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In diesem Kapitel wurden die theoretischen Grundpositionen dieser Arbeit erläutert.

Wissenschaftliches Schreiben wird als soziale Interaktion verstanden, die praktisch im-mer in einem interkulturellen Raum stattfindet. Dies wird umso deutlicher, wenn man die relevanten Kulturen nicht nur als Nationalkulturen sieht, sondern Kultur als Sym-bolsystem versteht und dabei berücksichtigt, dass auch zwischen den einzelnen Fach-bereichen und Disziplinen fachkulturelle Unterschiede bestehen.

Im Rahmen des wissenschaftlichen Schreibens als sozialer Interaktion ist es not-wendig, dass die Schreibenden sich eine soziale Identität als wissenschaftliche Autoren konstruieren. Diese muss den soziokulturellen Erwartungen der jeweiligen Diskurs-gemeinschaft entsprechen. Die Konstruktion dieser Identität erfolgt insbesondere über die Übernahme bestimmter, wissenschaftskulturell angemessener sozialer Rollen. Dies wiederum wird innerhalb eines wissenschaftlichen Artikels u. a. über Handlungen, die in der ersten Person vollzogen werden, kommuniziert.

In diesem Kapitel wurde entsprechend der dieser Arbeit zugrundeliegende, auf postmodernen und konstruktivistischen Ansätzen beruhende Identitätsbegriff defi-niert. Die IdentitätWissenschaftlicher Autorist nur eine von vielen verschiedenen Iden-titätsfacetten, die einer Person theoretisch zur Verfügung stehen und die sie, abhän-gig von der sozialen Situation sowie ihren eigenen Zielen und Vorlieben, einnehmen kann. Dabei wird Identität immer aktiv über den jeweiligen Diskurs konstruiert, wobei Sprache gerade in schriftlichen und asynchronen Kontexten eine entscheidende Rolle spielt.

Auch im wissenschaftlichen Schreiben haben Autoren die Möglichkeit, ihre Iden-tität zu konstruieren, indem sie verschiedene soziale Rollen einnehmen. Soziale Rol-len werden hier verstanden als Verhaltensmuster bzw. Handlungsschemata, die in ei-nem bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhang von den Mitgliedern dieser Ge-sellschaft erwartet werden und die sich im wissenschaftlichen Schreiben vor allem an den sprachlich dargestellten Handlungen ablesen lassen, die sich die Autoren über die erste Person zuschreiben.

Die Selbstdarstellung als Mittel der Identitätskonstruktion in wissenschaftlichen Artikeln wird im folgenden Kapitel tiefergehend dargestellt. Dazu wird die Textsorte Wissenschaftlicher Artikelbeschrieben und es werden wichtige theoretische Ansätze zur Selbstdarstellung und zur sozialen Interaktion in wissenschaftlichen Artikeln vorge-stellt. Weiterhin werden grundlegende Arbeiten zum Gebrauch der ersten Person Sin-gular und Plural sowie des unpersönlichen MAN in deutsch- und englischsprachigen wissenschaftlichen Artikeln diskutiert. Darauf basierend wird der rollentheoretische Ansatz dieser Arbeit herausgearbeitet.

Selbstdarstellung in wissenschaftlichen Artikeln

3.1 Die Textsorte „Wissenschaftlicher Artikel“

Der wissenschaftliche Artikel, insbesondere der Forschungsartikel1, gilt inzwischen als wichtigste Textsorte in der wissenschaftlichen Kommunikation überhaupt und wird auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wo lange Zeit die Monographie als die relevanteste Veröffentlichungsform galt (Auer und Baßler 2007b: 25-26), immer wich-tiger (vgl. Graefen und Thielmann 2007: 67).

Der wissenschaftliche Artikel ist aufgrund seiner Kürze, seiner relativ kurzen Pro-duktionszeit und seiner großen Reichweite besonders gut geeignet, einen Wissenschaft-ler im sozialen Zusammenhang seiner Disziplin zu verorten, wobei hier diese Veror-tung auch, aber nicht nur inhaltlich zu verstehen ist. Insofern spielt er insbesondere für die Konstruktion einer angemessenen Autorenidentität auch im Rahmen einer gene-rellen Positionierung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine bedeutende Rolle.

Er dient damit nicht nur der Vermittlung und Verbreitung neuen Wissens, sondern hilft dem Verfasser auch und grade dabei, Reputation herzustellen, sich einen Namen zu machen und sich in der Gemeinschaft zu verorten bzw. sich überhaupt erst in die Gemeinschaft einzubringen. Als wichtigster (kommunikativer) Zweck eines wissen-schaftlichen Artikels wird allerdings trotzdem häufig die Produktion und Verbreitung neuen Wissens gesehen.

1MitForschungsartikelim engeren Sinne ist hier ein Artikel gemeint, der die Ergebnisse einer (im hier untersuchten Korpus empirischen) Forschung darstellt, im Gegensatz zu theoretisch orientierten Arti-keln. Da das hier untersuchte Korpus auch Texte enthält, die sich nicht direkt oder in erster Linie auf Forschungsergebnisse stützen, sondern eher theoretisch gehalten sind, und die Benennung Forschungs-artikelzumindest im engeren Sinne damit irreführend wäre, habe ich mich für die etwas weiter gefasste Bezeichnung wissenschaftlicher Artikel entschieden. In anderen Untersuchungen ist synonym von Ab-handlungen(Kussmaul 1978),Aufsätzen(Kresta 1995),Fachzeitschriftenartikeln(Hutz 1997),Artikeln (Stein-hoff 2007),researchoder gelegentlich auchacademic articles(Sanderson 2008a; Fløttum u. a. 2006; Hyland 2000) die Rede.

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Natürlich ist die Produktion von Wissen für den einzelnen Forscher nicht der einzige Antriebsfaktor zur Veröffentlichung von Texten. Forscher sind zudem bestrebt, durch ihre Texte in der scientific community Reputation zu erlangen. Das Streben nach Reputation ist jedoch der Erkenntnisprodukti-on erkennbar nachgeordnet: Ohne einen signifikanten Beitrag zum wissen-schaftlichen Wissen erfährt kein Wissenschaftler die erwünschte Anerken-nung. (Steinhoff 2007: 110-111)

Diese Sichtweise ist jedoch in dieser umfassenden Form fraglich. Natürlich spielt die Verbreitung von Wissen immer eine wichtige Rolle und selbst in mündlichen Vorträ-gen ist die Selbstdarstellung des Redners normalerweise nicht der zentrale Fokus des Publikums. Dennoch ist es für einen Wissenschaftler sicherlich ebenso wichtig, Arti-kel zu veröffentlichen, um Reputation zu erhalten, denn das bedeutet, als Mitglied der Community akzeptiert zu werden. Dies betrifft nicht nur die Akzeptanz der anderen Wissenschaftler der Community, sondern auch und besonders den Zugang zu materi-ellen Mitteln über die Vergabe von Forschungsgeldern, die Berufung auf Professuren usw. Darüber hinaus gelten Veröffentlichungen, insbesondere in anerkannten Organen des jeweiligen Faches, ebenfalls als wichtige Indikatoren für erfolgreiche wissenschaft-liche Aktivität (Weingart 2003: 32).

Nicht selten überlagert die Funktion der Positionierung diejenige der Wissensver-mittlung sogar: Wenn man verschiedene Artikel eines Autors zu gleichen oder ähnli-chen Themen betrachtet, stellt sich häufig heraus, dass ein Mehr an Veröffentlichungen für den Autor nicht unbedingt immer ein Mehr an Erkenntnisgewinn für die Gemein-schaft bedeuten muss. Die Publikation ähnlicher Inhalte in unterschiedlichen Organen ermöglicht ggf. nicht nur anderen Personenkreisen den Zugang zum hier verbreiteten Wissen, sondern macht den jeweiligen Autor auch in diesen fachlichen Gemeinschaf-ten bekannt und eröffnet so ggf. weitere MöglichkeiGemeinschaf-ten der Ressourcengewinnung.

Und auch das Bestreben, durch die Veröffentlichung inhaltlich ähnlicher Artikel in un-terschiedlichen Publikationen die eigene Publikationsliste zu erweitern, d. h. die ak-tuelle „Publish-or-Perish-Kultur“ zu bedienen, ist schon lange nicht mehr nur auf die anglo-amerikanischen Länder beschränkt. „Wissenschaftliches Renommee“ werde in den Geisteswissenschaften (und sicherlich auch in den Sozialwissenschaften), so Auer und Baßler (2007b: 26), „zunehmend durch die Anzahl der Veröffentlichungen gemes-sen“.

Die besondere Relevanz von Glaubwürdigkeit im wissenschaftlichen Kontext, die Hyland beispielsweise direkt aus der Selbstdarstellung von Autoren in ihren Artikeln ableitet (z. B. Hyland 2002a, b, 2003, 2010), hebt auch Weingart hervor, indem er die Reputation von Wissenschaftlern mit ihrer Glaubwürdigkeit verbindet und diese in di-rekten Zusammenhang mit der ökonomischen Seite des Wissenschaftsbetriebes bringt:

Reputation bedeutet in der Wissenschaft besondere Glaubwürdigkeit, und Glaubwürdigkeit verschafft besondere Aufmerksamkeit, die sich in die Zu-weisung von Ressourcen übersetzen lässt. (Weingart 2003: 23)

Die von Weingart genannte Glaubwürdigkeit, auf der die Reputation beruht, ist auch abhängig davon, wie man sich und seine Ergebnisse darstellt. Die Basis für eine glaub-würdige und damit erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit liegt darin, dass man diese Arbeit und ihre Ergebnisse auf angemessene Weise kommuniziert und die anderen Mitglieder der Community davon überzeugt, dass das neue Wissen, das man ihnen an-bietet, auf die im jeweiligen fachlichen Kontext als richtig erachtete Art erworben wur-de. Dies geht nur, wenn man die soziokulturellen Kommunikationsweisen beherrscht und die üblichen Hürden auf dem Weg zur Veröffentlichung überwindet.

Papers that become published are writings that have managed to overcome the scrutiny of peer reviewers and referees, their multi-level evaluations and criticisms, and have ultimately gained legitimacy in the eyes of com-munity gatekeepers. (Koutsantoni 2007: 32)

Diese Legitimität erhält der Autor dadurch, dass er in seinem Artikel eine glaubwür-dige Persona aufbaut, mit der er von der Gemeinschaft als kompetentes Mitglied aner-kannt werden kann. Dies ist die Basis für seine Argumentation, von der letztlich auch die Verbreitung des von ihm geschaffenen neuen Wissens abhängt (Hyland 2002b; Iva-niˇc 1998). Ohne eine angemessen konstruierte wissenschaftliche Identität ist es nur schwer vorstellbar, glaubwürdig zu argumentieren und damit seine eigenen neuen Er-gebnisse zu „vermarkten“, egal wie bahnbrechend diese auch sein mögen. Das oberste Ziel eines Artikels ist schließlich, die Leser von den präsentierten Inhalten und Schluss-folgerungen zu überzeugen. Dies geht aber nur, wenn der Autor sie zunächst rheto-risch davon überzeugen kann, dass er ein kompetentes und glaubwürdiges Mitglied der Community ist. Jemand, der nicht als Teil der Gemeinschaft anerkannt wird, weil er sich in seinem Artikel nicht überzeugend als Wissenschaftler bzw. wissenschaftli-cher Autor darstellt, wird seine Ergebnisse nicht verbreiten können, schon weil die Wahrscheinlichkeit, dass der Artikel gedruckt wird, sehr niedrig ist (vgl. Graefen und Thielmann 2007: 69).

[T]o take part in the continuous dialogue which academic communication represents implies that the author must develop a persona willing to claim authority as a scholar. Only then can his or her research contribution be presented in a rhetorically convincing manner. (Fløttum u. a. 2006: 19)

Und gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die vorrangig auf interpretati-ve und hermeneutische Verfahren zurückgreifen, sind Ergebnisse, Analysen und In-terpretationen niemals unabhängig von der Person zu sehen, die sie erzielt hat. Hier

besteht also für die Autoren wissenschaftlicher Artikel eine besondere Notwendigkeit, eine authoritative, d. h. kompetente und glaubwürdige, Identität zu konstruieren, um die eigene Glaubwürdigkeit aufzubauen und zu untermauern.