ist in diesem Gebiet gering im Vergleich zum Vorkommen westlich der Darßer Schwelle und insbe-sondere um die Insel Fehmarn, in der Kieler Bucht, der Beltsee und dem Kattegat. Eine tempo-räre Nutzung, wie im Juli 2002 festgestellt, ist für Bereiche wie die Oderbank möglich - eventuell durch Anreicherung des Nahrungsangebots. Eine Nutzung des Gebiets als Aufzuchtgebiet ist nicht eindeutig nachgewiesen. Für Schweinswale hat dieses Gebiet eine mittlere bis saisonal in den Wintermonaten eine hohe Bedeutung. Die Bedeutung des Gebietes ergibt sich aus der möglichen Nutzung durch Individuen der separaten und stark gefährdeten Ostseepopulation des Schweinwals. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass gerade in den Wintermonaten Individuen der stark gefährdeten Schweinswalspopulation der zentralen Ostsee in deutschen Gewässern einwandern und auch das Planungsgebiet nutzen. Für Robben und Seehunde hat

dieses Gebiet eine geringe Bedeutung. Seehunde und Kegelrobben durchqueren das Vorha-bensgebiet sporadisch bei ihren Wanderungen.

Die Kieler Bucht (MINOS Gebiet E) wird von Schweinswalen ganzjährig zum Durchqueren und Aufenthalt bzw. nach saisonbedingtem Nahrungsangebot als Nahrungsgrund genutzt. Die Nut-zung des Gebietes durch Schweinswale variiert saisonabhängig. Auf der Basis von Sichtungen von Kälbern und Strandungen kann festgestellt werden, dass dieser Bereich in einem Großge-biet liegt, das als Nahrungs- und AufzuchtsgeGroßge-biet von Schweinswalen genutzt wird. Dieser Be-reich der westlichen Ostsee hat für Schweinswale eine mittlere bis hohe Bedeutung. Für Rob-ben und Seehunde hat es aufgrund der Entfernung zu den nächsten Liegeplätzen nur eine ge-ringe bis höchstens mittlere Bedeutung.

Die Mecklenburger Bucht (MINOS Gebiet F) hat eine geringe bis mittlere Bedeutung für Schweinswale. Das Gebiet wird von Schweinswalen ganzjährig zum Durchqueren, Aufenthalt und möglicherweise als Nahrungsgrund genutzt. Die Nutzung des Gebietes durch Schweinswa-le variiert saisonabhängig. Das Vorkommen von SchweinswaSchweinswa-len ist in diesem Gebiet durch-schnittlich bis gering im Vergleich zum Vorkommen in der Kieler Bucht, der Beltsee und dem Kattegat. Eine Nutzung des Gebiets als Aufzuchtsgebiet ist nicht eindeutig nachgewiesen. Für Robben und Seehunde hat es aufgrund der Entfernung zu den nächsten Liegeplätzen eine nur mittlere Bedeutung.

Das MINOS Gebiet G (Rügen) hat anhand der derzeitigen Erkenntnisse eine mittlere Bedeu-tung für Schweinswale, teilweise im Bereich der Oderbank eine hohe BedeuBedeu-tung. Das Gebiet wird nicht kontinuierlich von Schweinswalen genutzt. Das Gebiet wird von Schweinswalen gele-gentlich zum Durchqueren, Aufenthalt und als Nahrungsgrund genutzt. Das Vorkommen von Schweinswalen ist in diesem Gebiet gering im Vergleich zum Vorkommen in der Kieler Bucht, der Beltsee und dem Kattegat. Eine temporäre Nutzung wie im Juli 2002 ist für Bereiche wie die Oderbank möglich – eventuell durch Anreicherung des Nahrungsangebots. Eine Nutzung des Gebiets als Aufzuchtsgebiet ist nicht eindeutig nachgewiesen. Für Robben und Seehunde hat dieses Gebiet eine nur mittlere Bedeutung.

