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Behandlung der vorderen Kreuzbandruptur

1 Einleitung

1.2 Theoretische Grundlagen

1.2.3 Behandlung der vorderen Kreuzbandruptur

Die Ruptur des VKB, meist in Kombination mit Verletzungen anderer Strukturen, ist eine der schwerwiegendsten traumatischen Schädigungen des Kniegelenkes.

Biomechanische Studien weisen darauf hin, dass eine VKB-Ruptur eine erhöhte anteriore Translation der Tibia bedingt [23]. Bei konservativer Behandlung5 einer VKB-Ruptur sind deshalb eine hohe Inzidenz von Meniskusläsionen [172] und arthrotischen

5 „Konservativ“ bedeutet eine Behandlung ohne operative Rekonstruktion des VKB.

Gelenkveränderungen [46, 112, 134, 143] die Folge. Deshalb wird die Rekonstruktion des VKB vor allem bei jüngeren, sportlich aktiven Patienten, bei Patienten mit lockerem Bindegewebe und bei Knieinstabilitäten im täglichen Leben angestrebt [32]. Es besteht die Annahme, damit das Risiko von Begleitverletzungen bzw. Sekundärschäden an Menisken, Bändern und Kapsel sowie am Gelenkknorpel zu reduzieren [77, 108].

Beard et al. [21] fanden allerdings in ihren Ganganalysen auch 6 Monate nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes eine höhere, nach vorn gerichtete Tibiatranslation als dies vor der Operation bei gerissenem Kreuzband der Fall war.

Dies führten die Autoren auf die muskuläre Insuffizienz der Hamstrings und die damit verbundene mangelnde Fähigkeit zur aktiven Stabilisierung des Kniegelenkes zurück.

Eine operative Stabilisierung kann offenbar die Tibiatranslation nicht wirksam verhindern. Demnach scheint selbst bei Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes die Biomechanik des Kniegelenkes nicht 100 %ig wiederhergestellt werden zu können.

1.2.3.1 Konservative Behandlung

Bei der konservativen (nicht operativen) Therapie wird die Ruptur belassen.

Maßnahmen der Krankengymnastik und Trainingstherapie dienen vor allem der Kräftigung der gelenkumgebenden Muskulatur sowie der Verbesserung der Koordination. Im Einzelfall werden zusätzliche orthopädietechnische Versorgungen (Orthese, Bandage) vorgenommen, um den Kniegelenk eine verbesserte äußere Stabilität zu geben.

Bei konservativer Behandlung kann allerdings die Stabilität des Kniegelenkes für sportliche Belastungen, häufig auch für alltägliche Belastungen, nicht immer ausreichend hergestellt werden. Infolge der veränderten Biomechanik des Kniegelenkes kommt es zu unphysiologischen Belastungen, die oft zu einer posttraumatischen Früharthrose führen. Kannus und Järvinen [112] legten in ihrer Studie solche Nachuntersuchungsergebnisse (8,0 ± 2,3 Jahre posttraumatisch) von Patienten mit konservativer Behandlung nach VKB-Ruptur vor. Im Langzeitergebnis zeigte sich bei kompletten Rupturen überwiegend ein sehr schlechtes Ergebnis. Die Patienten wiesen, sofern nicht zwischenzeitlich doch eine plastische Rekonstruktion vorgenommen wurde (35 % der Fälle), eine chronische, symptomatische Instabilität (95 % der Fälle) bei deutlichen muskulären Defiziten im isokinetischen Krafttest auf.

70 % aller Patienten mit Komplettrupturen zeigten eine radiologisch nachweisbare posttraumatische Arthrose. In der Gruppe der Partialrupturen fiel das Langzeitergebnis wesentlich positiver aus. In 20 % der Fälle erfolgte nach einem erneuten Trauma zwar auch eine Versorgung mit einer Kreuzbandplastik, jedoch konnte für die anderen untersuchten Patienten eine wesentlich bessere funktionelle Stabilität bei nur

geringgradigen muskulären Defiziten der betroffenen Seite gesehen werden. Der Anteil posttraumatischer degenerativer Erscheinungen im Röntgenbild lag hier nur bei 15 %.

