• Keine Ergebnisse gefunden

Exkurs: Erfahrungen anderer europäischer Länder mit

Im Dokument Fachlicher Abschlussbericht (Seite 44-49)

2.2 Erfahrungen aus Öffentlichkeitsbeteiligungen im Zusammen- hang mit

2.2.6 Exkurs: Erfahrungen anderer europäischer Länder mit

Der europäische Vergleich von Beteiligungsmaßnahmen bedarf der Berücksichtigung der jeweiligen nationalen politischen wie regulatorischen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern sowie der Betrachtung gesellschaftlicher Strukturen und Erfahrungen im Bereich partizipatorischer Prozesse. Diese Faktoren haben neben den gemachten Erfahrungen mit Standortauswahlverfahren in der Vergangenheit Einfluss auf die Ausge-staltung sowie die Gelingensfaktoren von Beteiligungsverfahren; ein unmittel-barer Vergleich ist daher nicht ohne Weiteres möglich. Generell gibt es inter-national vielfältige Beteiligungsprozesse, die etabliert sind und in den

jeweiligen Ländern gut funktionieren; aufgrund der jeweils länderspezifischen Kontexte kann man die Erfahrungen aber nur bedingt auf die spezielle

Situation in Deutschland übertragen.108

In der Schweiz hat bereits in den Jahren 1998 bis 2000 eine vom schweize-rischen Bundesrat eingesetzte Gruppe von Sachverständigen die Grundlagen für das schweizerische Entsorgungsprogramm erarbeitet; dieses Konzept ist im Kernenergiegesetz (KEG) für alle Abfallarten festgeschrieben.109 Im KEG ist außerdem die Pflicht zur inländischen Entsorgung (Art. 30) formuliert. Das Auswahlverfahren für ein geologisches Tiefenlager ist mit dem „Sachplan geologisches Tiefenlager“ (SGT) von 2008 festgelegt: Dieser Sachplan ist das wichtigste Planungsinstrument des Bundes; es besteht aus einem Konzept- und einem Umsetzungsteil. Der Konzeptteil wurde 2008 vom schweizerischen Bundesrat verabschiedet; darin sind Verfahren und Kriterien für die Standortauswahl festgelegt.110 Die Auswahl erfolgt in drei Etappen:111

• Auswahl von geologischen Standortgebieten je für schwach- und mittel-aktive sowie für hoch mittel-aktive Abfälle

• Auswahl von mindestens zwei Standorten für schwach- und mittelaktive sowie für hoch aktive Abfälle

• Standortauswahl mit Rahmenbewilligungsverfahren nach dem KEG Etappe 1 endete 2011 mit der Festlegung von sechs Standortgebieten, die sich aus sicherheitstechnischer Sicht für ein Tiefenlager eignen; Etappe 2 der Standortauswahl wurde im Dezember 2014 mit einem Vorschlag für die weitere Einengung auf zwei potenzielle Endlagerstandorte (Zürich Nordost und Jura Ost) abgeschlossen.112 Etappe 3 wird zehn Jahre dauern und in das

108 Eine ausführliche Diskussion kann an dieser Stelle nicht erfolgen; wir konzentrieren uns auf die Schweiz, Schweden und Finnland. Eine ausführliche Erörterung bzw. einen entsprechenden Ländervergleich, der weitere europäische Länder die Beteiligungsverfahren betreffend einbezieht, stellen u.a. Kallenbach-Herbert 2014, Brunnengräber et al. 2015 oder Öko-Institut 2007 an; vgl. auch Kommissionsbericht 2016, S. 204-211.

109 Vgl. Kernenergiegesetz (KEG) vom 21.03.2003 (Stand 01.07.2016), unter:

https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20010233/index.html [10.11.2016].

110 BFE 2008, Revision vom 30.11.2011.

111 BFE 2008, S. 34ff.

112 Im Einzelnen siehe NAGRA 2014 sowie NAGRA 2015.

bewilligungsverfahren überführen. Die Rahmenbewilligung erteilt der Bundes-rat und muss vom Parlament bewilligt werden; falls ein Referendum erfolgt, kann die schweizerische Bevölkerung in einer nationalen Abstimmung final darüber befinden. Als Zeitplan für die Inbetriebnahme des Lagers für schwach- und mittelaktive Abfälle ist 2050, für hochaktive Abfälle 2060 anvisiert.113

