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Zielstellung und Vorgehen zu Teil I

Im Dokument Fachlicher Abschlussbericht (Seite 18-21)

Der Deutsche Bundestag hatte zuerst 2013 das „Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radio-aktive Abfälle“, kurz Standortauswahlgesetz (StandAG) beschlossen. Ziel des Standortauswahlverfahrens ist es, in einem wissenschaftsbasierten und trans-parenten Verfahren den bestmöglichen Standort für eine Anlage zur Endlage-rung in Deutschland für die im Inland verursachten, insbesondere hoch radio-aktiven Abfälle, zu finden (§ 1 Abs. 1 StandAG a.F.).

Der Gesetzgeber hat mit den von ihm in §§ 8 ff. StandAG a.F. vorgesehe-nen Elementen zur Öffentlichkeitsbeteiligung Neuland betreten. Das durch das StandAG neu gegründete Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) ist verpflichtet, das Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen und fortzuentwickeln (§ 9 Abs. 4 StandAG a.F.). Bereits zuvor hat die von

Bundestag und Bundesrat eingerichtete „Kommission Lagerung hoch radio-aktiver Abfallstoffe“ (Endlager-Kommission) im Juli 2016 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Endlager-Kommission hat darin gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 5 StandAG a.F. auch „Anforderungen an die Beteiligung und Information der Öffentlichkeit sowie zur Sicherstellung der Transparenz“ erarbeitet; zugleich hatte die

Kommission die Öffentlichkeit an ihrer eigenen Arbeit zu beteiligen (§ 5 Abs. 3 i.V.m. §§ 9, 10 StandAG a.F.).

Für eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Suche und Auswahl des bestmöglichen Endlagerstandortes genügt es nicht, allein das formelle Verfahren einer Öffentlichkeitsbeteiligung zu strukturieren. Die heutige Öffentlichkeit, der die Möglichkeit zur Beteiligung an der Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen etwa zu allgemeinen Sicherheitsanforderungen durch die Kommission gegeben werden soll, wird in weiten Teilen eine andere sein als diejenige, die beispielsweise im Rahmen der übertägigen Erkundung durch das BfE zu beteiligen ist. Diese wiederum wird ihrerseits teils eine andere sein, als die im Hinblick auf die Auswahl für untertägige Erkundungen eben-falls durch das BfE zu beteiligende Öffentlichkeit usw. Denn – zusätzlich zu erst im Laufe der Zeit sichtbar werdenden und möglicherweise wechselnden räum-lichen Betroffenheiten – werden Teile der Öffentlichkeit mit der Zeit

aus-scheiden, teils zwangsläufig aus Altersgründen, teils wegen wegfallender Betroffenheit, teils aus „Ermüdung“.

Suche und Auswahl eines Endlagerstandortes, wie es das StandAG vorsieht, sowie sodann Errichtung und Betrieb eines atomaren Endlagers sind hinsichtlich der zeitlichen und der baulichen Dimension einzigartig. Dies trifft auch auf die Öffentlichkeitsbeteiligung zu. Allerdings existieren in der Bundes-republik Deutschland bereits die Endlagerprojekte Asse II, Morsleben und

Schacht Konrad, bei denen unterschiedliche Erfahrungen mit Beteiligungs-prozessen gemacht wurden. Während beispielsweise Asse II bundesweit für Schlagzeilen sorgt und breit öffentlich diskutiert wird und eine Asse II-Begleit-gruppe ins Leben gerufen wurde, schaut auf Morsleben so gut wie niemand. Es bestehen also möglicherweise an unterschiedlichen Standorten auch unter-schiedliche Herausforderungen. Das wird bei der Endlagersuche für einen Standort für hochradioaktive Stoffe auch so sein können.

Die bisherigen Beteiligungserfahrungen bei atomrechtlichen Zulassungs-verfahren sind im Wesentlichen geprägt von formellen Mitwirkungsmöglich-keiten. Diese sind jedoch spätestens seit den Ereignissen zum Bahnhofsbau von Stuttgart 21 in der Kritik. Zentrale Kritikpunkte sind:

1. der späte Zeitpunkt der Beteiligung,

2. oftmals zu starre Fristen, Informationserlangung und Durchführung nur eines Erörterungstermins sowie die kaum vorhandene Rückkopplung der Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens an die Einwenderinnen und Einwender,

3. zu wenig Anpassungsmöglichkeiten des Beteiligungsprozesses an die konkreten Fallkonstellationen sowie

4. zu wenig Interesse und Ressourcen der Zulassungsbehörden, die Öffentlichkeit in ein solches Verfahren adäquat einzubinden.

