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4 Presse unter der westalliierten Militärregierung

4.4 Deutsche Zeitungen

4.4.3 Titel- und Verlagstraditionen

Die unter den westalliierten Militärs erschienenen lokalen Nachkriegszeitungen weisen einige nach der bisher herrschenden Pressegeschichtsschreibung nicht zu erwartende Kontinuitäten auf. Eigentlich sollte es mit dem Kriegsende im deutschen Zeitungswesen zu einem totalen Traditionsbruch kommen.496 Die Unterbrechung jeglicher Zeitungstradition gilt bislang in der Forschung als Teil einer umfassenden Umgestaltung der gesamten deutschen Presse. Dabei sollten alte Verlagsunternehmen geschlossen, aber auch der Stil und das Erscheinungsbild der Zeitungen erneuert werden. Um die Verbindungslinien zum nationalsozialistischen Presse-system vollständig zu kappen, sei der Bann 1945 auch auf äußere Merkmale wie traditionelle Zeitungsnamen gefallen: »Engländer und Amerikaner wollten – selbst bei völliger Umwand-lung – bisher bestehende Zeitungen nicht fortführen, sondern völlig neu anfangen.«497 Dies schloss die Übernahme »alter Zeitungstitel« aus,498 es sollten »überhaupt keine der bis dahin existierenden Zeitungstitel in die Nachkriegs-Zeitungslandschaft übernommen werden«,499 selbst wenn die Nutzung schon lange vor der nationalsozialistischen Machtübernahme erfolgt war. Die Nachkriegszeitungen sollten grundsätzlich keine Namen führen, »die jemals in der deutschen Zeitungsgeschichte schon irgendwo erschienen« waren.500 Dieser Bann habe auch für Zeitungsnamen gegolten, die international über ein großes Renommee verfügt hatten:501

»Keine frühere deutsche Zeitung durfte wiedererscheinen, auch wenn sie 1933 eine zeitlang

493 Telefonauskunft Frau Lehmann, Stadt Aken, Archiv, 12.10.99.

494 Vgl. Bestandsinformationen IZM, www.izm.de.

495 Vgl. Bestandsinformation IZM, www.izm.de.

496 Vgl. etwa Schütz 1987, S. 67; Pürer/Raabe 1994, S. 92; Wilke 1999a, S. 16f.

497 Eschenburg 1981, S. 143.

498 Schütz 1987, S. 67.

499 Pürer/Raabe 1994, S. 92.

500 Liedke 1982, S. 39.

501 Vgl. Mendelssohn 1982, S. 524.

kritisch geblieben war.«502 Dieses ausnahmslose Verbot der Traditionspresse habe bis 1949 gegolten, »eine Rückkehr oder Wiederaufnahme älterer Titel gab es hier und da erst, als der alliierte Einfluß mit der Gründung der Bundesrepublik schwand«.503

Was für die ab August 1945 neu lizensierten westdeutschen Zeitungen beschrieben ist, ließ sich für die ab April 1945 in Ostdeutschland von den Westalliierten genehmigte Presse hingegen in dieser Form nicht nachweisen: Viele der in Ostdeutschland verwendeten Zei-tungsköpfe blickten auf eine längere Geschichte zurück. Anders als nach der bisherigen Auffassung von der westalliierten Pressepolitik zu erwarten gewesen wäre, war die Nutzung traditioneller Zeitungsnamen während der amerikanischen Besetzung Ostdeutschlands weit verbreitet (Tabelle 6). Selbst Namen von Zeitungen, die auch nach Auffassung der Eigen-tümer durchgängig NS-Propaganda betrieben hatten,504 wurden nicht getilgt.

Zeitung Ersterscheinen

Crimmitschauer Anzeiger und Tageblatt/Stadt und Landzeitung 1848/1883

Schönebecker Zeitung 1854

Tabelle 6: Entstehungsdatum von mit westalliierter Genehmigung erschienener ostdeutscher Zeitungen.505

Fast alle mit einem typischen Zeitungsnamen versehenen Mitteilungsblätter waren in einem der vorangegangenen Jahrhunderte gegründet worden. Der von der US-Armee in Mühlhausen

502 Schölzel 1986, S. 12.

503 Wilke 1999a, S. 16f.

504 So das Urteil des Verlegers Fritz Neumerkel über seinen Crimmitschauer Anzeigers. (Fritz Neumerkel, Erklärung!, Crim-mitschau, Juni 1945. Stadtarchiv CrimCrim-mitschau, o.Rep., Bl. 3).

