• Keine Ergebnisse gefunden

Ziele des Staates: Arbeitskräfte und Kontrolle der Frauen

4 Sozioökonomische Faktoren: Zur Lebenslage der Frauen

4.3 Frauen im Kommunismus 1948 - 1989

4.3.2 Ziele des Staates: Arbeitskräfte und Kontrolle der Frauen

Ideolo-gie wichtig - es gab vielmehr auch rein pragmatische Faktoren, die die Frauen, aber auch den Staat, zu Gewinnern der Emanzipation machte.

Mangel an Arbeitskräften

Nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Machtübernahme der Kommunisten im Feb-ruar 1948 begann ein großer Umbau der slowakischen Wirtschaft. Die bis dahin nichtstaatliche Industrie wurde in die Hände des Staates übergeleitet, gigantische Bau-projekte wurden gestartet, die private Landwirtschaft wurde in staatliche Kolchosen

190 SBZ von A bis Z 1963: 301.

191 SBZ von A bis Z 1963: 179.

(Jednotné roľnícke družstvá -JRD) umgeformt. Auf diese große wirtschaftliche Um-strukturierung war der Staat, vor allem aus Sicht der nötigen Arbeitskräfte, jedoch nicht ausreichend vorbereitet und das Land geriet in Transformationsschwierigkeiten. Aus Angst vor der neuen politischen und wirtschaftlichen Ordnung emigrierten zu der Zeit viele Menschen ins Ausland. Der Staat erlitt dadurch einen großen Verlust an Arbeits-kräften und um die neuen wirtschaftlichen Projekte am Leben zu erhalten, mussten neue Kräfte gefunden werden, vor allem in der Leichtindustrie, für monotone und schlecht bezahlte Arbeit wurden in den 50er und in den 60er Jahren dringend Menschen ge-sucht.192 Die Kommunisten haben aus dieser Not heraus nach dem weiblichen Arbeitskräftepotenzial gegriffen, und über dies entsprach ja die Eingliederung der Frau-en in dFrau-en Arbeitsprozess der marxistischFrau-en Ideologie. „The need to mobilize all available labour reserves coincided nicely with the emphasis Marxist writings attached to work outside the home as a precondition for women’s emancipation…“193 Immer häufiger wurde das Bild der erwerbstätigen Frau in allen Medien stolz vermittelt, eine nicht erwerbstätige Frau galt bald als seltene Ausnahme. Ob in der Leichtindustrie oder in der Verwaltung, auf großen Baustellen, überall wurden nun Frauen eingesetzt. „Alle Arbeiten, von denen es bisher undenkbar war, dass Frauen sie durchführen können, werden von ihnen vorbildlich geleistet, das Baggerführen, Baggerschmieren, Klappen-schlagen, die Bedienung der E-Loks, Stellwerke und Weichen. ... Erst in dem Arbeiter-Bauern-Staat ist dies möglich geworden.“194 Bald wurde für Frauen auch Nachtarbeit erlaubt und der besondere Arbeitsschutz für Frauen wurde eingeschränkt, wie auch der Schutz von Schwangeren und Stillenden.195 Der Druck der Politik ließ nicht nach und die Erwerbstätigkeit der Frauen stieg drastisch an. Die Ethnographin Soňa Kovačevičová bezeichnete diesen Zeitabschnitt als Ära „der Zwangsemanzipation“.196 Die Erwerbstätigkeit der Frauen wurde nicht mehr zum Recht, sondern zur Pflicht. So hat bis 1989 die Erwerbstätigkeit der slowakischen Frauen, die über 14 Jahre alt waren, volle 60 Prozent erreicht.197

192 Filadelfiová et al. 1999: 17.

193 Wolchik 1981: 135.

194 Schütze 1959: 107.

195 SBZ von A bis Z 1963: 154.

196 Kovačevičová in Bútorová 2001: 44.

197 Vgl. ebd.: 192.

Tabelle 4-7 Entwicklung der Erwerbstätigkeit der Bevölkerung in der

*Angaben sind in Prozent (Jahr 1948 = 100 Prozent)

Quelle: Federální statistický úřad (Hg.): Historická statistická ročenka ČSSR. Praha 1985, S. 149.

