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Die Arbeit behandelt die Frage, mit welcher Vorgehensweise sich die Umsetzbarkeit von Lean-Konzepten im automobilen Logistiknetzwerk bewerten lässt. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass sich die Randbedingungen der Umsetzbarkeit ganz offensichtlich unter den Automobilherstellern unterscheiden. Mit Hilfe einer zu entwickelnden Vorgehensweise und Methodik sollten daher die bestehenden Optionen für eine Lean-Umsetzung verdeutlicht und die Entscheidungsfindung der Logistikplanung unterstützt werden. Die Arbeit grenzt hierzu den Untersuchungsgegenstand auf das automobile Inbound-Netzwerk mit einem Vorlauf zur Abholung bei den Lieferanten, einer Konsolidierung im Umschlagspunkt sowie dem darauffolgenden Hauptlauf auf die einzelnen Fahrzeugwerke ein.

8.1 Zusammenfassung

Zur Entwicklung des Bewertungsvorgehens wurden sechs sekundäre Ziele (Z.1 6) formuliert und sukzessive beantwortet.

Z.1 Wissenschaftliche Einordnung und Beschreibung der Lean-Inbound-Konzepte

Mittels Literaturanalyse werden die maßgeblichen Prinzipien und hierauf basierend die Konzepte der Lean Logistics im Logistiknetzwerk herausgearbeitet. Dies sind der verbindliche Pull-Abruf, ein Auftragsbezug, der vorgezogene Wareneingang, hochfrequente Transporte, feste Routen und Fahrplantaktung sowie das Crossdocking. Die in der Literatur heterogen und unvollständig vorliegende Beschreibung konnte hierdurch vereinheitlicht werden.

Z.2 Identifikation der aus den Konzepten hervorgehenden Anforderungen

Für eine systematische Analyse fasst die Arbeit eine Anforderung als Erfordernis sowohl an die Randbedingungen als auch den Prozess der automobilen Inbound-Logistik auf, deren Erfüllung für die Einführung eines Lean-Logistics-Konzepts vorausgesetzt wird. Die Anforderungen werden innerhalb der Arbeit tabellarisch beschrieben und modularisiert, um als Grundlage für eine nachfolgende Kenngrößenbildung zu fungieren. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Lean-Konzepte eine erhöhte Stabilität in Bezug auf die Planbarkeit, die Konstanz des Teilebedarfs und Transportvolumens sowie eine hohe Qualität in der Umsetzung verlangen.

Z.3 Entwicklung von Kenngrößen zur Bewertung der herstellerspezifischen Randbedingungen Für jedes Anforderungsmodul entwickelt die Arbeit eine definierte Rechenvorschrift zur quantitativen Prüfung der Anforderungserfüllung. Grundsätzlich wird dabei der Ansatz verfolgt, einen vollständigen Ausschnitt der Grundgesamtheit mit Hilfe der deskriptiven Statistik zu beschreiben, da die heutzutage zumeist digital vorliegenden Massendaten ohne Probleme bei der Speicherkapazität und Rechengeschwindigkeit ausgewertet werden können. Auf ein Stichprobendesign und eine Annahme der Verteilungsart konnte so verzichtet werden. Im Ergebnis ergeben sich fünf Kenngrößen, welche nachfolgend verkürzt dargestellt werden.

Planbarkeit des Teilebedarfs: Die Kenngröße beschreibt wie viele Tage vor Eintreten des Produktionsbedarfs die Bedarfsmenge einer Teilenummer hinreichend genau bekannt ist.

Liefertreue: Die Kenngröße beschreibt den Anteil an Tagen, an denen die Anlieferung einer Teilenummer im Wareneingang gegenüber dem Abruf qualitativ einwandfrei erfolgt.

Durchschnittliche Transportvolumen: Die Kenngröße beschreibt das mittlere Transportvolumen in frachtpflichtigem Gewicht.

Planbarkeit des Transportvolumens: Die Kenngröße beschreibt, wie viele Tage vor Eintrefftermin das Transportvolumen und -gewicht hinreichend genau bekannt ist.

Theoretische logistische Auslastung: Die Kenngröße beschreibt das Verhältnis des maximalen zum mittleren Transportvolumen einer Transportrelation.

