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Resümee: Zur westalliierten Pressepolitik in Ostdeutschland

4 Presse unter der westalliierten Militärregierung

4.7 Resümee: Zur westalliierten Pressepolitik in Ostdeutschland

Unter der westalliierten Besatzung Ostdeutschlands hat es (anders als bislang von der Presse-geschichtsforschung beschrieben1021) in großer Zahl die Herausgabe von traditionellen Zeitungen gegeben. Diese erschienen in alteingesessenen Verlagen und wurden von Verlegern herausgegeben, die bereits während des Nationalsozialismus aktiv gewesen waren. Die großflächige Beteiligung alteingesessener Verleger an der Herausgabe von Zeitungen und Mitteilungsblättern weist darauf hin, dass es zumindest bis zum Kriegsende keine Vorgaben gegeben hat, die der Militärregierung die Genehmigung deutscher Medien untersagten. Die den lokalen Militärregierungen übermittelten Gesetze und Anordnungen ließen vielmehr eine deutsche Presse ausdrücklich zu. Als es nach einem kurzen Blackout in Ostdeutschland nicht zur Herausgabe westalliierter Heeresgruppenzeitungen kam, erlaubten die Militärregierungen oftmals unterschiedliche Zeitungen bzw. Mitteilungsblätter.

1019 Henke 1995, S. 697.

1020 Vgl. Henke 1995, S. 697.

In den Besatzungsplanungen war lange davon ausgegangen worden, dass die lokalen Besat-zungsoffiziere Deutschlands per indirekter Herrschaft verwalten könnten und dazu lediglich die Kontrolle der deutschen Behörden nötig sei.1022 Angesichts von lokalen Detachments der Militärverwaltung, die teilweise lediglich aus vier ausgebildeten Offizieren bestanden, wären andere Formen der Besatzungsverwaltung an personelle Grenzen gestoßen. Dieses Herr-schaftsmodell ging nicht von einem Bruch, sondern einer bedingten Fortsetzung der vorhandenen Strukturen aus. Voraussetzung für die Weiterführung des öffentlichen Lebens der Kommunen war eine Säuberung der Kommunalverwaltung von »active Nazis and ardent sympathizers of the Party«.1023 und anderem auf schwarzen Listen vermerktem Personal.

Dieses Besatzungskonzept, das im Verlauf des Krieges entwickelt worden war, basierte auf der Annahme, dass Deutschland kapitulieren würde, sobald die alliierten Truppen die deutsche Grenze erreichten. Ohne dass es auf deutschem Boden zu Kämpfen und weiteren Zerstörungen gekommen wäre, hätte der nach der Kapitulation beginnende Aufbau einer Besatzungsverwaltung dabei geordnet und strukturiert erfolgen können. Als die Kapitulation jedoch ausblieb, mussten die für die Verwaltung der besetzten Gebiete vorgesehenen Ein-heiten der Militärregierung der Front und den kämpfenden Truppenteilen folgen. Dadurch wurde eine geordnete Übernahme der deutschen Zivilverwaltung unmöglich. Die Militärs mussten so in den gerade befreiten Gebieten Sicherheit und Ordnung herstellen, »in so far as the military situation permits«. Ein schneller Wiederaufbau der Verwaltungsstrukturen war nötig, um die Versorgung sicher zu stellen und Hungersnöte zu verhindern. Der Neuaufbau der Verwaltung erfolgte dadurch nicht zentral, sondern dezentral, jedoch weiter per ›indirect rule‹. Die Besatzungsoffiziere gaben ihre Anordnungen an die neu eingesetzten Bürgermeister, die dadurch in der Folge eine starke Stellung zwischen der Bevölkerung und der Militär-regierung zugewiesen bekamen.1024 Auf die Effizienz der indirekten Besatzungsherrschaft hinderlich wirkte die große Fluktuation, die durch Umgruppierungen von Truppenteilen und Demobilisierungen entstand.1025 Der häufige Wechsel der Besatzungsoffiziere stärkte zusätzlich die Stellung der Zivilverwaltung, die häufig die einzige konstante Ordnungsmacht darstellte.