Auf wissenschaftlichen Tagungen sowie in Publikationen seit 2010 sind zentrale Fragen im Kontext Öffentlichkeitsbeteiligung bereits thematisiert worden.1 Dabei wurden zahlreiche Vorschläge diskutiert und viele praktische Erfahrungen mit Planungsverfahren zusammengefasst.2 Es wurde auch tief-gehend erörtert, dass die repräsentative Demokratie über gewisse Fehlstellen verfügt und sich daher die Notwendigkeit „analytisch-deliberativer Beteili-gungsprozesse“ ableitet.3 Zugleich sind auch immer wieder die Grenzen der Öffentlichkeitsbeteiligung in umweltrelevanten Zulassungsverfahren diskutiert und erörtert worden.4 Deutlich geworden ist, dass die Kombination aus for-mellen und inforfor-mellen Beteiligungsmethoden wünschenswert ist, zugleich aber hierfür kein Patentrezept existiert, sondern jedes Konzept für Öffentlich-keitsbeteiligung an das Zulassungsverfahren angepasst werden muss. Dies gilt besonders für Großprojekte und/oder zeitlich lang dauernde Verfahren.

Das StandAG a.F. hat ab §§ 9 ff. Grundsätze sowie die methodische Ausgestaltung, die Formate und Elemente des Beteiligungsprozesses normiert.

Hiernach ist bereits eine frühzeitige Beteiligung nicht erst für das eigentliche Genehmigungsverfahren eines Endlagers, sondern bereits für die

1 Siehe u.a. Dialogik 2011; Bertelsmann-Stiftung 2011b; Politische Ökologie 2011.

2 Siehe Verein Deutscher Ingenieure (VDI): Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung bei Industrie- und Infrastrukturprojekte VDI 7000, unter:

https://www.vdi.de/wirtschaft-politik/fruehe-oeffentlichkeitsbeteiligung [20.11.2016].

3 Siehe beispielsweise Renn 2011a.

4 Siehe u.a. Steinberg 2011 und Durner 2011.

auswahl vorgesehen, die durch Bürgerbüros und entsprechende Bürgerver-sammlungen an den Standorten sowie Bürgerdialoge (pluralistische Bürger-konferenzen) gekennzeichnet sein sollen. Die im StandAG normierte Öffentlich-keitsbeteiligung geht damit über das hinaus, was im atomrechtlichen Geneh-migungsverfahren oder in Planfeststellungs- und GenehGeneh-migungsverfahren etwa nach dem BundesImmissionsschutzgesetz vorgesehen ist. Der Gesetz-geber des StandAG wollte mit der der Öffentlichkeit in dem Verfahren zuge-wiesenen Rolle Vertrauen in den Neuanfang der Endlagersuche in Deutsch-land und Akzeptanz, mindestens aber Akzeptabilität der späteren Standortaus-wahl schaffen und den Planungsprozess optimieren.

Im Folgenden geht es zunächst darum, die spezifischen inhaltlichen, zeitlichen aber auch gesellschaftlichen Dimensionen und Ausmaße des Verfahrens zu bestimmen und zu konkretisieren; hierfür werden zunächst die besonderen Rahmenbedingungen und Anforderungen der Öffentlichkeits-beteiligung im Standortauswahlverfahren herausgearbeitet und analysiert.

Dabei wird von den folgenden vier Aspekten ausgegangen, die den Endlagersuchprozess entscheidend bestimmen:

• Die Lösung der Endlagerfrage ist alternativlos, der radioaktive Müll ist vorhanden.

• Es handelt sich um einen über Jahrzehnte und mehrere Auswahlstufen angelegten Prozess.

• Es werden teils hochkomplexe Sachverhalte diskutiert; es geht um die Folgen einer Hochrisikotechnologie.

• Die vergangenen Jahrzehnte zur Endlagersuche in Deutschland haben tiefe Gräben in der Gesellschaft hinterlassen; Vertrauen in staatliche Institutionen wurde vielfach zerstört.

Empfehlungen für eine wirksame Ausgestaltung der Öffentlichkeits-beteiligung im Rahmen der Suche und Auswahl eines Endlagerstandortes muss neben einer Analyse der existierenden Regelungen zur Öffentlichkeits-beteiligung notwendig eine Analyse der Besonderheiten der Endlagersuche und -auswahl sowie von Erfahrungen mit Endlagerprojekten in Deutschland vorausgehen: In Kapitel 2 erfolgt daher die Analyse und Bewertung dieser Rahmenbedingungen hinsichtlich

• historischer und gesellschaftspolitischer Hintergründe der Standort-auswahl (I, Kapitel 2.1),

• der Erfahrungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung im Zusammenhang mit der Endlagerung radioaktiver Abfälle (I, Kapitel 2.2),

• der Regelungen des Standortauswahlgesetzes (I, Kapitel 2.3) sowie

• den Ausführungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Bericht der Endlager-Kommission (I, Kapitel 2.4).

Auf Basis dieser Ausführungen wird die besondere Komplexität des Stand-ortauswahlverfahrens für Deutschland abgeleitet (I, Kapitel 3), aus denen sich im Weiteren dann Anforderungen in Form von grundlegenden Prämissen für die Ausgestaltung für eine wirksame Öffentlichkeitsbeteiligung ergeben (I, Kapitel 4). Zunächst gilt es jedoch, den Begriff der Öffentlichkeit bzw. Öffent-lichkeitsbeteiligung kurz zu diskutieren bzw. zu definieren (I, Kapitel 1.2) sowie die Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlverfahren in den größeren Zusammenhang einer demokratietheoretischen Herausforderung zu stellen (I, Kapitel 1.3).

Im Dokument Fachlicher Abschlussbericht (Seite 18-21)