• Keine Ergebnisse gefunden

Zusammenfassung der Diskussion zur Gang- und Laufanalyse

4 Diskussion

4.4.3 Zusammenfassung der Diskussion zur Gang- und Laufanalyse

Zeitintervallen noch Auffälligkeiten im Gangbild zeigten, war 4 Jahre nach der Operation keine wesentliche Beeinträchtigung mehr zu finden. Das Belastungs- und Bewegungsverhalten beim Gehen und Laufen ist offensichtlich mittelfristig nach einer vorderen Kreuzbandplastik weitgehend normalisiert. Das „motorische Programm“ für gleichmäßig zyklische Bewegungen, wie beim Gehen und Laufen mit konstanter Geschwindigkeit notwendig, scheint sich also im postoperativen Verlauf wieder angepasst zu haben. Es ergaben sich nur in ausgewählten Parametern noch geringe Abweichungen, die aber für die Gesamtfunktion des Kniegelenkes wahrscheinlich kaum Relevanz haben.

Bei der Bewertung der vorliegenden Ergebnisse muss allerdings berücksichtigt werden, dass die hier angewendete Untersuchungsmethodik nur eine Betrachtung einer Komponente der Bodenreaktionskraft (vertikale) und der Bewegung eines Gelenkes (Kniegelenk) in einer Ebene (Sagittalebene) ermöglichte. Daraus allein kann nicht endgültig geschlussfolgert werden, dass keinerlei Änderungen im Bewegungsbild vorliegen. Es könnte vermutet werden, dass Bewegungsveränderungen in der Frontalebene (Varus/ Valgus) oder auch in der Transversalebene (Rotation) vorhanden

sind, worauf u.a. Thorwesten [191] verwies. Die Erfassung von Bewegungsdaten aus anderen Ebenen ist jedoch mit den bisherigen messtechnischen Möglichkeiten noch nicht hinreichend reliabel. Deshalb wird in den meisten Studien ausschließlich auf die Betrachtung aus der Sagittalebene zurückgegriffen. Ferner sollte die untere Extremität in ihrer Gesamtheit als Funktionseinheit betrachtet werden, insofern müssen auch die angrenzenden Gelenke Berücksichtigung finden. Auch wenn, wie in der hier vorliegenden Untersuchung, keine Abweichungen im Kniewinkelverlauf bestehen, können durchaus kompensatorische Veränderungen in den angrenzenden Gelenken (Hüfte, Sprunggelenk) vorliegen. Darauf weisen u.a. die Ergebnisse von Berchuck et al. [25] hin, die in den Ganganalysen bei 17 Patienten mit Kreuzbandinsuffizienz begleitende Veränderungen der Flexions- und Extensionsmomente der Hüfte fanden, während für das Sprunggelenk keine Abweichungen ermittelt wurden. Gleichzeitig fanden die Untersucher Hinweise darauf, dass die Patienten zu einem symmetrischen Gang tendieren. Da sie auf beiden Seiten Unterschiede zur gesunden Kontrollgruppe fanden, schlussfolgerten sie, dass Ganganomalien der betroffenen Seite offensichtlich auf die kontralaterale Seite übertragen werden. Vergleichbare Ergebnisse liegen auch von Thorwesten [191] vor. Dieser Tatbestand sollte Anhaltspunkt für die zukünftige Beurteilung von Ergebnissen sein. Auch bei unilateralen Verletzungsbildern können beidseitige Änderungen eintreten, so dass stets ein Vergleich mit Daten einer kniegesunden Kontrollgruppe wichtig ist.

Aus methodenkritischer Sicht muss ferner auf die Problematik der Laufbanduntersuchung hingewiesen werden. Bei Untersuchungen auf dem Laufband handelt es sich um die Analyse einer Simulationsbewegung bei bewegtem Untergrund.

