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Zur nationalsozialistischen Durchdringung der Verlagslandschaft

In den Gauen auf dem Gebiet der späteren DDR kam es im Zuge der nationalsozialistischen Pressepolitik insgesamt zwar zu einer deutlichen Umgestaltung des Pressewesen, diese brachte jedoch regional unterschiedlich starke Eingriffe in die alteingesessene Presse mit sich.

Insgesamt erreichten zwischen Oder und Elbe jene 70 Verlage mit NS-Kapitalbeteiligung im Herbst 1944 pro Zeitung eine Durchschnittsauflage von täglich 36 470 Stück. Die verblie-benen 210 privateigenen Zeitungen erzielten mit durchschnittlich 6 268 Auflagenexemplaren eine deutlich geringere Verbreitung.295 Die Durchschnittsauflage der NS-Zeitungen blieb damit auf dem Gebiet der späteren sowjetischen Besatzungszone nur halb so hoch wie im Deutschen Reich insgesamt (65 000). Die ostdeutschen NS-Zeitungen waren im Durchschnitt deutlich kleiner. Demgegenüber lagen die privateigenen Verlage Ostdeutschlands die im Deut-schen Reich mit ihrer Durchschnittsauflage von rund 6 300 Stück im Reichsdurchschnitt.296 Die Zahl der Hauptausgaben ging in Ostdeutschland zwischen 1934 und 1944 von knapp 700 auf nur noch ein Drittel zurück. Vor allem von den bürgerlichen Verlegern mussten viele zwar aus dem Zeitungsgeschäft ausscheiden, ihnen wurden aber von der NSDAP in der Regel die Druckbetriebe und damit das für eine spätere Wiederaufnahme der Zeitungsproduktion wichtigste Kapital belassen.

293 Mediadaten n. Verzeichnis der am 1.10.1944 bestehenden Großdeutschen Zeitungen, S. 1ff.

294 Vgl. Amann 1944, S. XVIII.

295 Eig. Berechnung nach Presse in Fesseln, S. 116f.

296 Reichsweit errechneten Wilke/Noelle-Neumann 1994 (S. 446) ein Verhältnis von 65 000 (durchschnittliche Auflage NS-Blatt) zu 6 500 (›privates‹ Blatt).

Dabei bleibt jedoch festzuhalten, dass die NS-Pressepolitik unterschiedlich starke Auswir-kungen auf die Presselandschaft der ostdeutschen Länder und Provinzen hatte. Regionen, in denen die NSDAP vergleichsweise wenig in die Pressestrukturen eingriff, standen Gebieten mit einem hohen Anteil an enteigneten oder sonstwie geschädigten Verlegern gegenüber. In der Provinz Sachsen und in Thüringen wälzte die NSDAP die Presse sehr weitgehend um und verschaffte sich eine sehr starke Position. Der Aufbau großer Zeitungsgruppen mit einer Vielzahl von abhängigen Nebenausgaben ermöglichte nicht nur eine straffe unternehmerische Führung, sondern eine zentrale politische Gestaltung und Kontrolle der Inhalte. In Brandenburg wie auch in Mecklenburg baute sich die NSDAP keine großen Verlagsgruppen auf, sondern reduzierte ihre Eingriffe zur Gleichschaltung der Presse weitgehend auf die Schließung der Linkspresse und eine Beteiligung an einigen wenigen Verlagen. Auf diese Weise blieben bis 1944 in Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg über 90 % der Zeitungs-verlage frei von nationalsozialistischem Kapitaleinfluss.

In Anhalt, Thüringen sowie in der Provinz Sachsen kam die NSDAP vor allem durch die Enteignung der Linkspresse frühzeitig an Verlagseinrichtungen. Vor allem die SPD hatte hier bis 1933 eine lokal stärker gegliederte Tagespresse besessen, die nach der Machtergreifung die Basis für den relativ höheren Anteil an Parteizeitungen in diesen Regionen wurde; vielfach zogen NSDAP-Unternehmen direkt in die früheren Verlagshäuser der SPD ein. Die wenigen KPD-Betriebe wurden dagegen kaum für die Herausgabe von Zeitungen genutzt. Ihre starke Stellung baute die NSDAP auch in den Jahren nach der Enteignung der Arbeiterparteien in einigen Landesteilen weiter aus, indem bürgerliche Verlage übernommen wurden. Während die Verleger in Mecklenburg und Brandenburg dabei vor Aufkäufen durch die NSDAP offenbar weitgehend geschützt waren, brachten vor allem die Gauverlage in Magdeburg, Halle und Weimar im Verlauf der späten 30er Jahre und der Kriegszeit eine größere Zahl bürger-liche Verlage unter ihre Kontrolle. Viele Verleger versuchten ihre traditionellen Betriebe zu erhalten, indem sie die Zeitungen in Gemeinschaftsunternehmen mit der NSDAP einbrach-ten. Vor allem in Thüringen und im Raum Magdeburg/Anhalt erzielten Tageszeitungen aus Verlagen, die direkt oder indirekt der Partei gehörten, auf diese Weise bis 1944 über 90 % der Auflagen.

