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Inkrafttreten, Außerkrafttreten

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen 1 UN-BRK

Am 26. März 2009 ist das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderun-gen (Behindertenrechtskonvention - BRK) in Deutschland in Kraft getreten. Die UN-BRK ist seither geltendes Recht und eine wichtige Leitlinie für die Behindertenpolitik in Deutschland. Bund, Länder und Kommunen sowie die Sozialversicherung und andere In-stitutionen arbeiten ständig an der Weiterentwicklung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Mit der Ratifikation der UN-BRK hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu bekannt, das deutsche Recht grundsätzlich in Übereinstimmung mit die-sem Menschenrechtsübereinkommen weiterzuentwickeln.

Hinsichtlich der Umsetzung der UN-BRK hat Deutschland schon viel erreicht. Es gibt zahl-reiche Gesetze, Regelungen, Maßnahmen und Projekte auf Bundes-, Landes und kommu-naler Ebene, die das Recht auf selbstbestimmtes Leben, Teilhabe und Inklusion von Men-schen mit Behinderungen ermöglichen und fördern. Schon lange vor der Ratifizierung der UN-BRK wurde mit der Aufnahme des Benachteiligungsverbots in Artikel 3 Absatz 3 Grund-gesetz (GG) im Jahr 1994 der grundlegende Wandel in der Behindertenpolitik verfassungs-mäßig manifestiert. Die nächsten Schritte auf Bundesebene waren 2001 ein eigenes Ge-setzbuch für die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die Verabschiedung des Behindertengleich-stellungsgesetzes (BGG). Das BGG soll im Sinne der UN-BRK weiterentwickelt werden.

2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Es schützt Menschen im Arbeitsleben und Zivilrechtsverkehr vor Diskriminierungen nicht nur auf Grund einer Be-hinderung, sondern auch aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Ge-schlechts, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Identität. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-vention (NAP), die derzeit in Arbeit befindliche Weiterentwicklung des Nationalen Aktions-plans (NAP 2.0), die Aktionspläne, Maßnahmen und Leistungen der Länder und Kommunen sowie anderer staatlicher und privater Organisationen helfen bei der Umsetzung der UN-BRK in der Praxis.

In der Behindertenpolitik des 21. Jahrhunderts in Deutschland geht es nicht nur um ein gut ausgebautes Leistungssystem, sondern vielmehr um die Verwirklichung von Menschen-rechten durch gleichberechtigte Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftli-chen und kulturellen Leben. Es geht um Inklusion und Chancengleichheit in der Bildung, um berufliche Integration und um die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, allen Bürgerinnen und Bürgern ein selbstbestimmtes Leben in einer barrierefreien Gesellschaft zu ermögli-chen und Diskriminierungen abzubauen. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bei den Vereinten Nationen der Bundesrepublik Deutschland in seinen „Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands“ vom 13. Mai 2015 eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen zur weiteren Umsetzung der UN-BRK gegeben. So soll die Bundesrepublik Deutschland unter anderem – die gesetzliche Definition von Behinderung mit den allgemeinen Grundsätzen und

Best-immungen der UN-BRK in Einklang bringen,

– ausreichende Finanzmittel verfügbar machen, um die Deinstitutionalisierung und selbstbestimmtes Leben zu fördern,

– die Voraussetzungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt schaffen,

– eine Prüfung des Umfangs vornehmen, in dem Menschen mit Behinderungen ihr per-sönliches Einkommen verwenden, um ihre Bedarfe zu decken und selbstbestimmt zu leben und

– Menschen mit Behinderungen soziale Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die ihnen Inklusion, Selbstbestimmung und die Entscheidung, in der Gemeinschaft zu le-ben, ermöglichen.

Ein wesentliches Recht, das die UN-BRK präzisiert, ist das Recht auf Zugang zur Arbeits-welt. Arbeit zu finden und den Arbeitsplatz sowie die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, sind wichtige Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft. Die Teilhabe am Arbeitsleben gehört daher zu den Kernbe-reichen der Politik der Bundesregierung für Menschen mit Behinderungen und ist ein zent-rales Handlungsfeld des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-BRK.

Ein Blick auf die Beschäftigungssituation der schwerbehinderten Menschen zeigt eine ins-gesamt positive Entwicklung in den vergangenen Jahren. Die Zahl der bei beschäftigungs-pflichtigen Arbeitgebern beschäftigten schwerbehinderten Menschen steigt stetig auf zu-letzt rund 1,1 Mio. in 2012. Auch die Beschäftigungsquote steigt. Sie lag 2013 bei 4,7 Pro-zent. Die Zielmarke von 5 Prozent ist damit noch nicht erreicht, aber die Tendenz ist anstei-gend. Das zeigt, dass sich das aktuelle System von Beschäftigungspflicht und Ausgleichs-abgabe grundsätzlich bewährt hat, so dass Änderungen insoweit nicht erforderlich sind.

