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Wechselwirkungen zwischen den Schutzgütern

Die Komponenten des marinen Ökosystems, von Bakterien und Plankton bis hin zu marinen Säugetieren und Vögeln, nehmen über komplexe Mechanismen Einfluss aufeinander. Die im Kapitel 2 einzeln beschriebenen biologischen Schutzgüter Plankton, Benthos, Fische, marine Säugetiere und Vögel sind innerhalb der marinen Nahrungsketten voneinander abhängig.

Das Phytoplankton dient den Organismen, die sich auf das Filtrieren des Wassers zur Nah-rungsaufnahme spezialisiert haben, als Nahrungsgrundlage. Zu den wichtigsten Primärkonsu-menten des Phytoplanktons zählen zooplanktische Organismen wie Ruderfußkrebse und Was-serflöhe. Das Zooplankton hat im marinen Ökosystem eine zentrale Rolle als Primärkonsument von Phytoplankton einerseits und als unterster Sekundärproduzent innerhalb der marinen Nah-rungsketten anderseits. Zooplankton dient den Sekundärkonsumenten der marinen Nahrungs-ketten, von karnivoren Zooplanktonarten, über Benthos, Fische bis hin zu marinen Säugetieren und Seevögeln, als Nahrung. Zu den obersten Komponenten der marinen Nahrungsketten ge-hören die so genannten Prädatoren. Zu den oberen Prädatoren innerhalb der marinen Nah-rungsketten zählen Wasser- und Seevögel sowie marine Säugetiere. In den NahNah-rungsketten sind Produzenten und Konsumenten voneinander abhängig und beeinflussen sich auf vielfältige Art und Weise gegenseitig. Im Allgemeinen reguliert die Nahrungsverfügbarkeit das Wachstum und die Verbreitung der Arten. Eine Erschöpfung des Produzenten hat den Niedergang des Konsumenten zur Folge. Konsumenten steuern wiederum durch Wegfraß das Wachstum der Produzenten. Nahrungslimitierung wirkt auf die Individuenebene durch Beeinträchtigung der Kondition der einzelnen Individuen. Auf Populationsebene führt Nahrungslimitierung zu Verän-derungen der Abundanz und Verbreitung von Arten. Ähnliche Auswirkungen hat auch die Nah-rungskonkurrenz innerhalb einer Art oder zwischen verschiedenen Arten.

Die zeitlich angepasste Sukzession oder Abfolge des Wachstums zwischen den verschiedenen Komponenten der marinen Nahrungsketten ist von kritischer Bedeutung. So ist z. B. das Wachstum der Fischlarven von der verfügbaren Biomasse des Planktons direkt abhängig. Bei Seevögeln hängt der Bruterfolg ebenfalls direkt mit der Verfügbarkeit der geeigneten Fische (Art, Länge, Biomasse, energetischer Wert) zusammen. Zeitlich oder räumlich versetztes Auf-treten der Sukzession und Abundanz der Arten aus verschiedenen trophischen Ebenen führt

zur Unterbrechung der Nahrungsketten. Zeitlicher Versatz, der so genannte trophische „Mis-match“, bewirkt, dass insbesondere frühe Entwicklungsstadien von Organismen unterernährt werden oder sogar verhungern. Unterbrechungen der marinen Nahrungsketten können nicht nur auf Individuen- sondern auch auf Populationsebene wirken. Räuber-Beute-Verhältnisse bzw. trophische Beziehungen zwischen Größen- oder Altersgruppen einer Art oder zwischen Arten regulieren ebenfalls das Gleichgewicht des marinen Ökosystems. So wirkte z. B. der Rückgang der Dorschbestände in der Ostsee positiv auf die Entwicklung der Sprottenbestände.

Die außergewöhnliche Zunahme der Sprotten wurde allerdings durch die verfügbaren Nah-rungsressourcen (Zooplankton) limitiert. So blieben die abundanten Sprotten letztlich unterer-nährt und wiesen dadurch einen niedrigen Energiegehalt auf. Der schwache Ernährungszu-stand der Sprotten spiegelte sich im ErnährungszuErnährungszu-stand deren Konsumenten, der Trottellum-men-Jungvögel wieder. Das Wachstum und die Überlebenschance der jungen Trottellummen nahmen zeitweise durch die verminderte Nahrungsqualität ab (ÖSTERBLOM et al., 2006).