Während die Liefertreue als Kenngröße allgemein bekannt ist, wurden die übrigen Kenngrößen anforderungsbezogen entwickelt. Die für eine Bewertung notwendigen Aggregationsniveaus wurden ebenso definiert. Alle Kenngrößen weisen die Parametrisierung einer Nulltoleranz (absolute Anforderungserfüllung) wie auch die Möglichkeit der Nutzung eines Toleranzfeldes (ausreichende Anforderungserfüllung) auf. In Anlehnung an die Qualitätswissenschaft können durch die Wahl einer Toleranz kleine Abweichungen vom Zielwert als hinnehmbar eingestuft werden. Hierdurch wird eine anwenderbezogene Ausgestaltung möglich.

Z.4 Methodische Nutzung der Kenngrößen mit dem Ziel, die Komplexität zu reduzieren und ein Bewertungsvorgehen zu definieren

Die Bewertungsvorgehen zielt darauf, Teilnetze des Logistiknetzwerks, entsprechend einem heutigen Gebietsspeditionsgebiet, bestehend aus Vorlauf, Umschlag und Hauptlauf einzeln zu bewerten. So kann den verschiedenen Charakteristiken des Teilnetzes Rechnung getragen werden.

Als Visualisierung spannt die entwickelte Methode die einzelnen Kenngrößen als Prüfdimensionen zu einem Diagramm auf und trägt die Ausprägungen der ausgewerteten Erhebung als Punkte ein. In Abbildung 45 werden die Auswahl des Teilnetzes und das gebildete Diagramm exemplarisch aufgezeigt. Die Nutzung eines Punktediagramms wurde als vorteilhaft identifiziert, da hierdurch die Wahrnehmungs- und Analysefähigkeit des Menschen für unterschiedliche Verteilungen genutzt werden kann.

Zum Zwecke der Bewertung werden im Diagramm unterschiedliche Bereiche mit Hilfe schattierter Flächen voneinander abgegrenzt. Die Bereiche bilden Annahme- und Ablehnbereiche für das jeweils untersuchte Lean-Konzept. Eine initiale Parametrisierung der Bereichsgrenzen wird innerhalb der Arbeit analytisch begründet, sollte jedoch fallspezifisch nachvollzogen werden.

Abbildung 45: Bewertungsvorgehen zur Umsetzbarkeit von Lean-Konzepten im Logistiknetzwerk (eigene Darstellung)

Z.5 Aufbau einer Interpretationshilfe zum Ableiten von Handlungsoptionen

Im Sinne einer gestuften Planungslogik werden durch die gebildeten Annahmebereich, ausgehend vom Idealkonzept, Konzeptvarianten aufgezeigt, welche eine Anforderungsmindererfüllung berücksichtigen. Zu einem späteren Zeitpunkt ist hierdurch eine stufenweise Weiterentwicklung zum Idealkonzept möglich. Die gestuften Konzeptvarianten sind Abbildung 45 auf der linken unteren Seite dargestellt.

Die Visualisierung erlaubt ebenfalls die Diskussion der Ergebnisse bspw. mit der Produktion und Programmplanung des Fahrzeugherstellers. Hierdurch können die Auswirkungen äußerer Einflüsse auf die Logistik verdeutlicht werden. Ein anschließendes Monitoring von Verbesserungen und ggf.

Erreichen einer neuen Konzeptstufe kann mit Hilfe der Visualisierung überprüft werden.

Z.6 Vornehmen einer ersten Validierung der Vorgehensweise

Durch vom Automobilhersteller Volkswagen zur Verfügung gestellte Daten konnte das Bewertungsvorgehen auf ein Logistiknetzwerk mit 134 Lieferanten und fünf Fahrzeugwerken angewandt werden. Da Vergleichsmessungen auf Grund fehlender bisheriger Methoden nicht zur Bestätigung der Ergebnisse herangezogen werden konnten, wurde die Analyse qualitativ durch Diskussion mit Fachplanern und Entscheidungsträgern des Automobilherstellers plausibilisiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass das methodische Vorgehen anwendbar ist, ein einfaches Verständnis für die vorliegenden Ausgangsbedingungen der Lean-Einführung schafft und eine Anschlussfähigkeit zur weiteren planerischen Tätigkeit bietet.

8.2 Einordnung und Ausblick

Das entwickelte Bewertungsvorgehen sichert die Entscheidungsfindung zur Einführung von Lean-Logistics-Konzepten im automobilen Inbound-Netzwerk methodisch ab. Insbesondere bei der Einführung von Lean-Strategien wurde in der Vergangenheit oftmals ohne eine quantifizierbare Entscheidungsgrundlage gearbeitet. Fehlgeleitete Entscheidungen wie die bei Ford unter dem Motto

„every day, every part“ vorgenommene Umsetzung der hochfrequenten Transporte können so möglicherweise in Zukunft verhindert werden.