Auch Menke et al. [134] beschrieben nach ihren Untersuchungen mit 90 konservativ behandelten Kreuzbandpatienten (5 - 12 Jahre posttraumatisch) eine überwiegend ungünstige Langzeitprognose, insbesondere beim Vorliegen von Begleitverletzungen (Meniskusschäden). Sie fanden einen hohen Anteil röntgenologisch nachweisbarer Arthrosezeichen (78 % der Patienten) und deutliche Einbußen im subjektiven Aktivitätsniveau. Die meisten Patienten hatten ihre sportliche Aktivität erheblich reduziert oder gänzlich aufgegeben. Von vergleichbaren Ergebnissen berichteten auch Stäubli und Jakob [177] in ihrem Übersichtsartikel. Sie stellten heraus, dass eine unbehandelte Ruptur des VKB zu einer zunehmenden Verschlechterung der Kniegelenksfunktion führt. Der Grad der Instabilität bestimmt die Häufigkeit und das Ausmaß von Meniskusrissen und den Grad der Knorpelschädigung. Dupont und Scellier [46] belegten in ihren Untersuchungen an 375 konservativ behandelten Patienten mit arthroskopisch gesicherter VKB-Ruptur, dass Art und Ausmaß der Begleitläsionen der Menisken mit der Zeit zunahmen. 78 % der medialen Menisken und 62 % der lateralen Menisken waren betroffen, wobei bei einem von 2 Patienten (n = 178) sogar beide Menisken entsprechende Verletzungen aufwiesen. „Die Knorpelläsionen nahmen mit der Zeit zu und waren nach 10 Jahren konstant nachweisbar. Nach Ablauf von 10 Jahren ließ sich in 1 von 3 Fällen eine globale Arthrose nachweisen“ (Dupont und Scellier [46], S. 254).

In Anbetracht solcher Untersuchungsergebnisse scheint bei aktiven, jüngeren Patienten eine Indikation zur operativen Versorgung gegeben zu sein. Dagegen wird beim Vorliegen einer ausreichenden subjektiven Stabilität, d.h. auch bei sportlicher Belastung kein Auftreten von Unsicherheits-/ Instabilitätsgefühlen, im Einzelfall noch immer das konservative Vorgehen gewählt, obwohl für diesen Therapieansatz selbst bei guter funktionell-muskulärer Stabilisierungsfähigkeit eingeräumt werden muss, dass die Arthrokinematik des Gelenkes verändert ist und veränderte Belastungen für die erhaltenen Strukturen (Menisken, Knorpel) die Folge sind.

1.2.3.2 Operative Behandlung

Auf Grund der ungünstigeren Prognose bei konservativer Behandlung der VKB-Ruptur wurde in den letzten Jahren vor allem bei gewünschter Fortsetzung der sportlichen Aktivität die operative Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes gefordert [6, 22].

Weitere Indikationen für eine operative Behandlung sind komplexe Kniebandverletzungen oder begleitende Meniskusverletzungen, erhebliche objektive (deutlich positives Pivot-Shift-Zeichen oder Lachman-Test) und/ oder subjektive

Instabilitäten (rezidivierendes Giving-way). Die operative Behandlung erfolgt zumeist mit einer plastischen Rekonstruktionsmaßnahme. Die Rekonstruktionstechniken mit dem Lig. patellae (PSP) [166, 182, 202] und die Versorgung mittels der Semitendinosussehne (STP), teilweise kombiniert mit der Gracilissehne, sind die derzeit verbreitetsten Methoden [92, 110, 181, 183].

Die Kreuzbandrekonstruktion unter Verwendung des mittleren Drittels der Patellarsehne zeichnet sich durch eine hohe primäre Verankerungsstabilität und gute Langzeitstabilität aus. Nachteile ergeben sich aus der Traumatisierung bei der Transplantatentnahme und der damit verbundenen Patellafrakturgefahr, der Inhibition der Quadricepsmuskulatur und dem häufig beklagten ventralen Knieschmerz sowie den Problemen beim Hinknien [182].

Zunehmend häufiger wird die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes unter Verwendung der drei- oder vierfach gelegten Semitendinosussehne durchgeführt. Die intraoperative Materialentnahme ist im Vergleich zur Entnahme der Patellarsehne schonender. Die sogenannten donor-site-Probleme werden von Patienten mit einer solchen Versorgung weniger häufig beschrieben. Erste Untersuchungsergebnisse zeigen deshalb gegenüber dem Patellarsehnentransplantat Vorteile hinsichtlich der Wiedererlangung der vollständigen Kniegelenksbeweglichkeit und der Reduzierung des postoperativ häufig zu beobachtenden vorderen Knieschmerzes [39, 153]. Als Nachteil dieser Methode wird die verminderte Stabilität des Kniegelenkes (primär und sekundär) wegen der geringeren Verankerungsstabilität, der Transplantatelongation im Langzeitverlauf und der verzögerten Einheilung der Sehne im Knochentunnel diskutiert. Das mögliche Eintreten einer Tunnelerweiterung am Sehnentransplantat-Knochen-Übergang wird als weiterer Nachteil dargestellt, weil dies zu sekundären Instabilitäten führen kann [32, 197].