Trophische Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Plankton, Benthos, Fischen, Mee-ressäugern und Seevögeln werden über vielfältige Kontrollmechanismen gesteuert. Solche Me-chanismen wirken vom unteren Bereich der Nahrungsketten, beginnend mit Nährstoff-, Sauer-stoff- oder Lichtverfügbarkeit nach oben hin zu den oberen Prädatoren. Ein solcher Steue-rungsmechanismus von unten nach oben kann über die Steigerung oder Verminderung der Primärproduktion wirken. Auch Wirkungen, die von den oberen Prädatoren nach unten, über so genannte „top-down“ Mechanismen ausgehen, können die Nahrungsverfügbarkeit steuern.

Die Wechselwirkungen innerhalb der Komponenten der marinen Nahrungsketten werden durch abiotische und biotische Faktoren beeinflusst. So spielen z. B. dynamische hydrographische Strukturen, Wasserschichtung und Strömung eine entscheidende Rolle bei der Nahrungsver-fügbarkeit (Steigerung der Primärproduktion) und Nutzung durch obere Prädatoren. Außerge-wöhnliche Ereignisse wie Stürme und Eiswinter beeinflussen ebenfalls die trophischen Bezie-hungen innerhalb der marinen Nahrungsketten. Auch biotische Faktoren wie toxische Algenblü-ten, Parasitenbefall und Epidemien wirken auf die gesamte Nahrungskette.

Anthropogene Aktivitäten nehmen ebenfalls entscheidend Einfluss auf die Wechselwirkungen innerhalb der Komponenten des marinen Ökosystems. Der Mensch wirkt auf die marine Nah-rungskette sowohl direkt durch den Fang von Meerestieren als auch indirekt durch Aktivitäten, die auf Komponenten der Nahrungsketten Einfluss nehmen können. Durch Überfischung von Fischbeständen werden z. B. obere Prädatoren, Seevögel und marine Säugetiere mit Nah-rungslimitierung konfrontiert bzw. sind gezwungen, neue Nahrungsressourcen zu erschließen.

Überfischung kann auch im unteren Bereich der Nahrungsketten Veränderungen bewirken. So kann es zur extremen Ausbreitung von Quallen kommen, wenn deren Fischprädatoren wegge-fischt sind. Zudem stellen Schifffahrt und Marikultur einen zusätzlichen Faktor dar, der über die Einführung von nicht einheimischen Arten zu positiven oder negativen Veränderungen der ma-rinen Nahrungsketten führen kann. Einleitungen von Nähr- und Schadstoffen über Flüsse und Atmosphäre nehmen ebenfalls Einfluss auf die Meeresorganismen und können zu Veränderun-gen der trophischen Verhältnisse führen. Natürliche oder anthropoVeränderun-gene EinwirkunVeränderun-gen auf eine der Komponenten der marinen Nahrungsketten, z. B. das Artenspektrum oder die Biomasse des Planktons, können die gesamte Nahrungskette beeinflussen und das Gleichgewicht des marinen Ökosystems verschieben und ggf. gefährden. Beispiele der sehr komplexen Wechsel-wirkungen und Kontrollmechanismen innerhalb der marinen Nahrungsketten wurden ausführlich in der Beschreibung der einzelnen Schutzgüter dargestellt.

Über die komplexen Wechselwirkungen der verschiedenen Komponenten untereinander erge-ben sich schließlich Veränderungen im gesamten marinen Ökosystem der Ostsee, wie am Bei-spiel der trophischen Wechselbeziehungen zwischen Trottellumme, Dorsch, Sprotte und Zooplankton bereits dargestellt. Anhand der bereits in Kapitel 2 schutzgutbezogen dargestellten Veränderungen lässt sich für das marine Ökosystem der Ostsee zusammenfassen:

• Es gibt langsame Veränderungen der belebten Meeresumwelt.

• Seit 1987/88 lassen sich sprunghafte Veränderungen der belebten Meeresumwelt beobach-ten.

Folgende Aspekte bzw. Veränderungen können auf die Wechselwirkungen zwischen den ver-schiedenen Komponenten der belebten Meeresumwelt Einfluss nehmen: Veränderung der Ar-tenzusammensetzung (Phyto- und Zooplankton, Benthos, Fische), Einführung und teilweise Etablierung nicht-einheimischer Arten (Phyto- und Zooplankton, Benthos, Fische), Veränderung der Abundanz- und Dominanzverhältnisse (Phyto- und Zooplankton), Veränderung der verfüg-baren Biomasse (Phytoplankton), Rückgang von vielen gebietstypischen Arten (Plankton, Benthos, Fische), Rückgang der Nahrungsgrundlage für obere Prädatoren (Seevögel).