Teilflächen der Cluster 1, 2 und 3

Die Flächen der Windparkcluster 1, 2 und 3 gehören, wie die gesamte westliche Ostsee, zum Lebensraum der Schweinswale. Nach aktuellem Kenntnisstand werden die Cluster von Schweinswalen als Durchzugsgebiete genutzt. Es gibt derzeit keine Hinweise, dass diese zwei Flächen besondere Funktionen als Nahrungsgründe oder Aufzuchtgebiete für Schweinswale haben. Seehunde und Kegelrobben nutzen die Clusterflächen nur sporadisch als Durchzugsge-biete. Auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Monitoring der Natura2000-Gebiete und aus Forschungsergebnissen kann derzeit eine mittlere bis saisonal hohe Bedeutung der Cluster 1 und 2 für Schweinswale abgeleitet werden. Die saisonal hohe Bedeutung des Gebietes ergibt sich aus der möglichen Nutzung durch Individuen der separaten und stark gefährdeten Ost-seepopulation des Schweinwals in den Wintermonaten. Für Seehunde und Kegelrobben haben diese Flächen eine geringe bis höchstens mittlere Bedeutung.

Schutzstatus

Schweinswale sind nach mehreren internationalen Schutzabkommen geschützt. Schweinswale fallen unter den Schutzauftrag der europäischen FFH-Richtlinie, nach der spezielle Gebiete zum Schutz der Art ausgewiesen werden. Der Schweinswal wird sowohl im Anhang II als auch im Anhang IV der FFH-Richtlinie aufgeführt. Er genießt als Anhang-IV-Art einen generellen strengen Artenschutz gemäß Art. 12 und 16 der FFH-Richtlinie.

Weiterhin ist der Schweinswal im Anhang II des Übereinkommens zum Schutz wandernder wild lebender Tierarten (Bonner Konvention, CMS) aufgeführt. Unter der Schirmherrschaft von CMS wurde ferner das Schutzabkommen ASCOBANS (Agreement on the Conservation of Small Cetaceans of the Baltic and North Seas) beschlossen. 2002 wurde im Rahmen von AS-COBANS ein spezieller Erhaltungsplan für die Ostsee-Schweinswale, der sog. Jastarnia-Plan verabschiedet, nachdem festgestellt wurde, dass die Schweinswal-Populationen in der Ostsee

eigenständig und besonders bedroht sind. Ziel des 2009 überarbeiteten Jastarnia-Plans ist die Wiederherstellung einer Populationsgröße auf 80% der Biotopkapazität des Ökosystems Ost-see (ASCOBANS, 2010).

Zusätzlich ist das Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (Berner Konvention) zu erwähnen, in deren An-hang II der Schweinswal ebenfalls gelistet ist.

In der IUCN-Liste der gefährdeten Tierarten gilt die Schweinswalpopulation der zentralen Ost-see als stark gefährdet (Cetacean update of the 2008 IUCN Red List of Threatened Species). In Deutschland wird der Schweinswal auch in der Roten Liste gefährdeter Tieren aufgeführt (HAUPT et al., 2009). Hier wurde er in die Gefährdungskategorie 2 (stark gefährdet) eingestuft.

Kegelrobbe und Seehund werden auch im Anhang II der FFH-Richtlinie aufgeführt. In der Roten Liste wurde auch die Kegelrobbe in die Gefährdungskategorie 2 eingestuft, während der See-hund als ungefährdet eingeordnet wurde.

Gefährdungen

Gefährdungen für den Bestand der Schweinswale in der Ostsee gehen von einer Vielzahl anth-ropogener Aktivitäten, von Veränderungen des marinen Ökosystems und zudem von Klimaän-derungen aus. Vorbelastungen der marinen Säuger resultieren aus der Fischerei, Unterwasser-schallemissionen und Schadstoffbelastungen. Die größte Gefährdung für die Schweinswalbe-stände in der Ostsee geht von der Fischerei durch unerwünschten Beifang in Stellnetzen aus (ASCOBANS, 2010). Der Beifang liegt in der Ostsee weit höher als in der Nordsee. Insbeson-dere die separate Ostseepopulation ist bereits bei geringen Beifangzahlen stark bedroht.