Immer wieder werden aber auch neue OP-Verfahren beschrieben, z.B. mit Verwendung anderer Transplantate [186]. Der alleinige Einsatz von synthetischen Materialien erfolgt auf Grund der negativen Erfahrungen wie chronischer Synovialitis, Abrieb, Materialermüdung und Rerupturen hingegen kaum noch [197]. Arthroskopisch gesicherte frische Rupturen des vorderen Kreuzbandes werden wegen der bekannt gewordenen hohen Rerupturrate nicht mehr mittels einer primären Naht versorgt. Bei Rupturen mit knöcherenen Ausriss erfolgt hingegen eine unmittelbare Refixation.

Als Operationszeitpunkt wird aus heutiger Sicht zur Vermeidung von Arthrofibrosen bei Akutversorgungen ein Abstand von 6 bis 8 Wochen postraumatisch empfohlen, ein reizfreier Zustand und normale Beweglichkeit des Kniegelenkes vorausgesetzt [175].

Allerdings kann der operative Eingriff zum gegenwärtigen Zeitpunkt trotz moderner Instrumentarien (z.B. Robodoc) und verbesserter Kenntnisse zur Bohrkanallage noch nicht so präzise erfolgen, dass eine anatomisch genaue Rekonstruktion bezüglich der Lokalisation der Insertion und Spannung des Transplantates realisierbar ist [40]. Die Restitution der physiologischen Gelenkkinematik ist deshalb wahrscheinlich ebenfalls nicht zu erreichen, so dass vermutet wird, dass der Bandersatz auch keine sichere Arthroseprävention gewährleistet [165]. Noyes et al. [144] stellten z.B. fest, dass nicht bekannt ist, ob eine frühzeitige Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes, die primär das Auftreten von Giving-way-Episoden verhindern soll, auch effektiv die Degenerationsrate der Gelenkflächen reduziert. Eberhardt et al. [47] konnten hingegen nachweisen, dass der Ersatz des VKB auch bei bestehender chronischer Instabilität und nachgewiesener höhergradiger Knorpelläsion gute Ergebnisse mit Verbesserung der Gelenkfunktion bringt. Mit einer Progredienz radiologischer Arthrosezeichen muss dagegen vor allem bei persistierender Instabilität und drittgradigen Knorpelschäden gerechnet werden. Auch andere Untersuchungen [9, 108, 109, 163, 176] weisen auf einen hohen Prozentsatz röntgenologisch nachweisbarer Degenerationen im postoperativen Zeitverlauf nach VKB-Rekonstruktion hin. Als potenzielle Risikofaktoren einer erhöhten Inzidenz von Osteoarthritis gelten u.a. begleitende Meniskusverletzungen bzw. Meniskektomien zum Zeitpunkt der Verletzung und eine verzögerte Rekonstruktion des VKB [77, 108, 109, 121]. Die Verminderung degenerativer Veränderungen des Knorpels durch eine VKB-Plastik konnte bislang noch nicht eindeutig nachgewiesen werden, so dass der sekundärpräventive Wert dieser operativen Maßnahme teilweise noch als fraglich gilt. Zumindest scheint aber die Verletzungsinzidenz der Menisken nach einer VKB-Plastik reduziert [6, 98].

Des Weiteren ist zu beobachten, dass nach der VKB-Rekonstruktion 30 % der Patienten über Restbeschwerden klagen [192], wie z.B. Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, subjektive Instabilitäten und reduzierte Sportfähigkeit.

Auch wenn im Ergebnis der VKB-Rekonstruktion der Aktivitätsgrad der Patienten gegenüber dem posttraumatischen Niveau zumeist deutlich gesteigert werden kann, stellt die Operation für Leistungssportler keine Sicherheit dar, ihre Karriere tatsächlich fortsetzen zu können [208]. Eckhardt et al. [48] geben im Zusammenhang mit ihren Untersuchungen zur sportlichen Belastbarkeit des Kniegelenkes nach VKB-Plastik zu bedenken, dass eine vollständige Wiederherstellung möglicherweise weder biologisch noch funktionell erreicht werden kann. Sie führen an, dass sich die sichere Einschätzung der Sportfähigkeit den derzeitigen Untersuchungsmöglichkeiten entzieht und betonen in diesem Zusammenhang die Bedeutung der neurosensorischen Funktion, die noch als relativ unverstanden gilt.

1.2.4 Rehabilitation nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes