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über lesbische, schwule und bisexuelle Menschen

10. Umgang mit sexueller Vielfalt in der Schule

10.1 Gesellschaftlicher Hintergrund und existierende Forschung

Die Schule ist aus vielen Gründen eine zentrale, wenn nicht die zentrale Einrichtung, um die Situation nicht-heterosexueller Personen zu verbes-sern: Aufgrund der Schulpflicht kann sich niemand einem Besuch ent-ziehen. Einerseits beeinträchtigt daher eine feindselige Atmosphäre in der Schule Menschen noch deutlicher als eine vergleichbare Atmosphäre in anderen Kontexten, die leichter vermieden werden können, z. B. in ei-nem Verein. Andererseits kann in der Schule jeder Mensch zumindest in einem bestimmten Alter erreicht werden. Lehrkräfte und andere päda-gogische Fachkräfte können daher einen Grundstein legen für die Ent-wicklung mündiger Bürger_innen, die ihren Mitmenschen mit Respekt begegnen, auch wenn diese anders sind als sie selbst, z. B. eine andere Weltanschauung, Religion, ein anderes Aussehen oder auch eine andere sexuelle Orientierung haben. Und schließlich ist die Schule deshalb ein zentraler Ort, weil die meisten Lesben, Schwulen oder Bisexuellen ih-rer sexuellen Identität im Schulalter gewahr werden (Krell & Oldemeier, 2015) und währenddessen in ihrer Schule ein hohes Ausmaß an Homo-phobie oder Ignoranz erleben (Klocke, 2012).

Aus diesen Gründen hat der Europarat (eine europäische internationale Organisation, der 47 europäische Staaten inkl. Russland und der Türkei angehören) vor einigen Jahren alle seine Mitgliedsstaaten dazu aufgefor-dert, eine unterstützende und diskriminierungsfreie Schulatmosphäre für LSBTI-Jugendliche zu schaffen sowie objektive Informationen über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in Lehrpläne und Un-terrichtsmaterialien einzuschließen (Ministerkomitee des Europarates, 2010). In den vergangenen Jahren haben viele Bundesländer ihre Lehr-pläne bzw. ihren Bildungsplan um das Ziel der Akzeptanz bzw. des Re-spekts oder zumindest der Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt erwei-tert. Diese Bestrebungen sind auf überraschend deutlichen Widerstand gestoßen und haben eine Kontroverse über Sexualpädagogik ausgelöst

(Kramer, 2015). Eine Petition gegen den Bildungsplan in Baden-Würt-temberg (Stängle, 2013) wurde von fast 200.000 Personen unterstützt.

Diese Petition fürchtet eine „pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung“ und verwendet statt des Begriffe „sexuelle Orientierung“

und „Geschlechtsidentität“ den Begriff „LSBTTIQ-Lebensstil“. Der Bil-dungsplan fordere, diesen Lebensstil als „erstrebenswert“ darzustellen und thematisiere seine „negativen Begleiterscheinungen“ nicht genü-gend. Implizit wird die Annahme deutlich, Jugendliche ließen sich durch eine wertschätzende Darstellung von LSB in ihrer sexuellen Orientie-rung beeinflussen. Zudem behauptet die Petition, dass eine „Thematisie-rung verschiedener Sexualpraktiken“ angestrebt sei. Diese Behauptung wird ebenso in verschiedenen Medien verbreitet (Junge Freiheit, 2014;

Voigt, 2014), ist allerdings niemals in Bezug auf Bildungs- oder Lehr-pläne belegt. Wenn überhaupt Belege zitiert werden, dann wird immer wieder auf dieselben wenigen Übungen in sexualpädagogischen Mate-rialsammlungen verwiesen, die allerdings nicht für Lehrkräfte in der Schule, sondern für spezialisierte Sexualpädagog_innen geschrieben wurden (z. B. Tuider, Müller, Timmermanns, Bruns-Bachmann & Kop-permann, 2012). Dass keine passenden Belege genannt werden, ist kein Wunder, da die Bildungs- und Lehrpläne der Landesregierungen gerade keine sexualisierte Darstellung von LSB fordern, sondern eine fächer-übergreifende Berücksichtigung von Vielfalt jenseits der Sexualkunde im Biologieunterricht. Dass diese Falschinformationen dennoch wirken, zeigt sich bereits in den Kommentaren unter der Petition „Sexualprakti-ken sollen früh thematisiert werden“ oder „Sollen unsere Kinder schon zu Schwulen und Lesben erzogen werden?“.