In der Schweiz ist die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radio-aktiver Abfälle (NAGRA) das technischer Kompetenzzentrum für die Entsor-gung radioaktiver Abfälle in geologischen Tiefenlagern; ihr Auftrag ist neben Planung geowissenschaftlicher Tiefenlager inkl. zu erbringender Sicherheits-nachweise auch die transparente Information der Öffentlichkeit.114 Informations-pflichtig ist auch das Bundesamt für Energie (BFE), was als verfahrensleitende Behörde auch die 2011 eingerichteten Regionalkonferenzen koordiniert. Diese Regionalkonferenzen sind die zentralen Gremien der regionalen Mitwirkung am Standortauswahlverfahren, in denen Vertreterinnen und Vertreter der re-gionalen Behörden, Organisationen und Privatpersonen den Prozess aktiv gestalten.

Definitorisch ist die regionale Partizipation wie folgt festgelegt und grund-legend für den gesamten Prozess: „Die regionale Partizipation im Rahmen des Sachplans geologische Tiefenlager bezeichnet ein Instrument einer Standort-region zur Mitwirkung – im Sinne von Einbezug und Mitsprache – mit dem Ziel der Einflussnahme. Mit diesem Instrument entwickeln und formulieren Bevölke-rung, Institutionen sowie Interessengruppen in oder aus einer Standortregion ihre Forderungen, Anliegen, Fragen, Bedürfnisse und Interessen zuhanden des Bundes und der Gemeinden der Standortregion.“115

Damit ist die Rolle bzw. der Handlungsrahmen eindeutig formuliert. Vor diesem Hintergrund haben sich in allen sechs Standortregionen Regional-konferenzen etabliert, deren Aufgabe es war und ist, Forderungen und Empfeh-lungen insbesondere zu Belangen der Raumordnung, zu

Sicherheitsbe-stimmungen und zu möglichen sozioökonomischen oder ökologischen Auswir-kungen zu erarbeiten, die dann in den Entscheidungsprozess einfließen.116 Kritisiert wird hierbei, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung sich derzeit nur mit der Lage und Ausgestaltung der Oberflächenanlagen beschäftigt, nicht aber mit der Sicherheit des unterirdischen Lagers.117

113 Vgl. Aebersold/Jordi 2015, S. 463; siehe auch Kommissionsbericht 2016, S. 195ff.

114 Vgl. http://www.nagra.ch/de/auftrag.htm [10.11.2016].

115 BFE 2011, S. 19; weitere zentrale Texte wie Konzepte, Berichte, Evaluationen, Leitfäden etc. in Bezug auf die Regionale Partizipation im Rahmen der Endlagersuche in der Schweiz unter:

http://www.bfe.admin.ch/radioaktiveabfaelle/01375/04397/index.html?lang=de [10.11.2016].

116 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 198; Aebersold/Jordi (2015, S. 470) listen Zahlen und Fakten zur regionalen Partizipation: Die Anzahl der einbezogenen Gemeinden werden dort beispielsweise mit 199 genannt, was zugleich auf die Herausforderungen der regionalen Partizipation verweist.

117 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 212.

Als Herausforderungen für die regionale Partizipation lassen sich für den schweizerischen Endlagersuchprozess folgende Erkenntnisse festhalten; für eine gelingende Beteiligung braucht es:118

• Akzeptanz der Rahmenbedingungen der Beteiligten

• Flexibilität innerhalb der Rahmenbedingungen

• Definition der Rollen und Pflichten der Beteiligten

• Sorgfältige Planung

• Zeit und Ressourcen

• Wille und Bereitschaft der Verfahrensverantwortlichen, sich auf einen partizipativen Prozess einzulassen

• Vertrauen der Beteiligten in die Fachleute und Behörden

• ernsthafter Umgang mit den Ergebnissen

In Schweden liegt die Verantwortung für Entsorgung und Endlagerung der atomaren Brennelemente bei den Betreibern der Kraftwerke; diese haben sich in einer Aktiengesellschaft Svensk Kärnbränslehantering AB (SKB) zusammen-gefunden.119 Mit der Suche nach einem Endlager hat die SKB bereits 1977 begonnen; von 1993 bis 2000 wurden von der SKB an acht potenziellen Stand-orten so genannte Machbarkeitsstudien durchgeführt. Alle Standorte haben kristallines Wirtsgestein; Steinsalz oder Tongestein sind in Schweden nicht vorhanden. Entscheidungsrelevant war mithin die Akzeptanz in der Bevölke-rung. Nach weiteren Erkundungen und Gemeinereferenden entschied sich die SKB im Juni 2009 für den Standort Forsmark, u.a. auch weil dort das Gestein eine höhere Wärmeleitfähigkeit und eine höhere Dichte und weniger Klüfte aufweist; im März 2011 hat die SKB einen Antrag zur Errichtung des Endlagers für hoch radioaktive Abfälle an diesem Standort bei den schwedischen Auf-sichtsbehörden eingereicht. Über diesen Antrag wird voraussichtlich zwischen 2018 und 2020 entschieden; der Bau des Endlagers soll dann 2025

