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3 Alliierte Eroberung und deutscher Zusammenbruch

3.4 Wechsel der Besatzungshoheit

Als Briten und Amerikaner die von ihnen besetzten ostdeutschen Landstriche wieder räumten und an den sowjetischen Verbündeten übergaben, geschah dies in Etappen. Die erste Übergabe von Städten und Landkreisen erfolgte bereits Anfang Mai, die letzten erst Anfang

346 Mitteilung B. Dressel, Stadtarchiv Mittweida, 27.5.99.

347 In der Check List des Handbuches der Besatzungstruppen als erste Maßnahme nach der Übernahme der Besatzungsgewalt vorgesehen (§ 1254, Chapter I, Handbook for Military Government in Germany, Dec. 1944).

348 Vgl. Schreiben Manfred Ahnert, Frankenberg, an Ulrich Koch. In: U. Koch 1999d; U. Koch 1999c.

349 Vgl. Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion, Band 5. Berlin 1967, Karten 102; 105; Böhm 1995a, S. 11; Schraepler 1968, S. 672.

350 Vgl. Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion 1967, Karte 102.

351 »Russen als Ordnungsmacht in Chemnitz«, in: Oelsnitzer Volksbote und Hartensteiner Zeitung, 23.5.45.

352 Vgl. Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion 1967, Karte 102.

Juli 1945. Die nachrückenden Sowjettruppen übernahmen dadurch Gebiete, in denen es bereits zu besatzungspolitischen Maßnahmen der US-Armee gekommen war.

In einer ersten Etappe zogen sich die amerikanischen Truppen auf die als provisorische Grenze festgelegt Elbe-Mulde-Demarkationslinie zurück. Die Räumung der östlich davon gelegenen Gebiete erfolgte in einzelnen Schritten ab Mitte Mai 1945. Der Raum Mittweida wurde bis zum 13. Mai, Geringswalde bis zum 23. Mai 1945 und Burgstädt sowie die Osthälfte von Penig bis zum 14. Juni geräumt.353 Auch südlich von Chemnitz erfolgte ebenfalls eine schrittweise Übergabe der Besatzungshoheit an die Rote Armee. Hier begannen die US-Truppen seit dem 13. Juni mit dem Rückzug.354

Während sich die Westalliierten anfangs lediglich auf die stop line zurückzogen, erfolgte Anfang Juli 1945 die vollständige Übergabe aller weiteren thüringischen, mecklenburgischen und sachsen-anhaltinischen Landstriche an die Rote Armee. Dafür, dass die Westalliierten ab dem 1. Juli Ostdeutschland räumten, übernahmen sie im Gegenzug ihre Besatzungssektoren in Berlin.355

Nicht nur zwischen der Roten Armee und den Westalliierten, auch unter den Westalliierten kam es im Mai und Juni 1945 zu einem Austausch ostdeutscher Landstriche. Kurz nachdem mit der Kapitulation der Krieg in Europa beendet war, begann das US-Militär mit dem Abzug von Soldaten in den Pazifik und mit einer Teildemobilisierung. In Westdeutschland nahmen Briten und Amerikaner ihre jeweiligen Besatzungszonen ein. Beides führte zu umfangreichen Truppenverschiebungen. Als die US-Armee das von ihr besetzte südliche Niedersachsen an die Briten übergab, wechselten gleichzeitig auch die östlich davon liegenden Landstriche die Besatzungsmacht: Die im Norden des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt gelegene

353 Vgl. Gerhard Hofmann, Karte in U. Koch 1999c.

354 Am 15.6.45 informierte der Erzgebirgische Volksfreund aus Aue über eine Meldung des Senders Berlin, wonach das amerik. Oberkommando mitteilte, dass US-Truppen seit dem 13. Juni das Gebiet südlich von Chemnitz auf einer Länge von 50 km in einer Tiefe von 10 bis 20 km bis zur Zwickauer Mulde räumten. Die Rote Armee habe den Ostteil von Zwickau erreicht (vgl. Erzgebirgischer Volksfreund, 15.6.45, zit. n.: Medien Cooperative Audioscop 2001b). – Das westlich von Chemnitz gelegene Limbach war spätestens ab dem 22. Juni 1945 in der Hand der Sowjetarmee (siehe die Berichterstattung im Mitteilungsblatt des Landkreises Limbach, 22.6.45).