Die Gleichmäßigkeit der Ganggeschwindigkeit und der vorgegebene Vortrieb sind

„unnatürlich“. Bei mangelnden dynamischem Gleichgewicht, mangelnder Laufbandhabituation und Unsicherheit/ Angst können im Einzelfall Störungen der Bewegungskoordination nicht ausgeschlossen werden, die dann selbstverständlich auch Einfluss auf die Messergebnisse haben können. Da jedoch die hier untersuchte Patienten- und Kontrollgruppe keine cerebralen oder neurologischen Defizite aufzuweisen hatte, alle Teilnehmer Vorerfahrungen auf dem Laufband besaßen und zuzüglich im Rahmen des Tests eine ausreichende Gewöhnungszeit erhielten, können diese Fehlerquellen weitgehend ausgeschlossen werden. Gleichzeitig sprechen zahlreiche Vorteile für den Einsatz eines Laufbandes. Die quasistationäre Situation sichert gute Beobachtungsmöglichkeiten und eine kinematische Analyse (Video) ohne Verzerrung. Die in dieser Untersuchung genutzte integrierte Messtechnik im Laufband (Kraftmessplatten) ermöglichte des Weiteren eine simultane Mehrschrittanalyse von kinetischen und kinematischen Parametern. Zugleich konnte durch das standardisierte

Messvorgehen mit Vorgabe der Geschwindigkeit eine gute Vergleichbarkeit der stark geschwindigkeitsabhängigen Gangparameter gewährleistet werden. Zuletzt genannte Argumente sprechen durchaus für den Einsatz von Laufbändern im Rahmen der Diagnostik.

Zusammenfassend kann hinsichtlich der Bedeutung der Gang- und Laufanalyse für die Evaluation von Behandlungsergebnissen nach VKB-Plastik folgendes festgehalten werden: Die hier verwendete Methodik bei der Gang- und Laufanalyse mit einem vereinfachten Vorgehen (Analyse nur weniger Parameter, z.B. nur eindimensionale Bodenreaktionskraftmessung, Winkelverlauf von nur einem Gelenk), ließ sich im zeitlichen Aufwand der Durchführung und Auswertung gut realisieren und wäre aus dieser Sicht für die klinische Praxis durchaus geeignet. Andererseits muss angemerkt werden, dass die erhobenen Werte u.U. nicht hinreichend sind, um eventuelle Defizite zu erkennen. Auch Perry [152] sieht u.a. die vertikale Belastung nicht als klinisch verlässlichen Parameter zur Bestimmung des Ausmaßes einer Gangstörung an.

Insofern kann diese Form der Gang- und Laufanalyse offensichtlich kaum einen ergänzenden Beitrag zur Diagnostik und Einschätzung des Behandlungserfolges nach Kreuzbandoperation leisten.

4.5 Koordinations- und Schnelligkeitsdiagnostik 4.5.1 Ein- und beidbeinige Haltungsstabilisation

Die Untersuchung der Haltungsstabilität (ein- und beidbeinig) gehört zu einem wichtigen Verfahren, um verbliebene Defizite in der motorischen Haltungskontrolle des Beines nach einer Kreuzbandoperation nachzuweisen. Das den Studien zugrunde liegende methodische Vorgehen ist jedoch unterschiedlich (verschiedene Messtechnik), was die Ergebnisse in der Literatur nur mit Einschränkungen vergleichbar macht.

In der hier vorliegenden Studie wurde eine Stabilitätsplattform verwendet. Es konnten bei den VKB-Patienten keine Unterschiede zwischen operierter und gesunder Seite nachgewiesen werden. Auch im Vergleich zur Kontrollgruppe bestanden im Balance-Index beim ein- und beidbeinigen Test keine Abweichungen. Daraus kann zunächst gefolgert werden, dass in der ein- und beidbeinigen Haltungsstabilität 4 Jahre nach einer Kreuzbandoperation keine Defizite mehr bestehen.

Vergleichbare Ergebnisse liegen von Henriksson et al. [88] vor. Die Autoren untersuchten 25 PSP-Patienten 3 Jahre p.o. und fanden weder für die statische noch die dynamische Haltungsstabilität Unterschiede zwischen der VKB-Gruppe und einer kniegesunden Kontrollgruppe sowie zwischen operiertem und gesundem Bein der