Gleichwohl ist festzustellen, dass schwerbehinderte Menschen auf Jobsuche nicht in glei-chem Umfang wie nicht schwerbehinderte Menschen von der anhaltend guten Arbeits-marktlage profitiert haben. Die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen ist im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um ein Prozent angestiegen, während die allgemeine Arbeitslosigkeit in diesem Zeitraum um zwei Prozent zurückgegangen ist.

Auch die Spitzenverbände der Wirtschaft (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-verbände, Deutscher Industrie- und Handelskammertag, Zentralverband des Deutschen Handwerks) haben sich in der „Inklusionsinitiative für Ausbildung und Beschäftigung“ dazu bekannt, bei ihren Mitgliedsbetrieben für mehr Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu werben. Durch das von ihnen gestartete Projekt „Wirtschaft Inklusiv“ stehen 15 Inklusi-onslotsen in acht Projektregionen für Information und Beratung der Betriebe bereit. In den Betrieben sind in erster Linie die Schwerbehindertenvertretungen die Multiplikatoren für den Inklusionsgedanken. Gleichzeitig unterstützen sie die Arbeitgeber, wenn es um die Be-schäftigung schwerbehinderter Menschen geht. Sie entlasten die Arbeitgeber auch, etwa bei Verhandlungen mit den Agenturen für Arbeit oder den Integrationsämtern.

I.2 Bund-Länder-Diskussionsprozess zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe Hinsichtlich der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe haben Bund und Länder bereits im Vermittlungsverfahren zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) im Jahre 2003 die Vereinbarung getroffen, die seit Jahren signifikant steigenden Empfänger-zahlen und Kosten in der Eingliederungshilfe gemeinsam aufzuarbeiten und Lösungen zu entwickeln. In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen“ wurde der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) 2008 ein erstes Vorschlagspapier für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe vorge-legt und von dieser einstimmig gebilligt. 2009 vorge-legte die Arbeitsgruppe Eckpunkte für ein Reformgesetz der Eingliederungshilfe vor, die von der ASMK ebenfalls einstimmig zur Kenntnis genommen wurden; gleichzeitig wurde die Bundesregierung aufgefordert, den Entwurf eines Reformgesetzes so rechtzeitig vorzulegen, dass es noch in der seinerzeitigen Legislaturperiode des Bundestages verabschiedet werden kann.

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe sah die Notwendigkeit einer vertieften Bearbeitung noch klärungsbedürftiger Fragen, die in Begleitprojekten erfolgte. Die Ergebnisse flossen in fort-entwickelte Eckpunkte ein, die von der ASMK 2010 mit einstimmigem Beschluss zur Kennt-nis genommen wurden. Als zentrale Aussage sprachen die Länder ihre Erwartung aus,

dass die Bundesregierung einen Arbeitsentwurf für ein Gesetz so rechtzeitig vorlegt, dass dieses noch in der 17. Legislaturperiode verabschiedet werden kann.

Daraufhin setzte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe die Arbeiten fort, indem die Eckpunkte konkretisiert wurden. Die Ergebnisse sind in das „Grundlagenpapier zu den Überlegungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen“ der ASMK“ vom 23. August 2012 eingeflossen. Die ASMK 2012 hat mit einstimmigem Beschluss das Grundlagenpapier zur Weiterentwicklung der Eingliederungs-hilfe zur Kenntnis genommen und eine Länder-Arbeitsgruppe beauftragt, eine Konzeption für ein Bundesleistungsgesetz unter Einbeziehung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zur erarbeiten.

Die Länder-Arbeitsgruppe hat daraufhin 2013 einen „Bericht für die ASMK zu einem Bun-desleistungsgesetz“ erarbeitet. Dieser enthält neben inhaltlichen Vorschlägen zur struktu-rellen Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe entsprechend dem Grundlagenpapier u.a.

Vorschläge zu verschiedenen Maßnahmen zur Übernahme der Kosten der hilfe durch den Bund bzw. zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungs-hilfe. Der Bericht wurde von der ASMK 2013 zustimmend zur Kenntnis genommen; der Bund wird einstimmig aufgefordert, umgehend ein „Bundesleistungsgesetz“ zu erarbeiten.

Die ASMK 2014 begrüßt mit Bezug auf den Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode mit einstimmigem Beschluss, dass der Bund die Eingliederungshilfe für Menschen mit Be-hinderungen aus dem Fürsorgesystem herauslösen will und „sich mit mindestens 5 Mrd.

Euro netto pro Jahr an den Kosten der reformierten Eingliederungshilfe beteiligen wird.“ Der Bund wird erneut aufgefordert, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der spätestens im Som-mer 2016 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden kann. In Bezug auf den Inhalt fordert der Beschluss im Wesentlichen, dass der Gesetzentwurf dem „Bericht für die ASMK zu einem Bundesleistungsgesetz“ der Länderarbeitsgruppe und dem Grundlagen-papier entspricht.

Zuletzt hat die 92. ASMK am 18./19. November 2015 einstimmig das Vorhaben der Bun-desregierung begrüßt, die Grundlagen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinde-rungen durch ein neues Bundesteilhabegesetz zu reformieren.

