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Einstellungen gegenüber der Berücksichtigung sexueller Vielfalt in der Schule

11. Zentrale Befunde und Handlungsempfehlungen

11.1 Zusammenfassung zentraler Befunde

Im Rahmen ihres Themenjahrs 2017, das unter dem Motto „Gleiches Recht für jede Liebe“ die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orien-tierung in den Fokus stellt, hat die Antidiskriminierungsstelle des Bun-des die vorliegende Studie in Auftrag gegeben. Ziel war eine aktuelle Be-standsaufnahme der Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen. Ergänzend wurden mithilfe einiger weniger Fra-gen auch EinstellunFra-gen geFra-genüber Trans*Personen erhoben. Dafür

wur-den im Herbst 2016 in einer bundesweiten, repräsentativen Befragung rund 2.000 Personen ab einem Alter von 16 Jahren telefonisch mithilfe eines standardisierten Fragebogens (CATI-Methode) durch das Sozial-wissenschaftliche Umfragezentrum GmbH interviewt. Hervorgehoben werden muss: Alle Einstellungen sind als Selbstauskünfte erhoben, spie-geln daher das wider, was die Befragten im Interview über sich selbst be-richten. Die Vorurteilsforschung lässt vermuten, dass in dieser offenen Interviewsituation Ressentiments eher verhalten kommuniziert werden.

Im Folgenden werden zentrale Befunde, gegliedert nach den Themen des Berichts, zusammengefasst:

Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans*geschlechtlichen Menschen

Die überwältigende Mehrheit der Befragten (95 Prozent) unterstützt den gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung von homo- und bisexuellen Per-sonen. Die große Mehrheit von 81 Prozent erkennt zudem, dass homo- und bisexuelle Personen nach wie vor benachteiligt werden.

Der sich schon in anderen Studien abzeichnende positive Trend einer zunehmenden Akzeptanz gegenüber homosexuellen Personen und der Forderung nach rechtlicher Gleichstellung setzt sich fort. Klassische Ho-mophobie – das offene Abwerten von Homosexualität als unnatürlich oder unmoralisch sowie die klare Positionierung gegen gleiche Rechte in Bezug auf Ehe und Familie – wird nur von einem kleinen Teil der Bevöl-kerung geteilt.

Auch in Relation zu anderen diskriminierungsgefährdeten Gruppen, wie z. B. Asylsuchenden oder Muslim_innen, sind die Einstellungen in der Bevölkerung gegenüber homo- und bisexuellen Personen und auch ge-genüber Trans*Personen vergleichsweise positiv. Zwischen den Einstel-lungen gegenüber homosexuellen Menschen einerseits und bisexuellen Menschen andererseits konnten keine Unterschiede festgestellt werden.

Es zeigt sich aber auch eine Diskrepanz in den Meinungen, die umso deutlicher zutage tritt, je konkreter nachgefragt wird. So befürworten inzwischen 83 Prozent der Befragten, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen. Die Zustimmung zum vollen Adoptionsrecht und zur Unterstützung künstlicher Befruchtungen für gleichgeschlechtliche Paare fällt jedoch geringer aus. Sehr viele Befragte sprechen sich zudem für die Rehabilitierung der nach § 175 StGB verurteilten homosexuellen Männer aus. Die Befürwortung einer Entschädigung der Verurteilten ist dagegen deutlich geringer ausgeprägt.

Moderne bzw. subtilere Formen von Homophobie, die sich u. a. in der Ab-lehnung der Sichtbarkeit von Homosexualität in der Öffentlichkeit oder der Thematisierung in den Medien zeigt – ausgedrückt z. B. in der Forde-rung, Homosexuelle sollten nicht so viel Wirbel um ihre Sexualität ma-chen – sind nach wie vor deutlich weiter verbreitet. Homosexualität wird von der großen Mehrheit akzeptiert, aber von einem Teil der Befragten offenbar nur dann, wenn sie nicht zu sichtbar ist.

Besonders deutlich wird dies auch bei der affektiven Komponente von Vorurteilen, bei der es um ablehnende Gefühle gegenüber der adres-sierten Gruppe geht – hier erfasst in der Einstellung zu Gesten der Zu-neigung in der Öffentlichkeit. Während es nur knapp 11 Prozent der Befragten unangenehm ist, wenn sich ein heterosexuelles Paar in der Öffentlichkeit küsst, ist dies fast 28 Prozent der Befragten unangenehm, wenn sich ein lesbisches Paar küsst, und sogar 38 Prozent, wenn sich ein schwules Paar küsst. Zudem zeigt sich: Je näher das Thema Homosexu-alität in der Vorstellung der Befragten an diese heranrückt, desto unan-genehmer finden sie dies: Während es beispielsweise nur 12 Prozent der Befragten unangenehm fänden, dass ein_e Arbeitskolleg_in homosexu-ell wäre, finden knapp 40 Prozent die Vorsthomosexu-ellung unangenehm, dass das eigene Kind schwul oder lesbisch wäre.