Patienten. Es bestand lediglich eine Trendenz zur schlechteren Haltungskontrolle der Patienten beim beidbeinigen Stand unter Ausschluss der visuellen Kontrolle. Brand et al. [29] stellten bereits in einem Zeitraum von 4 Wochen p.o. (bei sofortiger Vollbelastung und beschleunigter Rehabilitation) für das operierte Bein Stabilitätsindices (K.A.T. 2000) fest, die dem präoperativen Niveau der gesunden Körperseite sowie dem der kniegesunden Kontrollgruppe entsprachen. Die Autoren führten das auf die Normalisierung der biomechanischen Situation des Gelenkes und den positiven Einfluss eines Koordinationstrainings zurück. Denti et al. [42], die in ihrer Studie ebenfalls den K.A.T. 2000 verwendeten, fanden beim ein- und beidbeinigen Test im Vergleich zur VKB-Gruppe tendenziell die besseren Stabilitätsindices für die Kontrollgruppe. Jedoch ließ sich für die Patientengruppe mehr als 6 Jahre p.o. auch kein Seitenunterschied zwischen operierter und gesunder Seite nachweisen. Es zeigte sich, im Gegensatz zu den von uns erhobenen Werten, ein Trend zu etwas besseren Werten der operierten Seite. Die Autoren vermuteten, da zu 70 % die dominante Seite operiert worden war, sich deshalb auch postoperativ dort die bessere Haltungskontrolle nachweisen lässt. Sie stellten auch fest, dass offenbar nach der Kreuzbandoperation nachweisbare Defizite in der motorischen Kontrolle persistieren und Zeichen bilateraler Anpassungen zu finden sind, da beide Beine schlechtere Werte gegenüber dem Referenzwert der gesunden Kontrollgruppe aufwiesen. Auch in anderen Studien wurden in der Standstabilität bei Kreuzbandpatienten Defizite nachgewiesen [42, 180].

Da wird angenommen, dass eine Störung in der Propriozeption/ Sensomotorik - welche mit anderen Testverfahren (Erfassung der Schwelle der passiven Bewegungsdetektion, Winkelreproduktionstest) vielfach nachgewiesen wurde [71, 72, 102, 159] - eine Rolle spielen könnte. Da es aus weiteren Untersuchungen Hinweise darauf gibt, dass aus histologischer Sicht eine Reinnervation des Kreuzbandes stattfindet [24, 75, 93], könnte man interpretieren, dass eine wiederhergestellte Standstabilität 4 Jahre nach Kreuzbandplastik auf eine vollständige sensomotorische Funktion schließen lässt.

Andererseits ist es aber kaum gerechtfertigt, eine so komplexe motorische Aufgabe wie den Einbeinstand auf einen einzigen Funktionszusammenhang zurückzuführen. Dies betonten bereits Asthon-Miller et al. [11], die nachwiesen, dass durch gezielte Übungen die Stabilisationsfähigkeit verbessert werden kann, dies aber nicht mit einer Verbesserung der Propriozeption gleichzusetzen ist. Sie vermuteten, dass eher Veränderungen bei zentralen Mechanismen eintreten (zunehmende Automatisierung, Veränderung der Bewegungsprogramme). Auch die bereits genannte Studie von Brand et al. [29], die eine Verbesserung des Koordinationsvermögens innerhalb von 4 Wochen p.o. nachwies, schließt aus, dass die Propriozeption allein für die

Stabilisationsfähigkeit des Beines verantwortlich sein kann, denn in diesem kurzen Zeitraum ist eine Reinnervation des Transplantates kaum möglich.

Die gewählte Untersuchungsmethode weist jedoch Grenzen auf, wie z.B. Denti et al.

andeutete. Auch Hansen et al. [85] sahen das so. Sie überprüften in ihrer Studie die Reliabilität des Balancetests auf dem K.A.T 2000. Sie fanden in einer Gruppe von 40 kniegesunden Probanden Lerneffekte von Test zu Test innerhalb eines Tages sowie beim Wiederholungstest einen Monat später, insbesondere beim dynamischen Test.

Zusätzlich beobachtete Henriksson [88] in der Serie dynamischer Haltungsstabilitätstests von 3 Durchgängen jeweils die schlechtesten Werte im ersten Durchgang. Dieses Ergebnis wurde auch als Lerneffekt bzw. als neuromuskuläre Adaptation interpretiert. Die Autoren äußerten gleichzeitig die Vermutung, dass darin ein Risikofaktor für Wiederverletzungen liegen könnte.