505 Eigene Zusammenstellung. Mediaangaben n.: Falk 1989d; Bernhard 1989, S. 46-49; Sperling 591935; Sperling 601937;

Handbuch der Deutschen Tagespresse 71944.

erlaubte Name Mühlhäuser Anzeiger führte sich auf das Jahr 1775 zurück, die Glauchauer Zeitung auf das Jahr 1802, und der nach dem Krieg wieder aufgelebte Titel Auerbacher Zeitung erschien seit 1839. Auch die traditionellen Namen Zörbiger Bote und Erzgebirgischer Volksfreund (Aue) wurden unter der amerikanischen Besatzung wieder erlaubt. Ebenfalls mit amerikanischer, später mit britischer Erlaubnis wurde der Titel Schönberg-Rehnaer Anzeiger verwendet, dessen Tradition jedoch lediglich in das Jahr 1944 zurückreichte, als im Rahmen der national-sozialistischen Kriegspolitik die Mecklenburgische Post aus Rehna mit dem Schönberger Anzeiger zusammen geschlossen wurde.506 Bei den Schönebecker Nachrichten akzeptierte die US-Armee einen Namen, der als Lokaltitel allein die Tradition der nationalsozialistischen gauamtlichen Tageszeitung Der Mitteldeutschen forttrug.507 Der wenig später (nun unter britischer Militär-verwaltung) verwendete Name Schönebecker Zeitung ging auf das Jahr 1854 zurück.508 Dabei wurde als Einzelfall sogar ein Zeitungskopf verwendet, der zuvor noch den Hakenkreuzadler getragen hatte (Abb. 11, S. 96).

Die Kontinuität der Zeitungen zeigte sich nicht nur in den teilweise seit zwei Jahrhunderten vertrauten Namenszügen im Zeitungskopf, sondern auch in der fortlaufenden Jahrgangs-zählung und der bruchlosen Fortführung der NummernJahrgangs-zählung des häufig noch in der nationalsozialistischen Zeit begonnenen Zeitungsjahrgangs 1945. In Grimma waren die ersten 87 Nummern der Nachrichten für Grimma bis zum 15. April 1945 unter nationalsozialistischer Hoheit erschienen, um dann ab Nr. 88 am 23. Mai 1945 mit dem Untertitel ›Amtliches Verkündigungsblatt aller Behörden für den Landkreis und die Stadt Grimma - Mit Genehmigung der Militär-Regierung in Deutschland, Detachement 24‹ weiter zu machen.509 Den Mühlhäuser Anzeiger zierte eine Doppelnummerierung aus neuer und alter Zeit. Die Zeitung starte nach der Genehmigung durch die US-Armee mit der Zählung »Nr. 1(78).«.510 Die Elsterberger Nachrichten begannen nach der amerikanischen Genehmigung zwar ihre 84.

Nummer des Jahrgangs 1945 mit der neuen Zählung ›Nr. 1‹, betonten aber durch die Beibe-haltung der Angabe ›71. Jahrgang‹ ihre lange Tradition.511

506 Vgl. Falk 1989d; Bernhard 1989, S. 46-49; Sperling 591935; Sperling 601937; Handbuch der Deutschen Tagespresse

71944.

507 Siehe Der Mitteldeutsche/Schönebecker Nachrichten, 11.4.45. Vgl. dazu auch ZDB 98/06, 111502f.

508 Vgl. »Der Zeitungskopf der Schönebecker Zeitung im Wandel. 75 Jahre Schönebecker Zeitung.« In: Schönebecker Zeitung, Jubiläumsausgabe, 1.10.1929. – Auflage 1939: 7462 (Mediadaten n. Sperlings 611939, S. 500).

509 Mitteilung Stadtverwaltung Grimma, Stadtarchiv, Leiterin Frau Schön, 24.8.1998.

510 Siehe Mühlhäuser Anzeiger, 28.4.45.

511 Siehe Elsterberger Nachrichten, 2.6.45.

Abbildung 11: Traditionsbruch im Untertitel ausgewiesen – Die Schönebecker Zeitung als NS-Organ und als Mitteilungsblatt des britischen Militärbefehlshabers.