»Dadurch erhöhte sich ihre Eigenständigkeit und ihr Handlungsspielraum beträchtlich.«1026

1021 Vgl. etwa Koszyk 1986, S. 23f.; Wilke 1999a, S. 16f.; Pürer/Raabe 1994, S. 92. Als Ausnahme dagegen Frei 1986, S. 28-32.

1022 Siehe S. 165.

1023 § 76, Chapter III, Part I, Handbook for Military Government in Germany, Dec. 1944.

1024 »In any event Military Government Officers should remember that there is no substitute for the use of common sense, that they are to utilize German personnel for carrying out the functions of government, and that such personnel should be made to carry out orders which will be given them by Military Government Officers.« (§ 1252, Check List for Military Government Officers, Chapter XVIII, Part III, Handbook for Military Government, Dec. 1944.)

1025 Siehe auch Kap. 3.4.

1026 Henke 1995, S. 209.

In den untersuchten Städten Ostdeutschlands zeigte nicht nur die Zivilverwaltung alle Anzeichen dieses ›indirect rule‹, sondern auf diesem Weg wurden auch die Zeitungen geleitet.

Übertragen auf die Presse bedeutete die indirekte Herrschaft der Militärverwaltung, dass Verleger, sobald sie nicht als aktive Nazis oder glühende Sympathisanten aufgefallen waren und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit über die notwendige Zuverlässigkeit verfügten (»may be reliable«1027), ausgewählt und ihre Verlage der Besatzungsverwaltung dienstbar gemacht wurden.

Solange nicht die Gefahr bestand, dass die Zeitungsbetriebe durch eine ›feindliche Nach-richtenübermittlung‹ die Sicherheit der Militärs bedrohten, sprach aus militärrechtlicher Sicht nichts gegen ihre Wiedereröffnung.1028 Das Militär hatte lediglich eine Zensur zu installieren, wie sie auch in ausnahmslos allen Anordnungen und Gesetzen als Grundbedingung für das Wiedererscheinen deutscher Zeitungen gefordert wurde. Einen Bruch, der sich als kurz-fristiger Blackout niederschlug, gab es deshalb lediglich direkt nach der Besetzung feindlicher Gebiete. In einer Situation, wo in der Umgebung noch gekämpft wurde, war das Schließen der Kommunikationsmittel genauso notwendig wie Ausgangssperren oder das Einsammeln von Waffen. Da die Genehmigung von Zeitungen in der militärischen Logik weniger abhängig war vom Nachschub an materiellen Ressourcen, sondern von der individuellen Einschätzung der Sicherheitslage, wurde die Dauer des Blackouts und die Strenge der Zensur von der individuellen Beurteilung der Kommandanten abhängig. Diese entschieden, ob und wann Zeitungen erscheinen konnten.

Die Richtlinien zum Umgang mit der Presse waren im Wesentlichen vom Verteidigungs-ministerium entwickelt worden. Sie griffen weiterreichende politische Planungen nur am Rande auf, da ein Primat militärischer Interessen bestand.1029 An der Umsetzung der Besat-zungsplanungen beteiligten sich in den untersuchten ostdeutschen Städten nicht nur die eigentliche Militärregierung, sondern auch der Militärgeheimdienst ›Counter Information Corps‹ (CIC).1030 Die Herausgabe unterschiedlicher Zeitungen erreichte damit nicht nur räumlich ein großes Ausmaß, sondern war offenbar auch breit in den Strukturen des Militärapparates als Handlungsoption verankert.

Die Inbetriebnahme der Druckereien setzte gleichzeitig voraus, dass bei den Beteiligten eine Einsicht in die Notwendigkeit der Veröffentlichung von Zeitungen bestand, denn die Genehmigung war zwar nicht verboten, aber für die Militärverwaltungen auch nicht

1027 § 1254, Check List, Chapter XVIII, Part III, Handbook for Military Government in Germany, Dec. 1944.

