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4.4.2 Laufanalyse

Da Einschränkungen und Defizite nach Kreuzbandoperationen am ehesten bei schnelleren Bewegungen und Sportausübung beklagt werden, sollte das näher untersucht werden. Die Kniebelastung sollte zusätzlich durch ein Bergablaufen erhöht werden.

Subjektive Einschätzung der Lauffähigkeit

Nur etwa die Hälfte der VKB-Patienten gab an, ohne Einschränkungen laufen zu können, fast ein Viertel beklagten hingegen kniebedingte Beschwerden. Die weiteren Patienten (26 %) konnten dazu keine Angaben machen, da sie nicht regelmäßig laufen.

Ein beschwerdefreies Laufen (Joggen) scheint offenbar nach einer Kreuzbandrekonstruktion nicht für alle Patienten erreichbar zu sein, was als ein weniger befriedigendes Ergebnis zu werten ist. Laufen gehört zu den grundlegenden Bewegungsformen im Sport. Da die Wiedererlangung der Sportfähigkeit nach VKB-Rekonstruktion eine Zielgröße darstellt, ist die Beschwerdefreiheit beim Laufen als eine

Voraussetzung zu sehen. Insofern könnte man darin auch ein weiteres Kriterium für die Evaluation des Behandlungserfolges sehen. Da die Erfassung der Schmerzen im klinischen Befund bereits als relevantes Beurteilungskriterium eingeordnet wurde, scheint aber eine isolierte Erfassung der Beschwerden beim Laufen nur für spezielle Fragestellungen notwendig.

Kinetische Datenanalyse

In der vorliegenden Untersuchung zeigten sich bei einer standardisierten Geschwindigkeit von 10 km/ h weder beim Laufen in der Ebene noch beim Bergablaufen mit einer Neigung von –5 % Auffälligkeiten in der vertikalen Bodenreaktionskraft. Die maximale Bodenreaktionskraft und die davon abgeleiteten bzw. berechneten Werte waren seitengleich und zeigten außerdem keine Abweichungen zur Kontrollgruppe. Lediglich in der zeitlichen Dynamik des Landevorganges (Zeit bis zur maximalen Bodenreaktionskraft) wurde deutlich, dass in der Patientengruppe gegenüber der Kontrollgruppe beidseitig die Landephase verkürzt ist. Die aufgetretene mittlere prozentuale Seitenabweichung von ca. 4 % erscheint für die Praxis allerdings nahezu irrelevant. Theoretisch müsste eine Verkürzung der Landephase dazu führen, dass die Landerate49 bei den Patienten größer ist. Wenn das so wäre, müssten sich auch Veränderungen im Bewegungsbild, etwa im Kniewinkel, für die Landephase ergeben. Das konnte jedoch für die hier untersuchte Patientengruppe nicht bestätigt werden. Zumindest bestand in der Landephase keine Veränderung des Kniewinkels in der Sagittalebene (Abschnitt „Kinematische Datenanalyse“).

Einen weiteren Aufschluss über die Ursachen von Abweichungen in der Landephase könnte die Untersuchung der Gelenkmomente geben. Die Untersuchungsergebnisse von Berchuck et al. [25] mit kreuzbandinsuffizienten Patienten zeigten jedoch bei Aktivitäten, die eine höhere Knieflexion erfordern (Laufen, Treppensteigen) eher eine Tendenz zur Normalisierung der Gelenkmomente als bei alltäglichen Bewegungen.

Während beim Gehen große Abweichungen in den Kniemomenten bestanden, waren diese beim Laufen nur geringfügig. Es wurde lediglich ein signifikant reduziertes Flexionsmoment in der mittleren Standphase im Vergleich zur Kontrollgruppe nachgewiesen. Das bedeutet, dass die Patienten eine beidseitige Adaptation im Sinne der Reduzierung des Netto-Quadriceps-Moments für diese Bewegungsphase zeigen.