Daneben fanden sich auch Zeitungsnamen, die zwar über eine Tradition verfügten, jedoch nicht mit dem Nationalsozialismus verbunden werden konnten, da sie bereits vor 1933 eingestellt worden waren. Der Name Bernburgische Zeitung, der ab dem 6. Juni 1945 mit amerikanischer Erlaubnis verwendet wurde, war seit 1933 nicht mehr genutzt worden und ging auf das Jahr 1797 zurück.512 Ebenso konnte ein Wiederaufleben eines 1933 ausgeschal-teten sozialdemokratischen Zeitungsnamens Halberstädter Tageblattes erfolgen.513 Während es sich bei diesen Namen um traditionelle aber unbelastete handelte, konnte lediglich in einem

512 Mediaangaben n: Handbuch der deutschen Tagespresse 41932, S. 2; Handbuch der deutschen Tagespresse 71944, S. 86;

Sperlings 511925, S. 272; Sperlings 581933, S. 417f.; Sperlings 611939, S. 391.

513 Mitteilung Werner Hartmann, Halberstadt, 21.1.00, dem ich für die Überlassung einer Kopie danke.

Abbildung 12: Neugründung Altenburger Echo, 15. Juni 1945.514

514 Bestand Stadtarchiv Altenburg.

Fall ein gänzlich neuer Zeitungsname nachgewiesen werden, beim Altenburger Echo (Abb. 12, S.

97).515 Das Altenburger Echo wurde im früheren Gebäude der nationalsozialistischen Thüringer Gauzeitung/Altenburger Beobachter erstellt.516

Die lange Tradition der Zeitungsnamen war nicht zufällig, sondern ging mit entsprechend langen Unternehmenstraditionen einher: Unternehmerische Kontinuitäten waren bei den untersuchten Zeitungen die Regel. Dies betraf auch jene Verlage, die schlichte amtliche Titel herausgaben. Fast alle Zeitungsverlage, die unter der amerikanischen und britischen Besatzung wieder arbeiten durften, hatte bereits vor dem Nationalsozialismus bestanden und das 3. Reich mehr oder weniger unbeschadet überlebt. Einige der Verlage hatten zwar nicht bis zum Kriegsende aber doch bis weit in den Krieg hinein Zeitungen produzieren können und wie die Buchdruckerei Th. Wulfert (Schönebecker Zeitung) erst aus kriegswirtschaftlichen Gründen Stilllegungsverfügungen bekommen oder waren an die NSDAP verkauft worden. Andere wieder zugelassene Verlage hatten unter einem Schutz des NS-Staates gestanden, der groß genug war, die Zeitungen trotz der Material- und Personalknappheit bis unmittelbar zum Einmarsch der westalliierten Truppen vor der Schließung zu bewahren. Trotz ihrer ununterbrochenen unternehmerischen Traditionen wurden nach dem Einmarsch der ameri-kanischen Truppen etwa der Verlag Reinhard Schmidt (bis Kriegsende Burgstädter Tageblatt und Anzeiger), der Limbacher Verlag F.G. Große (Kriegszeitung Neues Tageblatt), der Verlag Julius Pickenhahn (Glauchauer Zeitung), Edgar Herfurt & Co (Leipziger Neueste Nachrichten) oder der Verlag Friedr. Bode (Nachrichten für Grimma) von der Militärregierung erneut mit der Heraus-gabe von Zeitungen oder Bekanntmachungsblättern betraut. Unter diesen erneut aktiven Verlagshäusern waren renommierte Unternehmen wie die Magdeburger Faber-Verlag GmbH, die mit der bereits 1626 gegründeten Magdeburgischen Zeitung eine der ältesten deutschen Zeitungen verlegt hatte und die Geschichte des Druckhauses auf einen Gutenberg-Schüler zurückführte,517 1935 jedoch eine Kapitalbeteiligung der NSDAP akzeptiert hatte.518

Lediglich vereinzelt ließ sich die Arbeit von Betrieben nachweisen, die vor dem Krieg zum sozialdemokratischem Umfeld gehört hatten. Der Verlag Johann Friedrich Eilers, Erfurt, dem

515 Siehe Altenburger Echo Nr. 1-5/1945.

516 Mitteilung Stadt Altenburg, Kulturamt, Stadtarchiv, Frau Schmidt, 27.4.99; sowie Mediadaten in: Handbuch der deutschen Tagespresse 61937, S. 260.

517 Vgl. Baron 1954, S. 1f. – Vgl. zur Verlagsgeschichte auch »Die ›Magdeburgische Zeitung‹ erscheint wieder«, in: ZV+ZV Nr. 3/1954, S. 78.

518 Vgl. Faber 1972, S. 71ff.

die US-Militärbehörden die Amtlichen Nachrichten der Militärregierung für den Stadtkreis Erfurt und Landkreis Weißensee übertrugen, hatte bis 1931 die sozialdemokratischen Tribüne verlegt.519