Betrachtet man die Ergebnisse vor dem Hintergrund der herrschenden Trends in der Automobilindustrie, so kann ein Ausblick auf die zukünftige Anwendbarkeit und Relevanz des Bewertungsvorgehens gegeben werden. Bauer et al. (2018, S. 1) sehen die weiter voranschreitende Lokalisierung, die Digitalisierung sowie Dekarbonisierung bzw. Elektrifizierung als Megatrends.

Während die Automobilhersteller global agieren, ist gleichzeitig eine Lokalisierung festzustellen. So bestehen in den wachsenden Märkten zunehmend lokale Produktionsstätten (vgl. Bauer et al. 2018, S. 9). Für die Umsetzbarkeit von Lean-Konzepten im Logistiknetzwerk kann sich dies positiv auswirken. Dies wäre der Fall, wenn gleichzeitig zur lokalen Produktion ein hoher Anteil an lokalen Lieferanten vorliegt. Denn zur Prüfung der für die Konzepte erforderlichen Stabilität setzen die Kenngrößen der Planbarkeit des Teilebedarfs und der Planbarkeit des Transportvolumens die Inbound-Durchlaufzeit in Relation. Müssen Teile bspw. von Europa nach Asien gebracht werden, ist eine bedarfssynchrone Anlieferung unmöglich und eine lokale Entkopplung notwendig. Der Trend zur weiteren Lokalisierung ermöglicht somit tendenziell den vermehrten Einsatz von Lean-Logistics-Konzepten.

Die Digitalisierung als zweiter Megatrend ändert vor allem die Sichtbarkeit in der Lieferkette. So bieten internetfähige Sensoren und ein durchgängiger Datenaustausch eine wesentliche Verbesserung zur Überwachung der Prozesse (vgl. Kersten et al. 2017, S. 41). Dies ist zwar ein Vorteil und mag die Voraussetzungen zur Einführung der Lean-Logistics-Konzepte verbessern, da Abweichungen und drohende Produktionsausfälle schneller bemerkt und verhindert werden können, ersetzt jedoch nicht die Befähigung der Prozesse. Stabile Prozesse werden auch weiterhin die Grundlage der Logistik und insbesondere der Lean Logistics bilden. Agilitätskonzepte, durch prädiktive Analysen oder dynamische Optimierung mittels künstlicher Intelligenz möglich werdend (vgl. Kersten et al. 2017, S. 14), könnten jedoch die Lieferkette flexibilisieren und somit die starren Konzepte der Lean Logistics ablösen.

Ein Ausblick und Einschätzung zu den Lean-Konzepten unter den Folgen der Elektrifizierung als letztem der genannten Trends bietet ein interessantes Bild. Während das Aufkommen von rein elektrischen und hybridbetriebenen Fahrzeugen, neben den herkömmlichen Verbrennungsmotoren, die Automobilindustrie grundlegend umzuwälzen droht, scheinen die Folgen auf die Lean-Konzepte überschaubar. Zum einen ist hervorzuheben, dass in einem Elektroantrieb nur ein Viertel der Teile verbaut sind wie in einem klassischen Verbrennungsmotor (vgl. Appel 2017, S. 3). Gleichzeitig ist jedoch zu erwarten, dass die verschiedenen Antriebsformen noch auf längere Zeit parallel existieren

(vgl. VDMA 2018, S. 13). Hierdurch ist je nach verfolgter Elektrifizierungsstrategie eine weitere Differenzierung der Randbedingungen für die Umsetzung der Lean Logistics zu erwarten.

Die Gründe, die zuvor für die Einführung der Lean-Konzepte gesprochen haben, bleiben von der Elektrifizierung jedoch unberührt. So kann die Lean-Inbound-Logistik auch bei weniger Teilen einen produktionssynchronen und verschwendungsarmen Gesamtprozess unterstützen. Weniger Teilevarianten könnten zu einem stabileren Bedarf führen und sogar förderlich wirken. Gleichzeitig sinkt jedoch das im Netzwerk zu konsolidierende Transportvolumen. Je nachdem, wie die Struktur des Netzwerks beschaffen ist, ergeben sich hierdurch weitere zu beachtende Effekte auf das durch das Bewertungsvorgehen betrachtete durchschnittliche Transportvolumen sowie die theoretische Auslastung. Die Durchführung einer Bewertung bleibt somit zur Identifizierung von Handlungsoptionen und Risiken zu empfehlen.