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3.3 Sprachliche Mittel der Selbstdarstellung

3.3.2 Autorenrollen

5.1.2.3 Inklusives WIR

Das inklusive WIR referiert sowohl auf den Autor als auch auf den Leser. Darüber hinaus lassen sich aufgrund weiterer Personengruppen, die einbezogen werden, un-terschiedliche Kategorien fassen (vgl. z. B. Kresta 1995; Hutz 1997; Fløttum u. a. 2006).

Diese WIR wurden in vorhergehenden Untersuchungen in „Autor und Leser“ (auch Teamwork-WIR), „Autor und Fachcommunity“ (auch Fachkreis-WIR) und „Autor und die weitere Gemeinschaft“ (auch Gemeinschafts-WIR) eingeteilt, wobei die weitere Ge-meinschaft nicht genauer spezifiziert ist und verschiedene (kulturelle, sprachliche etc.) Gruppierungen bis hin zur ganzen Menschheit umfassen kann (vgl. dazu v. a. Kresta (1995), s. auch Kap. 3.3.1.2).

5.1.2.3.1 Autor und Leser: Teamwork-WIR

Dieses WIR bezeichnet ausschließlich den Autor und den Leser und wird entsprechend

überwiegend im Rahmen der Metakommunikation verwendet. Auch hier steht die Be-ziehung zwischen Autor und Leser im Vordergrund, allerdings ist es logisch nach-vollziehbar, dass der Leser die dargestellten Handlungen (mit)vollzieht. Darüber hin-aus sind diese Handlungen im Allgemeinen weniger risikoreich als die des „pseudo-inklusiven WIR“.

(71) Aswe shall seein more detail below, our interviewees had all at least felt (and sometimes seen) the presence of God and the spirits. (Madsen 2009)

(72) As we have seen, in this particular case at least, neither of these stories can make sense of all of the data. (Vaisey 2009)

(73) Im Folgendenwerden wir uns noch der dritten zu prüfenden Hypothese zu-wenden. (Best 2008)

(74) Betrachten wir zwei Beispiele, in denen Ego beidesmal das gegen den Willen von Alter gerichtete Ziel hat, dass Alter sterben solle. (Schulz-Schaeffer 2009) Die WIR in dieser Kategorie führen überwiegend textstrukturierende Handlungen aus, da diese sowohl den Autor als auch den Leser direkt betreffen. Der Autor nimmt den Leser praktisch „bei der Hand“ und geht mit ihm gemeinsam durch den Text, weist ihn auf Besonderheiten hin usw. Diese Referenz wird in Beispiel 71 dadurch deutlich, dass die mit WIR angesprochene Gruppe die weiteren angekündigten Details zu den im Text besprochenen Interviews bzw. Interviewten erhält. Hier könnte man sogar ar-gumentieren, dass sich das WIR eigentlich nur auf den Leser bezieht und insofern eine Ersetzung des DU ist, da der Autor hier nur als „Guide“ oder „Reiseleitung“ fungieren kann (vgl. Tang und John 1999), in dem Sinne, dass ihm die neuen Informationen, die hier angekündigt werden, natürlich schon bekannt sind.

In Beispiel 72 wird ein Rückverweis realisiert, mit dem dem Leser wichtige Punk-te des vorhergehenden TexPunk-tes noch einmal bewusst gemacht werden, indem der Au-tor auf ein in gewisser Weise gemeinsam „erlebtes“ Geschehen verweist. Auch die beiden deutschen Beispiele 73 und 74 dienen der Textstrukturierung, und auch hier macht es nur Sinn, die WIR so zu deuten, dass der Autor und der Leser gemeinsam die (metaphorisch) beschriebene Handlung vollziehen. Die hier verbal dargestellten Handlungen entsprechen auch denjenigen, die Kresta (1995: 296) als typisch für diese WIR-Variante identifiziert hat (s. auch Kap. 3.3.1.2, S. 61).

5.1.2.3.2 Autor und Fachcommunity: Fachkreis-WIR

In diesen Beispielen wird das WIR als diescientific communitygedeutet, innerhalb derer der Aufsatz entstanden ist und entsprechend (voraussichtlich) rezipiert wird. Insofern schließt dieses WIR wieder den Leser mit ein. Auch diese Gemeinschaft ist nur fik-tiv und es lässt sich nicht vorhersagen, wo die Grenzen dieser Community verlaufen.

Man kann aber wohl davon ausgehen, dass die Mehrheit der Leser der hier unter-suchten Texte im Fach Soziologie arbeiten, so dass dies als die „Default-Community“

angesehen werden kann, obwohl möglicherweise auch Leser aus anderen Fachkontex-ten den Text rezipieren oder die Gruppe durch weitere Spezifikationen eingeschränkt wird, z. B. auf diejenigen Wissenschaftler, die sich mit einem bestimmten Themenbe-reich auseinandersetzen (s. Beispiel 75).

(75) The question holds obvious interest for those who study mechanisms of ine-quality in contemporary Russia because, as I show,wecannot understand stra-tification in Russia during the 1990s without taking into account inequality in getting paid. (Gerber 2006)

(76) Weknow little about the spatial distribution of racially motivated crime, espe-cially compared to other forms of crime. (Lyons 2007)

(77) Like Zeisel, I believe it is essential thatweget social experiments right. (Samp-son 2008)

(78) Diese zugegebenermaßen unvollständige Zusammenschau aktueller empirischer Befunde über die Erwerbserträge in Frauen- und Männerberufen belegt, dass wir, mit Ausnahme der Einkommensdimension, über wenig empirisch gesi-chertes Wissen verfügen. (Trappe 2006)

In Beispiel 75 wird die Referentengruppe sogar eindeutig benannt, nämlich „those who study mechanisms of inequality in contemporary Russia“, denn das sind diejenigen Personen, die sich mit der „stratification in Russia during the 1990s“ auseinanderset-zen. Die Wissenschaftler, die hier direkt angesprochen werden, machen also in diesem Beispiel den Fachkreis aus. In Beispiel 76 wird die Gruppe zwar nicht explizit genannt, aber dennoch liegt hier eine ähnliche Situation vor wie in Beispiel 75. Zwar könnte man hier auch weiterreichende Referenzen annehmen, bis hin zur ganzen Nation oder Menschheit, die sicherlich ebenfalls nur wenig über die räumliche Verteilung rassis-tisch motivierter Straftaten weiß, aber die sinnvollste Deutung ist diejenige, dass sich das WIR hier auch wieder auf diejenigen Wissenschaftler (und ggf. andere betroffene Personengruppen wie Juristen, Polizisten etc.) bezieht, die sich mit dieser Fragestel-lung auseinandersetzen.

Die beiden anderen Beispiele sind ebenfalls auf diese Art zu interpretieren. In Bei-spiel 77 bezieht sich das WIR auf alle diejenigen, die soziale (bzw. sozialwissenschaft-liche) Experimente durchführen. Und auch das deutsche Beispiel 78 ist so zu deuten, dass das WIR sich auf einen Kreis aus Fachleuten bezieht. Darüber hinaus zeigt sich in den Beispielen 75 und 77 deutlich, dass die hier beschriebenen WIR eindeutig kei-ne Autoren-WIR sein könkei-nen, da die Autoren abgrenzend zum WIR auf sich selber explizit mit I verweisen.

5.1.2.3.3 Autor und die weitere Gemeinschaft: Gemeinschafts-WIR

Bei diesem Gebrauch von WIR bezieht sich die Referenz auf eine noch weiterreichende

Gruppe als den wissenschaftlichen Fachkreis, der mit dem Artikel direkt angesprochen wird. Dieses WIR ist am wenigsten spezifisch und kann alle möglichen Gruppierungen basierend auf diversen Zugehörigkeitskriterien umfassen.

(79) Wemay want the dying to be unburdened by financial worries, but the ideal death today can be staggeringly expensive. (Quinn 2008)

(80) Thus, just as a six-year-old is very good at recognizing incorrect grammar (e.g., she knows that “he are hungry” is incorrect) while remaining unable to explain why it is incorrect,we seem better able to recognize our tacit mental contents than to produce them on demand. (Vaisey 2009)

(81) Still, at a time when many state actors are attempting to make self-evident the state’s need for means to “embrace” their populations more tightly than ever before, it is worth reflecting on the historically contingent foundations of much of state-structured social life that wenow experience as natural. (Love-man 2005)

(82) Diese Trägerschichten und Gruppen genießen noch nicht jene Freiheiten, wie wirsie hier im Westen gewohnt sind. (Schwinn 2006)

Das WIR in Beispiel 79 ist eindeutig ein inklusives, das aber weder in die Kategorie des Teamwork-WIR noch des Fachkreis-WIR fällt, da es eine über die Fachgemein-schaft hinausreichende Gruppe anspricht. Es dient als Subjekt bzw. Agens für eine Handlung bzw. Einstellung, die nicht auf die Mitglieder des Fachkreises beschränkt ist, sondern zumindest die Mitglieder der gleichen kulturellen oder religiösen Gruppe (darauf deutet das Thema Tod und Sterben hin) umfasst, der sich auch die Autorin zugehörig fühlt. Ggf. könnte man dieses WIR auch mit Bezug zur ganzen Menschheit deuten.

Dieser letztgenannte Bezug wird im Beispiel 80 noch deutlicher, da dieses WIR auf eine allgemeine kognitive Eigenschaft der Spezies Mensch hinweist. Beispiel 81 hin-gegen ist deutlich eine Referenz auf die nationale bzw. staatliche Gemeinschaft, deren soziales Leben von einem Nationalstaat strukturiert wird. Im letzten Beispiel 82 refe-riert das WIR auf diejenigen Menschen, die in der „westlichen Welt“ leben und die im Gegensatz zu den im vorhergehenden (hier nicht aufgeführten) Satz „neu entstande-nen Mittelschichten und jüngeren Generatioentstande-nen Ostasiens“ identifiziert werden.