abge-schlossen sein.120

Der Umstand, dass eine private Firma der Nuklearindustrie für die Entsorgung des radioaktiven Abfalls zuständig ist, bringt einige Probleme mit sich: Die Forderung nach Transparenz ist hier ebenso von Belang wie die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Standortsuche und -auswahl.121 Gleich-wohl wird das Vorhaben von verschiedenen regionalen und überregionalen Bürgerinitiativen und Verbänden begleitet. Diese sehen ihre Aufgabe über-wiegend darin, das Verfahren kritisch zu begleiten und auf höchstmögliche Transparenz aller Entscheidungen hinzuwirken. Bürgerinitiativen, deren Protest im Wesentlichen darauf zielte, ein Endlager am jeweiligen Standort zu verhin-dern, haben sich zwischen zeitlich wieder aufgelöst. „Das Interessante an dem schwedischen Verfahren ist vor allem, dass aus dem Entsorgungsfond [der SKB]

118 Aebersold/Jordi 2015, S. 471ff.

119 Die SKB beschäftigt derzeit rund 500 Mitarbeitende; darunter 30 allein im Bereich Kommunikation, vgl. Kommissionsbericht 2016, S. 198ff.

120 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 199.

121 Im Einzelnen siehe Kåberger/Swahn 2015, S. 451ff.

Mittel für Umweltgruppen und andere NGOs zur Verfügung gestellt wurden, damit diese an den öffentlichen Debatten und Prüfungen des schwedischen Entsorgungskonzeptes teilnehmen konnten.“122

In Finnland gibt es einige Vergleichbarkeiten zu Schweden: Auch hier liegt die Verantwortung für die Standortauswahl und Endlagerung in der Hand von Privatfirmen; zur operationalen Realisierung eines zentralen Endlagers für abgebrannte Brennelemente wurde das private Unternehmen Posiva Oy ge-gründet, an dem die Kraftwerksbetreiber zusammen 100 Prozent der Anteile halten. Und wie in Schweden steht auch nur Kristallingestein als potenzielles Wirtsgestein für ein geologisches Tiefenlager zur Verfügung.123

Von staatlicher Seite sind das Ministerium für Arbeit und Wirtschaft (einschlägige Forschung und Rechtssetzung, Genehmigungsbehörde für das Endlager sowie Aufsicht über den Fonds) sowie die fachliche unabhängige und mit Vetorecht ausgestattete Strahlenschutzbehörde (Aufsichts- und wissen-schaftliche Fachbehörde, u.a. Festlegung der Sicherheitsanforderungen) die wesentlichen Akteure.

Das finnische Kernenergiegesetz sieht für die Errichtung eines Endlagers ein mehrstufiges Verfahren vor:124

• Entscheidung des Staatsrates zur Errichtung eines Endlagers

• Standortsuche unter Einbindung von regionalen und überregionalen Verwaltungen und Organisationen mit Stellungnahmen und öffentlichen Anhörungen

• Ratifizierung der abschließenden Standortentscheidung des Staatsrates durch das Parlament

• endgültige Baugenehmigung und Betriebserlaubnis durch Staatsrat und Präsentation im Parlament

Nach dem Regierungsbeschluss hat Posiva Oy von 1986 bis 1992 erste Standorte untersucht, davon wurden 1993 bis 2000 vier sowohl über- als auch untertägig erkundet. Darunter waren auch die beiden Kernkraftwerksstandorte Loviisa und Olkiluoto, bei denen sich die bestehenden Zwischenlager für hoch- sowie die Endlager für schwach und mittel radioaktive Abfälle befinden.125 Alle vier Standorte erwiesen sich als grundsätzlich geeignet; zur Minimierung der Transportwege wählte Posiva Oy Olkiluoto aus. Diese Entscheidung wurde vom örtlichen Gemeinderat mit großer Mehrheit unterstützt; eine Umfrage unter der ortsansässigen Bevölkerung ergab ebenfalls eine mehrheitliche

Zu-stimmung. Die Regierung billigte die Standortauswahl im Dezember 2000; das

122 Schreurs, Miranda auf der 6. Sitzung der Endlager-Kommission am 5. Dezember 2014, Wortprotokoll S. 44; siehe auch Kåberger/Swahn 2015, S. 452.