Die Internationale Walfangkommission (IWC) hat sich darauf verständigt, dass die beifangbe-dingte Mortalität nicht über 1% des geschätzten Bestandes betragen soll (IWC, 2000). Bei hö-heren Beifangraten ist das Schutzziel, eine Erholung der Populationen auf 80% der Kapazitäts-grenze des Lebensraumes (carrying capacity), gefährdet (ASCOBANS, 2010).

Aus einzelnen Berichten über Beifänge in der Ostsee (KASCHNER, 2001) ist anzunehmen, dass vor allem die Grundstellnetzfischerei auf Steinbutt, Dorsch, Scholle und Seehase sowie die Treibnetzfischerei auf Lachs für den Beifang verantwortlich ist. Beifangraten lassen sich jedoch aufgrund der geringen Informationen für die Ostsee nicht ermitteln (KASCHNER, 2001; K ASCH-NER, 2003). In Polen werden etwa 5 Beifänge pro Jahr gemeldet, in Schweden Anfang der 1990er Jahre ebenfalls 5 (SGFEN, 2001). Eine auf Fragebögen beruhende Hochrechnung geht für die deutsche Fischerei in der westlichen Ostsee von jährlich 57 Beifängen (21 in der Neben-erwerbsfischerei, 36 in der Berufsfischerei) aus (RUBSCH UND KOCK, 2004).

Für den Bereich östlich der Darßer Schwelle werden 25 Beifänge (1 Nebenerwerb, 24 Berufsfi-scherei) angegeben. Dies ist weitaus höher als die offiziellen, von Fischern gemeldeten Zahlen und übertrifft die nach IWC und ASCOBANS tolerierbaren Beifangraten (IWC, 2000).

Unterwasserschall anthropogener Quellen kann im Extremfall zu physischen Schädigungen führen, aber auch die Kommunikation stören oder zu Verhaltensänderungen führen – z. B. So-zial- und Beutefangverhalten unterbrechen oder ein Fluchtverhalten auslösen. Derzeitige anth-ropogene Nutzungen in der AWZ mit hohen Schallbelastungen sind neben dem Schiffsverkehr seismische Erkundungen, die Sand- und Kiesgewinnung und militärische Nutzungen. Gefähr-dungen können für marine Säuger während des Baus von Windenergieanlagen und Plattfor-men, insbesondere durch Lärmemissionen während der Installation der Fundamente verursacht werden, wenn keine Minderungsmaßnahmen getroffen werden. Es gibt derzeit keine Erfahrun-gen über mögliche AuswirkunErfahrun-gen der Schichtung des Wassers unter bestimmten hydrographi-schen Bedingungen auf die Ausbreitung des Rammschalls in der Ostsee und damit verbundene Effekte auf marine Säuger. Im Allgemeinen gilt die Schallausbreitung in der Ostsee als beson-ders schwer zu beschreiben und somit auch vorherzusagen (THIELE, 2005).

Neben Belastungen durch die Einleitung von organischen und anorganischen Schadstoffen können Gefährdungen für den Bestand zudem von Erkrankungen (bakteriellen oder viralen

Ur-sprungs), der Eutrophierung und Klimaveränderungen (Einwirkung auf die marinen Nahrungs-ketten) ausgehen. Zurzeit kommt es vermutlich auch aufgrund von Klimaveränderungen zu ei-ner Einwanderung von Schweinswalen in die südliche Nordsee (CAMPHUYSEN, 2005; ABT, 2006). Inwieweit dies indirekten Einfluss auf die Schweinswalpopulation der Ostsee hat, ist noch unbekannt.