Auch wenn nur sehr wenige Befragte Aggression und Gewalt gegenüber homosexuellen Personen rechtfertigen, so äußert immerhin jede_r zehn-te Befragzehn-te zumindest etwas Verständnis dafür bzw. legitimiert Aggres-sion gegenüber homosexuellen Menschen, indem ihnen selbst die Schuld dafür zugewiesen wird.

Rund ein Fünftel der Befragten zeigt – so wie in der aktuellen Umfra-ge erfasst – abwertende EinstellunUmfra-gen Umfra-geUmfra-genüber trans*Umfra-geschlechtlichen Menschen. Die Einstellungen gegenüber Trans*Personen hängen eng mit denen gegenüber homosexuellen Personen zusammen – wer die einen abwertet, wertet auch eher die anderen ab und umgekehrt.

Unterschiede zwischen soziodemografischen Subgruppen der Bevölkerung

Abwertende Einstellungen gegenüber homo- und bisexuellen Personen sind ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Es zeigen sich aber zum Teil auch deutliche Unterschiede in den Einstellungen verschiedener Be-völkerungsgruppen. So haben z. B. ältere Befragte – besonders diejenigen über 65 Jahre – und jene mit niedrigeren formalen Bildungsabschlüssen

negativere Einstellungen gegenüber homo- und bisexuellen Menschen, sie unterschätzen eher die Diskriminierungserfahrungen und nehmen häufiger an, die sexuelle Orientierung sei durch die Sozialisation be-dingt. Zudem bestätigt sich der bekannte Unterschied zwischen Männern und Frauen: Im Durchschnitt sind Frauen gegenüber homosexuellen Per-sonen positiver eingestellt als Männer.

Homophobie ist unter Befragten aus Ost- und Westdeutschland ähnlich verbreitet. Ob jemand in ländlichen Gebieten, in einer Stadt oder einer Großstadt lebt, hat ebenfalls kaum Einfluss auf das Ausmaß homopho-ber Einstellungen. Unter Befragten mit Migrationshintergrund sind die Haltungen dagegen negativer als bei Menschen ohne Migrationshinter-grund. Hierbei umfasst das Merkmal des Migrationshintergrunds eine sehr heterogen zusammengesetzte Befragtengruppe mit den verschie-densten Einwanderungshintergründen und Sozialisationskontexten insbesondere aus Polen, Ländern der ehemaligen Sowjetunion und aus der Türkei.

Ob die Befragten selbst Kinder haben oder in einer Ehe bzw. festen Part-nerschaft leben, spielt für ihr Ausmaß an Homophobie so gut wie keine Rolle. In der Tendenz haben Singles etwas positivere Einstellungen (was auch daran liegt, dass sie im Durchschnitt jünger sind).

Homophobie reicht bis in die politische Mitte. Je weiter sich die Befrag-ten im politischen Spektrum aber von links über die Mitte nach rechts positionieren, desto größer ihre Neigung zur Homophobie (wobei jene, die sich „eher links“ verorten, noch etwas weniger homophob sind als diejenigen, die sich „links“ sehen). Auffallend hohe Zustimmungswerte zu Homophobie erreichen potenzielle Wähler_innen der AfD, mit eini-gem Abstand gefolgt von Wähler_innen von CDU/CSU und erklärten Nichtwähler_innen. Besonders niedrig sind die Werte bei Wähler_innen von Bündnis 90/Die Grünen.

Wissen über homosexuelle Personen und Annahmen über die Ursachen von Homosexualität

Die meisten Befragten wissen, dass die sexuelle Orientierung eines Men-schen weder durch die Erziehung, Verführung oder durch Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, sondern vor allem durch die Biologie beein-flusst wird. Den meisten ist auch bekannt, dass sich Kinder bei gleichge-schlechtlichen Paaren genauso gut entwickeln können wie bei heterose-xuellen Paaren.

Auch wenn die Ursachen eines Phänomens für seine ethische Beurtei-lung eigentlich belanglos sein sollten, so zeigt sich doch, dass das Wissen über Homosexualität und homosexuelle Menschen mit den Einstellungen zusammenhängt – wer mehr über Homosexualität weiß, ist homosexuel-len Menschen gegenüber positiver eingestellt und zeigt ihnen gegenüber häufiger unterstützendes Verhalten und umgekehrt.

Eigenes Verhalten und Verhalten des sozialen Umfelds gegen-über Lesben, Schwulen und Bisexuellen

Die Mehrheit der Befragten verhält sich nach eigener Aussage unterstüt-zend gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Personen und sagt dies auch über ihren Familien- und Bekanntenkreis. Zugleich gibt jedoch die Hälfte der Befragten an, hin und wieder selbst Witze oder abfällige Bemerkungen über Homosexuelle zu machen oder darüber zu lachen. Ob sich eine Person diskriminierend verhält, scheint dabei weniger mit den eigenen Einstellungen zusammenzuhängen, als mit dem wahrgenom-menen Verhalten wichtiger Bezugspersonen wie dem Freundes- und Fa-milienkreis.