1028 Siehe Kap. 4.6.1.

1029 Siehe Kap. 4.2 und 4.6.3.

1030 Siehe Kap. 4.6.1 und 4.6.2.

verpflichtend.1031 Wegen der nur mittelbaren Herrschaft der Militärs hing die Einsicht in die Notwendigkeit von Zeitungen stark von den Rückmeldungen und Einflüsterungen der Bürgermeister oder Landräte ab. War die lokale deutsche Zivilverwaltung nicht bereit, sich für die Veröffentlichung der Mitteilungen der Militärverwaltung auf Ausrufe oder Aushänge zu beschränken, und war das Verhältnis zwischen deutschen und westalliierten Verwal-tungsstellen gut genug, bestand damit die Voraussetzung für die Genehmigung von Zeitun-gen. Alle ausgewerteten ostdeutschen Zeitungen ließen ein gemeinsames Interesse von Zivil-verwaltungen und Verlegern erkennen, Zeitungen erscheinen zu lassen.1032 Bei der Einschät-zung der Notwendigkeit von Zeitungen waren die örtlichen Militärkommandanten stark von der Zivilverwaltung abhängig.

Im Rahmen der indirekten Besatzungsherrschaft hatten die Kommandanten jeweils zu klären, unter welchen Bedingungen Zeitungen möglich waren bzw. inwiefern sie dem recht-lichen Rahmen entsprachen und anschließend die Zensur einzurichten. Die unterschiedliche Interpretation der Rechtslage bestimmte das unterschiedliche Erscheinungsbild der Presse.

Dass bei allen unterschiedlichen Interpretationen gleichwohl die Richtlinien der Militär-führung zur Kenntnis genommen wurden, zeigten nicht zuletzt die Spuren, die das Gesetz Nr.

4 in den Zeitungen hinterließ:1033 Ein sehr großer Teil der untersuchten Blätter ist von dessen unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten geprägt, die sich einmal in der Übernahme des im Gesetz vorgeschlagenen Titels Military Government Gazette-Germany äußerte, aber auch in

»Gazettes, similarly entitled, with the addition of a sub-title indicating the political sub-division to which it pertains«.1034 In diesen Fällen zeigte sich die Befolgung des Gesetzes Nr. 4 durch die Benennung als lokalen Amtsblatt im »sub-title«1035. Angesichts einer nur unscharfen Eingrenzung der Inhalte der Zeitungen (als Aufgabe der Militärregierung war die Veröffent-lichung von »ordinances, notices, and other regulations« angeregt1036) bestand ein Interpreta-tionsrahmen für die Veröffentlichung weitgehend vollständiger Zeitungen. Ein von HURWITZ

angeführtes Schreiben des amerikanischen Oberkommandos an die Chefs der Heeresgruppen, in dem das Verbot des Abdrucks von Nachrichten und Todesanzeigen ausgesprochen wurde, bestätigt, dass die Militärregierungen sich auf dieses Gesetz bezogen. Da das Schreiben vom 6.

Juni 1945 datierte, dürfte die inhaltliche Klarstellung nur eingeschränkt zu den Anordnungen

1031 Siehe Kap. 4.6.1.

1032 Siehe Kap. 4.6.2.

1033 Zum Gesetz Nr. 4 siehe Kap. 4.6.1.

1034 § 2, Abs. 1, Gesetz Nr. 4.

1035 § 2, Abs. 1, Gesetz Nr. 4.

1036 § 2, Abs. 1, Gesetz Nr. 4.

gehört haben, von der die lokalen Besatzungsverwaltung bis zum Abzug aus Ostdeutschland noch Kenntnis erlangten.1037

So bleibt festzuhalten, dass die Kommandeure vor Ort Anordnungen bekamen, die unter-schiedlich interpretiert werden konnten und zu unterunter-schiedlichem Verhalten geführt haben.