Falls wir das Jahr 1948 als Ausgangspunkt mit der Quote 100 annehmen, dann können wir sehen, dass innerhalb der folgenden zehn Jahre die Erwerbstätigkeit der Frauen in der gesamten Tschechoslowakei um 23 Prozent stieg und Anfang der 70er Jahre schon bei vollen 50 Prozent lag. Im Vergleich des gesamten Arbeitsmarktes lässt sich erken-nen, dass 1948 Frauen einen Anteil von 37,4 Prozent auf dem Arbeitsmarkt hatten. In den 70er Jahren lag die Erwerbstätigkeit der Frauen nur knapp zehn Prozent unter der der Männer.

Kontrolle über Frauen und Kinder gewinnen

Der nächste pragmatische Grund, der die Kommunisten zur Förderung der Erwerbstä-tigkeit der Frauen bewog, war mit dem Streben nach der Kontrolle über Frauen im Beruf und Kinder in Erziehung verbunden. Die neue Ideologie strebte die „Befreiung“

der Gesellschaft von religiösen Einflüssen an. Die Slowakei ist ein Land mit einer be-deutenden christlichen Tradition. Vor allem bei Frauen spielte zu der Zeit der Glauben eine wichtige Rolle. Frauen aus der Privatsphäre in das öffentliche Leben zu bringen, war eine wichtige Voraussetzung einer atheistischen Neuorientierung der Gesellschaft.

„Ein ideologischer Kampf gegen die ‚unwissenschaftliche religiöse Weltanschauung’

wurde geführt.... Gottlosigkeit wurde aus Grundsatz gefordert.“198 Dies war aber nur schwer möglich, solange Frauen in ihrer privaten Umgebung blieben. „Unter den Be-dingungen der Isolation vom Produktionsbereich und vom gesellschaftlichen Leben bildet sich bei den Frauen, die kein Bildungsniveau haben, eine religiöse Psychologie

198 SBZ von A bis Z 1963: 239.

heraus, die besonders feste Wurzeln im Alltag und in der Familie hat.“199 Im kommunis-tischen Kollektiv wurde die religiöse Weltanschauung angreifbar. Frauen wurden in den Arbeitsprozess eingegliedert und die Kinder in den staatlichen Erziehungseinrichtungen atheistisch erzogen. Damit wurde die Kontrolle über zwei Zielgruppen gewonnen. Die Kindergärtnerinnen wurden an besonderen pädagogischen Schulen gebildet, damit sie die vollkommene Erziehung zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ durchführen konn-ten.200

Tabelle 4-8 Entwicklung von Kindergärten in der Slowakischen sozialistischen Republik

Jahr Anzahl von Kindergärten

Anteil von betreuten Kindern (3-6 Jahre) in Kindergärten

(in %)

Erwerbstätige Mütter

1945 335 10,6 -

1951 1 425 25,3 20 200

1960 1 901 30,0 56 096

1970 2 645 51,0 101 443

1983 3 931 86,1 223 498

Quelle: Federální statistický úřad (Hg.): Historická statistická ročenka ČSSR. Praha 1985, S. 789.

Während 1945 nur 10 Prozent aller Kleinkinder (3-6 Jahre) einen Kindergarten besuch-ten, hat sich ihr Anteil innerhalb der folgenden sechs Jahre mehr als verdoppelt. Vierzig Jahre später gab es in der Slowakei knapp 4000 staatliche Kindergärten, in denen mehr als 85 Prozent aller Kinder betreut wurden. Der Betrieb der Kindergärten wurde aus der staatlichen Kasse großzügig finanziell unterstützt. Viele Familien nahmen auch deshalb das Angebot des Staates an und brachten ihre Kinder in den kostenfreien Einrichtungen unter. Dadurch erhöhte sich in der dreißigjährigen Epoche von 1951 – 1983, die Er-werbstätigkeit der Mütter von Kleinkindern um das zehnfache.

Eine ähnliche Situation herrschte auch bei der Betreuung von Schulkindern, die wäh-rend des Kommunismus deutlich zugenommen hat. Ganztagsschulen, aber auch Kinderhorte erleichterten Frauen ihre berufliche Tätigkeiten und bezogen die Kinder

199 Karatajewa 1988: 125.

200 SBZ von A bis Z 1963: 238.

tiefer in die staatlichen Strukturen ein, nicht zuletzt durch die Mitgliedschaft im kom-munistischen Jugendverband.