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Inkrafttreten, Außerkrafttreten

A. Allgemeiner Teil

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

II.2 Reform der Eingliederungshilfe - Integration der Eingliederungshilfe ins SGB IX, Teil 2

Mit diesem Gesetz erfolgt eine qualitative strukturelle Weiterentwicklung des Rechts der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Um das Leitbild einer inklusiven Ge-sellschaft und in diesem Zusammenhang insbesondere die Herausführung der rungshilfe aus dem „Fürsorgesystem“ auch sichtbar werden zu lassen, wird die Eingliede-rungshilfe aus dem SGB XII herausgelöst und als neuer Teil 2 in das SGB IX integriert. Die Neuausrichtung der Eingliederungshilfe erfolgt konsequent personenzentriert. Die Reform des Rechts der Eingliederungshilfe hat auch Auswirkungen auf die Leistungen der Einglie-derungshilfe im Sozialen Entschädigungsrecht nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), da insoweit die Regelungen des Teils 2 des SGB IX entsprechend zur Anwendung gebracht werden.

Die Eingliederungshilfe wird damit zwar formal aus dem Recht der Sozialhilfe ausgegliedert.

Inhaltlich werden deren Wesensmerkmale auch in dem neuen Recht erfüllt. Die Eingliede-rungshilfe bleibt Teil der öffentlichen Fürsorge nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 7 des Grundgesetzes. Auf Grund verfassungsrechtlicher Vorgaben besteht eine staatliche Ver-pflichtung, jedem Menschen mit Behinderungen ein menschenwürdiges Leben zu ermögli-chen. Diesem Auftrag trägt das Recht der Eingliederungshilfe auch künftig Rechnung. Die

dem Nachranggrundsatz unterliegenden Leistungen der Eingliederungshilfe stellen das un-terste soziale Leistungssystem für Menschen mit erheblichen Teilhabeeinschränkungen dar. Unter Wahrung des Individualitätsprinzips bestimmen sich die Leistungen nach den Besonderheiten des Einzelfalls; hierbei sind insbesondere die Art des Bedarfs, die persön-lichen Verhältnisse, der Sozialraum und die eigenen Kräfte und Mittel zu berücksichtigen.

Das Bedarfsdeckungsprinzip gilt ebenfalls. Die Eingliederungshilfe bleibt bedürftigkeitsab-hängig, da Einkommen und Vermögen des Menschen mit Behinderungen und bei minder-jährigen Kinder der im Haushalt lebenden Eltern oder des Elternteils im Rahmen des Ei-genbeitrags zu berücksichtigen sind. Die Finanzierung erfolgt nach wie vor aus Steuermit-teln.

Mit der Integration der Eingliederungshilfe in das SGB IX, Teil 2 gehen die folgenden we-sentlichen Änderungen gegenüber dem derzeitigen Recht einher:

II.2.1 Von der Einrichtungs- zur Personenzentrierung

Nach geltendem Recht beinhalten die Leistungen der Eingliederungshilfe in vollstationären Einrichtungen eine umfassende Versorgung und Betreuung. Sie gliedern sich in Maßnah-men der Eingliederungshilfe, den so genannten Fachleistungen der Eingliederungshilfe, und in die existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt einschließlich Wohnen. Die Bedarfe wurden vielfach entlang der Logik stationär versus ambulant ermittelt und dement-sprechend die Leistungen gewährt.

Mit diesem Gesetz wird die Eingliederungshilfe von einer überwiegend einrichtungszentrier-ten zu einer personenzentriereinrichtungszentrier-ten Leistung neu ausgerichtet. Die notwendige Unterstützung des Menschen mit Behinderungen orientiert sich zukünftig nicht mehr an einer bestimmten Wohnform. Die Charakterisierung von Leistungen in ambulante, teilstationäre und statio-näre Maßnahmen der Eingliederungshilfe wird aufgehoben. Die notwendige Unterstützung soll sich - im Lichte insbesondere von Artikel 19 UN-BRK - unter ganzheitlicher Perspektive ausschließlich an dem individuellen Bedarf orientieren. Dieser soll gemeinsam mit dem Menschen mit Behinderung ermittelt, das passende „Hilfepaket“ zusammengestellt und im gewohnten oder gewünschten Lebensfeld organisiert werden. Je nach Bedarf kann dieser auch künftig durch einen Leistungserbringer mit umfassender Versorgung und Betreuung gedeckt werden. Vor dem Hintergrund der personenzentrierten Ausrichtung der Eingliede-rungshilfe müssen die Leistungsberechtigten in allen Schritten der Leistungsgewährung und -erbringung ganzheitlich in den Blick genommen werden.