355 Vgl. Henke 1995, S. 727; Caspar 1979; Marienfeld 1963; Heinz 1995, S. 65; Böhm 1995b, S. 12. – Sachsen und Thüringen wurden so zwischen dem 1. und 4. Juli an die Sowjetarmee übergeben (vgl. Henke 1995, S. 972. Für eine ausführliche Beschreibung des westalliierten Abzugs vgl. Henke 1995, S. 714ff.).

mark fiel Mitte Mai 1945356 an die Briten, Magdeburg357 und Staßfurt358 am 27. Mai. Die Gegend um Bernburg folgte in der Zeit nach dem 6. Juni.359

Die tatsächliche Dauer der Besetzung Ostdeutschlands war bei Amerikanern und Briten bis zuletzt umstritten.360 Das führte nicht nur bei der betroffenen Zivilbevölkerung zu Unklar-heiten und UngewissUnklar-heiten, sondern zeitweise auch bei den Besatzungstruppen selbst. Für den Einfluss, den das westalliierte Militär auf die Umgestaltung des öffentlichen Lebens und damit auch auf die Presse nehmen konnte, war nicht nur die tatsächliche Dauer der Besatzung von Bedeutung, sondern auch die Perspektiven der handelnden Besatzungstruppen. Das Wissen von einem nur kurzen Besatzungsaufenthalt mit einer anschließenden Übergabe an eine andere Macht musste zu einem anderen Verhalten führen als ein längerfristiger Auftrag, eine Besatzungsverwaltung aufzubauen.361

Die Zweifel an der Dauer der Besetzung ostdeutscher Gebiete resultierten aus der sich mit Ende des Krieges verändernden politischen und militärischen Lage. Zwar hatte ein am 12.

September 1944 von Vertretern der USA, Großbritanniens und der UdSSR unterzeichnetes

›Protokoll über die Besatzungszonen und die Verwaltung Groß-Berlins‹ (am 6. Februar 1945 in Kraft getreten) als Grenze der sowjetischen Zone die Westgrenze von Mecklenburg, der preußischen Provinz Sachsen und Thüringens bestimmt,362 doch wurde diese Aufteilung Deutschlands einerseits im Verlauf der raschen Eroberung ostdeutscher Gebiete durch die westalliierte Truppen und andererseits durch die Aufnahme Frankreichs in den Kreis der Siegermächte wieder in Frage gestellt.363 Die endgültige Klärung zog sich – bei wider-sprüchlichen Signalen der Beteiligten – bis in den Juni 1945 hin. Nach den gemeinsamen alliierten Deklarationen von Berlin-Karlshorst vom 5. Juni 1945 sollten die Grenzen Deutschlands bzw. die Grenzen deutscher Teilgebiete erst später festgelegt werden,364 wobei sich insbesondere Churchill lange gegen die Räumung Ostdeutschlands sperrte.365 Erst aufgrund eines Telegrammwechsels zwischen US-Präsident Harry S. Truman und dem

356 Vgl. Wilfried Lull, autobiografische Schilderungen aus dem Gefangenenlager ›Goliath‹, zit. n. B. Schulze 2001.

357 Vgl. Thomsen 2000.

358 Vgl. Chronologische Entwicklung von Staßfurt 1999.

359 Vgl. Bernburgische Zeitung, 6.6.45.

360 Vgl. etwa Henke 1995, S. 714ff.

361 Im Wissen um den nur kurzfristigen Aufenthalt in Sachsen und Thüringen begannen die USA etwa mit der Zwangs-evakuierung von Wissenschaftlern und dem Abbau von Technologiebetrieben, die in Bayern und Hessen angesiedelt wurden (vgl. Henke 1995, S. 742ff.).