Vergleichbare Ergebnisse konnten auch Andriacchi et al. [8] in ihren Untersuchungen

49 Landerate = Verhältnis von Bodenreaktionskraftänderung je Zeiteinheit – dieser Wert wurde in der vorliegenden Studie nicht ermittelt.

finden. Sie wiesen beim Laufen von Patienten mit Kreuzbandinsuffizienz ebenfalls ein reduziertes Flexionsmoment in der Standphase nach, jedoch lag die prozentuale Abweichung zu den gesunden Kontrollpersonen nur bei 25 %. Beim Gehen war hingegen ein um 100 % reduziertes Flexionsmoment ermittelt worden. Andriacchi und Mitarbeiter stellten dabei ebenfalls bilaterale Veränderungen in den Gelenkmomenten fest. Im Zusammenhang mit ähnlichen Ergebnissen von Laufanalysen in einer Gruppe von PSP-Patienten wiesen Bush-Joseph et al. [34] eine enge Korrelation zwischen Flexionsmoment beim Joggen und isokinetischer Quadricepskraft50 nach. Die Patienten mit der größten Quadricepsschwäche hatten auch die stärksten Reduzierungen der Flexionsmomente im Kniegelenk. Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass postoperativ der Wiederherstellung der Quadricepskraft entsprechende Bedeutung beizumessen ist, da nur bei gut regenerierter Kraft des M. quadriceps femoris eine normale dynamische Funktion des Kniegelenkes möglich ist.

In der Schrittkadenz zeigte sich in der eigenen Untersuchung ein Trend zu einem etwas erhöhten Wert in der Patientengruppe. Die Kadenz ist u.a. abhängig von der Schrittlänge und von anthropometrischen Daten wie der Beinlänge. Die gemessene Beinlänge wies jedoch im Vergleich der Gruppen keine signifikanten Unterschiede auf.

Auch die Schrittlängengestaltung erfolgte bei den Patienten seitengleich, wobei keine Auffälligkeiten zu den erhobenen Referenzwerten bestanden. Der beobachtete Kadenzunterschied lässt sich also aus diesen abhängigen Variablen nicht erklären.

Für die kinetischen Daten kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich beim Laufen in der Ebene wie beim leichten Abwärtslaufen keine wesentlichen Auffälligkeiten in den gemessenen vertikalen Bodenreaktionskräften - die als Zeichen der Belastung des jeweiligen Beines verstanden werden können - zeigten. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zur subjektiven Einschätzung der Patienten, von denen ein Teil Einschränkungen beim Laufen angab. Daraus kann einerseits gefolgert werden, dass Beschwerden offenbar nicht zwingend zu einer chronischen Veränderung von Belastungsmustern (Entlastungshinken) führen. Andererseits muss bemerkt werden, dass die Laufanalyse nur 10 Minuten umfasste, während die angegebenen Beschwerden aber erst bei Laufsequenzen von über 10 Minuten auftreten. Es erscheint deshalb sinnvoll und notwendig, in künftigen Studien eher Dauerlaufbelastungen zu untersuchen. Des Weiteren muss angemerkt werden, dass das Abwärtslaufen bei einem geringen Gefälle (-5 %) offensichtlich keine hinreichende

„Provokation“ höherer Belastung für das Kniegelenk darstellte. Die Messung bei größeren Neigungen war allerdings aus technischen Gründen nicht möglich. Insofern

50 Maximales Drehmoment der Extensoren bei 60°/s

kann für das Laufen mit unterschiedlichen Neigungen nur bedingt eine allgemeingültige Aussage abgeleitet werden.