I.3 Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode

Die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag für die 18. Le-gislaturperiode darauf verständigt, die Integration von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu begleiten und so die Beschäftigungssituation nachhaltig zu verbessern. Der Übergang zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und dem ersten Arbeitsmarkt sollen erleichtert, Rückkehrrechte garantiert und die Erfahrungen mit dem „Budget für Arbeit“ einbezogen werden.

Die Leistungen an Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur einge-schränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben der Gesellschaft haben, sollen aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herausgeführt und die Eingliederungshilfe zu einem moder-nen Teilhaberecht weiterentwickelt werden. Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend eines bundeseinheitlichen Verfahrens personenbezo-gen ermittelt werden. Leistunpersonenbezo-gen sollen nicht länger institutionszentriert, sondern personen-zentriert bereitgestellt werden. Dabei soll die Einführung eines Bundesteilhabegeldes ge-prüft werden. Die Neuorganisation der Ausgestaltung der Teilhabe zugunsten der Men-schen mit Behinderungen soll so geregelt werden, dass keine neue Ausgabendynamik ent-steht.

Darüber hinaus sollen die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung des Bundesteilha-begesetzes im Umfang von fünf Milliarden Euro jährlich von der Eingliederungshilfe entlas-tet werden.

I.4 Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz

Die Inhalte dieses Gesetzes wurden in einem breit angelegten Beteiligungsprozess vorab mit den Betroffenen und Institutionen erörtert. Zu diesem Zweck hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales die hochrangige „Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“ eingesetzt.

Nach dem Grundsatz der Selbstvertretung der Menschen mit Behinderungen „Nichts über uns ohne uns“, der auch Eingang in den Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode ge-funden hat, stellten die Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände die größte Anzahl an Mitgliedern in der Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe hat im Zeitraum Juli 2014 bis April 2015 in insgesamt neun Sitzungen die möglichen Reformthemen und -ziele eines Bundes-teilhabegesetzes besprochen und die Kernpunkte der Reform erörtert und abgewogen. Zur Erarbeitung eines konsentierten Zahlenfundaments für die finanzwirksamen Reformele-mente hat die Arbeitsgruppe eine Unterarbeitsgruppe Statistik und Quantifizierung einge-setzt, um eine erste Abschätzung finanzieller Auswirkungen zu bekommen. In der Geset-zesfolgenabschätzung dieses Gesetzes wurde auf Ergebnisse dieser Unterarbeitsgruppe zurückgegriffen, soweit es möglich war. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Bundesteilhabe-gesetz und der Unterarbeitsgruppe Statistik und Quantifizierung sind im Internet unter www.gemeinsam-einfach-machen.de veröffentlicht.

I.5 Ziele des Gesetzes

Folgende Ziele sollen im Lichte der UN-BRK mit dem Gesetz verwirklicht werden:

– Dem neuen gesellschaftlichen Verständnis nach einer inklusiven Gesellschaft im Lichte der UN-BRK soll durch einen neu gefassten Behinderungsbegriff Rechnung getragen werden.

– Leistungen sollen wie aus einer Hand erbracht und zeitintensive Zuständigkeitskon-flikte der Träger untereinander sowie Doppelbegutachtungen zulasten der Menschen mit Behinderungen vermieden werden.

– Die Position der Menschen mit Behinderungen soll im Verhältnis zu den Rehabilitati-onsträgern und den Leistungserbringern durch eine ergänzende unabhängige Teilha-beberatung gestärkt werden.

– Die Anreize zur Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sollen auf persönlicher und institutioneller Ebene verbessert werden.

– Die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung sollen unter Berücksichtigung des Sozialraumes bei den Leistungen zur Sozialen Teilhabe gestärkt werden.

– Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung sollen insbesondere im Hinblick auf studie-rende Menschen mit Behinderungen verbessert werden.

– Die Zusammenarbeit der unter dem Dach der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabi-litation (BAR) befindlichen RehabiRehabi-litationsträger und die Transparenz des Rehabilitati-onsgeschehens soll verbessert werden.

– Das Recht der Eingliederungshilfe soll zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwi-ckelt werden, in dessen Mittelpunkt der Mensch mit seinen behinderungsspezifischen Bedarfen steht. Gleichzeitig soll keine neue Ausgabendynamik entstehen und die be-stehende durch Verbesserungen in der Steuerungsfähigkeit der Eingliederungshilfe gebremst werden.

– Im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sol-len präventive Maßnahmen ergriffen und neue Wege erprobt werden, um die Erwerbs-fähigkeit von Menschen mit (drohenden) Behinderungen zu erhalten und so Übergänge in die Eingliederungshilfe zu reduzieren.

– Im Schwerbehindertenrecht sollen das ehrenamtliche Engagement der Schwerbehin-dertenvertretungen gestärkt, Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderun-gen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) verbessert und die besonders schweren Beeinträchtigungen von taubblinden Menschen berücksichtigt werden.