123 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 201f; dort auch weitere Einzelheiten zum Endlagerkonzept in geologisch-technischer Hinsicht.

124 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 202.

125 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 201f.

Parlament ratifizierte diese Regierungsentscheidung im Mai 2001. Der Bauan-trag für ein Endlager in Olkiluoto wurde Ende 2012 gestellt und im November 2015 durch die finnische Regierung genehmigt. Mit dem Bau soll 2023

begonnen werden.126

Die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure wird im Genehmigungs-verfahren hauptsächlich über Anhörungen gewährleistet; daneben besteht umfassender Rechtsschutz vor finnischen Gerichten, allerdings nur gegen die konkrete Endlagergenehmigung. Einwände von Anwohnerinnen und Anwoh-nern sind am Standort in Olkiluoto kaum zu erwarten: Zum einen gehören 90 Prozent der Halbinsel, auf der das Endlager errichtet wird, der Betreibergesell-schaft; zum anderen hat die Gemeinde insgesamt von ihrem Veto-Recht nicht Gebrauch gemacht. Und auch generell hat das öffentliche Interesse seit der Grundsatzentscheidung der Regierung zur Errichtung eines Endlagers insge-samt abgenommen; die Strahlenschutzbehörde fokussiert ihre diesbezüglichen Aktivitäten darauf, durch Transparenz und Information das öffentliche Ver-trauen zu gewinnen und zu erhalten.127

Die exemplarische Skizzierung verschiedener Länder macht deutlich, dass es verschiedene Faktoren gibt, die sich nicht unmittelbar auf die Suche eines Endlagers in Deutschland übertragen lassen: Folgende Fragen spielen hier eine Rolle:128

• die Frage nach den vorliegenden Wirtsgesteinen und damit verbundenen Sicherheitsanforderungen und -konzepten

• die Frage nach der staatlichen oder privatwirtschaftlichen Aufgabe der Endlagerung und deren rechtlichen Implikationen

• die Frage nach der Finanzierung, deren Sicherstellung und Ausgestaltung

• die Frage nach den gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen in Bezug auf die Verankerung von Elementen direkter Demokratie in der

Verfassungsordnung, dem Selbstverständnis der Bevölkerung, dem politischen und regulatorischen System etc.

Dennoch lassen sich einige grundsätzliche Schlussfolgerungen für die Aus-gestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung ableiten: Zunächst wird deutlich, dass nirgendwo auf der Welt ein rein technisches Verfahrens erfolgreich ist. Dies führte immer zu einem entsprechend den Rahmenbedingungen angepassten Grundkonzept der Standortsuche. Die Frage nach der Sicherheit eines Stand-ortes und der erreichten Akzeptanz in der dortigen Bevölkerung stellt sich aber schon ambivalent dar: Bislang konzentrierten sich erfolgreiche Suchverfahren darauf, unter mehreren grundsätzlich geeigneten Standorten den mit der höch-sten Akzeptanz auszuwählen; in Deutschland wird die Auswahl des insbeson-dere unter Sicherheitsaspekten besten Standortes als besonders wichtige Voraussetzung für die spätere Akzeptanz in der betroffenen Bevölkerung ge-sehen. Mit einem Veto-Recht betroffener Gebietskörperschaften im

126 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 202.

127 Vgl. u.a. Kommissionsbericht 2016, S. 204.

128 Zusammengefasst nach Kommissionsbericht 2016, S. 211f.

wahlverfahren gibt es ebenso sehr ambivalente Erfahrungen: „Während sie teilweise dazu beigetragen haben, die Akzeptanz in ausgewählten Gemeinden deutlich zu fördern, führten sie in anderen Staaten aber auch zum erzwunge-nen Abbruch.“129 Schließlich bleibt aber festzuhalten, dass Transparenz und die Möglichkeit zur aktiven Mitwirkung immer notwendige, wenngleich nicht immer hinreichende Elemente erfolgreicher Auswahlverfahren waren.

Im Dokument Fachlicher Abschlussbericht (Seite 44-49)