Die mit diesem Gesetz vorgeschlagenen Regelungen zu einer konsequent personen-zentrierten Ausrichtung der Eingliederungshilfe stellen sicher, dass auch für leistungsbe-rechtigte Menschen mit Behinderungen, die einen umfassenden Unterstützungsbedarf bis hin zu einer rund-um-die-Uhr - Betreuung haben, künftig alle notwendigen Bedarfe in den jeweiligen Lebenslagen gedeckt sind.

II.2.2 Optimierung der Gesamtplanung

Die personenzentrierte Neuausrichtung der Eingliederungshilfe erfordert zwingend eine op-timierte Gesamtplanung. Sie ist Grundlage einer bedarfsdeckenden Leistungserbringung.

Die Regelungen zur Gesamtplanung knüpfen an die Regelungen zur Teilhabeplanung in Teil 1 an und normieren die für die besonderen Leistungen zur selbstbestimmten Lebens-führung für Menschen mit Behinderungen notwendigen Spezifika. Der Mensch mit Behin-derung wird in das Verfahren aktiv einbezogen und sein Wunsch- und Wahlrecht berück-sichtigt.

Die Gesamtplanung erfolgt umfassend unter ganzheitlicher Perspektive. Die Bedarfsermitt-lung und -feststelBedarfsermitt-lung erstreckt sich auf alle Lebenslagen des Menschen mit Behinderungen und erfolgt nach bundeseinheitlichen Maßstäben. Die Verantwortung für die Koordinierung der Leistungen richtet sich auch in der Eingliederungshilfe nach den allgemeinen Vorschrif-ten der Teilhabeplanung im Teil 1, die für alle Rehabilitationsträger gelVorschrif-ten. Die VorschrifVorschrif-ten für die Gesamtplanung sind ergänzend anzuwenden.

II.2.3 Neuregelung des Einkommens- und Vermögenseinsatzes

Die Eingliederungshilfe wird aus dem Fürsorgesystem in der Sozialhilfe herausgeführt. Mit der Neuregelung des Einkommens- und Vermögenseinsatzes wird sowohl zur Verbesse-rung der finanziellen Situation von Menschen mit BehindeVerbesse-rungen beigetragen, als auch ein neues transparentes System geschaffen, in dem ohne Unterscheidung der Behinderungs-art alle erforderlichen Fachleistungen gewährt werden.

Die bisherige einzelfallbezogene Beurteilung der finanziellen Situation wird durch eine Re-gelung abgelöst, bei der ein vom Gesamteinkommen abhängiger Eigenbeitrag festgelegt wird. Alle Beträge, die für die Bemessung des Eigenbeitrages ausschlaggebend sind, un-terliegen automatisch einer Dynamisierung.

Es wird sichergestellt, dass kein Leistungsberechtigter im Leistungsbezug durch die Geset-zesänderung schlechter gestellt wird.

Die bisher schon einkommens- und vermögensunabhängigen Leistungen der Eingliede-rungshilfe (z.B. heilpädagogische Leistungen für Minderjährige sowie Leistungen zur Teil-habe am Arbeitsleben in der WfbM) bleiben auch weiterhin einkommens- und vermögens-unabhängig.

Ergänzend zu den Verbesserungen beim Einkommenseinsatz wird die Vermögensfrei-grenze erhöht. Somit besteht für leistungsberechtigte Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, die Leistungsverbesserung (teilweise) nach und nach einem Vermögensauf-bau (z.B. zur Alterssicherung) zuführen zu können.

Einkommen der Partner von Leistungsberechtigten bleiben - auch im Lichte von Artikel 23 UN-BRK - anrechnungsfrei. Für Vermögen der Partner von Leistungsberechtigten gelten künftig ebenfalls die deutlich höheren Grenzen der Leistungsberechtigten.