362 Vgl. Siegler 1959, S. 6f.

363 Vgl. Marienfeld 1963, S. 220; S. 223; Henke 1995, S. 714ff.

364 Vgl. Warburg 1949, S. 26f; Siegler 1959, S. 25ff.

365 Vgl. Marienfeld 1963, S. 220; S. 223; Henke 1995, S. 714ff.

sowjetischen Staatschef Josef Stalin vom 14. und 18. Juni 1945 stand der westalliierte Abzug endgültig fest.366

Der bevorstehende Wechsel der Besatzungshoheit wurde der Bevölkerung weitgehend nur gerüchteweise bekannt bzw. (getragen von einer Portion Hoffnung) von der Bevölkerung angezweifelt.367 Die Zweifel am grundsätzlichen Rückzug der Westalliierten fanden ihre Nahrung in der Spekulation, dass die USA Anspruch auf eine Kompensation für jene süd-westdeutschen Gebiete habe, die kurz zuvor zur Bildung der zuvor nicht eingeplanten franzö-sischen Besatzungszone aus dem amerikanischen Besatzungsgebiet herausgeschnitten worden waren.368 Die zum Besatzungswechsel verbreiteten Informationen waren zudem widersprüch-lich: Einerseits verkündeten sowohl das Radio als auch die alliierte Presse nach der Berliner Konferenz den Rückzug der US-Truppen, andererseits »taten die Militärbehörden der USA alles, um diese Maßnahme möglichst lange in Zweifel zu ziehen«.369 Die amerikanische Militär-regierung gab dabei auch an die kommunalen und regionalen Zivilverwaltungen unzutreffende Informationen weiter. Opfer dieser Fehlinformationen wurde dabei auch der Regierungs-präsident des von den Amerikanern wieder errichteten Landes Thüringen, das nach den US-Plänen neben dem 1920 entstandenen Land Thüringen zusätzlich auch die ehemals preußi-schen Besitztümer in Thüringen und alle westsächsipreußi-schen Gebiete westlich der Mulde umfas-sen sollte.370 Der neuen Landesregierung wurde dabei am 12. Juni 1945 mitgeteilt, dass die Mulde endgültig als Grenze zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Besatzungs-zone festgelegt worden sei.371 Auch im Kleinen erhielt die Bevölkerung Signale, die auf einen länger andauernden Aufenthalt westalliierter Soldaten in Ostdeutschland hindeuteten: So täuschte der amerikanische Kommandant des Harzortes Gernrode die Stadtverwaltung noch kurz vor dem Abzug durch eine Bestellung weißen Sandes, mit dem angesichts des bevor-stehenden Sommers das städtische Schwimmbad für die US-Soldaten hergerichtet werden sollte.372

366 Vgl. Siegler 1959, S. 32; Caspar 1979, S. 179; Henke 1995, S. 727; S. 714ff.

367 Vgl. Schütz 1987, S. 64; Wahl 1997, S. 23; Henke 1995, S. 730f.; Auskunft Eva Falk, Wiesbaden, 2.12.98.

368 Vgl. Leonhard Moog, zit. n. Punkt 2, Protokoll der 2. Sitzung des ›Thüringen-Ausschusses‹, Weimar, den 15. Juni 1945, In: Wahl 1997, S. 61-63; hier S. 62.

369 Wahl 1997, S. 23; Vgl. dazu auch Brumme, Johannes [KPD], zit. n.: Punkt 2, Protokoll der 2. Sitzung des ›Thüringen-Ausschusses‹, Weimar, den 15. Juni 1945, , in: Wahl 1997, S. 61-63; hier S. 61 sowie Brumme, Johannes, zit. n.:

Protokoll der 5. Sitzung des Thüringen-Ausschusses am 4. Juli 1945, in: Wahl 1997, S. 91-96; hier 91.

370 Erst 1920 entstand aus sieben kleinen Fürstentümern ein einzelnes Land Thüringen, das jedoch wegen größerer zu Preußen gehörende Landstriche (u.a. Erfurt) ein territorialer Flickenteppich blieb. Nach der faktischen Zerschlagung der Länder im Rahmen der nationalsozialistischen Gaubildung schuf erst die amerikanische Besatzungsmacht 1945 eine geschlossene Landesstruktur und eine zentrale Landesregierung (vgl. Pötzsch 1991, S. 23 sowie Kartenanhang, S. III;

Wahl 2001).

371 Krone 2001, S. 35.

372 Vgl. Henke 1995, S. 737.