Im Zuge der Überarbeitungen von Bildungsplänen und Lehrplänen wurde in existierenden bevölkerungsrepräsentativen Umfragen bereits mehrmals nach relevanten Einstellungen gefragt. Dabei antworteten etwa drei von vier Befragten, dass Schülerinnen und Schüler im Unter-richt mehr über „unterschiedliche Lebensformen wie Homosexuali-tät“ (71 Prozent, Change Centre Foundation, 2015) bzw. über „Vielfalt in Bezug auf sexuelle Orientierung“ lernen sollten (75 Prozent, European Commission, 2015). Eine weitere Umfrage zeigte, dass nur 6 Prozent der Meinung waren, dass Homosexualität in der Schule gar nicht behandelt werden soll (Schmidt, 2015). Die meisten bevorzugen eine Behandlung in Klasse 5 und 6 (31 Prozent) oder Klasse 7 bis 10 (38 Prozent), 8 Prozent halten eine Thematisierung bereits in Klasse 1 bis 4 für sinnvoll, 9 Pro-zent erst ab Klasse 11 (ebd.).

Existierende Umfragen sprechen also nicht dafür, dass die Ablehnung von sexueller Vielfalt im Schulunterricht in der Gesamtbevölkerung mehrheitsfähig ist. Jedoch bezogen sich die Fragen nicht auf das expli-zite Ziel der Akzeptanz oder des Respekts gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen. Möglich wäre also, dass die Mehrheit zwar nichts gegen eine neutrale Thematisierung von Homosexualität einzuwenden hat, das Ziel, Schüler_innen Akzeptanz lesbischer, schwuler und bisexueller Menschen zu vermitteln, jedoch nicht teilt.

In der vorliegenden Studie wurde daher explizit nach der Zustimmung zu diesem Ziel gefragt. Des Weiteren wurden mögliche Ursachen der Einstellungen untersucht. Welchen Beitrag haben Falschinformationen über den Inhalt der Bildungs- und Lehrpläne, z. B. dass Kinder zu vielfäl-tigen Sexualpraktiken ermuntert werden sollen? Welchen Beitrag haben Wertunterschiede, z. B. die Wertigkeit von Individualismus und Selbst-bestimmung einerseits und Zusammenhalt, Verbindlichkeit und Fami-lie andererseits? Wieviel Einfluss hat die Annahme, das Thema sei in der Schule irrelevant, z. B. weil lesbische, schwule oder bisexuelle Personen ihre sexuelle Identität erst nach der Schulzeit entdecken? Wie wichtig ist die Angst, Schüler_innen könnten durch eine Berücksichtigung des The-mas der in ihrer sexuellen Orientierung beeinflusst werden?

10.2 Erfassung in der aktuellen Umfrage

In der aktuellen Umfrage haben wir zunächst allgemein zur Einstellung gegenüber Sexualaufklärung gefragt und in einem späteren Befragungs-abschnitt spezifischer zu den Bildungsplänen zur Vermittlung von Ak-zeptanz gegenüber sexueller Vielfalt in der Schule. Dabei wurden zu-nächst die Kenntnis und das Wissen zu den Bildungsplänen erfragt und anschließend die Einstellung. Am Ende der Befragung wurden Personen, die jünger als 30 Jahre waren, zu ihren eigenen Erfahrungen mit sexuel-ler Vielfalt in der Schule gefragt. Die Items wurden größtenteils auf der Basis der in Kapitel 2 beschriebenen Medienanalyse entwickelt.