Der dynamische Haltungstabilitätstest wurde auch in der vorliegenden Studie angewendet. Dieser Test verlangt eine Haltungskontrolle des Beines bei beweglicher Plattform, was zumeist eine neue motorische Erfahrung ist, da sie nur selten in Situationen des Alltags oder Sports erforderlich ist. Insofern muss diesem Test, auch wegen oben beschriebener Lerneffekte, eine begrenzte Aussagekraft zugeschrieben werden. Gerade wegen der Lerneffekte haben derartige Übungsformen jedoch auch eine besondere Bedeutung in der Rehabilitation von Knieverletzungen, da das Training auf instabilen Unterlagen Effekte im sensomotorischen Bereich erwarten lässt.

Heitkamp et al. [87] gelang es in einer Trainingsstudie zum Koordinationstraining Verbesserungen in der Standstabilität, aber auch eine Zunahme der Muskelkraft nachzuweisen. Die Zugewinne im Bereich der Koordination waren überdurchschnittlich, die Kraftzuwächse hingegen nur wenig geringer gegenüber einer Gruppe, die ausschließlich ein Krafttraining absolviert hatte. Jerosch et al. [106] hatten ebenfalls positive Wirkungen eines sensomotorischen Trainingsprogrammes in einer Gruppe Kreuzbandverletzter nachgewiesen. Sie belegten anhand einer nicht-trainierenden, gesunden Kontrollgruppe, dass sich im Re-Test mit dem K.A.T. 2000 Lerneffekte ergaben, die aber deutlich unter den Zuwachsraten der Kreuzbandpatienten lagen.

Um Fehlinterpretationen der Ergebnisse zu vermeiden, müssten also die weiteren Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Die Körperschwerpunktbewegung beim Einbeinstand (ausgedrückt im Balance-Index) erlaubt keinen direkten Rückschluss auf die Haltungskontrolle des Beines. Der Einbeinstand stellt letztlich eine komplexe Leistung dar und ist u.a. auch von der allgemeinen Gleichgewichtsfähigkeit abhängig.

Des Weiteren ist die Haltungskontrolle des Beines mit Sicherheit nur zu einem Teil von der Stabilisierungsfähigkeit des Kniegelenkes abhängig. Insbesondere die Standbasis

„Fuß“ dürfte einen zusätzlichen, bedeutenden Einfluss haben. Darauf wies Steuer [180]

hin, der in einer Vergleichsuntersuchung von Kreuzbandpatienten, Leistungs-schwimmern und normal aktiven gesunden Kontrollpersonen die Sicherheit beim Einbeinstand mittels der Aufzeichnung der Horizontalbewegung des „Center of Pressure“ auf einer Kraftmessplatte kontrollierte. Er fand die schlechtesten Werte für das Kollektiv der Leistungsschwimmer und stellte dabei fest, dass sich bei diesen Probanden im Befund vermehrt hypermobile Sprunggelenke zeigten. Auch spezifische motorische Präferenzen haben offensichtlich einen wesentlichen Einfluss. Für Schwimmer, die normalerweise eher gegen Wasserwiderstände als gegen die Schwerkraft arbeiten müssen, zeigte sich die schlechtere Einbeinstandstabilität.

Andere Athleten aus Sportarten wie Eisschnelllauf, Eiskunstlauf oder alpiner Skilauf, in denen eine einbeinige Haltungskontrolle erforderlich ist, dürften deshalb in diesem Test deutliche Vorteile haben. Steuer diskutierte auch den möglichen Zusammenhang zu anthropometrischen Daten. Er hatte für Frauen bessere Werte der Standstabilität gegenüber Männern beobachtet und vermutete, dass die geringere Körpergröße und der damit niedrigere Körperschwerpunkt einen weiteren Einflussfaktor darstellen könnte.

Im Ergebnis der eigenen Untersuchungen, der Literatursichtung und der Methodenkritik kann man resümieren, dass die erhobenen Variablen des dynamischen Einbeinstandtestes keine hinreichenden Aussagen über die möglichen Defizite im sensomotorischen Bereich - ausgelöst durch die Knieverletzung - zulassen. Sie scheinen für die Erfolgskontrolle nach Kreuzbandoperation wenig geeignet.