Kinematische Datenanalyse

Beim Laufen mit 10 km/ h in der Ebene und mit leichtem Gefälle sind die minimalen und maximalen Kniegelenkswinkel in der Stand- und Schwungphase (Sagittalebene) bei den Kreuzbandpatienten seitengleich. Auch zwischen der Patienten- und Kontrollgruppe konnten keine Unterschiede festgestellt werden. Bei den Kreuzbandpatienten bestand lediglich eine Tendenz zu einer geringeren Knieflexion (ca. 4°) in der Mittelstützphase. Ein ähnliches Ergebnis ist auch in der Untersuchung von Berchuck et al. [25] zu finden. Sie dokumentierten bei den VKB-Patienten ebenfalls beidseitig eine etwas geringere Knieflexion in der Mittelstützphase (Mittelwertsdifferenz ca. 4°) im Vergleich zu einer kniegesunden Kontrollgruppe. Erklärbar wäre diese Art der Bewegungsveränderung am ehesten damit, dass Defizite in der Funktion der Quadricepsmuskulatur - speziell bei exzentrischer Kontraktion - bestehen, die in dieser Phase zum Abfangen der Landung erforderlich ist. Derartige Defizite sind in der Literatur im Ergebnis von Kraftmessungen beschrieben [37, 91]. Dass ein Zusammenhang zwischen reduzierter Muskelkraft des M. quadriceps femoris (isokinetisch-konzentrisches Drehmoment) und äußeren Flexionsmomenten beim Joggen besteht, wiesen bereits Patel et al. [151] in ihrer Studie mit 44 Patienten mit unilateraler VKB-Insuffizienz nach. Ob eine derartige Korrelation auch für die hier untersuchten Patienten bestand, konnte nicht überprüft werden, da die Gelenkmomente nicht erfasst wurden.

Beim Laufen mit unterschiedlichen Neigungen zeigten sich diskrete Veränderungen in der Kniebewegung. Hervorzuheben wäre die Tendenz zur stärkeren Kniestreckung am Ende der Schwungphase (kurz vor der Landung), was dadurch zu erklären ist, dass durch das Gefälle ein etwas „längerer Weg“ bis zum Bodenkontakt notwendig ist. Die Schwungphasenflexion ist hingegen geringfügig weniger deutlich ausgeprägt. Die Absolutdaten weisen allerdings nur Änderungen im 2 - 3°- Bereich auf, was für die Praxis nicht bedeutsam erscheint.

Wie bereits erwähnt, ist die Beanspruchung für das Kniegelenk bei einem Gefälle von 5 % offenbar nicht ausreichend erhöht, um größere Differenzen zu verifizieren. Um die Belastbarkeit des kreuzbandoperierten Kniegelenkes zu untersuchen, müssten wahrscheinlich auch für solche Tests unter Laborbedingungen höhere Beanspruchungen durch die Wahl größerer Neigungswinkel provoziert werden. Ein solches Vorgehen wählten Eckhardt et al. [48] bei ihren Gang- und Laufanalysen mittels EMG. Sie untersuchten 20 Patienten mit Kreuzbandinsuffizienz und eine gleich

große gesunde Kontrollgruppe hinsichtlich der neuromuskulären Koordination in unterschiedlichen Beanspruchungssituationen. Dazu wurde die elektrische Aktivität (EMG) der Beinmuskulatur beim Gehen und Laufen in der Ebene sowie beim Laufen mit 20 % Neigung bzw. 20 % Gefälle aufgezeichnet. Beim Bergablaufen zeigte sich bei den Patienten mit Kreuzbandinsuffizienz eine verringerte Innervation des M. biceps femoris und des M. gastrocnemius. Das bedeutet, dass die agonistisch zum vorderen Kreuzband wirkenden Muskeln eine reduzierte Funktion aufwiesen und dadurch bei insuffizientem Kreuzband die translatorischen Bewegungen im Kniegelenk wahrscheinlich vermehrt sind. Auf Grund der gefundenen neuromuskulären Defizite muss im Endeffekt mit einer erhöhten Beanspruchung für das Kniegelenk, insbesondere für den Knorpel gerechnet werden. Die Autoren wiesen weiter daraufhin, dass die Grenzen zwischen tolerabler und vulnerabler Beanspruchung sicherlich sehr individuell und damit schwer zu definieren sind. Im Hinblick auf die Tatsache, dass das dort untersuchte Patientenkollektiv, mit Ausnahme von 4 Patienten, sportlich aktiv war, gaben die Autoren zu bedenken, ob ein subjektiv stabiles und beschwerdefreies Kniegelenk ein hinreichendes Kriterium für die Sportfähigkeit sein kann. Sie forderten in der Beurteilung der Sportfähigkeit eine stärkere Berücksichtigung der neurosensorischen Funktion.

4.4.3 Zusammenfassung der Diskussion zur Gang- und Laufanalyse