10.3 Ergebnisse der aktuellen Umfrage

10.3.1 Deskriptive Ergebnisse zu Einstellungen zu Sexualaufklärung

Ein möglicher Einflussfaktor auf die Einstellung zu sexueller Vielfalt in der Schule könnte die generelle Einstellung zu Sexualaufklärung von Kindern und Jugendlichen sein. Wie sehr wird Sexualaufklärung als Aufgabe der Eltern und der Schule gesehen und welche sexualpädagogi-schen Inhalte sollte die Schule thematisieren? Eine große Mehrheit von 93 Prozent sieht Sexualaufklärung als Aufgabe der Eltern, und ebenso eine Mehrheit von 63 Prozent sieht sie als Aufgabe der Schule (Tabelle 10.1). Die Zuständigkeiten für dieses Thema schließen sich also für vie-le Befragte nicht aus, sondern ergänzen sich. Bei den Inhalten herrscht die größte Einigkeit bei der Thematisierung von Fortpflanzung und den Gefahren von Sexualität: 95 Prozent der Befragten möchten, dass in der Schule Fortpflanzung thematisiert wird, und 96 Prozent wollen die Ge-fahren von Sexualität, wie z. B. übertragbare Krankheiten oder unge-wollte Schwangerschaften, behandelt sehen. Aber auch 85 Prozent stim-men einer Thematisierung verschiedener sexueller Orientierungen zu und 79 Prozent wollen, dass die Lehrkräfte auch die schönen Seiten von Sexualität behandeln. Alle Items zu Inhalten schulischer Sexualaufklä-rung wurden für die nachfolgenden Zusammenhangsanalysen zu einer reliablen Skala Einstellung zur Sexualaufklärung in der Schule zusam-mengefasst. Der hohe Zusammenhang der einzelnen Aussagen unterei-nander – d. h. wer der einen Aussage zustimmt, stimmt mit hoher Wahr-scheinlichkeit auch allen anderen Aussagen zu und umgekehrt – weist darauf hin, dass die Befragten offenbar vor allem eine grundsätzliche Haltung dazu haben, ob Sexualaufklärung in der Schule geleistet werden soll und dabei der konkrete Unterrichtsinhalt weniger von Bedeutung ist. Das heißt, sie differenzieren in ihren Einstellungen nicht, was dort an Inhalten gelernt werden soll.

Tabelle 10.1: Einstellungen zur Sexualaufklärung (Angaben in Prozent)

Stimme … überhaupt

nicht zu eher

nicht zu eher zu voll und ganz zu Einstellung zur Sexualaufklärung in der Schule (Cronbach’s α = .73)

Im Rahmen der Sexualaufklärung in der Schule sollten folgende Themen behandelt werden:

… Fortpflanzung.

2,5 2,7 19,2 75,7

… Verschiedene sexuelle Orientierun-gen, also Heterosexualität, Bisexualität

und Homosexualität. 8,0 6,9 23,0 62,2

… Gefahren, die mit dem Thema ver-bunden sein können, z. B. übertragbare Krankheiten oder ungewollte Schwan-gerschaften.

2,8 1,0 11,0 85,3

… Die schönen Seiten von Sexualität. 7,8 13,1 27,3 51,8

Sonstige Items

Sexualaufklärung ist Aufgabe der Eltern. 1,1 6,0 33,3 59,7 Sexualaufklärung ist Aufgabe der Schule. 13,0 24,3 42,3 20,3 Anmerkung: Bei den Items aus dieser Tabelle gab es maximal 33 fehlende Antworten bzw.

„weiß nicht“-Antworten (1,6 % der Befragten), und zwar beim Item „Die schönen Seiten von Sexualität“ .

10.3.2 Deskriptive Ergebnisse zu Wissen und

Einstellungen gegenüber der Berücksichtigung