Von Verbesserungen bei der Heranziehung von Einkommen aus Erwerbstätigkeit wird re-lativ zur Gesamtzahl der Eingliederungshilfebezieher nur ein kleiner Anteil profitieren. Der mit Abstand größte Anteil an Eingliederungshilfebeziehern ist jedoch entweder gar nicht erwerbstätig oder arbeitet in einer WfbM. Damit auch diese Menschen künftig ein höheres Netto-Arbeitsentgelt erhalten, wird der Freibetrag in Absatz 3 Satz 2 von 25 Prozent des übersteigenden Betrages des Arbeitsentgeltes auf 50 Prozent erhöht. Somit werden rund 26 Euro des Arbeitsentgeltes monatlich weniger auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angerechnet und sich die Leistungen der Grundsicherung entsprechend erhöhen.

II.2.4 Weiterentwicklung des Vertragsrechtes

Die Weiterentwicklung des Leistungsrechts der Eingliederungshilfe von einer überwiegend einrichtungszentrierten zu einer personenzentrierten Leistung und die damit verbundene Konzentration der Eingliederungshilfe auf die Fachleistungen erfordern auch eine Weiter-entwicklung des bisherigen Vertragsrechts des SGB XII für die besonderen Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen. Es regelt künftig nur noch die Erbringung von Fachleistungen.

Entsprechend der gestiegenen Verantwortung der Leistungsträger wird ihre Steuerungs-funktion durch die Möglichkeit von effektiveren Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen gestärkt. Zugleich werden die Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung vertraglicher oder ge-setzlicher Pflichten erweitert.

Mit der Weiterentwicklung des Vertragsrechts soll das Leitbild „Gute Arbeit“ auch bei den Erbringern von Leistungen der Eingliederungshilfe verankert werden: Künftig gelten tariflich vereinbarte Vergütungen grundsätzlich als wirtschaftlich. Geeignete Leistungsanbieter müssen eine dem Leistungsangebot entsprechende Anzahl an Fachkräften beschäftigen.

II.2.5 Neudefinition des leistungsberechtigten Personenkreises

Vor dem Hintergrund des gewandelten Verständnisses von Behinderung von einer defizit-orientierten zu einer ressourcendefizit-orientierten Sichtweise, das insbesondere durch die Auf-nahme des bio-psychosozialen Modells von Behinderung in die ICF weltweite Anerkennung

und durch die Aufnahme in die UN-BRK auch Eingang in das deutsche Rechtssystem ge-funden hat, wird der leistungsberechtigte Personenkreis für die Eingliederungshilfe im neuen Teil 2 des SGB IX neu geregelt. Mit der neuen Definition wird der Wechselwirkung von individueller Beeinträchtigung und von der Gesellschaft geschaffenen Barrieren ebenso Rechnung getragen wie dem Ansatz des Klassifikationssystems der ICF, der die Aktivitäts- und Teilhabeeinschränkungen sowie die jeweiligen Kontextfaktoren als Beschreibung einer Behinderung berücksichtigt.

Gleichfalls erfolgt die in diesem Zuge fachlich notwendige Weiterentwicklung des bisher für die Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe erforderlichen Merkmals der „Wesent-lichkeit“. Das leistungsauslösende Moment wird nun nicht mehr an der Person selbst bzw.

an Persönlichkeitsmerkmalen festgemacht („er / sie ist wesentlich behindert“), sondern an der Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt, d.h. wenn die Fähigkeit zur gleichbe-rechtigten Teilhabe an der Gesellschaft in erheblichem Maße eingeschränkt ist und deshalb personelle oder technische Unterstützung in an der ICF-orientierten Lebensbereichen not-wendig ist.

Vor dem Hintergrund der personenzentrierten Ausrichtung der Eingliederungshilfe müssen die Leistungsberechtigten in allen Schritten der Leistungsgewährung und -erbringung, be-ginnend bei der Antragsprüfung und beim Zugang zu den Leistungen ganzheitlich in den Blick genommen werden. Daher erfolgt eine Orientierung an allen Lebensbereichen, die auch in die ICF aufgenommen wurden und dort bei der Beurteilung der Teilhabemöglich-keiten eine Rolle spielen.

Die Inhalte der an der ICF orientierten Lebensbereiche und die Regelung, wann eine er-hebliche Teilhabeeinschränkung vorliegt, werden in der neuen Verordnung der Eingliede-rungshilfe bestimmt.