Befragte, die homo- und bisexuelle Menschen persönlich kennen, haben positivere Einstellungen und verhalten sich ihnen gegenüber auch eher unterstützend. Zudem verfügen sie über mehr Wissen über homosexu-elle Menschen und gehen eher davon aus, dass homosexuhomosexu-elle Menschen nach wie vor diskriminiert werden.

Einfluss von Werten in Bezug auf Ehe und Familie sowie von Religion und Religiosität, Empathie sowie eigenen Diskriminie-rungserfahrungen auf die Einstellungen

Die allgemeine Wertorientierung in Bezug auf Ehe und Familie spielt eine moderate Rolle für die Einstellungen gegenüber homo- und bisexuel-len Personen. Zugleich zeigt sich hier eine bemerkenswerte Diskrepanz:

Wer meint, stabile Partnerschaften, Ehe und Familie seien für eine Ge-sellschaft wichtig, spricht sich eher gegen die rechtliche Gleichstellung homosexueller Personen in Bezug auf Ehe und Familie aus und ist auch ansonsten homophober eingestellt. Es scheint ihnen also vor allem um ein traditionelles Familienbild, weniger um den grundsätzlichen Wert stabiler Beziehungen mit Kindern zu gehen.

Die Religionszugehörigkeit ist weniger bedeutsam, aber es bestätigen sich noch einmal die bekannten Zusammenhänge von Religiosität und Homophobie: Je religiöser sich die Befragten selbst einschätzen bzw. je

religiös-fundamentalistischer sie eingestellt sind, desto eher werten sie homo- und bisexuelle sowie trans*geschlechtliche Menschen ab.

Die selbstberichtete Empathie, also die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Gedanken und Gefühle anderer Menschen hineinzuversetzen, hat kaum einen Einfluss auf die Einstellungen gegenüber LSB*Personen.

Die Zugehörigkeit zu einer als diskriminiert wahrgenommenen Grup-pe z. B. aufgrund des Alters, der ethnischen, kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit, einer Krankheit oder Behinderung hängt hingegen mit einer höheren Neigung zur Homophobie zusammen. Eigene Diskriminie-rungserfahrungen haben also nicht unbedingt einen immunisierenden Effekt auf die Abwertung anderer.

Einfluss der Haltung zu Vielfalt und Gleichwertigkeit auf Einstel-lungen

Wer ganz allgemein kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft eher ablehnt, Hierarchien zwischen Gruppen eher befürwortet, eher autoritaristische Einstellungen vertritt und gegenüber der modernen Welt Orientierungs-losigkeit im Sinne von Anomia beklagt, neigt eher zu klassischer, aber auch zu moderner und affektiver Homophobie.

Zudem offenbart sich die Anschlussfähigkeit von Homophobie an den aktuellen Rechtspopulismus: Wer eine autoritaristische Grundhaltung teilt, der Demokratie misstraut und „Fremde“ abwertet, neigt auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zur Abwertung von homosexuellen Personen. Gleiches gilt für jene, die kollektive Wut äußern, die sich aktu-ell besonders gegen die Zuwanderung richtet.

Meinungen zur und persönliche Erfahrungen mit der Themati-sierung von sexueller Vielfalt in der Schule

Die große Mehrheit der Befragten von 90 Prozent befürworten, als Ziel der Schule Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen zu vermitteln. Fast ebenso viele fordern konkret, Lehrkräfte sollten bei ho-mophoben Schimpfworten einschreiten. Die große Mehrheit von drei Vierteln der Befragten spricht sich zudem für eine Thematisierung sexu-eller Vielfalt in der Schule aus. Ein Viertel meint hingegen, es sollten nur heterosexuelle Paare aus Mann und Frau vorkommen, wenn es in der Schule um Liebe und Partnerschaft geht.

Rund jeder siebte Befragte, der von den aktuellen Bildungsplänen ver-schiedener Bundesländer weiß, nimmt an, darin würde es bei der The-matisierung sexueller Vielfalt um Sexualpraktiken gehen und nicht um die Akzeptanz von Homo- und Bisexualität. Gerade diejenigen, die un-zureichend informiert sind, lehnen die Berücksichtigung sexueller Viel-falt im Schulunterricht dann auch häufiger ab.

Zugleich wird deutlich: Das Thema sexuelle Vielfalt kommt in der Schu-le nach wie vor de facto kaum vor. Lehrkräfte machen sexuelSchu-le Vielfalt selten zum Thema, und die jüngeren Befragten berichten nur von we-nigen Lehrkräften, die sich offen als homosexuell zu erkennen gegeben haben. Hingegen gibt die Hälfte der jüngeren Befragten an, mindestens ein_e oder mehrere Mitschüler_innen hätten sich offen als lesbisch oder schwul geoutet.