Im Rahmen der nationalsozialistischen Konzentrationspolitik mussten dabei gerade jene Verleger, die sich vor 1933 als demokratisch positioniert hatten, eine Beteiligung oder Über-nahme durch den NS-Pressetrust akzeptieren, während viele Kleinstverlage, die in ihren Verlagsangaben Sympathien für rechte Parteien geäußert hatten, vom Zwang zu Zusammen-schlüssen und Zeitungsschließungen ausgenommen blieben.

Abbildung 9: Verlags- und Erscheinungsorte aller im Herbst 1944 noch erschienenen Tageszeitungen und Wochenblätter.297

297 Gebiet der DDR; Stand: 1.10.1944 (Mediadaten n. Beigabe zur 7. Auflage des ›Handbuches der Deutschen Tagespresse‹, in: Handbuch der deutschen Tagespresse 1944).

Kurz vor Kriegsende, im Oktober 1944, erschienen auf dem Gebiet der späteren DDR noch an 266 Verlagsorten Zeitungen,298 die über ganz Ostdeutschland verteilt waren (Abb. 9, S. 62).

Die Liste dieser bis zuletzt von der Reichs- und Parteiführung geduldeten Titel war für Reichspressechef Otto Dietrich »eine Ehrentafel der Zeitungen, die in dieser entscheidenden Zeit gewirkt und damit ihren entscheidenden Beitrag geleistet haben zu einer großen geschichtlichen Leistung der deutschen Presse«.299

Als der deutsche Widerstand in der Endphase des Krieges in einen »nationalsozialistischen Durchhalteterror« mündete,300 versuchten auch diese deutschen Zeitungen, sich Dietrichs

»Ehrentafel« würdig zu erweisen und die Bevölkerung mit Durchhalteparolen kampfbereit zu halten: »Im letzten Kriegsjahr entwickelten sich die Reste der deutschen Presse immer mehr und immer offenkundiger zu einer gemeinsamen Stimme des bedrängten Parteistaates.«301 Noch nach dem Tode Hitlers, nach der Eroberung der Reichshauptstadt durch sowjetische Truppen sowie nach der Teilkapitulation der Wehrmacht in Norddeutschland beschwor die Presse im noch nicht vollständig besiegten Sachsen weiter den Endsieg. Die Zeitungen versuchten mit Parolen wie »Ein Feigling ist, wer sich jetzt seiner Pflicht entzieht und dadurch über unsere Frauen und Kinder noch mehr Not bringt!«302 die Männer weiter zum Kampf aufzustacheln. Frauen wurden davor gewarnt »ihren Männern die Waffen zu verstecken«.303 Die nationalsozialistische Durchwirkung dieser Presse und ihre zentrale Bedeutung für das Regime wurde entscheidend für den Umgang der Sieger mit den Medien der Besiegten.

298 Eig. Auszählung nach: Beigabe zur 7. Auflage des ›Handbuches der Deutschen Tagespresse‹, in: Handbuch der deutschen Tagespresse 1944. – Einige Zeitungshäuser fielen anschließend durch Ausplünderung zugunsten benachbarter Betriebe aus oder wegen der Kampfhandlungen, die im April 1945 Ostdeutschland erreichten (vgl.

Bernhard 1989, S. 151f.; 163; VMOZV 1955a, S. 41.)

299 Dietrich 1944, S. VII.

300 Henke 1995, S. 844.

301 Hurwitz 1972, S. 39.

302 In: Roßweiner Tageblatt, 4.5.45.

303 »An Sachsens Frauen!« In: Roßweiner Tageblatt, 4.5.45.