Dabei ist fraglich, ob sich in der großen Zahl von genehmigten Zeitungen Fehlinfor-mationen1038 oder auch bewusste Normverstöße1039 manifestieren, zumal wenn die Militärs auf-gefordert waren, ihrem »common sense«1040 zu folgen.

Für die nachfolgenden Rote Armee hingegen bedeutete die Genehmigung der Zeitungen, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Die von den US-amerikanischen Kriegs-verbündeten gesetzten Fakten dürften für die nachrückenden Sowjets ein erhebliches propagandistisches Problem bedeutet haben. Sie hatten mit Zeitungen umzugehen, mit deren Wiedererscheinen die Bevölkerung nicht nur die Rückkehr zur Normalität verbunden hatte,1041 sondern die auch noch Gütesiegel trugen wie »By Order of the Allied Military Government«1042 oder »mit Genehmigung der örtlichen amerikanischen Militärregierung«.1043 Wollte die sowjetische Militärverwaltung diese Zeitungen schließen, stand sie vor ungleich größeren Problemen als bei einer Schließung von NS-Zeitungen.

Dabei muss offen bleiben, inwieweit diese ›Kuckuckseier‹1044 die sowjetische Militär-verwaltung bewusst provozieren, das Abrücken verschleiern und dadurch eine zusätzliche Beunruhigung der Zivilbevölkerung vermindern sollten oder die Bedeutungslosigkeit widerspiegelten, die das westalliierte Militär den Zeitungen zumaß. Einige Zeitungen wurden von der amerikanischen Militärregierung immerhin noch angesichts des bevorstehenden Abmarsches genehmigt.1045 Das Wurzener Tageblatt1046 erschien beispielsweise erstmals einen Tag vor der Übergabe der Stadt an die Rote Armee,1047 ebenso das Mitteilungsblatt für das Militärgouvernement und den Kreis Eckartsberga;1048 das Mitteilungsblatt der Stadt Buttstädt erschien »mit

1037 Vgl. Hurwitz 1972, S. 131.

1038 Nach Hurwitz 1972, S. 63, erschienen »[…] mehrere irreguläre Blätter auf Initiative ihrer örtlichen Einheiten, die von den Beschränkungen ihrer Jurisdiktion auf dem Gebiet der Informationsmedien nicht informiert worden waren«.

1039 »Zum Teil stellte ich mich einfach dumm.» (Habe 1977, S. 72.)

1040 § 1252, Check List for Military Government Officers, Chapter XVIII, Part III, Handbook for Military Government, Dec. 1944.

1041 Vgl. de Mendelssohn 1982, S. 510.

1042 Mitteilungsblatt für Penig und Lunzenau, 26.5.45; Bekanntmachungsblatt, Mittweida, 17.4.45

1043 Mitteilungsblatt der Stadt Buttstädt, 4.7.45.

1044 Matysiak 2001b, S. 26.

1045 Umgekehrt berichtete Hurwitz von einer »Zeitungsplanung für Berlin-Zehlendorf, die mit lässiger Billigung der Sowjets vorbereitet wurde, kurz bevor die Amerikaner in Berlin einrückten« (Hurwitz 1972, S. 131).

1046 Vgl. Teich 1945, S. 55.

1047 Vgl. Teich 1945, S. 55.

1048 Mitteilungsblatt für das Militärgouvernement und den Kreis Eckartsberga, Nr. 1, 30.6.45.

Genehmigung der örtlichen amerikanischen Militärregierung« erstmals Tage nach der Räumung Thüringens.1049 Ein Problem bedeuteten diese Zeitungen jedoch nur dann, wenn ihr Erscheinen den Interessen die Sowjetarmee entgegen standen.

1049 Mitteilungsblatt der Stadt Buttstädt, Nr. 1, 4.7.45.

5 Presse während der frühen sowjetischen